European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:010OBS00005.23T.0221.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger, der eine Trafik betreibt, wurde am 30. Oktober 2020 Zeuge eines Verkehrsunfalls, bei dem ein ihm bekannter Fußgänger schwere Verletzungen erlitt. Als ausgebildeter Sanitäter und Ersthelfer führte der Kläger vor Ort Erste-Hilfe-Maßnahmen beim Opfer durch. Aufgrund traumatischer Vorerlebnisse (als Sanitäter) führte dies bei ihm zu einer posttraumatischen Belastungsstörung, die nicht auch durch ein alltägliches Ereignis ausgelöst worden wäre. Aufgrund psychischer Vorleiden bestand beim Kläger bereits am 30. Oktober 2020 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 15 %. Aufgrund des Vorfalls ist eine zusätzliche Minderung der Erwerbsfähigkeit von 5 % eingetreten, die mindestens bis 30. Oktober 2022 gedauert hat.
[2] Mit Bescheid vom 10. März 2021 lehnte die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen die Anerkennung dieses Vorfalls als Arbeitsunfall ab, weil es sich beim festgestellten Gesundheitsschaden (posttraumatische Belastungsstörung) um eine schon bestehende Krankheit handle.
[3] Das Erstgericht gab der auf Gewährung einer Versehrtenrente gerichteten Klage statt.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nach Beweisergänzung (in Form der mündlichen Erörterung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens) teilweise Folge. Es stellte fest, dass die posttraumatische Belastungsstörung des Klägers Folge des Ereignisses vom 30. September 2020 ist. Das Begehren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente wies es hingegen ab. Zwar liege mit Blick auf § 176 Abs 1 Z 2 ASVG ein Arbeitsunfall vor. Das Ereignis vom 30. Oktober 2020 stelle auch eine wesentliche Bedingung für die beim Kläger eingetretene posttraumatische Belastungsstörung dar. Seine Erwerbsfähigkeit sei aber schon vorher messbar gemindert gewesen und habe durch den Unfall lediglich eine Verschlimmerung erfahren. In diesem Fall sei nur die dadurch verursachte Steigerung der bestehenden Erwerbsunfähigkeit, der Verschlimmerungsanteil, abzugelten. Dieser betrage jedoch nur 5 %, womit das rentenbegründende Ausmaß von 20 % nicht erreicht werde und kein Anspruch auf Versehrtenrente bestehe. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[5] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[6] 1. Die vom Kläger als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens angesprochene Beurteilung, ob das vom Berufungsgericht ergänzte Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen vollständig und schlüssig ist, fällt in den Bereich der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0113643 [T7]; RS0043320 [T12]). Das gilt auch für die in der Revision ferner relevierten Fragen, ob der Sachverständige über das notwendige Fachwissen verfügt (RS0040586 [T4]; RS0043235 [T13]), sein Gutachten die von den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigt (RS0043163; RS0043320 [T21]) oder ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll (RS0043320; RS0043414 [T6, T17, T18]). Dass das Berufungsgericht aufgrund einer Wiederholung des Beweisverfahrens eigene Feststellungen getroffen hat, ändert an all dem nichts (RS0123663).
[7] 2. In seiner Rechtsrüge meint der Kläger, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt zwar grundsätzlich zutreffend beurteilt. Es habe allerdings nicht berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung auch unfallunabhängige Gesundheitsschäden bei Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit berücksichtigt werden können.
[8] 2.1. Die Ansicht des Klägers entspricht zwar dem auf die Entscheidung 10 ObS 2147/96z (SSV-NF 10/107) zurückgehenden Rechtssatz RS0106724. Der Kläger übergeht jedoch, dass der Oberste Gerichtshof in der genannten Entscheidung betont hat, dass eine bestehende Vorschädigung nur ausnahmsweise und bloß dann rechtlich von Bedeutung ist, wenn zwischen ihr und dem durch den Arbeitsunfall verursachten Körperschaden eine funktionelle Wechselwirkung besteht (RS0088935). Eine Vorschädigung kann daher keine Berücksichtigung finden, wenn sie keine wesentliche Bedeutung für die Unfallfolgen und deren Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit hatte (10 ObS 85/06g ua). Eine solche Wechselwirkung, die eine Berücksichtigung der Vorschäden rechtfertigen könnte, ist im Verfahren allerdings nicht hervorgekommen und wird vom Kläger auch nicht behauptet.
[9] 2.2. Darauf aufbauend entspricht die Ansicht des Berufungsgerichts, in der vorliegenden Konstellation, bei der die Erwerbsfähigkeit durch bestehende Leiden bereits messbar gemindert ist, sei nur der Verschlimmerungsanteil allein zu entschädigen, weil nur dieser der schädigenden Einwirkung zuzurechnen sei (RS0084351; 10 ObS 22/09x SSV-NF 23/26 ua), der Rechtsprechung. Anspruch auf eine Versehrtenrente hätte der Kläger nur dann, wenn die Unfallverletzungen für sich allein eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % bedingen würden (vgl 10 ObS 76/00z SSV-NF 14/87), was nach den – den Obersten Gerichtshof bindenden – Feststellungen aber nicht der Fall ist.
[10] 3. Insgesamt zeigt der Kläger somit keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf, weshalb die außerordentliche Revision zurückzuweisen ist.
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