OGH 10Ob7/12w

OGH10Ob7/12w29.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Ankershofen-Goess-Hinteregger Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. S***** KG, *****, vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, 2. C***** GmbH, *****, vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen 14.000 EUR (Revisionsinteresse: 10.500 EUR), über die Revisionen der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. September 2011, GZ 4 R 335/11f‑24 (idF des Berichtigungsbeschlusses vom 28. November 2011), womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 5. April 2011, GZ 24 Cg 161/10g‑14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 844,85 EUR (darin enthalten 140,81 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erwarb im Juli 2007 um jeweils 7.000 EUR je 70 Anteile an den Unternehmensanleihen „G*****“ und „G*****“ der G***** AG. Sie verlängerte dieses Investment (nachdem die gezeichneten Anteile mit 7.232,05 und 7.482,48 EUR getilgt worden waren) im Juli 2008 durch Folgezeichnung (Blg ./B und ./C). Es handelte sich um eine spekulative Veranlagung mit Totalverlustrisiko.

Die Vermittlung erfolgte durch Ing. T*****, einen langjährigen Bekannten der Klägerin. Er trat dabei als Komplementär der Erstbeklagten auf, welche im Auftrag und auf Rechnung der Zweitbeklagten Konsumenten berät.

Die Zweitbeklagte ist eine „Wertpapierfirma“, die es unabhängigen Finanzberatern ohne Konzession nach dem WAG ermöglicht, Wertpapiergeschäfte zu vermitteln. Sie war ursprünglich unter dem Firmenwortlaut „A***** GmbH“ registriert.

Über das Vermögen der Emittentin, der G***** AG, wurde mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 6. März 2009 zu 4 S 37/09s der Konkurs eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war die Laufzeit der von der Klägerin erworbenen Anleihe noch nicht beendet.

Die Klägerin wollte ihr Geld für ein bis zwei Jahre sicher veranlagen. Mit einer spekulativen Veranlagung mit Totalverlustrisiko war sie nicht einverstanden. Sie war an einer solchen Veranlagung nicht interessiert. Sie unterschrieb (ungelesen) ein Anlegerprofil, in dem der Punkt „Spekulativer Anleger. Will spekulative Chancen nutzen. Nimmt auch Risken einschließlich des Totalverlustes in Kauf“ angekreuzt war. Ing. T***** hatte der Klägerin jedoch gesagt, die Veranlagung sei „so sicher wie ein Sparbuch“. Tatsächlich ist die Veranlagung in Unternehmensanleihen eines einzelnen Unternehmens ohne weitere Streuung eine spekulative Veranlagung mit Totalverlustrisiko (in der Form, wie es sich hier durch den Konkurs des Emittenten verwirklicht hat).

Das eingangs näher bezeichnete Finanzprodukt ist eine von der G***** AG emittierte Unternehmensanleihe, in der sich die Emittentin am Ende der Laufzeit (nach ca 360 Tagen) zur Rückzahlung eines Geldbetrags verpflichtet. Es handelt sich um ein Garantie-Zertifikat (Inhaberschuldverschreibung), bei dem dem Anleger zumindest die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals zugesagt, bei Ablauf eine mindestens 3,5%ige Verzinsung garantiert und abhängig von der Performance des Unternehmens eine maximal 12%ige Verzinsung in Aussicht gestellt wird (vgl 10 Ob 30/11a).

Die Klägerin begehrt, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Rückzahlung des Kaufpreises von 14.000 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe ihrer Anteile zu verpflichten; hilfsweise festzustellen, dass die Beklagten der Klägerin für jeglichen Schaden, der ihr aus dem Erwerb der näher bezeichneten Anteile entstanden sei oder noch entstehen werde, hafteten. Sie sei von Ing. T*****, dessen Verhalten den beiden Beklagten zuzurechnen sei, falsch beraten worden. Da sie ihm mitgeteilt habe, dass der konservativ (mit möglichst geringem Risiko) zu veranlagende Geldbetrag ihre einzigen liquiden Mittel seien (wobei sie auch keine besonderen Anforderungen an die Verzinsung des Kapitals gestellt habe), hätte er ihr vom Erwerb des Finanzprodukts, das ihrem Risikoprofil nicht entsprochen habe, abraten müssen. Tatsächlich habe er sie jedoch über die Risken der Veranlagung nicht aufgeklärt.

Die Beklagten bestritten ihre Passivlegitimation und wendeten im Wesentlichen (soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung) ein, Ing. T***** habe die Klägerin ordnungsgemäß beraten. Sie habe ihre Risikobereitschaft mit ihrer Unterschrift bekundet. Im Hinblick auf das noch anhängige Konkursverfahren stehe der Schaden bisher noch nicht fest. Liquiditätsprobleme der G***** AG und deren Insolvenz seien weder im Juli 2007 noch im Juli 2008 erkennbar bzw absehbar gewesen. Hinsichtlich dieser Insolvenz seien auch strafrechtliche Ermittlungen im Gange. Über das abstrakte Risiko unlauterer Machenschaften müsse ein Anlageberater nicht aufklären. Die Haftung wegen leichter Fahrlässigkeit sei ausgeschlossen worden. Das ungelesene Unterfertigen von Urkunden stelle eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten dar. Die Klägerin treffe das überwiegende Mitverschulden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Beklagten teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es die Beklagten zur ungeteilten Hand verpflichtete, der Klägerin 10.500 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe von 53 sowie 52 Anteilen an G***** bzw G***** zu bezahlen und das Mehrbegehren abwies. Rechtlich führte es aus, dass ein grober Beratungsfehler vorliege, weil die Papiere schon ihrer Natur nach nicht der von der Klägerin gewünschten Anlageform entsprachen und ihr daher nicht hätten empfohlen werden dürfen. Der Schaden liege schon im Erwerb der nicht gewünschten Anlage. Die Klägerin treffe jedoch ein Mitverschulden im Ausmaß von einem Viertel, weil sie sämtliche von Ing. T***** (teilweise unrichtig) ausgefüllten Protokolle und Anträge ‑ in freier Entscheidung ‑ ungelesen unterfertigt habe, obwohl sie mehr als zwei Drittel ihres gesamten freien Vermögens investierte.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig, änderte diesen Ausspruch jedoch über der Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 28. 11. 2011 dahin ab, dass die Revision zulässig sei, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts im Ergebnis (unter anderem) von jener des Obersten Gerichtshofs zu 10 Ob 30/11a abweiche.

Den klagestattgebenden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts bekämpfen die Revisionen der Beklagten wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit Abänderungsanträgen im zur Gänze klageabweisenden Sinn; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die Klägerin beantragt, den Revisionen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind ‑ zur Klarstellung ‑ zulässig aber nicht berechtigt.

1. Vorweg ist zum einen festzuhalten, dass das Berufungsgericht den fehlerhaften (als Verfahrensmangel gerügten) Zuspruch von „11.500 EUR“ (statt rechnerisch richtig: 10.500 EUR) bereits richtiggestellt hat; zum anderen ist auf die Passivlegitimation der Beklagten einzugehen:

1.1. Die Sachlegitimation der Erstbeklagten wurde von den Vorinstanzen mit dem ‑ zutreffenden ‑ Hinweis auf die Feststellungen bejaht, wonach Ing. T***** gegenüber der Klägerin als Komplementär der Erstbeklagten auftrat (welche im Auftrag und auf Rechnung der Zweitbeklagten Konsumenten beriet). An dieser Beurteilung vermag auch der Umstand, dass die Passivlegitimation der Erstbeklagten in einem anderen Verfahren des Berufungsgerichts (4 R 32/11x) verneint wurde, nichts zu ändern, weil die Zurechnung der handelnden natürlichen Personen zu den vertretenen Gesellschaften vom jeweils festgestellten Sachverhalt abhängt und daher im Einzelfall unterschiedlich sein kann.

1.2. Die erstgerichtlichen Feststellungen zur mehrfachen Verwendung des (damaligen) Firmenwortlauts und -logos sowie aller weiteren Daten der Zweitbeklagten samt Hinweis seitens Ing. T*****, dass er das Geschäft über die Zweitbeklagte abwickle (Seite 8 des Ersturteils) rechtfertigen aber auch die Beurteilung, die Erstbeklagte habe für die Zweitbeklagte gehandelt. Dass ‑ entgegen den Ausführungen des Berufungsgerichts ‑ (auch) die Passivlegitimation der Zweitbeklagten bestritten wurde, begründet keine Aktenwidrigkeit: Nach ständiger Rechtsprechung ist die tatsächlich (oder vermeintlich) unrichtige Wiedergabe des Prozessvorbringens einer Partei im angefochtenen Urteil für die Überprüfung der Richtigkeit der Entscheidung nämlich ohne Bedeutung und es liegt darin keine Aktenwidrigkeit (RIS-Justiz RS0041814; 4 Ob 122/12p; 9 Ob 40/12s). Eine solche wäre nur dann gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen worden wären (RIS-Justiz RS0043347; 3 Ob 165/12d). In der Übernahme der Feststellungen des Erstgerichts durch das Berufungsgericht, wie sie auch hier erfolgt ist, kann schon begrifflich keine Aktenwidrigkeit liegen (RIS-Justiz RS0043240; 3 Ob 241/11d).

2. Die vorliegende Unternehmensanleihe wurde in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs 10 Ob 30/11a und 4 Ob 140/12k bereits näher untersucht und dazu Folgendes ausgeführt:

2.1. Zu 10 Ob 30/11a hat der erkennende Senat klargestellt, dass ‑ ausgehend von einem Wunsch der Klägerin nach einer „sicheren Anlage“ ‑ das für sie wesentliche Risiko (infolge der zugesagten „Kapitalgarantie“ von 100 % des eingesetzten Kapitals) nicht in der Entwicklung der zugrunde gelegten Basiswerte („Kursrisiko“), sondern in der Bonität des Emittenten lag; hing doch die Erfüllung der Verbindlichkeit aus dem Zertifikat am Ende dessen Laufzeit allein davon ab, dass der Emittent zu diesem Zeitpunkt willens und in der Lage sein würde, seinen Verpflichtungen auch tatsächlich nachzukommen. Um der Klägerin die angemessene Bewertung der Kapitalgarantiezusage zu ermöglichen, war der Berater daher zur ausreichend detaillierten Information über den Garantiegeber und die Garantie verpflichtet.

2.2. Die gegenteilige Ansicht, es sei infolge Kapitalgarantiezusage gar keine spekulative Kapitalanlage gegeben, sodass kein Aufklärungsbedarf bestehe und sich auch ein Hinweis auf das verbleibende „allgemeine Insolvenzrisiko“ erübrige, hat der Senat somit im Hinblick auf diese Beratungspflicht sowie aus folgenden weiteren Erwägungen (der auch in der Zulassungsbegründung zitierten Entscheidung 10 Ob 30/11a) bereits ausdrücklich abgelehnt:

2.3. Zu 4 Ob 20/11m und 10 Ob 11/07a wurde als für den Umfang der Aufklärungspflicht zum Bonitätsrisiko maßgebliches Kriterium das Rating erachtet, also die standardisierte Bonitätsbeurteilung handelbarer Finanzpapiere oder ihrer Emittenten durch sogenannte Rating-Agenturen. Wenngleich in diesem Fall keine Feststellungen zur Bonität der Emittentin in Form eines Ratings („credit-rating“) durch eine Rating-Agentur vorhanden waren, stand doch (auch dort) fest, dass gemäß den Vorgaben der Emittentin die Einstufung in die Risikoklasse 4 als erforderlich angesehen wurde, ansonsten die Anleihe nicht verkauft werden durfte. Üblicherweise erfolgt eine Aufteilung [aber lediglich] in vier oder fünf Klassen, wobei das geringste Risiko bei Festgeld, Tagesgeld, Spareinlagen und Pfandbriefen mit dem Anlageziel des sicheren Vermögensaufbaus besteht, während die höchste Risikoklasse Anlageformen wie Futures, die zu einem Totalverlust führen können, jedoch hohe Renditen versprechen, enthält.

2.4. Besteht eine Einstufung in eine höhere Risikoklasse, ist es jedenfalls Teil einer vollständigen, richtigen und sorgfältigen Beratung, dass der Berater die Risikoklasse mit dem Kunden erörtert und ihn über deren Bedeutung und Auswirkungen auf das verfolgte Anlageziel aufklärt. (Auch) in dem zu 10 Ob 30/11a entschiedenen Fall war daher evident, dass das von der Klägerin verfolgte Anlageziel und die Einstufung des in Aussicht genommenen Produkts in die höchste Risikoklasse („spekulativ mit Totalverlustrisiko“) nicht in Einklang stand. Dies erforderte besondere Beratungsleistungen.

3. Die Einstufung in die Risikoklasse 4 als „spekulativ mit Totalverlust-Risiko“ indizierte auch hier die Annahme eines (wesentlich) höheren als nur eines abstrakt-theoretischen, jedoch praktisch zu vernachlässigenden Bonitätsrisikos. Daher waren zu den nötigen Informationen im Rahmen der Beratung zu der ‑ im vorliegenden Fall noch vor Inkrafttreten des WAG 2007 [1. 11. 2007] erworbenen ‑ Anleihe auch jene über das Bonitätsrisiko zu zählen (10 Ob 30/11a zu dieser Unternehmensanleihe). Es liegt nämlich auf der Hand, dass ein Kunde, der wie die Klägerin eine „sichere“ Anlage wünscht, für seine Entscheidung, ob er sich trotz der Einstufung in die höchste Risikoklasse auf die ihm empfohlene Privatanleihe mit Kapitalgarantie einlassen soll, ausreichende Informationen darüber benötigt, wie groß dieChancen sind, am Ende der Laufzeit das investierte Kapital auch wieder zurückzuerlangen (vgl RIS-Justiz RS0108073). Das sind etwa Informationen über die Stärke, Stabilität und Prognostizierbarkeit der laufenden Finanz- und Ertragskraft der Emittentin, weiters werden Informationen darüber erforderlich sein, wie die gegebenen Gelder investiert bzw welches Konzept hinter der Veranlagung steht. Wesentliche Bedeutung wird auch der Risikostreuung und der Managementqualität zukommen, sowie dem Umstand, ob Hinweise auf eine hohe Verschuldung bekannt sind etc. Nur nach Aufklärung über diese und allenfalls weitere Gegebenheiten wird ein Kunde imstande sein, das Bonitätsrisiko selbst einzuschätzen. In diesem Umfang ist ein Schutzbedürfnis der Klägerin nach Aufklärung zu bejahen(10 Ob 30/11a).

4. Auch was die am 21. 7. 2008 vorgenommene Folgezeichnung der gegenständlichen Unternehmensanleihe betrifft, steht fest, dass sie von der Klägerin vorgenommen wurde, weil Ing. T***** ihr diese Anleihe „weiterhin als sicher darstellte“. Auf Anlageberaterfälle, die sich nach dem 1. 11. 2007, im zeitlichen Anwendungsbereich des WAG 2007 realisiert haben, ist aber bereits die neue, klar strukturierte Pflichtenlage nach § 44 WAG 2007 anzuwenden. Demnach bestehen die höchsten Anforderungen bei der Anlageberatung und der Portfolioverwaltung, wo das Gesetz einen sogenannten Geeignetheitstest vorschreibt. Der Anlageberater darf dem Kunden nur ein solches Wertpapier empfehlen, das für den Kunden geeignet ist; während hinsichtlich sonstiger Wertpapierdienstleistungen nur eine Angemessenheitsprüfung vorgesehen ist, der Rechtsträger also überprüfen muss, ob der Kunde in der Lage ist, die Risiken im Zusammenhang mit dem angebotenen Produkt zu verstehen (Graf, Wie das WAG 2007 die Anlegeberaterhaftung verschärft, ecolex 2011, 1093 [1094 f] mit Hinweis auf Graf in Gruber/Raschauer, WAG‑Kommentar § 44 Rz 31 ff und Brandl/Klausberger in Brandl/Saria, WAG-Kommentar² § 44 Rz 1 ff).

4.1. Geeignet ist ein Wertpapier nach § 44 Abs 2 WAG 2007 dann, wenn es drei Voraussetzungen erfüllt. Es muss den Anlagezielen des Kunden entsprechen, die mit dem Geschäft verbundenen Risiken müssen für den Kunden seinen Anlagezielen entsprechend finanziell tragbar sein und der Kunde muss in der Lage sein, die mit dem Geschäft einhergehenden Risiken aufgrund seiner Erfahrungen und Kenntnisse zu verstehen. Um die Geeignetheit des empfohlenen Papiers beurteilen zu können, muss der Rechtsträger sich daher umfassende Informationen über den Kunden (Graf in Gruber/Raschauer, WAG-Kommentar § 44 Rz 22 ff) verschaffen. Er muss seine Anlageziele, die finanziellen Verhältnisse und die bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse des Kunden erheben. Zu den Informationen über die Anlageziele gehören auch die Präferenzen hinsichtlich des einzugehenden Risikos. Auf der Basis dieser Informationen muss der Rechtsträger dann eine eigenverantwortliche Beurteilung hinsichtlich der Geeignetheit des Wertpapiers vornehmen. Nur dann, wenn das ins Auge gefasste Wertpapier den drei Geeignetheitskriterien entspricht, darf er es empfehlen (Graf, Wie das WAG 2007 die Anlegeberaterhaftung verschärft, ecolex 2011, 1093 [1094]).

5. Die Klägerin wollte, wie dem Komplementär der Erstbeklagten bekannt war, eine sichere Veranlagung. Das vorliegende Investment der Risikoklasse 4 (spekulativ mit Totalverlustrisiko) hat dem nicht entsprochen, weil es keine sichere Anlageform darstellte. Ing. T***** hat der Klägerin das Investment dennoch empfohlen und ihr ‑ völlig unzutreffend ‑ mitgeteilt, dass es „so sicher wie ein Sparbuch“ sei. Die Empfehlung des offenkundig ungeeigneten Papiers stellt eine schuldhaft rechtswidrige Handlung des Anlageberaters dar (Graf, aaO, ecolex 2011, 1095). Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass hier grobe Fahrlässigkeit vorliege (am Maßstab des § 1299 ABGB gemessen) ist nicht zu beanstanden. Mit dem Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit musste sich das Berufungsgericht daher nicht weiter auseinandersetzen.

6. Zum Rechtswidrigkeitszusammenhang ist nach dem WAG 2007 von folgenden Grundsätzen auszugehen:

6.1. Empfiehlt ‑ wie hier ‑ der Vermögensberater im Rahmen der „Prolongierung“ ein ungeeignetes Papier und verliert der Kunde mit diesem Investment Geld, sind nur solche Schäden ersatzfähig, die vom Schutzzweck des Verbots der Empfehlung ungeeigneter Finanzinstrumente erfasst sind: Es müssen sich jene Umstände verwirklichen und zum Wertverlust des Papiers führen, derentwegen das Papier ungeeignet ist. Empfiehlt der Berater daher ein Papier der Risikoklasse 4, obwohl der Anleger nur Papiere der Risikoklasse 1 möchte, und verwirklicht sich dann dieses erhöhte Bonitätsrisiko, liegt der Schaden zweifellos innerhalb des Schutzzwecks der übertretenen Norm. (Nur) soweit die Existenz eines allgemeinen Veruntreuungsrisikos nicht dazu führt, dass das Papier aufgrund seiner Ungeeignetheit nicht empfohlen werden dürfte, würde der Eintritt solcher Veruntreuungshandlungen keine Schadenersatzansprüche begründen. Mit anderen Worten: Nur solche Umstände, welche die Ungeeignetheit des Papiers begründen, können zu einer Schadenersatzhaftung des Anlageberaters führen (Graf, aaO, ecolex 2011, 1096).

7. Im vorliegenden Fall steht fest, dass sich gerade das ‑ vom Rechtswidrigkeitszusammenhang eindeutig umfasste ‑ Insolvenzrisiko durch den Konkurs des Emittenten verwirklicht hat. Schadenskausale Veruntreuungshandlungen von Organen der Emittentin haben die Beklagten nicht konkretisiert, sondern die Beklagten haben nur (ganz allgemein) darauf hingewiesen, dass über ein Veruntreuungsrisiko nicht aufgeklärt werden müsse und auch „strafrechtliche Ermittlungen“ im Zusammenhang mit der Insolvenz im Gange seien. Aus diesen Gründen kommt es auf die Ursachen für das Scheitern der Emittentin nicht an, sondern es bleibt bei der Annahme des schon genannten Insolvenzrisikos.

8. Auch mit der (wegen des noch anhängigen Insolvenzverfahrens) im Fall dieser Unternehmensanleihe für die Anleger angeblich noch nicht feststehenden Schadenshöhe hat sich der Oberste Gerichtshof bereits beschäftigt. Darauf gehen die Ausführungen zu 4 Ob 140/12k ein:

8.1. Allgemein gilt, dass der Geschädigte bei pflichtwidriger Anlageberatung verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Anlageberater pflichtgemäß gehandelt hätte. Er kann den Vertrauensschaden verlangen (8 Ob 123/05d mwN; RIS‑Justiz RS0125829).

8.2. Beim Vermögensschaden unterscheidet man einerseits den realen Schaden, der in der tatsächlichen negativen Veränderung der Vermögensgüter des Geschädigten liegt und auf dessen Ausgleich die Naturalherstellung (§ 1323 ABGB) ausgerichtet ist. Für diese ist eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht entscheidend.

8.3. Unter rechnerischem Schaden hingegen versteht man die in Geld messbare Verminderung des Vermögens oder eines Vermögensgutes des Geschädigten (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I³ Rz 217; 218). Der rechnerische Schaden wird stets durch eine Differenzberechnung ermittelt. Nach der Differenzmethode besteht das zu leistende Interesse (der rechnerische Schaden) in der Differenz zwischen der Vermögenslage des Geschädigten, wie sie sich im Beurteilungszeitpunkt ohne schädigendes Ereignis darstellen würde, und dem nach dem schädigenden Ereignis nun tatsächlich vorhandenen Vermögensstand (4 Ob 140/12k mit Hinweis auf RIS‑Justiz RS0030153).

8.4. Die Klägerin begehrt Geldersatz, also den rechnerischen Schaden. Dieses Begehren setzt zwar im Allgemeinen voraus, dass die Klägerin das aufgrund der mangelhaften Beratung erworbene Anlageprodukt verkauft hat und dann den Differenzschaden geltend macht (4 Ob 67/12z; RIS‑Justiz RS0120784), im konkreten Fall ist zwischen den Parteien aber nicht strittig, dass die Forderung der Klägerin wegen Vermögenslosigkeit der Emittentin, über die ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, uneinbringlich ist. Die Uneinbringlichkeit der Forderung gegen die Emittentin ist der Wertlosigkeit gleichzuhalten. Ein Zuwarten bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens ist den Klägern unabhängig von einer allenfalls zu erwartenden Quote nicht zumutbar. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass die Anlage (endgültig) wertlos und ein Verkauf weder möglich noch erforderlich ist (4 Ob 67/12z mwN); der Subtrahend der Differenzrechnung ist vielmehr mit Null anzusetzen (4 Ob 140/12k).

8.5. Im Anlassfall ist die Höhe des rechnerischen Schadens, den die Klägerin infolge der mangelhaften Beratung durch die Beklagten erlitten hat, somit gar nicht strittig. Darauf, ob eine Verringerung der Schadenshöhe durch Zahlung einer Konkursquote zu erwarten ist, kommt es daher nicht weiter an, weil der der Klägerin aus ihrer mangelhaften Beratung bereits entstandene rechnerische Schaden nicht in Frage steht (4 Ob 140/12k).

9. Durch die Annahme eines Mitverschuldens von (nur) einem Viertel können sich die Beklagten aufgrund der Umstände des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0078931) nicht beschwert erachten:

9.1. Nach der Ansicht von Graf (aaO, ecolex 2011, 1096 mwN zu FN 12) könnte im vorliegenden Fall ein Mitverschulden der Klägerin nicht mit dem Argument bejaht werden, sie habe die in den Unterlagen enthaltenen Warnhinweise ungelesen unterschrieben. Die Anlageberatung nach dem WAG 2007 sei nämlich so konzipiert, dass sich der Kunde die Warnhinweise nicht durchlesen müsse. Die Beurteilung, ob die Risiken seinen Präferenzen entsprechen oder nicht, müsse der Anlageberater vornehmen. Wenn der Anlageberater dem Kunden mitteile, ein bestimmtes Papier entspreche seinen Präferenzen, müsse der Kunde nicht davon ausgehen, im Kleingedruckten die gegenteilige Information vorzufinden. Hier greife ein Vertrauensschutz, der es ausschließe, dies dem Kunden als Mitverschulden anzurechnen. Dies könne auch auf den in § 864a ABGB zum Ausdruck kommenden Gedanken gestützt werden (vgl auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der Anleger sich regelmäßig auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der ihm erteilten Aufklärung und Beratung verlassen könne: BGHZ 100, 117125 NJW 1982, 1095; NJW 2004, 1868; nach III ZR 249/09 bestehe keine Obliegenheit des Anlegers, den ihm überreichten Emissionsprospekt durchzulesen und auf diese Weise die Richtigkeit der Ratschläge des Anlageberaters zu kontrollieren).

9.2. Aber auch wenn man dieser Ansicht von Graf nicht folgen wollte, hat sich die Klägerin zwar sorglos verhalten, weil sie den Zusicherungen des Ing. T***** vertraute und die (teilweise unrichtig) ausgefüllten Protokolle und Anträge ungelesen unterfertigte. Dem steht jedoch dessen massives, den Beklagten zuzurechnendes Fehlverhalten gegenüber, weil er (offenbar im eigenen Interesse [Provision]) das Vertrauen der Klägerin missbrauchte, wesentliche Daten unrichtig ausfüllte und falsche Angaben zur „Sicherheit“ der Anlage machte. Dieses Verhalten wiegt jedenfalls wesentlich schwerer als die Sorglosigkeit der Klägerin (vgl 4 Ob 67/12z und 4 Ob 137/10s Mitverschulden von einem Drittel bzw einem Viertel).

10. Die Revisionen müssen daher erfolglos bleiben.

11. Zur am 23. 10. 2012 im ERV eingebrachten Bekanntgabe der Vollmachtsauflösung durch den Vertreter der Zweitbeklagten betrifft ist abschließend klarzustellen:

11.1. Die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Prozessvollmacht wird Gericht und Gegner gegenüber im Anwaltsprozess erst wirksam, wenn die Partei die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts anzeigt (§ 36 Abs 1 ZPO; Fucik in Rechberger³ § 36 ZPO Rz 1 mwN; 4 Ob 31/04v; 4 Ob 42/11x).

11.2. In einem Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht bedarf die durch Widerruf oder Kündigung herbeigeführte Aufhebung der Vollmacht zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Gericht und dem Prozessgegner der Anzeige, dass ein anderer Rechtsanwalt zur Vertretung bestellt wurde. Mangels derartiger Anzeige ist die bloße Mitteilung über die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses im Außenverhältnis wirkungslos (4 Ob 179/08i = RIS-Justiz RS0035736 [T5] = RS0109541 [T4]; RS0035744; 4 Ob 11/10m; 4 Ob 42/11x).

11.3. Ist eine Partei durch einen Rechtsanwalt vertreten, so scheidet eine Unterbrechung des Verfahrens nach § 158 ZPO im Anwaltsprozess auch dann aus, wenn der Rechtsanwalt das Vollmachtsverhältnis beendet, weil die Beendigung Gericht und Prozessgegner gegenüber bis zur Bestellung eines anderen Rechtsanwalts wirkungslos bleibt (4 Ob 31/04v = RIS-Justiz RS0118746; 4 Ob 42/11x).

11.4. Die Unterschiede der materiell‑rechtlichen Wirkungen eines Widerrufs der Prozessvollmacht einerseits und seiner verfahrensrechtlichen Folgen gemäß § 36 Abs 1 ZPO andererseits können für das Gericht niemals Anlass sein, einen Vollmachtsmangel gemäß § 37 Abs 1 ZPO von Amts wegen wahrzunehmen (RIS-Justiz RS0111661).

12. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.

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