European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00067.23K.1031.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der 1965 geborene Kläger hat den Lehrberuf des Tapezierers erlernt, war in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. April 2015) aber als Monteur bzw Obermonteur im Fahrleitungsbau bei den ÖBB beschäftigt.
[2] Dem Kläger ist es aufgrund physischer und psychischer Beschwerden nicht mehr zumutbar, weiter als Oberleitungsmonteur tätig zu sein. Er kann aber die Tätigkeit eines Prüf- und Messtechnikers ausüben, wobei er die als Oberleitungsmonteur erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten verwerten kann.
[3] Die Vorinstanzen wiesen das Begehren des Klägers, ihm ab 1. April 2015 die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Es liege zwar nahe, dass er durch seine langjährige qualifizierte Tätigkeit im Fahrleitungsbau Kenntnisse und Fähigkeiten praktisch erworben habe, die jenen eines gelernten Elektrotechnikers mit dem Modul Anlagen- und Betriebstechnik entsprechen. Ob der Kläger als angelernter Arbeiter Berufsschutz genieße, müsse aber nicht abschließend geklärt werden, weil er noch in der Lage sei, die insofern berufsschutzerhaltende Tätigkeit eines Prüf‑ und Messtechnikers auszuüben.
Rechtliche Beurteilung
[4] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[5] 1. Die als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens angesprochene Frage, ob die in erster Instanz eingeholten Gutachten des medizinischen und des berufskundlichen Sachverständigen erschöpfend waren oder – wie vom Kläger beantragt – zu ergänzen gewesen wären, fällt in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RS0043163; RS0113643). Im Übrigen können vom Berufungsgericht verneinte Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens in dritter Instanz nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963; RS0043061). Daran hat der Oberste Gerichtshof in Kenntnis unter anderem der vom Kläger ins Treffen geführten kritischen Literaturstimme in jüngster Zeit mehrfach ausdrücklich festgehalten (10 ObS 29/23x; 1 Ob 199/22d; 10 ObS 59/21f je mwN ua).
[6] 2. Der Vorwurf, die Vorinstanzen hätten die Frage, ob ihm Berufsschutz zukomme oder nicht, unzulässigerweise „umschifft“, indem sie einen Berufsschutz als Elektrotechniker unterstellten, betrifft keinen für die Entscheidung wesentlichen Umstand, wenn der Versicherte – wie hier – in der Lage ist, Tätigkeiten auszuüben, die innerhalb des unter Annahme eines Berufsschutzes gebildeten (engeren) Verweisungsfeldes liegen (vgl 10 ObS 58/23m).
[7] 3. Erlernte Berufe iSd § 255 Abs 1 ASVG sind vor allem die in der Lehrberufsliste gemäß § 7 BAG angeführten Lehrberufe (RS0084513 [T2]; 10 ObS 145/19z SSV‑NF 33/75). Zwar muss ein angelernter Beruf nicht unbedingt einem gesetzlich geregelten Lehrberuf entsprechen. Allerdings müssen die qualifizierten, in der Praxis erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten an Qualität und Umfang jenen in einem Lehrberuf gleichzuhalten sein (RS0084602). Bildet die Berufstätigkeit des Versicherten, die er während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag überwiegend ausgeübt hat, einen Teil eines Lehrberufs, so ist zur Lösung der Frage des Berufsschutzes dieser Lehrberuf zum Vergleich heranzuziehen (RS0084433 [T7]; 10 ObS 56/02m ua). Ob ein angelernter Beruf vorliegt, ist eine Rechtsfrage (RS0084563).
[8] Die Entscheidungen der Vorinstanzenberuhen auf diesen Grundsätzen. Das Erstgericht ist davon ausgegangen, dass sich ein etwaiger Berufsschutz an den Anforderungen des Lehrberufs des Elektrotechnikers (mit dem Hauptmodul Anlagen- und Betriebstechnik; § 1 Abs 2 Z 3 Elektrotechnik‑Ausbildungsordnung) zu orientieren habe, weil die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit ein Teilbereich diesesLehrberufs (das Spezialmodul Eisenbahnelektrotechnik; § 1 Abs 3 Z 6 Elektrotechnik-Ausbildungsordnung) sei. Diese Ansicht hat der Kläger in der Berufung nicht bekämpft, sondern bestätigt, dass die Tätigkeit als Oberleitungsmonteur lediglich eine Spezialisierung innerhalb des genannten Lehrberufs ist. Wenn er nunmehr meint, ihm komme Berufsschutz als Oberleitungsmonteur zu – womit er offensichtlich darauf hinaus will, dass es in Wahrheit keinen gleichartigen gesetzlich geregelten Lehrberuf gibt, die von ihm verrichtete Tätigkeit jedoch ähnliche Kenntnisse oder Fähigkeiten erfordere wie die Tätigkeiten in einem erlernten Beruf (vgl RS0084602; RS0084433 [T8]) – kann er die insofern unterlassene Rechtsrüge nicht mehr nachholen (RS0043480 [insb T22]; RS0043573 [insb T31, T36]).
[9] 4. Für die Frage der Verweisbarkeit ist allein die aufgrund des medizinischen Leistungskalküls getroffene Feststellung relevant, in welchem Umfang der Versicherte im Hinblick auf die bestehenden Einschränkungen in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist bzw welche Tätigkeiten er noch ausführen kann (10 ObS 99/23s mwN). Ob er im Verweisungsberuf tatsächlich einen Arbeitsplatz finden wird, betrifft hingegen den Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit und nicht den der Invalidität (RS0084833; RS0084863; RS0084720). Wenn der Kläger daher bezweifelt, aufgrund seines Restleistungskalküls noch vermittelbar zu sein, obwohl er innerhalb des Verweisungsfeldes (des § 255 Abs 1 und 2 ASVG) liegende Tätigkeiten verrichten kann, spricht er keine für die Beurteilung der Invalidität entscheidende Frage an.
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