OGH 10ObS22/23t

OGH10ObS22/23t21.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Franz Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. J*, vertreten durch Puttinger Vogl Rechtsanwälte OG in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 16. Jänner 2023, GZ 11 Rs 80/22 x‑11, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 31. August 2022, GZ 18 Cgs 126/22w‑6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00022.23T.0321.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revision selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Klägerin die Anspruchsvoraussetzung einer Erwerbstätigkeit in den letzten 182 Kalendertagen unmittelbar vor der Geburt iSd § 24 Abs 1 Z 2, Abs 2 KBGG erfüllt, wenn in diesem Zeitraum auch (14 Kalendertage übersteigende) Zeiten eines (der Pflegekarenz nach § 14c AVRAG gleichartigen) Karenzurlaubs nach § 75c Abs 1 Z 2 BDG 1979 liegen.

[2] Die Klägerin ist seit Dezember 2008 Beamtin nach dem BDG 1979. Sie brachte am 30. Dezember 2021 eine Tochter zur Welt.

[3] Für den Zeitraum 1. August 2021 bis 15. September 2021 wurde der Klägerin Karenzurlaub gemäß § 75c Abs 1 Z 2 BDG 1979 gewährt. Während dieser Zeit widmete sie sich der Pflege ihrer Mutter nach einer schweren Operation und erhielt 55 % ihres Einkommens in Form von Pflegekarenzgeld (§ 21c BPGG).

[4] Von 16. September 2021 bis zum Beginn des Mutterschutzes bezog die Klägerin wieder ihr bisheriges Gehalt.

[5] Mit Bescheid vom 24. Mai 2022 lehnte die beklagte Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, den Antrag der Klägerin vom 7. März 2022 auf Zuerkennung von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld für den Zeitraum 30. Dezember 2021 bis 31. August 2022 aus Anlass der Geburt ihrer Tochter ab. Im Beobachtungszeitraum von 14. Mai 2021 bis 11. November 2021 (182 Kalendertage vor Geburt bzw vor dem Mutterschutz) liege keine ununterbrochene Erwerbstätigkeit gemäß § 24 Abs 2 KBGG vor.

[6] Dagegen richtet sich die Klage, in der die Klägerin die Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum 2. April 2022 bis 31. August 2022 begehrt. Die Pflegekarenz zum Zweck der Pflege eines nahen Angehörigen sei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichzustellen.

[7] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Nach dem Gesetz gebe es nur zwei Sachverhalte, die der Erwerbstätigkeit gleichgestellt seien. Diese lägen hier nicht vor.

[8] Das Erstgericht wies die Klage ab. Im Zeitraum einer Pflegekarenz liege keine tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit vor. Der Karenzurlaub nach § 75c BDG 1979 stelle keine andere vergleichbare Rechtsvorschrift dar, die dem Beschäftigungsverbot oder den Karenzbestimmungen des MSchG gleichzustellen sei.

[9] DasBerufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Der Karenzurlaub nach § 75c Abs 1 Z 2 BDG 1979 sei unter Entfall der Bezüge erfolgt. Die Versicherungspflicht sei in der Kranken‑ und in der Pensionsversicherung zwar auch in diesem Zeitraum aufrecht, doch seien weder von der Klägerin noch vom Bund in seiner Funktion als Dienstgeber Beiträge zur Sozialversicherung zu leisten. Dies stelle daher keine tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit iSd § 24 KBGG dar. Es handle sich auch nicht um eine gleichgestellte Zeit iSd § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG.

[10] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu dieser Frage zu.

[11] Dagegen richtet sich die Revisionder Klägerin, mit der sie die Stattgebung der Klage anstrebt; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] In der Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

[14] 1. Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens hat ein Elternteil für sein Kind (ua), sofern dieser Elternteil in den letzten 182 Kalendertagen unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig gemäß § 24 Abs 2 KBGG war sowie in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht anspruchsschädigend auswirken (§ 24 Abs 1 Z 2 KBGG). Unter Erwerbstätigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes versteht man die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen (kranken- und pensionsversicherungspflichtigen) Erwerbstätigkeit (§ 24 Abs 2 Satz 1 KBGG). Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbots nach dem MSchG oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder VKG oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes (§ 24 Abs 2 Satz 2 KBGG).

[15] 2. Der Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld wurde durch das BGBl I 2009/116 in das KBGG eingefügt. In den Gesetzesmaterialien wurde dazu ua ausgeführt (ErläutRV 340 BlgNR 24. GP  16):

In Ergänzung zu den Pauschalvarianten des Kinderbetreuungsgeldes wird im Kinderbetreuungsgeldgesetz ein zusätzliches System eines einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes (ea KBG) geschaffen. Damit soll jenen Eltern, die vor der Geburt über ein relativ hohes Erwerbseinkommen verfügt haben, die Möglichkeit gegeben werden, trotz kurzzeitigem Rückzug aus dem Erwerbsleben den bisherigen Lebensstandard aufrecht zu erhalten.

[…]

Die Erwerbstätigkeit muss durchgehend in den letzten sechs Monaten vor Geburt tatsächlich ausgeübt werden. Sehr geringfügige Unterbrechungen (das sind solche von bis zu 14 Tagen) sind zulässig, um Härtefälle zu vermeiden. Keine Unterbrechung der tatsächlichen Ausübung der Erwerbstätigkeit stellen Zeiten des Erholungsurlaubes oder der Krankheit dar (unter der Voraussetzung, dass die Sozialversicherungspflicht aus der Erwerbstätigkeit aufrecht bleibt, wie es etwa bei arbeitsrechtlicher Entgeltfortzahlung der Fall ist).

[16] 3.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt es beim Begriff der Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 2 KBGG nicht auf Erwerbsabsicht oder Lohnsteuerabzug an, sondern es ist darauf abzustellen, ob eine „Erwerbstätigkeit“ ausgeübt wurde, die der Sozialversicherungspflicht unterlag, ob also aufgrund dieser Tätigkeit (vom Versicherten bzw dem Dienstgeber) Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden mussten (RS0128183).

[17] 3.2. Dementsprechend schaden etwa Zeiten einer Dienstfreistellung unter (zumindest teilweiser) Fortzahlung des Entgelts (10 ObS 5/21i SSV‑NF 35/17; 10 ObS 129/20y SSV‑NF 34/77; 10 ObS 99/20m SSV‑NF 34/65 zu § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG) nicht. Umgekehrt fehlt es an diesen Voraussetzungen beispielsweise bei einem unbezahlten Urlaub unter Wegfall der Pflichtversicherung (10 ObS 25/18a SSV‑NF 32/25), bei Krankengeldbezug nach Erschöpfung der Entgeltfortzahlungspflicht (10 ObS 5/14d SSV‑NF 28/8), sowie während des Bezugs einer Urlaubsersatzleistung (10 ObS 164/17s SSV‑NF 32/27) oder einer Kündigungsentschädigung (10 ObS 32/19g SSV‑NF 33/25), weil das die Erwerbstätigkeit begründende Dienstverhältnis in diesen beiden letzteren Fällen bereits beendet ist. Auch bei Leistung des Präsenzdienstes oder einer Milizübung wurde eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit angenommen (10 ObS 38/19i SSV‑NF 33/43 zu § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG; 10 Ob 57/12y SSV‑NF 26/59), weil die – durch das aufrechte Dienstverhältnis begründete – Beitragspflicht des Versicherten und seines Dienstgebers ruht und die (durch das Dienstverhältnis begründete) Pflichtversicherung mit dem Antritt des Präsenzdienstes endet; aus § 232 Abs 1 ASVG wurde weiters abgeleitet, dass die gemäß § 8 Abs 1 Z 2 lit d sublit aa oder bb ASVG während der Leistung des Präsenzdienstes erworbenen Zeiten einer Teilversicherung nicht als Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit behandelt werden.

[18] 4. Entsprechend diesen Grundsätzen ist auch bei der Klägerin davon auszugehen, dass im Beobachtungszeitraum keine durchgehend ausgeübte Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 2 Satz 1 KBGG vorliegt.

[19] 4.1. Die Beschäftigung der Klägerin in ihrem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis nach dem BDG 1979 ist unstrittig als Erwerbstätigkeit iSd § 24 Abs 2 KBGG anzusehen, die allerdings durch den Karenzurlaub nach § 75c Abs 1 Z 2 BDG 1979 – bei dem es sich um einen Urlaub unter Entfall der Bezüge handelt (s den Einleitungssatz des § 75c Abs 1 BDG 1979) – unterbrochen.

[20] 4.2. Der Klägerin ist zwar zuzugestehen, dass sie während des Karenzurlaubs (weiter) kranken‑ und pensionsversichert war. Diese Kranken‑ und Pensionsversicherung wurde aber nicht durch die Ausübung der – unterbrochenen – Erwerbstätigkeit (im aufrechten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis) begründet, sondern wegen der Pflege eines nahen Angehörigen gemäß § 29 Abs 1 AlVG. Dabei handelt es sich aber nicht um die Ausübung einer (von der bisherigen verschiedenen) Erwerbstätigkeit. Die Klägerin bezog für die Inanspruchnahme des Karenzurlaubs ein Pflegekarenzgeld nach § 21c Abs 1 BPGG, aber nicht als sozialversicherungspflichtiges Entgelt für die Pflegeleistungen. Die Beiträge zur Kranken‑ und Pensionsversicherung waren während dieser Zeit dementsprechend auch nicht von ihr bzw ihrem Dienstgeber (in dieser Eigenschaft) zu tragen (s § 29 Abs 4 AlVG).

[21] Dieses Ergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass die gegenständlichen Zeiten für die Zwecke des Pensionsrechts vom Gesetz nicht als Pflichtversicherungszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit, sondern als (sonstige) Zeiten einer Pflichtversicherung behandelt werden (§ 29 Abs 2 letzter Satz AlVG iVm § 3 Abs 1 Z 2 APG; vgl auch § 225 Abs 1 Z 2a ASVG).

[22] 5. Auch eine der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellte Zeit iSd § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG liegt nicht vor.

[23] 5.1. Diese Bestimmung nennt als gleichgestellte Zeiten ausdrücklich (nur) die vorübergehende Unterbrechung während eines Beschäftigungsverbots oder zum Zwecke der Kindererziehung nach den jeweils genannten oder gleichartigen Bestimmungen. Unbezahlte Sonderurlaube und andere unbezahlte Freistellungen („Karenzverlängerungen“) sind hingegen nicht gleichgestellt und daher nicht anspruchsbegründend (Holzmann‑Windhofer in Holzmann‑Windhofer/Weißenböck, KBGG2 192).

[24] 5.2. Die Wortfolge „oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften“ bezieht sich – entgegen der Auffassung der Klägerin – jeweils schon grammatikalisch nicht auf andere (von Mutterschaft oder Kindererziehung losgelöste) Sachverhalte oder Situationen, sondern auf die genannten Rechtsvorschriften (des MSchG bzw VKG). Es sollten damit (lediglich) bestimmte Fälle eines Beschäftigungsverbots (oder damit vergleichbare Situationen: ErläutRV 340 BlgNR 24. GP  16) aufgrund der Mutterschaft und der Kindererziehung mit einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt werden, auch wenn die Bestimmungen des MSchG bzw VKG nicht anwendbar sind. Ein Karenzurlaub zur Pflege eines nahen Angehörigen ist aber weder mit einem Beschäftigungsverbot aufgrund der Mutterschaft vergleichbar, noch geht es dabei um Kindererziehung.

[25] 5.3. Gründe, die für die von der Klägerin vertretene analoge Anwendung des § 24 Abs 2 Satz 2 KBGG sprechen würden, sind der Revision nicht zu entnehmen und auch nicht ersichtlich. Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Karenzurlaub zur Pflege eines behinderten Kindes oder eines pflegebedürftigen Angehörigen in § 75c BDG 1979 bereits vor Schaffung des Kinderbetreungsgeldes als Ersatz des Erwerbseinkommens Bestandteil der Rechtsordnung war. Die Meinung, eine Regelung sei wünschenswert, kann die Annahme einer Gesetzeslücke nicht rechtfertigen und für sich allein keinen Grund für einen Analogieschluss abgeben (RS0008757 [T2]). Dem von der Klägerin befürchteten (gänzlichen) Verlust eines Anspruchs auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld infolge Inanspruchnahme einer Pflegekarenz während der Schwangerschaft kann damit begegnet werden, dass stattdessen pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto oder eine der in § 24d KBGG genannten Sonderleistungen beantragt wird.

[26] 6.1. Die Anspruchsvoraussetzung des § 24 Abs 1 Z 2, Abs 2 KBGG sind infolge (mehr als 14‑tägige) Unterbrechung der Erwerbstätigkeit durch die Klägerin im maßgeblichen Beobachtungszeitraum nicht erfüllt, sodass kein Anspruch auf das begehrte Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens zusteht. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

[27] 6.2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. berücksichtigungswürdige Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht vorgebracht und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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