BVwG W270 2170488-1

BVwGW270 2170488-12.1.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:W270.2170488.1.00

 

Spruch:

W270 2170488-1/12E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Günther GRASSL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX ,

StA. AFGHANISTAN, vertreten durch: RA Edward W. DAIGNEAULT sowie den Verein SUARA, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen

Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Im Rahmen der am 15.10.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Beschwerdeführerin an, dass sie aus Afghanistan geflüchtet sei, weil ihr Vater gegen ihre Verlobung bzw. Eheschließung gewesen sei. Bei einer Rückkehr hätte sie Angst, dass sie von ihrem Vater getötet werden würde.

 

3. Am 09.03.2017 langte bei der belangten Behörde die Bekanntgabe der Vollmachtserteilung an näher genannte Mitarbeiter der Caritas Burgenland - Diözese Eisenstadt ein.

 

4. Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde gab die Beschwerdeführerin an, dass sie in Kabul, im Stadtteil XXXX geboren worden sei, Angehörige der Volksgruppe der Hazara sei und schiitische Muslimin sei. Sie habe den XXXX vor sechs Jahren in Kabul bei einer traditionellen Hochzeit in Anwesenheit eines Mullahs geheiratet. Sie hätte fünf Jahre die Schule in Kabul besucht. Nach der Hochzeit mit dem XXXX hätten sie gemeinsam Afghanistan verlassen und seien in den Iran gegangen, wo sie bis zu ihrer Ausreise nach Europa aufhältig gewesen seien. Ihr Vater, ihre drei Schwestern und vier Brüder würden noch in Kabul leben. Weiters würden auch noch zwei Onkel und sechs Tanten väterlicherseits sowie zwei Halbschwestern ihrer Mutter in Kabul leben. Die Beschwerdeführerin hätte keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen in Afghanistan.

 

Zu ihrem Fluchtgrund befragt gab sie an, dass sie und der XXXX ineinander verliebt gewesen seien und der XXXX sie hätte heiraten wollen. Ihr Vater habe es abgelehnt, da die Familie des XXXX arm sei. Dann seien sie weggelaufen und hätten in einem anderen Stadtteil gelebt, dort hätten sie geheiratet. Die Brüder der Beschwerdeführerin, XXXX und XXXX , hätten den XXXX mit dem Messer niedergestochen. Nachdem einwöchigen Krankenhausaufenthalt des XXXX seien sie in den Iran gereist. Die Beschwerdeführerin hätte im Iran Angst vor ihrem Vater gehabt, sie hätte sich bedroht gefühlt. Nach vier Jahren im Iran hätten sie es endlich geschafft nach Österreich zu reisen.

 

Die Beschwerdeführerin habe in Österreich zwei Monate einen Deutschkurs besucht. Am meisten Zeit verbringe sie mit ihren Kindern und kümmere sich um den Haushalt. Wenn sie in Österreich bleiben dürfe würde sie Frisörin werden wollen.

 

Die Beschwerdeführerin legte zwei Teilnahmebestätigungen an Alphabetisierungskursen und eine Bestätigung über die Mitarbeit im Rahmen eines sozialökonomischen Projektes vor.

 

5. Nach ihrer Einvernahme legte die Beschwerdeführerin eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs vor.

 

6. Mit Bescheid vom 21.08.2017 wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß §§ 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Weiters wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

 

Im Bescheid konnte das BFA nicht feststellen, dass die Beschwerdeführerin in Afghanistan einer begründeten Furcht vor Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre bzw. gegenwärtig sei. Es wurde festgestellt, dass den BF die Rückkehr nach Afghanistan möglich und zumutbar sei. Es wurde weiters festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen würden, dass sie im Falle ihrer Rückkehr einer Verfolgung im Sinne der GFK oder des § 8 AsylG ausgesetzt sei. Sie sei in Afghanistan geboren und aufgewachsen, somit sei ihr die Kultur vertraut und die dort gesprochene Sprache Dari ihre Muttersprache.

 

7. Gegen den Bescheid richtete sich die am 06.09.2017 fristgerecht, durch ihren bevollmächtigten Rechtsvertreter RA Edward W. Daigneault, 1160 Wien, erhobene Beschwerde, mit der der Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensfehlern angefochten wurde. Im Wesentlichen wird das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der behördlichen Einvernahme wiederholt und versucht die von der Behörde in dem Bescheid aufgezeigten Widersprüche aufzuklären. Insbesondere wurden Berichte zur Korruption und Zusammenarbeit der afghanischen Polizei mit den Taliban sowie ein Auszug aus einem Artikel zu Bedrohungen im sozialen Alltag in Afghanistan zitiert, wie auch Zitate zur Sicherheitslage in Kabul und der Situation von afghanischen Rückkehrern aus Europa wiedergegeben.

 

8. Am selben Tag langte eine Beschwerdeergänzung bei der belangten Behörde ein. In dieser wurde ergänzend ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin eine mittlerweile "stark westlich orientierte" Frau sei. Die Behörde hätte ihre Ermittlungspflicht verletzt, das sie bei der Einvernahme zu wenige Fragen gestellt hätte um festzustellen inwiefern die Beschwerdeführerin in Afghanistan als Frau asylrelevant bedroht werde.

 

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 16.11.2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Beschwerdeführerin im Beisein ihres bevollmächtigten Vertreters persönlich teilnahm. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

 

10. Mit Schreiben vom 03.01.2018 wurden der Beschwerdeführerin Ergebnisse weiterer Beweismittel vorgehalten. Dazu nahm sie dazu mit Schriftsatz vom 17.01.2018 Stellung.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Zur Person:

 

Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Dari. Sie ist im erwerbsfähigen Alter und ist gesund.

 

Die Beschwerdeführerin stammt aus der Stadt Kabul, konkret aus dem Stadtteil XXXX . Sie hat XXXX , geb. XXXX , im Jahr 2011 in Afghanistan geheiratet. Die Beschwerdeführerin hat zwei leibliche Töchter. In Afghanistan leben noch ihr Vater, drei Brüder sowie drei Schwestern. Der Vater und die Brüder arbeiten als Schneider.

 

Die Beschwerdeführerin hat in Afghanistan ein Jahr die Schule besucht.

 

Die Beschwerdeführerin hat Afghanistan im Jahr 2011 verlassen und lebte dann im Iran. Dort wurden auch ihre Töchter, XXXX , geb. XXXX , sowie XXXX , geboren. Sie hat den Iran im Jahr 2015 gemeinsam mit XXXX und den minderjährigen Töchtern verlassen und hält sich seit Oktober 2015 in Österreich auf.

 

Die Beschwerdeführerin, ihr Ehemann und ihre minderjährigen Töchter stellten am 15.10. 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Iran lebt noch der Bruder des XXXX sowie dessen Mutter und Schwester. Dieser arbeitet im Möbelbau.

 

Der Ehemann der Beschwerdeführerin und ihre Kinder sind ebenfalls afghanische Staatsangehörige, deren Beschwerdeverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind und deren Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung verbunden wurden.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen:

 

Die Beschwerdeführerin lernte XXXX durch dessen Schwester Hanifa kennen.

 

Die Familie der Beschwerdeführerin wollte, dass sie einen älteren Mann heiratet. XXXX erschien mehrfach bei der Familie der Beschwerdeführerin und hielt um deren Hand an. Allerdings lehnte der Vater der Beschwerdeführerin eine Eheschließung ab.

 

Sie hat ihre Familie in XXXX verlassen und ging mit XXXX nach XXXX , einem anderen Teil der Stadt Kabul. In XXXX wurde XXXX von einem Bruder der Beschwerdeführerin gesehen, welcher ihn gemeinsam mit anderen Personen angriff und durch Messerstiche verletzte. Im Anschluss wurde XXXX im Krankenhaus " XXXX " in Kabul behandelt.

 

Jedenfalls zwanzig Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus hat die Beschwerdeführerin mit XXXX Afghanistan verlassen und ist in den Iran ausgereist.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin oder XXXX nach dem Angriff noch einmal von der Familie der Beschwerdeführerin in Kabul, im Iran oder in Österreich bedroht wurde.

 

Im Iran hatte die Beschwerdeführerin noch Kontakt mit ihrer Schwester, welche ihr mitteilte, sie solle nie wieder zurückkommen. Seit jedenfalls fünf Jahren besteht keinerlei Kontakt der Beschwerdeführerin mehr zu ihrer Familie.

 

Auch eine sonstige Bedrohung oder gegen die Beschwerdeführerin gesetzte Maßnahme oder Handlung konnte nicht festgestellt werden.

 

1.3. Zum Leben der Beschwerdeführerin in Österreich:

 

Neben der Betreuung ihrer beiden Kinder nimmt die Beschwerdeführerin an einem Deutschkurs teil. Derzeit besucht sie einen Deutschkurs für das Niveau A1 und kann sich in Alltagssituationen auf elementarer Basis verständigen. Die Beschwerdeführerin organisiert ihren Alltag selbständig. Sie verwaltet gemeinsam mit ihrem Ehemann das Geld und erledigt selbstständig die alltäglichen Besorgungen. Sie geht manchmal in ein Kaffeehaus, welches nur für Frauen ist und in welchem man Deutsch lernen kann. Die meisten Gäste in diesem Kaffeehaus sind Afghaninnen. Die Beschwerdeführerin hat den Berufswunsch Frisörin und hat sich auch bereits erkundigt, dass man in Österreich dafür drei Jahre eine Lehre machen muss. Die Beschwerdeführerin kleidet sich modern und schminkt sich. Ihr ist die Bildung ihrer Töchter sehr wichtig, sie sollen sich in Österreich eine Zukunft aufbauen und ihren Beruf frei wählen können.

 

Die Beschwerdeführerin wird von Bewohnern des Orts Oberwart als immer freundlich beschrieben.

 

Sonstige Freizeitaktivitäten der Beschwerdeführerin konnten nicht festgestellt werden, auch keine Freundschaften zu Österreicherinnen oder Österreichern.

 

Ihr Ehemann XXXX unterstützt die Beschwerdeführerin bei deren Lebensführung in Österreich.

 

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

 

1.4. Zur persönlichen Situation der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan

 

Zur wirtschaftlichen Lage

 

Die Beschwerdeführerin könnte nach ihrer Rückkehr an ihren Herkunftsort, die Stadt Kabul, durch den Bruder von XXXX im geringfügigen Ausmaß finanziell unterstützt werden.

 

Der Mann der Beschwerdeführerin, XXXX , verfügt noch über Vermögen in Kabul; dies in Form eines Hauses.

 

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, staatliche Rückkehrhilfe mit folgenden Leistungselementen zu beziehen:

 

• finanzielle Starthilfe (maximal EUR 500/Person; aktuell gibt es eine Sonderaktion für Asylwerber 1000/Person sowie für Familien max. EUR 3000);

 

• Reiseorganisation;

 

• Übernahme der Reisekosten und Reisepapierbeschaffung;

 

• sowie gegebenenfalls medizinische Versorgung.

 

Für Afghanistan gibt es auch spezielle Reintegrationsprogramme, die zusätzlich beantragt werden können:

 

In Österreich stehen für afghanische Staatsangehörige zwei spezielle Reintegrationsprojekte zur Verfügung: "ERIN" oder "RESTART II". Beide Angebote zielen effektiv auf die Wiedereingliederung im Heimatland ab und können erst nach Ankunft im Herkunftsland bezogen werden.

 

Folgende Leistungen können bezogen werden:

 

• Die Sachleistung beträgt bei "ERIN" 3.000 EUR; in bar erhalten die Personen EUR 500;

 

• Beim Projekt "RESTART II" der Internationalen Organisation für Migration (IOM) besteht die Sachleistung aus EUR 2.800 und der Barwert aus EUR 500. Je nach Bedarf stellt hier IOM auch Leistungen wie Family Assessment oder eine temporäre Unterkunft nach der Ankunft zur Verfügung.

 

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

 

1.5.1. Allgemeinen Lage in Afghanistan

 

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist insgesamt nach wie vor volatil; immer wieder erschüttern Attentate das Land und treiben regierungsfeindliche Kräfte ihr Unwesen. Die konkrete Beurteilung der Sicherheitslage variiert von Provinz zu Provinz stark. Die Hauptstadt Kabul und mehrere Provinzhauptstädte, darunter auch Herat, stehen jedoch überwiegend unter staatlichem Einfluss und sind vergleichsweise sicher. Die Taliban haben keine größeren Versuche mehr unternommen, Provinzhauptstädte einzunehmen.

 

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten

Passagen aus folgender Quelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 02.03.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 21.12.2017 [in

Folge: "LIB"], welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen" und 3. "Sicherheitslage").

 

1.5.2. Lage im Herkunftsort der Beschwerdeführerin

 

Die Stadt Kabul ist gleichzeitig die Provinzhauptstadt von Kabul und die Hauptstadt von Afghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt.

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren. Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert. Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten fand eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Kabul statt.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: Darüber hinaus wird zu diesem Punkt auf die näheren Ausführungen im LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen" und Pkt 3.1 "Kabul").

 

Erreichbarkeit von Österreich

 

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen. Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in den internationalen Flughafen Hamid Karzai umbenannt. Dieser liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt 3.2 "Erreichbarkeit - Flugverbindungen").

 

Sicherheitslage

 

Während die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren behält planen Aufständischengruppen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund und führend diese durch: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren.

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an.

 

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizistinnen und Polizisten werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten, also ab der zweiten Jahreshälfte 2017, schrittweise umgesetzt werden.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen" und Pkt 3.1 "Sicherheitslage").

 

Wirtschaftliche Lage durch bzw. für Rückkehrer

 

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghaninnen und Afghanen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen, sind Rückkehrerinnen und Rückkehrer im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrerinnen und Rückkehrer existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling in die Armut abzurutschen. Die meisten Rückkehrer/innen entschlossen sich, sich in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen.

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul, für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat. In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zu 2 Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 23 "Rückkehr").

 

Nach Aussagen der afghanischen Regierung hat Kabul grundsätzlich bessere Arbeitsmöglichkeiten aufgrund einer größeren Anzahl an Unternehmen und Behörden, wenngleich sich die Situation seit der zweiten Hälfte 2015 verschlechtert hat. Dies aufgrund von Sicherheit, dadurch einem reduzierten Vertrauen von Investoren sowie verringerter Entwicklungshilfe, wobei letzterer Umstand in größeren Verlusten von von solchen Hilfsleistungen abhängigen Haupt- und Hilfstätigkeiten mündete. Ohne Verbindungen ist es schwierig, eine Beschäftigung bei Regierungsstellen oder NGOs zu finden.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: European Asylum Support Office, Country of Origin Information Report Afghanistan, Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, August 2017, diese Quelle bildet einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses, Pkt. 2.2.5)

 

Die allgemeine Versorgungslage und allgemeine Infrastruktur ist in Kabul in Summe als befriedigend zu bewerten. Alle notwendigen Infrastrukturen sind im ausreichenden Umfang vorhanden und es gibt keine gravierenden Engpässe und Mängel in der allgemeinen Versorgungslage. Die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit durch einen Mann mit grundlegender Schulund/ oder Berufsausbildung ist bei entsprechender Anstrengung als realistisch anzusehen. Für alle Stufen der schulischen und oder beruflichen Qualifizierung gibt es Arbeitsmöglichkeiten. Ein Rückkehrer wird allerdings eine Zeit von 3 bis 6 Monate benötigen um sich zu orientieren und Arbeit zu finden.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgenden Quellen: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt 23; Auszüge aus dem Gutachten Mag. Karl MAHRINGER, GZ BVwG-160.000/0001-Kammer A/2017 vom 05.03.2017 sowie der Aktualisierung dieses Gutachtens vom 15.05.2017).

 

1.5.3. Meldesystem

 

Es gibt keine Meldepflicht in Afghanistan.

 

(Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt 19.1).

 

1.5.4. Bankensystem

 

Im Finanzsektor bieten in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken Leistungen an. Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv. Es ist einfach in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen.

 

Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US Dollar bedienen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten. Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 23 "Rückkehr - Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan").

 

1.5.5 Potentielle Risikoprofile

 

Zur allgemeinen Lage von ethnischen Minderheiten

 

In Afghanistan gibt es mehrere ethnische Minderheiten; die Bevölkerung setzt sich aus 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, etwa 10% Hazara und 9% Usbeken zusammen. Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort "Afghane" wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

 

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Dessen ungeachtet beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen. Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 16 "Ethnische Minderheiten").

 

Hazara

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara begleitet eine lange Geschichte der Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung; Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Hazara sind auch gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Dennoch hat sich die Situation grundsätzlich verbessert. Hazara sind auch keiner gezielten Diskriminierung wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt.

 

Auch nach den im Beschwerdevorbringen zitierten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender in Afghanistan droht ethnischen Minderheiten, wie den Hazara, in Afghanistan teilweise eine schlechte Behandlung. So sind diese gesellschaftlicher Diskriminierung und Misshandlung ausgesetzt. Ihnen droht auch eine schlechte Behandlung durch Taliban (beispielsweise Entführung, Schikanierung, Tötung). Die Hazara haben jedoch seit Ende des Taliban-Regimes im Jahr 2001 erhebliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe der entscheidungsrelevanten Passagen aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 16.1 "Hazara", sowie Afghanistan vom April 2016 [in Folge: "UNHCR-Richtlinien"], Pkt. III.A.13b "Hazara", beide Quellen bilden einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses).

 

Schiiten

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert. Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen. Es kommt auch immer wieder zu Anschlägen.

 

Nach den im Beschwerdevorbringen zitierten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender in Afghanistan droht Angehörigen religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Gefahr durch regierungsfeindliche Kräfte und die Taliban.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: LIB, welches einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet, Pkt. 15.1 "Schiiten", sowie UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.5, beide Quellen bilden einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses).

 

Lage von Frauen in Afghanistan

 

Allgemeines

 

Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig, Afghanistan ist weiterhin als "sehr gefährliches" Land für Frauen und Mädchen zu betrachten. Dies auch, weil spezifische zum Schutz von Frauen erlassene Rechtsvorschriften, wie insbesondere das EWAV-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen, nur zögerlich umgesetzt werden und Gewaltakte gegen Frauen üblicherweise straflos bleiben. So werden etwa Frauen oder Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, oder eine außereheliche Beziehung unterhalten oftmals vager oder gar nicht definierter "moralischer Vergehen" bezichtigt. Sie werden deswegen oftmals verurteilt und inhaftiert, was eine Verletzung internationaler Menschenrechtsstandards und -rechtsprechung darstellt. Hingegen bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften kontrolliert werden.

 

Je unsicherer eine Örtlichkeit oder Distrikt ist und je weniger Kontrolle der Regierung besteht, desto unwahrscheinlicher ist es auch, dass Frauen Unterstützung gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Anspruch nehmen können.

 

Während sich die konkrete Situation je nach regionalem und sozialem Hintergrund (Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität) stark unterscheiden kann, sind Frauen trotz einiger Fortschritte überproportional von Armut, Analphabetismus und schlechter Gesundheitsversorgung betroffen. Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung. Bemerkenswert ist hingegen die Steigerung jener Afghaninnen und Afghanen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben. Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghaninnen und Afghanen befürworteten, dass Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt wie durch Belästigung, Diskriminierung und Gewalt. Dazu kommen praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben.

 

Je nach den Umständen des Einzelfalls ist UNHCR daher der Auffassung, dass bei Frauen, die den folgenden Kategorien unterfallen, wahrscheinlich ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz besteht:

 

• Überlebende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt sowie Personen, die entsprechend gefährdet sind;

 

• Überlebende schädlicher traditioneller Bräuche sowie Personen, die entsprechend gefährdet sind; und

 

• Frauen, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen.

 

(Zusammenfassung unter Wiedergabe entscheidungsrelevanter Passagen aus folgenden Quellen: LIB, Pkt 17, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017, Pkt 2, UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.7, sowie den Bericht des European Asylum Support Office von Dezember 2017, Individuals targeted under societal and legal norms, Pkt 3.2, welche alle auch einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bilden, verwiesen).

 

Kleidungsvorschriften

 

Generell umfasst Frauenkleidung in Afghanistan ein breit gefächertes Spektrum, von moderner westlicher Kleidung, über farbenreiche volkstümliche Trachten, bis hin zur Burka und Vollverschleierung - diese unterscheiden sich je nach Bevölkerungsgruppe. Während Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Mazar-e Sharif und Herat häufig den sogenannten "Manteau shalwar" tragen, d.h. Hosen und Mantel, mit verschieden Arten der Kopfbedeckung, bleiben konservativere Arten der Verschleierung, wie der Chador und die Burka (in Afghanistan chadri genannt) weiterhin, auch in urbanen Gebieten, vertreten. Es herrschen weiterhin Debatten über die angemessenste Art der Bekleidung von Frauen, vor allem auch darüber was letztendlich eine richtige "islamische" Körper- oder Kopfbedeckung darstellt. Die Vorstellungen, wie Frauen sich in der Öffentlichkeit zeigen sollen bzw. dürfen unterscheiden sich oft erheblich, je nach der Herkunft, Geschlecht und Bildungsstand der Befragten.

 

Der jährliche Bericht zu Afghanistan der Asia Foundation - einer internationalen Entwicklungs-NGO mit Sitz in San Francisco - beinhaltet auch eine Umfrage zum Thema Verschleierung und angemessener Kleidung von Frauen in der Öffentlichkeit. Im Jahr 2016 wurden 12,658 Afghaninnen und Afghanen zu verschieden Möglichkeiten der Kopf- und Körperbedeckung befragt. Nur 1.1% der Befragten fanden, dass es für eine Frau angemessen sei sich völlig unverschleiert in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dagegen fanden 38% der befragten Männer und 30% der befragten Frauen, dass die Burka die angemessensten Form der Körperbedeckung für Frauen in der Öffentlichkeit sei. In den Antworten war jedoch ein starkes Gefälle in der Präferenz der Burka bei Befragten aus ländlichen und städtischen Gebieten zu verorten. Während 38,5% der Befragten aus ländlichen Gegenden die Burka bevorzugten, taten dies nur 20,3% der Befragten aus Städten. Ethnische Zugehörigkeit, sowie Bildung spielten ebenfalls eine erhebliche Rolle in der Bevorzugung und Akzeptanz der jeweiligen Kopf- bzw. Körperbedeckung. So bevorzugen Paschtunen die Burka, während Hazara zu weniger strengen Formen der Kopfbedeckung tendierten.

 

Auch Frauen in Kabul kleiden sich traditionell oder bescheiden (engl. "modestly") zur Vermeidung von Belästigungen.

 

(Zusammenfassung aus folgenden Quellen: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017 sowie European Asylum Support Office, Individuals targeted under societal and legal norms, Pkt 3.2, welche beide einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bilden).

 

Bewegungsfreiheit

 

Während Frauen in Afghanistan grundsätzlich einen männlichen Begleiter, Kollegen oder Bewacher benötigen, welcher sie außerhalb des Hauses begleitet, gilt dies nicht für die Großstädte Herat, Mazar und Kabul.

 

(Quelle: European Asylum Support Office, Individuals targeted under societal and legal norms, Pkt 3.2, welche beide einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bilden)

 

Beschäftigungsmöglichkeiten und Freizeitmöglichkeiten

 

Afghanische Frauen in urbanen Zentren wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif in einer Vielzahl beruflicher Felder aktiv. Frauen arbeiten sowohl im öffentlichen Dienst, als auch in der Privatwirtschaft. Sie arbeiten im Gesundheitsbereich, in der Bildung, den Medien, als Polizistinnen und Beamtinnen, usw. Es bestehen mannigfaltigen Schwierigkeiten, mit denen Frauen auf dem Arbeitsmarkt und in der Berufswelt zu kämpfen haben. Diese reichen von Diskriminierung in der Rekrutierung und im Gehalt, über Schikane und Drohungen bis zur sexuellen Belästigung. Während es Frauen der afghanischen Elite seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zuweilen möglich war eine Reihe erfolgreicher Unternehmen aufzubauen, mussten viele dieser Neugründungen seit dem Einsturz der afghanischen Wirtschaft 2014 wieder schließen. Frauen der Mittel- und Unterschicht kämpfen mit erschwertem Zugang zum Arbeitsmarkt und Lohnungleichheit. Dazu müssen Frauen unverhältnismäßig oft unbezahlte Arbeit leisten. Die letzten Jahre sahen einen steigenden Druck auf Frauen in der Arbeitswelt und eine zunehmende Abneigung gegenüber Frauen im Beruf, vor allem in konservativen Kreisen. Trotzdem finden sich viele Beispiele erfolgreicher junger Frauen in den verschiedensten Berufen.

 

Was die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung für Frauen in afghanischen Städten betrifft, so gibt es auch hier, eine Vielzahl von Beispielen: So existiert etwa "Familienkino", das in Kabul zu bestimmten Tageszeiten Vorstellungen ausschließlich für Frauen anbietet. Es gibt auch einen sogenannten "Frauen-Garten" in Kabul - ein öffentlicher Park für Frauen mit verschiedenen Unterhaltungs-, Bildungs- und Sportmöglichkeiten. Der Garten, der sich über 13 Hektar Land streckt und vom Frauenministerium verwaltet wird, erlebt täglich einen großen Ansturm, vor allem am Wochenende. Er wurde nach der Taliban-Herrschaft durch finanzielle Unterstützung des US Entwicklungsministeriums und mit Hilfe von mehr als 600 afghanischen Arbeiterinnen und Arbeitern (großteils Frauen aus armen Verhältnissen) wiederaufgebaut. Neben den Gartenanlagen zählt auch ein Fitnesscenter, Buchgeschäft und Internetlokal zu den Einrichtungen des Gartens. Frauen können dort Computer benutzen und kostenfrei Sprachkurse belegen. Außerdem wird der Garten 24 Stunden/Tag von einem Sicherheitsteam bewacht.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: "Afghanistan - Frauen in urbanen Zentren" vom 18.09.2017, welche einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses, Pkt 3).

 

Blutrache (Blutfehden), Ehrverletzungen und sunnitisch-schiitische Mischehen

 

Blutrache (Blutfehden)

 

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. Blutrache in ländlichen Gebieten eher üblich, kann jedoch wegen der großen Zahl der vom Land zugewanderten Stadtbewohner auch in Städten vorkommen. Mächtige Familien übten bei einer Ehrverletzung normalerweise Vergeltung, während weniger mächtige und arme Familien in der Regel Verhandlungen und eine Versöhnung durch Älteste oder eine Bestrafung durch die Regierung akzeptierten.

 

Im Licht der oben beschriebenen Bedingungen ist UNHCR der Ansicht, dass je nach den Umständen des Einzelfalls für Personen, die in Blutfehden verwickelt sind, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann. Bei Anträgen von in Blutfehden verwickelten Personen können sich jedoch mögliche Ausschlusserwägungen ergeben. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann auch für Familienangehörige, Partner oder von an Blutfehden Beteiligten abhängige Personen ebenfalls aufgrund ihrer Verbindung mit der gefährdeten Person ein Bedarf an internationalem Schutz bestehen.

 

(Zusammenfassung aus folgenden Quellen: UNHCR-Richtlinien, Pkt 14, ACCORD-Anfragebeantwortung a-10006-1 vom 23.02.2017 "1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den "Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Staatlicher Schutz vor Rachehandlungen bzw. Blutrache", Schnellrecherche der Schweizer Flüchtlingshilfe zur "Blutrache und Blutrache" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 07.06.2017, diese Quellen bilden einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses).

 

Ehrverletzungen

 

Neben Blutfehden gebe es noch die Kategorie "Verlust von Ehre" ("namus") infolge eines (wahrgenommenen) Verhaltens der Frau, das intern in der Familie als Schande angesehen werde und zu ihrer Tötung führe. Bei solchen "Ehrenmorden" würden die Frau (und im Falle gemeinsamen Weglaufens auch der beteiligte Mann) getötet, um die Ehre der Familie wieder herzustellen. Die Tötung eines an einer solchen Ehrverletzung beteiligten Mannes sei nicht Teil eines (Blut)rachezyklus, da Rachehandlungen nicht von Verwandten eines Mannes ausgeführt werden könnten, der zum Zeitpunkt seiner Tötung eine "schändliche" Tat begangen habe.

 

Ehre und Status einer Familie würden durch die Institution der Ehe bestätigt. Offener Widerstand gegen bzw. ein Bruch mit den Normen der Eheschließung, indem man den Ehepartner bzw. die Ehepartnerin ohne Zustimmung der jeweiligen Familien wähle, führe dazu, dass sich die Familien in ihrer Ehre gekränkt fühlen würden und könne verschiedene Reaktionen hervorrufen, die sich sowohl gegen die Frau als auch den Mann richten könnten. Außereheliche Beziehungen würden für alle ethnischen Gruppen ein höchst sensibles Thema darstellen, jedoch hätten Paschtunen eine restriktivere Sicht darauf. Die meisten Fälle würden indes von lokalen Schuras und Dschirgas beigelegt. Hätte ein unverheiratetes Paar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gehabt, wäre das Ergebnis häufig eine Eheschließung zwischen dem Mann und der Frau sei. Die beteiligten Personen würden versuchen, die Angelegenheit privat zu lösen, ohne dass Gerichte oder Vermittlungsgremien beteiligt würden. So werde der entstandene Ehrverlust lokal eingegrenzt. Familien mit hoher Bildung, Familien in Großstädten, Hazara und Tadschiken seien allgemein offen dafür, Lösungen zu finden, häufig auch mithilfe von Vermittlung. Auch wenn die Verhandlungen schwierig seien würden die Parteien in der Regel zu einer Lösung kommen. Es komme selten vor, dass solche Fälle in Gewalt bzw. Mord enden würden.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: ACCORD-Anfragebeantwortung a-10006-1 "1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den "Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Staatlicher Schutz vor Rachehandlungen bzw. Blutrache", welche einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses bildet)

 

Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen

 

Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen.

 

UNHCR ist auf Grundlage der vorangegangenen Analyse der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für solche Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.

 

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: UNHCR Richtlinien, diese bilden einen Bestandteil der Feststellungen und des vorliegenden Erkenntnisses, Pkt III.A.1.j und l).

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Feststellungen zur Person:

 

Die Beschwerdeführerin hat während des verwaltungsbehördlichen Verfahrens sowie der mündlichen Verhandlung zu ihrem Namen, ihrem Geburtsdatum, ihrer Staatsangehörigkeit, Herkunft, insbesondere zu ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, sowie zu den Lebensumständen in Afghanistan und dem Iran stets gleiche und zusammenhängende Angaben gemacht. Die Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari wurde vom bestellten Dolmetscher in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

 

Die Tatsache der Eheschließung in Afghanistan ergibt sich aus den widerspruchsfreien und im Kern gleichbleibenden Angaben zu einigen Details der Hochzeit (Zeugen, Mullah). Sie decken sich im Kern auch mit den diesbezüglich getätigten Angaben von XXXX .

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren widerspruchsfreien Angaben in der mündlichen Verhandlung in Zusammenschau mit den im Verfahren vorgelegten, nachvollziehbaren und schlüssigen Unterlagen.

 

Die festgestellte Unbescholtenheit ergibt sich aus einer durchgeführten Abfrage des Strafregisters sowie den diesbezüglichen, ebenso widerspruchsfreien Angaben im Rahmen der behördlichen Befragung und in der mündlichen Verhandlung.

 

Die von der belangten Behörde gesehenen Widersprüche betreffend die Heiratsurkunde reichen aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht aus, um bereits von einer persönlichen Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Angaben zu ihrer Person oder des Fluchtvorbringens auszugehen.

 

2.2. Feststellungen zu den Fluchtgründen:

 

Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Familie der Beschwerdeführerin gegen die Eheschließung mit XXXX war und sie mit diesem ihre Familie verließ um zunächst in XXXX zu leben machte die Beschwerdeführerin im verwaltungsbehördlichen wie verwaltungsgerichtlichen Verfahren durchgehend gleichbleibende Angaben, welche jedenfalls im Kern auch widerspruchsfrei blieben.

 

Die Angaben zum Angriff in XXXX durch einen Bruder der Beschwerdeführerin sowie weiteren Personen, zu dessen Verletzung sowie zur anschließenden Behandlung im Krankenhaus Ferdausi ergeben sich aus den jedenfalls im Kern im verwaltungsbehördlichen wie verwaltungsgerichtlichen Verfahren gleichgebliebenen und detailreichen (insbesondere zur Uhrzeit, Örtlichkeit, Wegdestination) Angaben des XXXX sowie auch der Beschwerdeführerin.

 

Betreffend den Zeitraum zwischen Krankenhausentlassung und der Ausreise in den Iran gab es während der behördlichen Einvernahme widersprüchliche Angaben der Beschwerdeführerin (AS 108 und 110), auch zur Aussage von XXXX , wobei die Erklärung der Beschwerdeführerin, sie habe sich Sorgen um die Kinder und die Familie gemacht, welche im Taxi mitgefahren sind vom Bundesverwaltungsgericht nicht als ausreichend angesehen wird, um den Erfahrungssatz, dass bei einer Einvernahme im Regelfall zunächst die Wahrheit gesagt wird, zu widerlegen. Auch die Angabe der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung (VHS Seite 9), sie habe gegen die Rückübersetzung keinen Einwand erhoben, weil sie nach 4 1/2 Stunden Interview Kopfschmerzen gehabt und auch ihre Brille zu Hause vergessen gehabt hat, überzeugt nicht: So wurde (AS 65) ausdrücklich bestätigt, dass sie die den Dolmetscher gut verstanden habe und die Rückübersetzung der Niederschrift vollständig war. Außerdem dauerte die Einvernahme nicht 4 1/2 Stunden sondern nach Abzug einer Pause knapp über drei Stunden. Jedenfalls kann aber der Zeitraum von 20 Tagen festgestellt werden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hält die offenbare Beweiswürdigung der belangten Behörde, wonach bereits aus dem aufgezeigten Widerspruch sowie der Nichterwähnung des Angriffs bei der Erstbefragung eine persönliche Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre Fluchtgeschichte zu schließen ist, fallbezogen nicht für richtig. Einerseits ist auf die beschränkte Rolle der Erstbefragung hinzuweisen, andererseits reicht der Widerspruch im Hinblick auf den oben erwähnten Zeitraum noch nicht aus, um bereits daraus auf die vollständige Unglaubwürdigkeit zu schließen. Auch ist es - was die belangte Behörde offenbar auch gegenteilig vermeinte - durchaus nachvollziehbar, dass die Familie der Beschwerdeführerin keinen weiteren Angriff während des Aufenthalts im Krankenhaus selbst durchführte.

 

Nicht festgestellt werden konnte eine weitere Bedrohung durch Mitglieder der Familie der Beschwerdeführerin gegenüber dieser oder XXXX in Kabul, im Iran oder in Österreich: Die Beschwerdeführerin erwähnte eine solche nicht vor der belangten Behörde und es waren die diesbezüglichen Angaben auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (VHS Seite 23) zu vage. Dies trifft auch auf die entsprechenden Angaben des XXXX zu, welcher eine solche Bedrohung vor der Behörde nicht erwähnte bzw. sogar verneinte (AS 113 von dessen Verfahrensakt, wo die Frage, ob es in der Zeit bis zur Ausreise noch einen Vorfall gab, verneint wurde) und während der mündlichen Verhandlung auch nur vage Angaben machte (VHS Seite 36).

 

Die Feststellungen zum Kontakt mit der Schwester und deren Nachricht fußt auf den diesbezüglich widerspruchsfreien und ausreichend detailreichen Angaben der Beschwerdeführerin im verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

 

2.3. Feststellungen zum Leben in Österreich

 

Die Feststellungen zum Leben in Österreich folgen aus den klar geäußerten und widerspruchsfrei gebliebenen Angaben zu den Fragen des erkennenden Richters in der mündlichen Verhandlung. Die Angaben decken sich auch mit den diesbezüglichen Angaben des XXXX .

 

Die Feststellung, wonach XXXX seine Frau bei deren Lebensführung in Österreich unterstützt konnte schon aufgrund dessen Aussagen, wonach er seine Frau motiviert, sich beruflich zu entwickeln (VHS Seite 39) und, dass er sich freut, dass seine Frau einen Beruf ergreifen und wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen will, getroffen werden (VHS Seite 38).

 

2.4. Feststellung zur persönlichen Situation der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan

 

Die Feststellungen zur Unterstützungsmöglichkeit durch den Bruder des XXXX ergeben sich daraus, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung erwartet werden kann, dass der Vater des XXXX , welcher im Iran als Möbelbauer arbeitet, der Beschwerdeführerin und ihrer Familie nach Rückkehr nach Afghanistan eine geringfügige finanzielle Unterstützung zukommen lassen kann.

 

Die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrunterstützungen ergibt sich aus dem Informationsblatt "Information des BFA in Bezug auf Rückkehrunterstützung und Reintegrationsmaßnahmen va. für afghanische Staatsangehörige im Herkunftsland" vom 06.04.2017, GZ BMI-BA121004/0002-BFA-B/I/2/2017, welches seitens der Beschwerdeführerin unbestritten blieb.

 

2.5. Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan

 

Die Feststellungen zur Allgemeinen Lage in Afghanistan (Pkt 1.5.1), zur Lage im Herkunftsort der Beschwerdeführerin (Pkt 1.5.2.) im Hinblick auf die Erreichbarkeit von Österreich, Sicherheitslage und wirtschaftlicher Lage durch bzw. für Rückkehrer, zum Meldesystem (Pkt 1.5.3), zum Bankensystem (Pkt 1.5.4) stützen sich auf das im Entscheidungszeitpunkt hinreichend aktuelle (letzte Überarbeitung im Dezember 2017), nachvollziehbare und schlüssige von der Staatendokumentation der belangten Behörde zusammengestellte Länderinformationsblatt zu Afghanistan. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht schon daraus, dass aufgrund von § 5 Abs. 2 BFA-Errichtungsgesetz vorgesehen ist, dass die gesammelten Tatsachen länderspezifisch zusammenzufassen, nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten (als allgemeine Analyse) und in allgemeiner Form zu dokumentieren sind. Die Dokumentation ist weiters in Bezug auf Fakten, die nicht oder nicht mehr den Tatsachen entsprechen, zu berichtigen. Eine allenfalls auf diese Tatsachen aufbauende Analyse ist schließlich richtig zu stellen. Soweit dem LIB Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass die Informationen über die Lage im Herkunftsstaat regelmäßig aktualisiert werden und jene Informationen, die nicht durch neue Berichte ersetzt werden, mangels einer maßgeblichen Änderung der Sachlage nach wie vor relevant für die Lagebeurteilung im Herkunftsstaat sind. Das LIB als solches blieb von der Beschwerdeführerin im Verfahren unbestritten.

 

Die Feststellungen zur Lage durch bzw. für Rückkehrer gründen sich auch auf den aktuellen, nachvollziehbaren und schlüssigen Informationsbericht des EU-Unterstützungsbüros für Asylfragen zu sozioökonomischen Schlüsselindikatoren, staatlichem Schutz und Mobilität in Kabul, Mazar-e Sharif, und Herat. Ein entsprechender Beweiswert dieser Informationen ergibt sich für das Bundesverwaltungsgericht auch daraus, dass diese Einrichtung gemäß Art. 4 lit a und b der EU-Verordnung Nr 439/2010 relevante, zuverlässige, genaue und aktuelle Informationen über Herkunftsländer transparent und unparteiisch sammelt und darüber Bericht erstattet. Der Bericht als solches blieb von der Beschwerdeführerin im Verfahren unbestritten.

 

Die Feststellungen zur "wirtschaftlichen Lage in Kabul", allgemeinen Versorgungslage und allgemeinen Infrastruktur in Kabul ergeben sich neben Informationen aus dem LIB aus einem im Auftrag des BVwG erstellten "Gutachten" (GZ: BVwG-160.000/0001-Kammer A/2017 vom 05.03.2017 samt Aktualisierung vom 05.03.2017) von Mag. Karl MAHRINGER. Dieses erachtet das erkennende Gericht sowohl grundsätzlich als geeignet wie auch fallbezogen für zweckdienlich:

MAHRINGER ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für das Fachgebiet Afghanistan mit zusätzlicher Spezialisierung im Bereich Flüchtlingswesen und Entwicklungshilfe. Er lebt seit 2009 in Afghanistan und ist unter anderem als "Senior Berater" (Ministry of Commerce and Industry) sowie seit 2014 als CEO der International Emergency Services UAE in den Konfliktregionen MENA, Afghanistan, Somalia und Eritrea tätig. Seine Erhebungsergebnisse zur Lage in Stadt und Provinz Kabul wurden von der Beschwerdeführerin als solches - s. zu den Ausführungen in der nach der mündlichen Verhandlung erstatteten Stellungnahme unten -nicht bestritten.

 

In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführerin auf einen in der Ausgabe Nr. 3 aus 2017 in der in Deutschland erscheinenden Zeitschrift "Asylmagazin" publizierten Aufsatz von Friederike STAHLMANN hingewiesen. Dieser ist iZm den getroffenen Feststellungen wie folgt zu würdigen:

 

Bis zu einem gewissen Grad können die Ansichten von MAHRINGER und STAHLMANN im Hinblick auf den eingeschränkten Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt widerspruchsfrei kombiniert werden: So betont auch MAHRINGER, dass grundsätzlich einer gewissen (mehrmonatigen) Orientierungsphase bedarf. Auch dem "Gutachten" von MAHRINGER ist zu entnehmen, dass Rückkehrer mit Schwierigkeiten bei der Arbeits- und Wohnungssuche konfrontiert sein werden.

 

Mit ihrer - und nur diese ist im gegebenen Zusammenhang zu den Aussagen von STAHLMANN vorgenommen - offenbaren Schlussfolgerungen, nämlich, dass Rückkehrende aus Europa akut in ihrem Überleben gefährdet sind (siehe Pkt III.3 des Aufsatzes), die keine verlässliche Unterstützung durch bestehende soziale Netzwerke haben kann STAHLMANN aber die aufgrund der Ausführungen von MAHRINGER - soweit sie in dieser Hinsicht aus widersprechend angesehen werden können - getroffenen Feststellungen nicht widerlegen. Einerseits stützt sich MAHRINGER auf eine aktuelle, vor Ort durchgeführte Recherche. STAHLMANN zieht ihre Schlüsse lediglich aus anderen Berichten und Quellen bis Anfang 2016. Darüber hinaus handelt es sich bei MAHRINGER um einen in Österreich gerichtlich beeideten, länderkundlichen Sachverständigen für Afghanistan. STAHLMANN hingegen ist eine Dissertantin an einem deutschen Forschungsinstitut, mag sie auch zweitweise "Gutachten" für britische Gerichte verfasst haben.

 

Die Beschwerdeführerin tritt auch in Ihrer Stellungnahme vom 17.01.2018 dem "Gutachten" von MAHRINGER entgegen. Damit überzeugen sie das erkennende Gericht jedoch nicht dahingehend, dass die getroffenen Feststellungen zur Versorgungslage, Infrastruktur und die Sicherung existenzieller Lebensbedürfnisse eben nicht getroffen werden könnten:

 

Die erwähnten Auszüge auf den Seiten 11 und 37 des "Gutachtens" sind für die getroffenen Feststellungen nicht weiter von Relevanz.

 

Dass über bestehende Flüchtlingscamps berichtet wird und gleichzeitig ausreichend vorhandener Wohnraum festgestellt wird zeigt außerdem noch keinen "Widerspruch" auf. Auch mit der Meinung, die Situation am Wohnungsmarkt sei nicht ausreichend erhoben worden wird zu den Schlussfolgerungen betreffend die Wohnungssituation noch keine Mangelhaftigkeit aufgezeigt. Überdies werden nähere Feststellungen zur Wohnungssituation gegenständlich gar nicht getroffen.

 

Die Tatsache, dass die Grenze zu Pakistan zeitweise geschlossen ist mag zutreffen, doch ergibt sich daraus ja noch nicht, dass die allgemeine Versorgungslage in Kabul nicht als befriedigend zu bewerten wäre. Zum Beweiswert des Aufsatzes von STAHLMANN im Hinblick auch auf die Versorgungslage können die obigen Würdigungen herangezogen werden.

 

Dass aufbauend auf die Bewertung von MAHRINGER nicht festgestellt werden könnte, dass die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit durch einen Mann mit grundlegender Schulund/ oder Berufsausbildung bei entsprechender Anstrengung als realistisch anzusehen ist und es für alle Stufen der schulischen und oder beruflichen Qualifizierung Arbeitsmöglichkeiten gibt, ist für das erkennende Gericht nicht ersichtlich: So ist für das Gericht mangels näherer Ausführungen nicht erkennbar, warum diese Informationen für die getroffenen Schlussfolgerungen seitens eines Fachmanns zwingend notwendig wären.

 

Soweit auf die Seite 28 des EASO-Berichts hingewiesen wird, so ist festzuhalten, dass sich die von der Beschwerdeführerin genannte Aussage auf eine Reihe von Zeitungsberichten aus dem Jahr 2015 bezieht. Die Erhebungen MAHRINGER sind somit wesentlich aktueller.

 

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auf der erwähnten Seite 28 ebenso - denn es müssen die Informationen immer gesamthaft gelesen und gewürdigt werden - ausgeführt wird, dass es in Kabul generell bessere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt als in den meisten anderen Städten. Schon aus diesem Grund kann aus Sicht des erkennenden Gerichts die Analyse von MAHRINGER übernommen werden.

 

Zu den Aufsätzen von Frederike STAHLMANN, auf welche die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung hinwies, ist im Hinblick auf die Feststellungen zur Lage in Afghanistan - wobei sich das erkennende Gericht auf das LIB, die UNHCR-Richtlinien sowie einen Bericht von EASO stützte - zu erwägen:

 

Die getroffenen Feststellungen beruhen - zu den Feststellungen betreffend die Lage für Rückkehrer aus Europa siehe bereits oben - durchgehend auf länderkundlichen Informationen, welche aus einem bestimmten, vor allem im Hinblick auf die verwendeten Quellen bzw. überhaupt die Objektivität sicherstellenden Prozess oder von Organisationen stammen, denen man eine derartige Objektivität zuzuerkennen hat: Sei es von der österreichischen Staatendokumentation, sei es von EASO oder seien es die UNHCR-Richtlinien. Bei den Ausführungen von STAHLMANN handelt es sich hingegen um eine persönliche, in der asylfachlichen Literatur geäußerten Meinung. Soweit die von Stahlmann angenommenen Tatsachen von den den zuvor aufgezählten Quellen zu entnehmenden Tatsachen abweichen, so kommt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts den Tatsachen von STAHLMANN schon aus dem genannten Grund einer geringerer Beweiswert zu.

 

Im Übrigen ist zu den Aufsätzen von STAHLMANN auszuführen, dass die Beschwerdeführerin auch nicht näher substantiierte, aus welchen Ausführungen konkret sich Abweichungen von dem LIB, dem Bericht von EASO oder den UNHCR-Richtlinien im Hinblick auf Sachverhaltselemente zur Lage in Afghanistan ergeben sollten.

 

Die Feststellungen zu dem potentiellen Risikoprofil "Zur allgemeinen Lage von ethnischen Minderheiten", "Hazara" und "Schiiten" gründen auf den unbestritten gebliebenen, schlüssigen und nachvollziehbaren UNHCR-Richtlinien sowie dem im Entscheidungszeitpunkt hinreichend aktuellen, von der Staatendokumentation zusammengestellten LIB zu Afghanistan. Die Informationen aus beiden Quellen konnten widerspruchsfrei kombiniert werden. Diese Informationen als solches wurden von der Beschwerdeführerin im Verfahren nicht bestritten.

 

Die Feststellungen zur Situation als Frau beruhen aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Leben von Frauen in urbanen Zentren, aus den UNHCR-Richtlinien sowie einem Bericht des European Asylum Support Office aus Dezember 2017. Alle diese Quellen erschienen dem erkennenden Gericht als geeignete Beweismittel und waren im Hinblick auf die festzustellenden Tatsachen nachvollziehbar und schlüssig (zum grundsätzlichen Beweiswert solcher Informationen die einem besonderen Objektivierungsprozess entstammen, siehe oben).

Die genannten Dokumente blieben als solches unbestritten: Soweit man die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 17.01.2018 so verstehen kann, dass festzustellen wäre, dass - betreffend den Hinweis auf die Anfragebeantwortung auf Seite 12 - eine Frau sich auf der Straße niemals alleine bewegen kann, so ist dazu Folgendes zu berücksichtigen: Die in der Anfragebeantwortung genannte Quelle zeigt - und dies wohl bezogen auf ganz Afghanistan - eine "Einschränkung" in der Bewegungsfreiheit auf. Der von Ende 2017 datierende EASO-Bericht zeigt hingegen für Kabul unter Pkt. 3.2 ein anderes Bild auf. Deshalb war auch festzustellen, dass in Kabul eine Frau eben keinen männlichen Begleiter benötigt.

 

Die Feststellungen zu Blutrache (Blutfehden) gründen auf den UNHCR-Richtlinien sowie der schlüssigen und nachvollziehbaren Schnellrecherche zur "Blutrache und Blutfehde" der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 07.06.2017, die Feststellungen zur "Ehrverletzung" gründen auf der erwähnten, nachvollziehbaren und schlüssigen ACCORD-Anfragebeantwortung a-10006-1. Die Quellen ließen sich widerspruchsfrei kombinieren und blieben auch von der Beschwerdeführerin unbestritten.

 

Die Feststellungen zur als "verwestlicht" wahrgenommenen Personen beruhen auf den UNHCR-Richtlinien und blieben unbestritten.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Das AsylG sieht keine Senatszuständigkeit vor. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Zu A)

 

I. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids

 

3.1. Rechtslage

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (in Folge "GFK") ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Die §§ 3 und 11 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (in Folge: "AsylG 2005"), lauten samt Überschrift:

 

"Status des Asylberechtigten

 

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

 

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

 

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

 

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat."

 

"Innerstaatliche Fluchtalternative

 

§ 11. (1) Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

(2) Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen."

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 iVm Z 11 AsylG 2005 ist "Verfolgung" jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der EU-Richtlinie 2011/95/EU .

 

Gemäß Art. 9 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2011/95/EU muss eine Handlung um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten,

 

a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder

 

b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.

 

Als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

 

a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,

 

b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,

 

c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,

 

d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,

 

e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und

 

f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

 

§ 18 Abs. 1 und 3 AsylG 2005 lauten:

 

"§ 18. (1) Das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht haben in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

(2) ...

 

(3) Im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers ist auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen."

 

Gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Antragstellung oder im Zulassungsverfahren zu befragen. Diese Befragung dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen. Diese Einschränkung gilt nicht, wenn es sich um einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) handelt. Die Befragung kann in den Fällen des § 12a Abs. 1 sowie in den Fällen des § 12a Abs. 3, wenn der Folgeantrag binnen zwei Tagen vor dem bereits festgelegten Abschiebetermin gestellt wurde, unterbleiben.

 

3.2. Zum primären Fluchtvorbringen

 

Als primären Grund für die Flucht und die Unmöglichkeit der Rückkehr nach Afghanistan hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass ihr Gefahr drohe, weil ihr Vater bzw. ihre Familie mit der Eheschließung mit XXXX nicht einverstanden gewesen sei.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.09.1998, 98/01/0224).

 

Auch aus einer Mehrzahl allein jeweils nicht ausreichender Umstände im Einzelfall kann sich bei einer Gesamtschau die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus einem oder mehreren von asylrelevanten Gründen ergeben (vgl. dazu VwGH 26.06.1996, 95/20/0423).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183).

 

Die Verfolgungsgefahr muss auch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, mwN).

 

Die Gefahr der Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Verfolgungshandlungen gegen Verwandte können nur dann eine Ursache für begründete Furcht vor Verfolgung bilden, wenn auf Grund der im Verwaltungsverfahren glaubhaft dargelegten konkreten Situation davon ausgegangen werden muss, dass gegen ein Familienmitglied gesetzte oder von diesem zu befürchtende Verfolgungshandlungen auch zu - die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden - Maßnahmen gegen andere Familienmitglieder führen werden (VwGH 07.09.2000, 2000/01/0153).

 

Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 17.12.2015, Ra 2015/20/0048). Für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung ist nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet. Schutz für Angehörige einer verfolgten Gruppe ist unabhängig davon, ob auch andere Gruppen in vergleichbarer Intensität verfolgt werden, zu gewähren (vgl. VfGH vom 18. September 2015, E 736/2014).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. zuletzt VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0119). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).

 

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. etwa VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551).

 

Eine auf kriminellen Motiven beruhende Verfolgung keinem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe zugeordnet werden kann. Dies bedeutet aber nicht, dass in einer solchen Situation einem Begehren auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten keinesfalls Erfolg beschieden sein kann. Es kommt nämlich entscheidend auch darauf an, auf welche Ursachen allenfalls fehlender staatlicher Schutz zurückzuführen ist. Ist der Heimatstaat des Beschwerdeführers aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit, Schutz zu gewähren, käme einer primär kriminell motivierten Verfolgung nämlich asylrelevanter Charakter zu (vgl. VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059).

 

In Fällen, in denen einer Asylwerberin wegen Missachtung der Wertvorstellungen ihrer Familie als weibliches Familienmitglied die Ermordung, vor der sie der Staat nicht schützt, droht, sowohl eine Verfolgung wegen des Geschlechts als auch wegen der Zugehörigkeit zur Familie der Verfolger in Betracht kommt (zuletzt etwa VwGH 25.03.2015, Ra 2014/18/0153). Allerdings ist eine Abgrenzung vorzunehmen zwischen nicht asylrelevanter Verfolgung zur "Wiederherstellung der Familienehre" einerseits und asylrelevanter Verfolgung wegen einer den religiösen Wertvorstellungen der Verfolger zuwider laufenden Handlungsweise des Verfolgten andererseits (vgl. etwa VwGH 20.05.2015, Ra 2015/20/0030, mwN).

 

Wirtschaftliche Gründe rechtfertigen nach Art. 1 Abschnitt A GFK grundsätzlich nicht die Ansehung als Flüchtling. Sie könnten nur dann relevant sein, wenn den Beschwerdeführern der völlige Verlust ihrer Existenzgrundlage drohte (VwGH 28.6.2005, 2002/01/0414).

 

Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069, Rz 16). Als glaubwürdig können Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt. Die Behörde kann einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens vor den verschiedenen Instanzen im wesentlichen gleichbleibende Angaben mache, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen (vgl. VwGH 06.03.1996, 95/20/0650). Es entspricht auch der Lebenserfahrung, dass die von einem Beschuldigten bei der ersten Vernehmung gemachten Angaben (erfahrungsgemäß) der Wahrheit am nächsten kommen (VwGH 26.01.1996, 95/02/0289). Beweisergebnisse der Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 - diese dient insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute des Fremden und hat sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen - dürfen jedoch nicht unreflektiert bzw. ohne Berücksichtigung deren eingeschränkten Zwecks - insbesondere nicht ohne weitere Ermittlungen und ohne mündliche Verhandlung - verwertet werden (vgl. dazu VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061, Rz 3.2. mwN).

 

Angewendet auf den gegenständlichen Fall folgt daraus:

 

Eine Verfolgungshandlung wurde gegenüber der Beschwerdeführerin nicht unmittelbar gesetzt. Aus dem Angriff sowie der Verletzung des XXXX kann aber gegenständlich nicht darauf geschlossen werden, dass auch eine die Intensität asylrechtlich relevanter Verfolgungshandlungen erreichenden Maßnahme gegen andere Familienmitglieder droht: So hätte die Familie nach der Attacke auf den XXXX den Aufenthalt der Beschwerdeführerin wohl ebenso herausfinden können - sie hielt sich nach der Messerattacke durchaus noch eine gewisse Zeit in Kabul auf - und die von ihr befürchteten Gewalttaten gegen sie setzen können, eine persönliche Drohung aussprechen können oder den Versuch unternehmen können, sie zurückzuholen.

 

So waren keinerlei Drohungen nach der Attacke feststellbar. Aus der Aussage der Schwester, die Beschwerdeführerin solle nicht zurückkehren, ist auch nicht auf eine mögliche maßgebliche Wahrscheinlichkeit weiterer Verfolgungshandlungen auch gegen die Beschwerdeführerin selbst zu schließen (die bloß entfernte Möglichkeit einer Verfolgung reicht für die Asylgewährung nicht aus).

 

Viel eher ist vor dem Hintergrund der zuvor dargestellten Abläufe indiziert, dass die Familie der Beschwerdeführerin Gewalt eben nur gegen den XXXX ausüben wollte. Dies würde jedoch - iSd Erkenntnis Ra 2015/20/0030 - eher dafür sprechen, dass diese Handlungen keinem der in Art. 1 GFK genannten Gründe im Hinblick auf die Beschwerdeführerin zugeordnet werden können.

 

Dieses Indiz stützen auch die festgestellten Länderinformationen: So könnte der Entzug vor einer geplanten Hochzeit durch Weglaufen als Ehrverletzung gesehen werden. Allerdings "lösen" Hazara-Familien, und dies noch dazu in Großstädten, typischerweise eine solche Verletzung nicht durch Gewaltanwendung oder gar Ermordung der Tochter, welche sich der Hochzeit entzogen hat, sondern durch andere Instrumente. Auch die abgelehnte Eheschließung lässt nach dieser Berichtslage ohne weitere spezifische, im gegenständlichen Fall jedoch - wie zuvor dargelegt - fehlende Anhaltspunkte keinen zwingenden Schluss zu, dass die Familie der Beschwerdeführerin auch zu Gewalthandlungen gegen die eigene Tochter greifen würde. Überdies würde die Beschwerdeführerin nunmehr als verheiratete Frau mit zwei kleinen Kindern zurückkehren.

 

Selbst wenn man in der Handlung gegenüber dem XXXX eine Handlung zur Wiederherstellung der Familienehre seitens der Familie der Beschwerdeführerin erblicken sollte, ist gegenständlich nicht auf die maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer erneuten Verfolgung der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Kabul zu schließen: XXXX wurde bestraft und die Ehrverletzung gesühnt. Die Beschwerdeführerin wurde von iherer Familie verstoßen - zumindest lässt der vollständige Kontaktabbruch seit mehreren Jahren keinen anderen Schluss zu -, weshalb es keinen Grund mehr für eine Verfolgung der Beschwerdeführerin oder ihres Ehemanns gibt.

 

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es in Afghanistan kein staatliches Meldewesen gibt. Die Beschwerdeführerin könnte mit ihren Angehörigen in der Millionenstadt Kabul problemlos "untertauchen". Die Vorgänge liegen bereits einige Jahre zurück und es gibt - wie zuvor dargelegt - schon über Jahre keinen Kontakt mehr zur Familie. Dabei wäre es nach einer Rückkehr auch keineswegs so, dass sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie in der Großstadt Kabul versteckt halten müsste, sich also in ihrem Leben aus Sicherheitsgründen ständig einschränken, müsste.

 

Auch ist aus der festgestellten Tatsache, wonach die Familie der Beschwerdeführerin das Schneidergewerbe ausübt nicht zu schließen, dass diese so reich und einflussreich ist, dass es ihr ohne größte Schwierigkeiten möglich wäre, die Beschwerdeführerin und deren Familie nunmehr in ganz Afghanistan und auch in Kabul ausfindig zu machen oder etwa die Möglichkeit zu haben, jederzeit über deren Wiedereinreise und deren weiteren Verbleib in Afghanistan informiert zu werden.

 

Schließlich ergibt sich auch aus dem Vorbringen, man sei den "besonderen Schutzkategorien" Nummer 6 und 8 der UNHCR-Richtlinien zuzuordnen (VHS Seite 32) keine andere Beurteilung:

 

Zwar lässt der Verstoß gegen islamische Sitten - hier das Weglaufen der XXXX von zu Hause - nach den Länderinformationen grundsätzlich eine Zuordnung zu den erwähnten Risikogruppen zu (siehe dazu oben die getätigten Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan unter den Pkt "Zielpersonen für die Taliban" bzw. "Lage von Frauen in Afghanistan"). Allerdings besteht fallbezogen keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung bzw. eine sonstige Gefährdungslage:

 

Die Stadt Kabul steht weder unter Kontrolle der Taliban noch sonstiger regierungsfeindlicher Kräfte, konnte irgendeine Verbindung zu dieser oder anderer regierungsfeindlicher Gruppierung seitens der Familie der XXXX festgestellt werden, noch ist Kabul ein "ländliches Gebiet". Außerdem würde der Beschwerdeführer mit XXXX als verheiratetes Paar mit Kindern aus Europa zurückkehren; außer der Familie der XXXX wüsste niemand von dem vermeintlichen "Verstoß gegen die sozialen Sitten".

 

Mit ihrem primären Fluchtvorbringen konnte die Beschwerdeführerin somit keinen asylrelevanten Grund glaubhaft machen.

 

3.3. Sonstige mögliche asylrelevante Gründe

 

Wirtschaftliche Gründe rechtfertigen nach Art. 1 Abschnitt A GFK grundsätzlich nicht die Ansehung als Flüchtling. Sie könnten nur dann relevant sein, wenn den Beschwerdeführern der völlige Verlust ihrer Existenzgrundlage drohte (VwGH 28.6.2005, 2002/01/0414).

 

Richteten sich Maßnahmen von asylrelevanter Intensität gegen Frauen insgesamt oder gegen bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung, so ist dies unter dem Gesichtspunkt der drohenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu würdigen (VwGH 05.03.2007, VwGH 5.3.2007, 2006/19/0290).

 

Eine Asylrelevanz im Hinblick auf sonstige Gründe ist gegenständlich nicht ersichtlich:

 

Bei Rückkehr in ihre Heimatstadt Kabul hätte die Beschwerdeführerin jedenfalls eine Existenzgrundlage: Dafür sprechen neben den den Länderinformationen zu entnehmenden allgemeinen wirtschaftlichen Gegebenheiten in Kabul, die möglichen, wenn auch beschränkten Unterstützungsleistungen durch die Brüder des XXXX . Soweit diese in Geld bestehen könnten sie problemlos über ein funktionierendes Bankensystem oder Western Union überwiesen werden. Dazu kommt die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der staatlichen Rückkehrunterstützung.

 

Ebenso ist den Berichten über die Situation in Kabul nicht zu entnehmen, dass es - unabhängig von Umständen im Einzelfall (siehe dazu die Ausführungen unten unter Pkt 3.4) - dort allgemein zu Verfolgungshandlungen gegen Frauen insgesamt oder bestimmte Gruppen der weiblichen Bevölkerung kommt.

 

Schließlich droht der Beschwerdeführerin - abgesehen von der nachstehend behandelten angenommenen Lebensweise - auch keine Gefahr bloß aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der "Zurückgekehrten aus dem Westen". Die in den getroffenen Feststellungen enthaltenen UNHCR-Richtlinien gehen hier von Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen aus. Nach den festgestellten Länderinformationen zur Lage in Kabul ist die Situation dort soweit sicher bzw. unter Kontrolle der Regierung, dass mit solchen Angriffen - gedacht eben gezielt auf die Gruppe der Zurückgekehrten - nicht zu rechnen ist.

 

3.4. Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit

 

Eine konkrete individuelle Verfolgung der Beschwerdeführerin in Afghanistan auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara wurde nicht hinreichend substantiiert ausgeführt: In Ermangelung von ihr individuell drohenden Verfolgungshandlungen bleibt im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und vor dem Hintergrund der in der Beschwerde getroffenen Ausführungen zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin bei einer Überstellung in ihren Herkunftsstaat auf Grund generalisierender Merkmale - konkret wegen ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara - unabhängig von individuellen Aspekten einer über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehenden "Gruppenverfolgung" ausgesetzt wäre.

 

Das ist jedoch nicht der Fall:

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist für das Vorliegen einer Gruppenverfolgung zwar nicht entscheidend, dass sich die Verfolgung gezielt gegen Angehörige nur einer bestimmten Gruppe und nicht auch gezielt gegen andere Gruppen richtet (VwGH 17.12.2015, Ra 2015/20/0048), jedoch ist für das Bundesverwaltungsgericht aus folgenden Gründen nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin als Angehörige der Volksgruppe der Hazara im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt zu sein:

 

Den oben zitierten Länderberichten ist u.a. zwar zu entnehmen, dass Schiiten - speziell jene, die der Volksgruppe der Hazara angehören - verschiedenen gesellschaftlichen Diskriminierungen durch die sunnitische/paschtunische Mehrheit ausgesetzt sind. In einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials erreicht diese Gefährdung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch nicht jenes Ausmaß, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Hazara (oder der Schiiten) in Afghanistan, fallbezogen insbesondere in der Stadt Kabul, für gegeben zu erachten.

 

Eine asylrelevante Verfolgung wegen der Zugehörigkeit der Volksgruppe der Hazara und der Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung hat die Beschwerdeführerin somit nicht glaubhaft gemacht.

 

3.5. Verfolgung aufgrund einer angenommenen selbstständigen Lebensweise

 

Frauen können Asyl beanspruchen, wenn sie aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Zu prüfen sind dabei - unter Heranziehung aktueller Länderberichte - die zu erwartenden Reaktionen auf die aktuelle Lebensweise der Frau auf die von ihr weiterhin angestrebte Lebensweise in ihrer Heimatregion, um das Vorliegen eines Konventionsgrundes beurteilen zu können. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren (vgl. dazu zuletzt VwGH 22.03.2017, Ra 2016/18/0388 mwN).

 

Bei der Prüfung der Berechtigung eines Asylantrages einer weiblichen Antragstellerin ist zu untersuchen, ob der gepflegte Lebensstil die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan in einem Ausmaß verletzt, dass bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des Lebensstils) Verfolgung iSd GFK drohen würde. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl liegen vor, wenn dieser Lebensstil ein wesentlicher Teil der Identität einer Antragstellerin geworden ist, sodass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (vgl. dazu VfGH 12.06.2015, E 573/2015).

 

Eine solche "Verfolgung" aufgrund ihrer Lebensweise bzw. ihres Lebensstils droht der Beschwerdeführerin fallbezogen jedoch nicht:

 

Nach den getroffenen Feststellungen ist zunächst davon auszugehen, dass sich die Lage für Frauen in Afghanistan seit dem Ende der Taliban Herrschaft im Allgemeinen, insbesondere aber in urbanen Gebieten, erheblich verbessert hat. Weiters ist zu berücksichtigen, dass - wie oben dargestellt - für die Beschwerdeführerin eine Rückkehr in die Stadt Kabul als ihre Heimatregion im Hinblick auf die Sicherheitslage wie auch die wirtschaftliche Lage möglich wäre.

 

In Kabul gibt es auch ein entsprechendes Bildungsangebot für Frauen, jedenfalls in jenem Ausmaß, wie es die Beschwerdeführerin in Österreich bereits durch Besuch eines Sprachkurses in Anspruch nimmt.

 

Auch könnte die Beschwerdeführerin nach den festgestellten Länderinformationen, ohne dass diesbezüglich aus den Informationen zur Lage in Kabul eine Verfolgungsgefahr abzuleiten wäre, durchaus alleine (d.h. ohne ständige Begleitung durch ihren Ehemann) - und zwar aufgrund einer eigenständigen Entscheidung - einkaufen gehen, mit ihren Kindern den Arzt besuchen oder sich mit Freundinnen treffen. Ebenso kann sie dort bei der Verwaltung der Einkünfte der Familie mitentscheiden, ohne dass ihr deswegen Maßnahmen drohen würden.

 

Auch ist aus dem Wunsch der Beschwerdeführerin, dass sich ihre Töchter bilden und sich einen Beruf frei wählen können - soweit dies überhaupt mit einer Verfolgungsgefahr aufgrund ihrer "Lebensweise" bzw. mit ihrem "Lebensstil" in Zusammenhang gebracht werden kann -, auch noch auf keine Gefahr einer Verfolgung in Kabul zu schließen. Den beiden Töchtern steht in Kabul der Weg zu Bildung, also dem Besuch einer Schule und - soweit dies im Entscheidungszeitpunkt überhaupt vorhergesagt werden kann - eine Auswahl an Berufsmöglichkeiten jedenfalls offen.

 

Weniger aussichtsreich stellt sich nach den Länderinformationen hingegen - auch in Kabul - die angestrebte Berufswahl als Frisörin dar, so sind doch nach wie vor die Berufschancen für Frauen zum überwiegenden Teil im Gesundheitswesen gegeben. Keinesfalls lässt sich den Länderberichten jedoch entnehmen, dass auch ein Berufsweg als Frisörin ausgeschlossen wäre. Zu schließen ist aus den Länderinformationen auf die absolut realistische Möglichkeit der Ergreifung anderer der handwerklichen Tätigkeit einer Frisörin durchaus vergleichbare, Berufe.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die konkrete Situation entscheidend von den Faktoren Herkunft, Familie, Bildungsstand, finanzieller Situation und Religiosität abhängig ist. Dazu ist fallbezogen zu bemerken, dass schon die Tatsachen, dass die Beschwerdeführerin bereits in Kabul gelebt hat und mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut ist, ebenso gegen mögliche gegen sie gerichtete Maßnahmen spricht wie auch die Tatsache, dass ihr Ehemann XXXX für die Familie sorgen könnte und wie festgestellt weitere Unterstützungsmöglichkeiten gegeben sind. Wie festgestellt ist davon auszugehen, dass XXXX seine Frau bei ihren Plänen und ihrer selbstständigen Lebensführung unterstützen würde. Hazara sind nach den festgestellten Länderinformationen grundsätzlich Diskriminierungen ausgesetzt, allerdings ist zu bemerken, dass auch hier deutliche Fortschritte gemacht werden und in Kabul außerdem zahlreiche Hazara leben.

 

Insofern verkennt die Beschwerde (AS 224) nach den getroffenen Feststellungen zur Situation in Kabul, der Lebensweise bzw. dem Lebensstil der Beschwerdeführerin in Österreich und insbesondere der Rolle von XXXX die Situation wenn sie davon ausgeht, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr aufgrund gesellschaftlicher Normen in eine Rolle als "nur Hausfrau" gedrängt wäre.

 

Mit dem "Weglaufen" von ihrer Familie hat die Beschwerdeführerin außerdem bereits zum Ausdruck gebracht, dass sie sich nicht von familiären, gesellschaftlichen oder religiösen Zwängen in Afghanistan bzw. auch von der Gesellschaft in Kabul selbst in ihrer Lebensführung einschränken lässt und damit bereits eine entsprechende Selbstständigkeit aufgezeigt: Daher ist zu erwarten, dass gerade sie die derzeit bereits verinnerlichten Aspekte des Lebensstils - im Rahmen der aufgezeigten Möglichkeiten und Grenzen - auch in Kabul wird leichter umsetzen können als andere Frauen.

 

Anpassen müsste die Beschwerdeführerin auch in Kabul jedenfalls ihren derzeitigen Kleidungsstil, wobei nach den Länderinformationen für Hazara-Frauen der Kleidungsstil durchaus lockerer ist. Jedenfalls ist den festgestellten Länderinformationen nicht zu entnehmen, dass ein Chador in Kabul getragen werden muss, um gegen eine Frau gerichtete Maßnahmen zu vermeiden. Betreffend die Ausführungen in der Stellungnahme vom 18.01.2017 ist festzuhalten, dass ein "familiärer Zwang" einen Chador zu tragen im Fall der Beschwerdeführerin gerade nicht gegeben wäre: XXXX würde- wie festzustellen war - seine Frau dabei unterstützen, ein soweit wie möglich freibestimmtes Leben auch im Hinblick auf die Kleidungswahl zu führen.

 

Diese Sichtweisen XXXX lassen auch erkennen, dass die Beschwerdeführerin sehr wohl in der Kindererziehung mitzureden hätte oder in der Frage einer Schwangerschaft.

 

Wenngleich auch die Umsetzung nach den festgestellten Länderinformationen nur zögerlich erfolgt und die Wirkung nur sehr eingeschränkt bleibt, ist es keinesfalls so, dass für Frauen in Kabul überhaupt kein durchsetzbarer staatlicher Schutz ihrer Grundrechte bestehen würde.

 

Im Ergebnis ist daher auch bei Gesamtschau der dennoch verbleibenden, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Benachteiligungen fallbezogen nicht davon auszugehen, dass diese sich so gravierend darstellen, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte der Beschwerdeführerin darstellen, die gemäß Art 9 Abs. 1 lit b) EU-Richtlinie 2011/95/EU einer "Verfolgung" iSd Art. 1 Abschnitt A GFK gleichzuhalten wären. Jene Aspekte ihrer Lebensweise, welche die Beschwerdeführerin in einem gewissen Umfang anpassen müsste - im Wesentlichen der gepflogene Kleidungsstil und die - konkrete - handwerkliche Berufswahl - sind aus Sicht des erkennenden Gerichts für sich genommen außerdem - und dies folgt vor allem aus dem Zeitraum seit sie in Österreich lebt - noch kein "wesentlicher Bestandteil" ihrer Gesamtidentität geworden. Den wesentlichen Teil ihrer gepflegten Lebensweise bzw. ihres gepflegten Lebensstils könnte die Beschwerdeführerin in ihrem Heimatort Kabul im Rahmen ihrer Ehe mit XXXX nachgehen. Die im gegenständlichen Fall bei der Beschwerdeführerin vorzunehmende Anpassung lässt aus Sicht des erkennenden Gerichts aber noch auf keine Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr iSd gesetzlichen Definition schließen.

 

II. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids

 

3.6. Rechtslage

 

§ 8 Abs. 1 bis 3 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht."

 

3.7. Keine Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten

 

Zunächst ist zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation durch konkrete, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. etwa zur das Erkenntnis vom 02.08.2000, 98/21/0461, welches noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage erging, aber weiterhin als relevant anzusehen ist). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011).

 

Vor dem Hintergrund von § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt erst betreffend Afghanistan ausgesprochen:

 

Bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nach § 8 AsylG ist im Einzelfall zu prüfen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung der erwähnten Bestimmung notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Diese Darlegung obliegt grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person. Diese hat durch geeignete Beweise gewichtige Gründe für eine Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307, mwN und Hinweisen insbesondere auch auf Rechtsprechung des EuGH sowie des EGMR).

 

Notorische Entwicklungen im Herkunftsstaat eines Asylwerbers, auch wenn sie "bloß" für die Entscheidung nach § 8 AsylG 2005 von Relevanz sind, von Amts wegen berücksichtigt werden (VwGH 29.1.2002, 2001/01/0030).

 

Bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt ist zunächst die Heimatregion des Beschwerdeführers für eine allfällige Rückkehr zu prüfen (vgl. VfGH 13.09.2013, U370/2012).

 

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

 

Die Stadt Kabul ist als Heimatort (Heimatregion) und Zielort für eine Rückkehr geeignet: Kabul ist für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, eine vergleichsweise sichere und über den Flughafen gut erreichbare Stadt. Aufgrund der getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan ist Kabul als vergleichsweise sicher und stabil zu bezeichnen, auch wenn es dort zu vereinzelten Anschlägen kommt. Innerhalb dieser Stadt existieren demnach in verschiedenen Vierteln unterschiedliche Sicherheitslagen. Die afghanische Regierung behält jedoch die Kontrolle über Kabul. Aus den entsprechenden Länderberichten ergibt sich, dass sich die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge hauptsächlich im Nahbereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder Nichtregierungsorganisationen ereignen. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul als ausreichend sicher zu bewerten ist. Somit kann nicht geschlossen werden, dass das Ausmaß der Gewalt bereits ein Ausmaß erreicht hat, wonach es geradezu wahrscheinlich wäre, dass auch die Beschwerdeführerin tatsächlich und durch ihre bloße Anwesenheit in der Stadt Kabul Opfer eines Gewaltaktes werden würde.

 

Davon abgesehen hat die Beschwerdeführerin nicht aufgezeigt, dass bei ihr besondere Umstände vorliegen würden, dass es gerade bei ihr ein - im Vergleich zur sonstigen Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen (hier der Bevölkerung der Stadt Kabul) - höheres Risiko bestünde, einer dem Art. 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nach den getroffenen Länderfeststellungen keinesfalls, dass die wirtschaftliche Situation für Rückkehrer, schwierig ist. Dennoch hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert aufgezeigt, dass bei ihr nach einer Rückkehr nicht einmal die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden könnten. Nach den Feststellungen sind die allgemeine Versorgungslage und die allgemeine Infrastruktur in Kabul in Summe als befriedigend zu bewerten. Alle notwendigen Infrastrukturen sind im ausreichenden Umfang vorhanden und es gibt keine gravierenden Engpässe und Mängel in der allgemeinen Versorgungslage.

 

So wäre der Ehemann der Beschwerdeführerin, XXXX , sicherlich in der Lage, nach einer gewissen Orientierungsphase eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und der Beschwerdeführerin und den beiden Töchter eine Existenz zu ermöglichen: Er ist jung, gesund und verfügt über eine mehrjährige Berufserfahrung als Tischler.

 

Für die Anfangszeit besteht - wie festgestellt - auch die Möglichkeit, Rückkehrhilfen zu beziehen. Darüber hinaus könnte - wenngleich nur in sehr geringem Umfang - auch die im Iran lebenden Familienangehörigen des XXXX die Beschwerdeführerin und deren Angehörige finanziell unterstützen.

 

Dazu kommt, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich mit der Lage in Kabul bereits vertraut ist und selbst bereits viele Jahre dort gelebt hat.

 

Bei einer Gesamtschau dieser Umstände ergibt sich für das erkennende Gericht, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückführung in den Herkunftsstaat somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokolle Nr. 6 und Nr. 13 verletzt wird. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten, von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für die Beschwerdeführerin als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher unbegründet.

 

III. Zu den Spruchpunkten III. und IV. des angefochtenen Bescheids

 

3.8. Rechtslage

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

§ 55 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen."

 

§ 57 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt."

 

§ 58 AsylG 2005 lautet:

 

"§ 58 (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitel gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird."

 

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (in Folge: "BFA-VG") lautet:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

 

Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (in Folge: "FPG") lauten:

 

"§ 46 (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

§ 50 (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

§ 52 (1) [...]

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

[...]

 

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

§ 55 (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

 

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt."

 

3.7. Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz"

 

Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehöriger von Afghanistan keine begünstigte Drittstaatsangehörige, und es kommt ihr kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.

 

Ein Anspruch auf die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" liegt daher nicht vor.

 

3.8. Kein Anspruch auf eine "Aufenthaltsberechtigung plus" oder auf eine "Aufenthaltsberechtigung"

 

Ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325 mwN).

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, - je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse - variieren (vgl. z.B. EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen).

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Im seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte (vgl. idZ auch VwGH 20.12.2007, 2007/21/0437, zu § 66 Abs. 1 FPG, wonach der 6-jährigen Aufenthaltsdauer eines Fremden im Bundesgebiet, der Unbescholtenheit, eine feste soziale Integration, gute Deutschkenntnisse sowie einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, jedoch keine Familienangehörigen geltend machen konnte, in einer Interessensabwägung keine derartige "verdichtete Integration" zugestanden wurde, da der Aufenthalt "letztlich nur auf einem unbegründeten Asylantrag fußte"; ähnlich auch die Erkenntnisse VwGH 25.02.2010, 2010/18/0026; VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086; VwGH 08.07.2009, 2008/21/0533; VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354). Außerdem ist auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien darstellt, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. etwa VwGH vom 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058). Gleichzeitig betonte er aber, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (siehe das soeben zitierte Erkenntnis vom 30.07.2015).

 

Die Umstände eines gesicherten Unterhalts und, dass es zu keiner Straffälligkeit kam bewirken keine relevante Verstärkung der persönlichen Interessen, vielmehr stellen das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel und die Begehung von Straftaten eigene Gründe für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme dar (vgl. VwGH 24.07.2002, 2002/18/0112).

 

im Rahmen der Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der Bindungen zum Heimatstaat (§ 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG) kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, eine Bedeutung zukommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 16. Dezember 2015, Ra 2015/21/0119 mwN).

 

Im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ist es maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitraum gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 10.04.2017, Ra 2016/01/0175 mwN).

 

Für den gegenständlichen Fall folgt daraus:

 

Im konkreten Fall spricht für die Beschwerdeführerin die Integrationsleistung in Form des Besuchs von Kursen der deutschen Sprache. Ein weiterer für sie sprechender Gesichtspunkt sind die als Schiitin - einer Diskriminierungen unterworfenen Volksgruppe - etwas erschwerten Bedingungen zur Schaffung einer Lebensgrundlage und die daraus folgende verringerte Bindung zum Heimatstaat.

 

Gegen die Beschwerdeführerin spricht hingegen, dass sie weder Verwandte noch sonstige nahe Angehörige in Österreich hat. Auch ist zu berücksichtigen, dass sie vor ihrer Flucht nach Österreich bereits in Afghanistan und in Kabul gelebt hat und mit den dortigen örtlichen Gegebenheiten, der Kultur und auch der Sprache jedenfalls gut vertraut ist. Auch musste sie sich auch während der integrativen Leistungen in Form des Besuchs der Sprachkurse ihres unsicheren Aufenthalts in Österreich ständig bewusst sein. Schließlich beträgt die Dauer ihres Aufenthalts in Österreich nur knapp über zwei Jahre.

 

Wägt man nun die zuvor dargestellten Gesichtspunkte gegeneinander ab, so überwiegt für das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung dem privaten Interesse der Beschwerdeführerin an einem weiteren Verbleib in Österreich. Der durch die Ausweisung der Beschwerdeführerin allenfalls verursachte Eingriff in ihr Recht auf Privat- oder Familienleben ist somit gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

 

Der Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 war der Beschwerdeführerin daher schon von Amts wegen nicht zuzuerkennen.

 

3.9. Frist für die freiwillige Ausreise

 

Die Beschwerdeführerin hat keine besonderen Umstände, die sie bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, vorgebracht. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde daher von der belangten Behörde korrekt festgelegt.

 

Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheids ist daher unbegründet.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen, zumal im vorliegenden Fall vornehmlich die Klärung von Sachverhaltsfragen Grundlage für die zu treffende Entscheidung war.

 

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zum Teil zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich weitestgehend gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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