OGH 10ObS85/24h

OGH10ObS85/24h19.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Anja Pokorny (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. A*, vertreten durch die MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 2024, GZ 23 Rs 18/24 d‑25, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00085.24H.1119.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für ihre am 3. März 2022 geborene Tochter L*.

[2] Die Klägerin war seit Mitte April 2012 zunächst bei der R* GmbH und dann bei der R* Marketing GmbH als Angestellte beschäftigt. Vor der Geburt von L* befand sie sich ab 20. Juli 2021 im Krankenstand und bezog in der Zeit von 7. Oktober 2021 bis 3. November 2021 volles Krankengeld. Ab 4. November 2021 bezog sie (aufgrund eines individuellen Beschäftigungsverbots) Wochengeld.

[3] Im fachärztlichen Zeugnis nach § 3 Abs 3 MSchG vom 4. November 2021 wurde bei der Klägerin eine „Plazenta praevia“ diagnostiziert und bestätigt, dass das Zeugnis bis zum Beginn der Schutzfrist gemäß § 3 Abs 1 MSchG (errechneter Geburtstermin: 16. März 2022) gelte.

[4] Die Beklagte gewährte der Klägerin lediglich Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens gemäß § 24d Abs 2 KBGG von 33 EUR täglich.

[5] Die Vorinstanzen wiesen die auf Gewährung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in Höhe des § 24a KBGG gerichtete Klage ab. Die Klägerin sei im Beobachtungszeitraum des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG nicht durchgehend erwerbstätig iSd § 24 Abs 2 KBGG gewesen, weil die Zeit des vollen Krankengeldbezugs (7. Oktober 2021 bis 3. November 2021) der tatsächlichen Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nicht gleichgestellt sei.

Rechtliche Beurteilung

[6] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

[7] 1. Bei Beurteilung der Frage, ob eine „tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit“ vorliegt, kommt es nach § 24 Abs 2 KBGG darauf an, ob eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wurde, die der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung unterlag. Maßgeblich ist daher nicht eine Erwerbsabsicht oder ein Lohnsteuerabzug, sondern ob aufgrund der Tätigkeit Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden mussten (RS0128183; 10 ObS 2/24b Rz 7 ua).

[8] Darauf aufbauend entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Oberste Gerichtshofs, dass der Bezug von Krankengeld ohne Entgeltfortzahlungspflicht während eines aufrechten Dienstverhältnisses – aufgrund des Erlöschens der Pflichtversicherung gemäß § 11 Abs 1 Satz 2 ASVG – keine tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 KBGG darstellt (RS0129362 [T1]; 10 ObS 22/23t Rz 17; 10 ObS 99/20m Rz 33 ua).

[9] 2. Diese schon von den Vorinstanzen zutreffend erkannten Grundsätze zieht die Klägerin nicht in Zweifel. Sie meint jedoch, dass ihr Krankenstand medizinisch einem Beschäftigungsverbot entsprochen habe, das apodiktische Abstellen auf eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit von höchstens 14 Tagen in der Zeit kurz vor der Geburt unsachlich und die Verweigerung der Gleichstellung von Zeiten eines Krankengeldbezugs ohne Entgeltfortzahlung angesichts Art 11 Abs 2 VO (EG) 883/2004 inländerdiskriminierend sei.

[10] 3. Damit vermag die Klägerin die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen.

[11] 3.1. Gemäß § 3 Abs 3 Satz 1 MSchG besteht ein individuelles Beschäftigungsverbot (erst dann), wenn nach einem fachärztlichen Zeugnis das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet wäre. Anders als das absolute (§ 3 Abs 1 MSchG) ist das individuelle Beschäftigungsverbot daher an den Nachweis einer sonstigen Gefährdung von Mutter und Kind geknüpft. Es wird demgemäß auch erst mit Vorlage des Zeugnisses nach § 3 MSchV wirksam (10 ObS 77/11p ErwGr 2.1.; RS0070675; Ercher/Stech/Langer, MSchG und VKG, § 3 MSchG Rz 22; Wolfsgruber-Ecker in Neumayr/Reissner,ZellKomm3 § 3 MSchG Rz 15 ua; vgl RS0070672). Wie ihre Ansicht, die „medizinisch-sachliche Situation“, also der rein faktische Zustand, sei dem Freistellungszeugnis gleichwertig, mit dieser eindeutigen Gesetzeslage und Rechtsprechung in Einklang zu bringen ist, klärt die Klägerin nicht auf. Sie liefert auch keine Begründung für ihre Behauptung, das Freistellungszeugnis habe lediglich „deklatorischen Bescheinigungscharakter“. Abgesehen davon übergeht sie, dass nach § 2 Abs 1 Z 8 MSchV eine Plazenta praevia totalis bzw partialis ohnedies erst ab der 20. Schwangerschaftswoche eine medizinische Indikation iSd § 3 Abs 3 Z 1 MSchG darstellt.

[12] Nicht zu beanstanden ist in diesem Kontext auch, wenn die Vorinstanzen davon ausgehen, dass die Gefährdung mangels anderslautender Angaben im Freistellungszeugnis (erst) ab dem Ausstellungszeitpunkt dokumentiert ist (vgl 10 ObS 154/20z Rz 13; 10 ObS 66/20h Rz 16; Marat, MSchG2 § 3 MSchG Rz 8 ua). Auf die Ursache, warum die Zeit davor keine gleichgestellte Zeit iSd § 24 Abs 2 KBGG ist oder ob dies von der Klägerin verhinderbar gewesen wäre, stellt § 24 Abs 2 KBGG nicht ab (vgl 10 ObS 71/23y Rz 25).

[13] 3.2. Der Ansicht, es sei „krass unsachlich“, nur auf die (wohl gemeint:) letzten 182 Tage vor Beginn des Beschäftigungsverbots abzustellen und auszublenden, dass die Klägerin seit April 2012 ohne Unterbrechung beschäftigt gewesen sei und während dieser Zeit Krankenstände von insgesamt nur 28 Tagen aufweise, haben bereits die Vorinstanzen zutreffend die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof entgegengehalten. Nach dieser steht es dem Gesetzgeber in Hinsicht auf das Sachlichkeitsgebot frei, den Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld (unter anderem) von einer durchgehenden Erwerbstätigkeit während eines bestimmten Zeitraums vor der Geburt oder des Beginns des Beschäftigungsverbots abhängig zu machen (10 ObS 5/14d ErwGr 6.; 10 ObS 76/13v ErwGr 4.). Damit beschäftigt sich die Klägerin – wie schon in der Berufung – nicht. Ihre subjektive Auffassung, es sei nicht sachgerecht, die Frist des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG auf sie anzuwenden, rechtfertigt es nicht, rechtsfortbildend einen Regelungsinhalt zu schaffen, dessen Herbeiführung allein dem Gesetzgeber obläge (RS0098756 [T3]).

[14] 3.3. Die Klägerin erkennt richtig, dass Art 11 Abs 2 VO (EG) 883/2004 einen Kernbereich des unionsrechtlichen Begriffs der Beschäftigung darstellt. Beim Bezug von Leistungen, die darunter zu subsumieren sind, ist daher unabhängig von der nationalen Systematik von der Ausübung einer Beschäftigung auszugehen (10 ObS 117/14z ErwGr 3.3.3.; RS0130045 [T3] ua). Aus diesem Grund qualifiziert der Oberste Gerichtshof Zeiten des Bezugs von Krankengeld ohne Entgeltfortzahlung zwar – abweichend von der Beurteilung nach § 24 Abs 2 KBGG – als Beschäftigung iSd Art 11 Abs 2 VO (EG) 883/2004 (10 ObS 36/21y Rz 48; 10 ObS 103/18x ErwGr 3.1. und 3.5. [aE]; 10 ObS 117/14z ErwGr 3.3.3. ua). Es wurde aber stets betont, dass das nur für die kollisionsrechtliche Beurteilung der Leistungszuständigkeit Österreichs nach der VO (EG) 883/2004 gilt (10 ObS 2/22z Rz 18; 10 ObS 36/21y Rz 50; 10 ObS 103/18x ErwGr 4. ua). Die Anspruchsvoraussetzungen für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld werden davon hingegen nicht berührt. Auch wenn daher Zeiten des Krankengeldbezugs ohne Entgeltfortzahlung als Beschäftigung iSd Art 11 Abs 2 VO (EG) 883/2004 zu werten sind, gelten sie deswegen noch nicht als gleichgestellte Zeiten iSd § 24 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 KBGG (in diesem Sinn auch 10 ObS 2/22z Rz 18). Dauert der Krankengeldbezug daher mehr als 14 Tage, kann der betroffene Elternteil in Österreich – so wie die Klägerin – nur pauschales Kinderbetreuungsgeld oder die Sonderleistung nach § 24d KBGG beziehen (I. Faber, DRdA 2022, 18 [26]; Burger/Ehrnhofer,KBGG und FamZeitbG3 § 24 KBGG Rz 10). Die von der Klägerin ins Treffen geführten Entscheidungen 10 ObS 117/14z und 10 ObS 103/18x betreffen demgemäß – ebenso wie alle anderen dazu ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs – nicht das einkommensabhängige sondern das pauschale Kinderbetreuungsgeld.

[15] Die Annahme einer Inländerdiskriminierung, weil diese gegenüber (ausländischen) Grenzgängern iSd VO (EG) 883/2004 eine „eklatante leistungsweise Schlechterstellung“ erfahren, trifft daher nicht zu.

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