BVwG L521 2134665-1

BVwGL521 2134665-116.8.2018

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2018:L521.2134665.1.00

 

Spruch:

L521 2134665-1/39E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.08.2016, Zl. 523043603-1760038 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

 

A)

 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 07.06.2010 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 10.06.2010 gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXXzu führen und Staatsangehöriger des Iran zu sein. Er sei am XXXX geboren.

 

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er sei in seiner Heimat als Hirte berufstätig gewesen und vom Geheimdienst beschuldigt worden, mit Freiheitskämpfern zu tun zu haben bzw. für diese zu arbeiten. Da in seinem Heimatdorf schon mehrere Personen verschwunden seien, die vom Geheimdienst beschuldigt worden waren, habe er Angst bekommen. Er sei auch vom Geheimdienst mündlich bedroht worden.

 

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 17.06.2010 und am 31.03.2011 vor dem Bundesasylamt im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in der Sprache Sorani niederschriftlich einvernommen.

 

Zum Ausreisegrund befragt führte er zunächst am 17.06.2010 aus, dass er beschuldigt worden sei, die Peschmerga zu unterstützen. Er habe aber mit diesen Leuten nichts zu tun. Der Geheimdienst sei ein paar Mal bei ihm zuhause erschienen und habe nachgefragt. Es wären auch schon früher Personen beschuldigt worden, den Peschmerga zu helfen und diese wären in der Folge verschwunden.

 

Am 31.03.2011 führte der Beschwerdeführer aus, er habe sehr wohl die Peschmerga unterstützt, indem er Briefe von einem Ort zum anderen Ort getragen habe. Er habe allerdings nicht gewusst, was in den Briefen gestanden habe. Davon habe der Geheimdienst erfahren und der Beschwerdeführer habe Angst bekommen, weshalb er das Land verlassen hätte. Er habe von den Peschmerga erfahren, dass er vom Geheimdienst gesucht wird. Sie hätten ihn gewarnt, wenn sie ihn erwischen, würde er eingesperrt werden. Es gäbe auch Beweise gegen ihn und wenn der Geheimdienst Beweise habe, dann werde das noch schlimmer. Die Peschmerga wären zum Vater gekommen und hätten ihm geraten, Kontakt mit Schleppern aufzunehmen, dass der Beschwerdeführer flüchten könne.

 

3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.04.2011, 10 04.994-BAS, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 09.06.2010 bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten sowie bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß den §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 jeweils in Verbindung mit § 2 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen. Unter einem wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Iran ausgewiesen.

 

Nach der Begründung des Bescheides wurden die Angaben zur Person und Herkunft des Beschwerdeführers für glaubhaft befunden. Nicht glaubhaft gemacht habe der Beschwerdeführer jedoch, eine politische Funktion inne gehabt zu haben und wegen dieser vom Geheimdienst gesucht zu werden. Es handle sich bei dem auffallend detailarmen Vorbringen um ein Konstrukt. Es habe daher eine Verfolgung des Beschwerdeführers oder eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung nicht festgestellt werden können. Dem Beschwerdeführer würden im Falle der Rückkehr auch keine Gefahren drohen, die eine Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Er habe Eltern und weitere Verwandte im Herkunftsland, die ihn im Fall der Rückkehr unterstützen könnten. Der Beschwerdeführer sei auch bis zur Ausreise in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Grundversorgung sei im Iran gesichert. Hinweise auf das Vorliegen eines Sachverhaltes, der zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen würde, seien nicht vorgelegen. Der Beschwerdeführer habe in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte, die öffentlichen Interessen würden seine privaten Interessen am weiteren Verbleib in Österreich überwiegen und die Ausweisung sei daher gerechtfertigt.

 

4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde an den Asylgerichtshof wurde von diesem mit Erkenntnis vom 29.05.2013, E2 419.478-1/2011/9E, abgewiesen. Das Erkenntnis des Asylgerichtshofs wurde dem Beschwerdeführer am 06.06.2013 eigenhändig zugestellt.

 

5. Die Behandlung der gegen das vorstehend angeführte Erkenntnis des Asylgerichtshofs erhobene Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 11.12.2013, U 1340/2013-3, ab.

 

6. Der Beschwerdeführer kam der Ausweisung aus dem Bundesgebiet nicht nach und stellte am XXXX einen neuerlichen und in diesem Verfahren nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion St. Georgen im Attergau am XXXX gab der Beschwerdeführer an, bei seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich seines Namens, seiner Staatsangehörigkeit, seines Geburtsdatums und seiner Asylgründe gelogen zu haben. Tatsächlich führe er den im Spruch genannten Namen und sei Staatsangehöriger des Irak. Er sei am XXXX geboren, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung und ledig.

 

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, sein Geschäft im Irak sei von drei Islamisten gestürmt und er dabei bedroht worden, da er angeblich gegen diese gearbeitet habe.

 

7. Mit Urteil des Landesgericht Wels vom 17.07.2014 zu XXXX wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens der Vergewaltigung Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

 

Danach hat er am XXXX mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er sie für einen Zeitraum von 42 Minuten in einer Toilettenkabine festhielt, dabei mehrfach seine Faust in ihren Mund schob sowie diesen mit seiner flachen Hand verschloss, sie gegen die Wand stieß und auf den Toilettensitz hinabdrückte, zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung teils genötigt, teils dies versucht, und zwar zur Einführung eines Fingers in ihre Scheide und zur Durchführung des Oralverkehrs, indem er ihren Kopf zu seinem erigierten Glied führte, wobei die Tatvollendung unterblieb, weil das Opfer seinen Mund nicht öffnete und sein Gesicht von ihm abwandte sowie zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an ihm genötigt, indem er seinen Penis in ihre Hand legte.

 

Der Beschwerdeführer wurde zunächst gemäß §§ 201 und 202 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 10 Monate bedingt, verurteilt. Aufgrund einer Berufung der Staatsanwaltschaft wurde die verhängte Strafe mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 25.11.2014, 11 Os 97/14w, erhöht und der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt.

 

Den unbedingten Teil der verhängten Strafe verbüßte der Beschwerdeführer vom 17.02.2015 bis zu seiner bedingten Entlassung am 27.07.2015 in der Justizanstalt Wels.

 

8. Nach Zulassung des neuerlichen Asylverfahrens wurde der Beschwerdeführer am 29.12.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in der Sprache Sorani niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

 

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, bis dato - von seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit abgesehen - nicht der Wahrheit entsprechende Angaben zu seiner Person und zu seinen Ausreisegründen getätigt zu haben. Er habe sich wahrheitswidrig verantwortet, da er befürchtet habe, von Islamisten gefunden zu werden. Diese würde sich mittlerweile als Islamischer Staat bezeichnen.

 

Er sei tatsächlich im Irak in der Stadt XXXX geboren und irakischer Staatsbürger. Aufgewachsen sei er in der Stadt XXXX, wo sich auch gegenwärtig seine Eltern und seine Geschwister aufhalten würden. In XXXX habe er zehn Jahre lang die Schule besucht und anschließend ein eigens Geschäft eröffnet und mit Computern gehandelt.

 

Den Irak habe er verlassen, da er von islamistischen Gruppierungen "nicht in Ruhe gelassen" worden sei. Er erachte sich als nicht religiös und habe sich für die Religion nicht interessiert und auch manchmal Alkohol getrunken. Nachdem er mit seinen Kunden über die Ideologie des Islamischen Staates debattiert habe, seien diese nach und nach ausgeblieben. Ein Kunde habe ihm schließlich eröffnet, dass er als Ungläubiger angesehen werde und deshalb niemand mehr zu ihm kommen würde.

 

Am 02.04.2010 hätten drei bewaffnete Personen ihn in seinem Geschäft aufgesucht, ihn als Ungläubigen beschimpft und ihn aufgefordert, auf den rechten Weg zurückzukehren. Nachdem sie ihn bedroht hätten, seien sie abgezogen. Er habe sich daraufhin an einen befreundeten Polizisten gewandt, dieser habe ihm jedoch mitgeteilt, dass er von der Polizei keinen Schutz erwarten könne, da er Anhänger der Gorran-Partei sei. Am 11.04.2010 sei aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug drei Mal auf sein Geschäft geschossen worden, er habe die Angreifer jedoch nicht erkannt. Nach dem Angriff habe er alles liegen gelassen und sei geflohen. Im Fall einer Rückkehr in den Irak werde er vielleicht umgebracht oder dort "verrückt" werden.

 

9. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.08.2016 der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-Verfahrensgesetz als auf Dauer unzulässig erklärt und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt (Spruchpunkt III.).

 

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung im Herkunftsstaat einer staatlichen oder sonst asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei. Eine Rückkehr in den Irak sei dem Beschwerdeführer zumutbar und möglich, da er über familiäre Anknüpfungspunkt verfüge und nicht festgestellt werde könne, dass ihm im Fall einer Rückkehr die Existenzgrundlage entzogen wäre oder er in eine anderweitige Notlage geraten würde.

 

In der Beweiswürdigung wird diesbezüglich dargelegt, der Beschwerdeführer habe bereits in seinem ersten Asylverfahren wahrheitswidrige Angaben getätigt. Seine nunmehrige Verantwortung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei bereits in Anbetracht seiner Angaben als "vollkommen unglaubwürdig" zu erachten. Die weiteren Abschnitte der Beweiswürdigung erschöpfen sich demgemäß auch in der wörtlichen Widergabe der Aussage des Beschwerdeführers, ohne dass dem angefochtenen Bescheid nähere beweiswürdigende Erwägungen entnommen werden können.

 

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewärtigen, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechte sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Da er sich bereits lange Zeit in Österreich aufhalte und er unbescholten (!) und sozial integriert sei, sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.

 

10. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.08.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

 

11. Gegen die Spruchpunkt I. und II. des der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers am 24.08.2016 durch Hinterlegung zugestellten Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

 

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.

 

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach Wiederholung seiner bereits vorgebrachten Ausreisegründe im Wesentlichen vor, das belangte Bundesamt habe den Beschwerdeführer entgegen der Verpflichtung zur amtswegigen Vervollständigung der Angaben zum Sachverhalt nur unzureichend befragt und damit die Beweislast auf den Beschwerdeführer überwälzt. Ferner habe das belangte Bundesamt die Entscheidung auf unzureichende Informationen zur Lage im Herkunftsstaat gestützt und in der Beweiswürdigung jegliche Auseinandersetzung mit den getroffenen Feststellungen zur Situation im Irak unterlassen. So bleibe etwa vollkommen unklar, wie der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr seinen Lebensunterhalt bestreiten sollte.

 

12. Die Beschwerdevorlage langte am 13.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

 

13. Die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers gab mit Note vom 22.05.2017 die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses bekannt.

 

14. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer mit Note vom 08.06.2017 zur Vorbereitung der anberaumten mündlichen Verhandlung aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur Lage im Herkunftsstaat zur Abgabe einer Stellungnahme. Das Poststück wurde dem Bundesverwaltungsgericht am 05.07.2017 mit dem Vermerk "Nicht behoben" zurückgestellt.

 

15. Am 05.07.2017 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers für die Sprache Sorani durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand aktueller Länderdokumentationsunterlagen sowie dreier Anfragebeantwortungen zur Lage in der Autonomen Region Kurdistan und sechs weiterer Quellen zur Lage von LGBTI-Personen im Irak erörtert. Dem Beschwerdeführer wurden die erörterten länderkundlichen Berichte ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt.

 

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist der mündlichen Verhandlung entschuldigt ferngeblieben. Dem unvertretenen Beschwerdeführer wurde eingangs der Verhandlung eine Vertagung zum Zweck der Ladung der ihm zugewiesenen Rechtsberatungsorganisation angeboten, worauf er verzichtete.

 

Im Gefolge der Verhandlung brachte der Beschwerdeführer insbesondere vor, seine sexuelle Orientierung habe sich geändert, er sei "anders geworden". Im Fall einer Rückkehr in den Irak befürchte er nunmehr auch Verfolgung seitens seines Stammes sowie Schwierigkeiten mit seiner Familie aufgrund seiner sexuellen Orientierung.

 

16. Mit Schriftsatz vom 19.07.2017 gab die vormalige rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers neuerlich die Begründung des Vollmachtsverhältnisses bekannt. Unter einem wurde eine Stellungnahme zu den dem Beschwerdeführer ausgefolgten Länderdokumentationsunterlagen erstattet und insbesondere darauf hingewiesen, dass der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung erkenne, dass von homosexuellen Asylwerbern nicht verlangt werden dürfe, ihre Sexualität nicht oder nur im Geheimen zu leben.

 

17. Das Bundesverwaltungsgericht ersuchte den Beschwerdeführer mit Note vom 16.08.2017 um Bekanntgabe der Anschrift diverser Zeugen. Dem Ersuchen wurden - nach Fristerstreckung - mit Eingaben vom 30.08.2017 und vom 03.10.2017 entsprochen.

 

18. Das Bundesverwaltungsgericht richtete am 18.09.2017 eine Anfrage an die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zur Lage von bi- und homosexuellen Personen in der Autonomen Region Kurdistan. Die diesbezügliche Anfragebeantwortung langte am 15.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde dem Beschwerdeführer mit Note vom 19.03.2018 zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.

 

Die diesbezügliche Stellungnahme lange am 27.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

 

19. Am 28.03.2018 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Sorani fortgesetzt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde ein Partner des Beschwerdeführers als Zeuge einvernommen und der Beschwerdeführer ergänzend insbesondere im Hinblick auf seine Rückkehrbefürchtungen und sein Vorbringen betreffend seine sexuelle Orientierung befragt.

 

Ferner wurden dem Beschwerdeführer aktualisierte Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ausgefolgt ausgehändigt und ihm die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt. Die diesbezügliche Stellungnahme langte am 06.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

 

20. Zuletzt wurden dem Beschwerdeführer mit Note vom 02.07.2018 weitere Artikel und Berichte zur Lage von LGBTI-Personen im Irak sowie mit Note vom 25.07.2018 länderkundliche Informationen zur allgemeinen Lage im Irak und in der Autonomen Region Kurdistan übermittelt und langte eine diesbezügliche Stellungnahme am 03.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Zur Note vom 25.07.2018 wurde keine Stellungnahme abgegeben.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und spricht Kudisch-Sorani. Er wurde am XXXX in XXXX geboren und lebte zuletzt in der Stadt XXXX in der Autonomen Region Kurdistan bei seiner Familie in einem Haus im Eigentum seiner Familie. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

 

Der Beschwerdeführer ist Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, erachtet sich selbst jedoch nicht als religiös und konsumiert gelegentlich Alkohol. Er ist aus der islamischen Glaubensgemeinschaft nicht ausgetreten.

 

Der Beschwerdeführer besuchte im Irak in XXXX insgesamt zehn Jahre die Schule. Im Anschluss an den Schulbesuch war der Beschwerdeführer zunächst in der Werkstatt seines Vaters und anschließend als EDV-Händler erwerbstätig.

 

Im Irak halten sich derzeit die Eltern des Beschwerdeführers sowie dessen drei Brüder und vier Schwestern auf. Die Eltern leben in XXXX in einem in ihrem Eigentum stehenden Haus. Der Vater des Beschwerdeführers ist Automechaniker und betreibt eine eigene Werkstatt, die Mutter führt den Haushalt. Zwei Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben in XXXX, zwei Schwestern und ein Bruder bei dessen Eltern in XXXX. Ein Bruder ist als Geflügelhändler tätig, ein weiterer ist Automechaniker und der dritte Bruder geht zur Schule. Zwei Schwestern sind verheiratet, zwei gehen zur Schule und werden von den Eltern unterstützt.

 

Der Beschwerdeführer steht mit seinen Geschwistern und seiner Familie in telefonischem Kontakt, wobei sich dieser unregelmäßig gestaltete.

 

An einem nicht feststellbaren Tag im Mai 2010 verließ der verließ der Beschwerdeführer den Irak von XXXX ausgehend über über XXXX und Erbil im Landweg in die Türkei und reiste in weiterer Folge schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 07.06.2010 einreiste und am 09.06.2010 einen Asylantrag stellte. Der Beschwerdeführer gab dabei an, den Namen XXXX zu führen, am XXXX geboren und Staatsangehöriger des Iran zu sein.

 

Der erste Asylantrag des Beschwerdeführers wurde mit im Instanzenzug ergangenem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 29.05.2013, Zl. E2 419.478-1/2011/9E abgewiesen und der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der Beschwerdeführer kam der Ausweisung nicht nach und stellte am XXXX einen neuerlichen und in diesem Verfahren nunmehr gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Der Beschwerdeführer verfügt über ein irakisches Ausweisdokument im Original (Personalausweis).

 

1.2. Der Beschwerdeführer ist bisexuell orientiert, er hat Neigungen zu beiden Geschlechtern. Im Bundesgebiet ging der Beschwerdeführer eigenen Angaben zufolge sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle Beziehungen bzw. Bekanntschaften ein.

 

1.3. Der Beschwerdeführer gehörte seit 2009 der politischen Partei Gorran (Bzutineweyz Gorran, bekannt als Liste für Wandel - Lîstî Gorran - oder Bewegung für Wandel) in der Autonomen Region Kurdistan an und engagierte sich ehrenamtlich als Wahlhelfer. Seit seiner Einreise in das Bundesgebiet ist der Beschwerdeführer nicht politisch aktiv.

 

Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

 

1.4. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

 

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor der Ausreise aus der Autonomen Region Kurdistan des Irak einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte wegen einer bestehenden oder ihm unterstellten bi- oder homosexuellen Orientierung ausgesetzt war.

 

Ferner kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan des Irak einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte - insbesondere Familien- oder Stammesmitgliedern - wegen einer bestehenden oder ihm unterstellten bi- oder homosexuellen Orientierung ausgesetzt wäre.

 

1.5. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge in der Autonomen Region Kurdistan des Irak.

 

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit hinreichender Ausbildung in der Schule und Berufserfahrung im Herkunftsstaat als Arbeiter und als selbständiger Händler mit EDV-Komponenten. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte und eine hinreichende Versorgung mit Nahrung und Unterkunft. Davon abgesehen ist dem Beschwerdeführer die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu Sicherstellung des eigenen Auskommens möglich und zumutbar.

 

Da er über Berufserfahrung verfügt, der Landessprache mächtig ist und ein arbeits- und anpassungsfähiger Mensch ist, wird der Beschwerdeführer außerdem in der Lage sein, sich in den Städten Erbil oder XXXX eine Existenz aufzubauen. Insbesondere in der anfänglichen Zeit nach der Rückkehr wird er dabei in der Lage sein, sowohl auf bestehende Unterstützungsprogramme für Rückkehrer als auch auf die Unterstützung durch seine Familie zurückgreifen. Die Sicherheitslage in Erbil und in XXXX ist stabil, beide Städte verfügen über einen Flughafen und sind sicher erreichbar.

 

1.6. Mit Urteil des Landesgericht Wels vom 17.07.2014 zu XXXX/13x wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens der Vergewaltigung

Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt und im Instanzenzug zu einer zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt.

 

Den unbedingten Teil der verhängten Strafe verbüßte der Beschwerdeführer vom 17.02.2015 bis zu seiner bedingten Entlassung am 27.07.2015 in der Justizanstalt Wels.

 

Dem Urteil zufolge hat er am XXXX mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit, indem er sie für einen Zeitraum von 42 Minuten in einer Toilettenkabine festhielt, dabei mehrfach seine Faust in ihren Mund schob sowie diesen mit seiner flachen Hand verschloss, sie gegen die Wand stieß und auf den Toilettensitz hinabdrückte, zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung teils genötigt, teils dies versucht, und zwar zur Einführung eines Fingers in ihre Scheide und zur Durchführung des Oralverkehrs, indem er ihren Kopf zu seinem erigierten Glied führte, wobei die Tatvollendung unterblieb, weil das Opfer seinen Mund nicht öffnete und sein Gesicht von ihm abwandte sowie zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an ihm genötigt, indem er seinen Penis in ihre Hand legte.

 

Der Beschwerdeführer wurde zunächst gemäß §§ 201 und 202 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon 10 Monate bedingt, verurteilt. Aufgrund einer Berufung der Staatsanwaltschaft wurde die verhängte Strafe mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 25.11.2014, 11 Os 97/14w, erhöht und der Beschwerdeführer

 

1.7. Zur Lage in der autonomen Region Kurdistan werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:

 

Informationen zu Menschenrechtsverletzungen, die allgemein Kurden sunnitischen Glaubens betreffen sowie Informationen zur Frage, ob Rückkehrer aus dem Ausland behördlichen Schikanen oder anderen Diskriminierungen ausgesetzt sind, sind nicht auffindbar.

 

In einer Grundsatzerklärung des Außenamtes der Kurdischen Regionalregierung zu internationalen Beziehungen vom Mai 2017 wird erwähnt, dass die Regierung der Region Kurdistan die Kurden, die im Ausland leben und zu einer Rückkehr bereit seien, zu dieser Rückkehr ermuntern würde, um sich am Wiederaufbau der Region zu beteiligen. Es sei bekannt, dass viele der Kurden, die nach Europa gegangen seien, alles verloren hätten, um ein neues Leben zu beginnen. Es handle sich nach Auffassung der Kurdischen Regionalregierung um eine humanitäre Angelegenheit, weshalb sie die Aufnahmeländer darum bitte, das Leiden der Kurden in Betracht zu ziehen, bevor man zu politische Richtlinien übergehe, die sich auf das Leben von Asylsuchenden auswirken könnten. Die Bewohner der Region Kurdistan seien jedoch unabhängig der Interessen der Länder, die Kurden aufgenommen hätten und deren Entscheidungen im Hinblick auf Einwanderungsgesetze, dazu bereit, alles zu geben, um Personen, deren Rückkehr in die Region Kurdistan erzwungen worden sei, zu helfen.

 

Das US-amerikanische Außenministerium schreibt in seinem Länderbericht zur Menschenrechtslage vom März 2017 (Berichtszeitraum 2016), dass das Höchstkomitee der Kurdischen Regionalregierung zur Evaluierung und Beantwortung internationaler Berichte sich mit den gegen die Peschmerga gerichteten Vorwürfen von Misshandlungen vor allem von Binnenflüchtlingen befasst und die Peschmerga daraufhin in öffentlichen Berichten und Stellungnahmen entlastet habe. Regierungsangestellte, Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und der Peschmerga sowie Milizen hätten faktisch straffrei handeln können. In einigen Haftanstalten der Region Kurdistan seien Berichten zufolge unter bestimmten Voraussetzungen missbräuchliche Verhörmethoden angewandt worden. Darunter seien Haftanstalten der für die innere Sicherheit verantwortlichen Asayish-Kräfte und der Geheimdienste der beiden größten politischen Parteien, dem zur KDP [Demokratische Partei Kurdistans] gehörenden Parastin und dem Zanyari der PUK [Patriotische Union Kurdistans]. Laut Berichten der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak hätten 70 Häftlinge während Besuchen in Haftanstalten vom Jänner 2015 bis Juni 2016 angegeben, während ihrer Verhöre Folter bzw. anderen Misshandlungen ausgesetzt gewesen zu sein. Laut Angaben örtlicher NGOs und dem Leiter des parlamentarischen Menschenrechtskomitees der Autonomen Region Kurdistan (ARK) seien manche Personen in Haftanstalten der Asayish mehr als 6 Monate ohne Anklage festgehalten worden. Laut NGO- und Presseberichten hätten die Polizei und interne Sicherheitskräfte der ARK Demonstranten und Aktivisten, die der kurdischen Regionalregierung gegenüber kritisch gewesen seien, festgenommen und mehrere Tage lang festgehalten. Im Dezember 2016 seien beispielsweise 13 Lehrer in Sulaimaniya im Vorfeld einer Demonstration wegen nicht ausbezahlten Löhnen im öffentlichen Sektor verhaftet worden. Örtliche NGOs hätten über ein Gefühl der Straffreiheit unter Mitgliedern der kurdischen Sicherheitskräfte berichtet, so habe es örtlichen Menschenrechtsbeobachtern zufolge Vorwürfe von Vergewaltigung und Totschlag gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte gegeben.

 

Amnesty International erwähnt im Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Irak vom Februar 2017 (Berichtszeitraum 2016), dass Journalisten, Aktivisten und Politiker, die der regierenden Demokratischen Partei Kurdistans kritisch gegenüberstanden, schikaniert und bedroht wurden, und einige von ihnen wurden aus der Provinz Erbil vertrieben. Fälle von getöteten Journalisten und Kritikern oder Gegnern der kurdischen Behörden aus den vergangenen Jahren waren immer noch nicht untersucht worden.

 

Im Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Irak vom Februar 2017 (Berichtszeitraum 2016) berichtet Amnesty International davon, dass Journalisten und Blogger Opfer von Schlägen, Überwachung, willkürlichen Festnahmen, Todesdrohungen und Verleumdungskampagnen, die sie oder ihre Familienangehörigen diskreditierten. Vor dem Unabhängigkeitsreferendum in der Region Kurdistan wurde die Tendenz, immer stärker in das Recht auf Meinungsfreiheit von Journalisten und Bloggern einzugreifen, besonders deutlich. Von Juni bis September 2017 dokumentierte Amnesty International zwölf Fälle von willkürlichen Festnahmen, Schlägen und Einschüchterungen von Journalisten und Bloggern.

 

Im Oktober 2016 gaben die Behörden der Regionalregierung bekannt, dass der allgemeine Sicherheitsdienst Asayish Ghishti und die Asayish-Abteilung in Erbil seit Anfang des Jahres 2801 Terrorverdächtige festgenommen hätten. Vor allem sunnitische arabische Männer und Jugendliche werden als Terrorverdächtige verhaftet. Die Behörden verstießen in mehrfacher Weise gegen deren Recht auf ein faires Verfahren, u. a. indem sie die Überstellung der Inhaftierten an die Justizbehörden extrem verschleppten und ihnen über lange Zeiträume keinen Zugang zu ihren Familienangehörigen gewährten.

 

Gerichte in der teilautonomen Region Kurdistan verhängten weiterhin Todesurteile für terroristische Straftaten. 2016 gab es jedoch keine Hinrichtungen

 

Ekurd Daily, ein in den USA ansässiges Nachrichtenportal mit Fokus auf Angelegenheiten der Kurden, berichtet im Dezember 2016, dass die Unabhängige Menschenrechtskommission in der Autonomen Region Kurdistan ihre Statistiken zu Menschenrechtsverletzungen, Morden und Selbstmorden für den Monat November (2016) veröffentlicht habe. Der Statistik zufolge habe es acht Fälle von Menschenrechtsverletzungen gegeben, darunter einen Angriff auf einen Journalisten, Entführung von Kindern, Folter von Kindern, sowie Brandanschläge auf Aktivisten und ein Politbüro der KDP. Die Zahlen seien im Vergleich zum vorigen Monat zurückgegangen.

 

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) meldet im Februar 2018, dass Sicherheitskräfte der kurdischen Regionalregierung Teilnehmer an Protesten in Sulaimaniya im Dezember 2017 festgenommen und sie gezwungen hätten, Erklärungen zu unterzeichnen, in denen sie versprochen hätten, nicht die Regierung zu kritisieren. Die Protestteilnehmer seien bis zu acht Tage lang festgehalten worden, bevor sie einem Richter vorgeführt worden seien. Die Sicherheitskräfte hätten zudem drei Journalisten festgenommen, die über die Proteste berichtet hätten.

 

Quelle:

 

 

 

Das in der Autonomen Region Kurdistan ansässige kurdische Mediennetzwerk Rudaw berichtet im September 2016, dass mehr als ein Zehntel der Bevölkerung der Region Kurdistan unter der Armutsgrenze leben würde. Bis zu 680.000 Personen der geschätzten 5,5 Millionen Bewohner der Region würden von weniger als 87 US-Dollar [etwa 80 Euro] pro Monat leben, die nach Weltbank-Standard als Armutsgrenze für den Irak und die Region Kurdistan festgelegt worden seien. Die Arbeitslosigkeit habe sich seit 2010 beinah verdreifacht und sei von 4,8 auf 13,3 Prozent angestiegen. Laut Angaben des Ministeriums für Arbeit und soziale Angelegenheiten sei die reale Arbeitslosigkeit jedoch wahrscheinlich wesentlich größer. Laut Angaben des Statistikamtes in Erbil sei der dramatische Anstieg der Armut und der Arbeitslosigkeit zum Teil durch den Zustrom von 1,8 Millionen Flüchtlingen in die Region Kurdistan sowie durch die Finanzkrise bedingt, von der die Wirtschaft der Region seit dem Fall der Ölpreise und dem Krieg gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS) bestimmt sei.

 

Rudaw erwähnt in einem weiteren Artikel vom September 2016, dass die Arbeitslosigkeit 14 Prozent erreicht habe und unter Frauen und jungen Leuten höher liege. Die kurdische Regionalregierung habe Hilfe internationaler wirtschaftlicher Institutionen angefordert, um einen Reformplan zur Stärkung von Jobs im privaten Sektor umzusetzen. Das Planungsministerium der kurdischen Regionalregierung habe im Mai 2016 in Partnerschaft mit der Weltbank einen Dreijahresplan angekündigt, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Finanzkrise zu überwinden, die die Region bereits seit mehr als zwei Jahren im Griff halte. Laut Angaben des Ministers für Arbeit und soziale Angelegenheiten, Mohammed Hawdyani, würden mehr als 53 Prozent der Einwohner Kurdistans ihren Lebensunterhalt aus dem staatlichen Sektor beziehen. Laut Hawdyani würden Statistiken aufzeigen, dass Sozialversicherungsgesetze in der ARK nicht erfolgreich gewesen seien. Der Reformplan der kurdischen Regionalregierung, der bis 2020 laufe, sehe vor, mehr Arbeitsplätze zu schaffen und einen Pensions- und Sozialversicherungsfonds für in der Privatwirtschaft Beschäftigte zu etablieren. Die Arbeitslosenrate sei höher unter Frauen und jungen Leuten. Bei Frauen liege sie bei 29,4 Prozent gegenüber 9,7 Prozent bei Männern. 24 Prozent der jungen kurdischen Männer zwischen 15 und 24 Jahren seien arbeitslos, gegenüber einem Anteil von 69 Prozent bei kurdischen Frauen im gleichen Alter.

 

Die International Organization for Migration (IOM) geht von einer Arbeitslosenrate von 14% aus. Die Organisation habe Schwierigkeiten, Arbeitsmöglichkeiten für aus Europa zurückkehrende Kurden zu finden, da viele Firmen gerade ihre Arbeitskräfte reduzieren würden.

 

Al-Monitor, eine auf Berichterstattung zum Nahen Osten spezialisierte Medienplattform, schreibt im Oktober 2016, dass tausende Staatsbedienstete, darunter insbesondere Lehrer und Universitätsprofessoren, am 30. September gegen die von der kurdischen Regionalregierung vorgenommenen Lohnkürzungen demonstriert hätten. Manche Staatsbedienstete würden sich in einer sehr schwierigen Situation befinden. Laut Beobachtungen von Al-Monitor würden Wohnbauprojekte stillstehen. Kurdische Bürger würden keine Einkaufszentren mehr besuchen beziehungsweise seien diese bereits geschlossen. Es scheine, dass die schlechte Wirtschaftslage die kurdischen Bürger dazu bringe, nach alternativen Einkommensmöglichkeiten zu suchen. Dabei würden sie sich besonders auf Handel und Tourismus mit Arabern konzentrieren, die aus Bagdad und anderen Provinzen des Irak nach Kurdistan kommen würden.

 

Dem Länderinformationsblatt Irak von 2017 des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und von IOM zufolge liegen die in Städten der Autonomen Region Kurdistan die Miete bei 300 - 600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt stark von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage zum Mieten stieg, nahm die Nachfrage zum Kaufen ab.

Durchschnittliche Betriebskosten pro Monat: Gas (15,000 IQD) [etwa 10 Euro] Wasser (10 - 25,000 IQD) [etwa 6,80 - 17 Euro] Öffentliche Elektrizität (30 - 40,000 IQD) [etwa 20,50 bis 27 Euro] Private oder nachbarschaftliche Generatoren (40,000 IQD) [etwa 27 Euro].

 

Die von einem in Serbien ansässigen Softwareentwickler betriebene Website Numbeo gibt mithilfe von nutzergenerierten Daten die Durchschnittspreise für Konsumgüter, Wohnkosten und weitere Lebenskosten in ausgewählten Städten an. Nutzer, die über Informationen zum Preisniveau verschiedener Güter in einer bestimmten Stadt verfügen, können diese über Numbeo eintragen. Aus den verschiedenen Preisangaben der Nutzer werden dann Durchschnittspreise für die einzelnen Güter angegeben. Solche Preisprofile existieren auch für die in der ARK gelegenen Städte Erbil und Sulaimaniya.

 

Was die Angaben zu Erbil anlangt, so wird auf der Seite erklärt, dass die Angaben mit dem Stand März 2018 von 60 verschiedenen Nutzern stammen würden und innerhalb der letzten 18 Monate erfolgt seien. Die Monatsmiete einer Einzimmerwohnung im Zentrum von Erbil wird mit dem Durchschnittspreis von 327 Euro angegeben (Preisspektrum: 187 - 487 Euro), für die Miete einer Einzimmerwohnung außerhalb des Zentrums wurde ein Durchschnittspreis von 247 Euro (Preisspektrum: 162 - 365 Euro) errechnet. Weiters finden sich auch Angaben zu einer Dreizimmerwohnung. (Numbeo, Stand: März 2018).

 

Zum Preisprofil für die Stadt Sulaimaniya haben nach Angaben von Numbeo 26 Nutzer mit dem Stand Februar 2018 in den vorigen 18 Monaten Daten beigetragen. Für die Monatsmiete einer Einzimmerwohnung im Zentrum von Sulaimaniya wird ein Durchschnittspreis von 294 Euro angegeben (Preisspektrum: 243-405 Euro), für die Miete einer Einzimmerwohnung außerhalb des Zentrums wurde ein Durchschnittspreis von 203 Euro (Preisspektrum: 162-243 Euro) errechnet. Weiters finden sich auch Angaben zu einer Dreizimmerwohnung. (Numbeo, Stand: Februar 2018).

 

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) gibt in ihrem im Jänner 2017 erschienenen Handbuch zum Wiederaufbau im Irak einen Überblick über Projekte in mehreren Orten verschiedener irakischer Provinzen. Darunter findet sich auch eine Aufstellung der Projekte in Azady (Azadi), einem ländlichen Ort in der Provinz Dohuk. Für diesen Ort werden durchschnittliche Mietkosten von 200-400 US-Dollar monatlich (etwa 183-366 Euro) angegeben.

 

Ein im März 2016 veröffentlichter Bericht von Oxfam International, einem internationalen Verbund verschiedener Hilfs- und Entwicklungsorganisationen enthält Informationen zum im ganzen Irak geltenden Lebensmittelverteilungssystem PDS (Public Distribution System). Das PDS sei ein Subventionssystem der Regierung, über das seit 1991 lokal produzierte Nahrungsmittel sowie Importe verteilt würden. Es werde vom Handelsministerium verwaltet und stelle dem Großteil der irakischen Bevölkerung über Lebensmittelkarten subventionierte Nahrungsmittel zur Verfügung. Dabei schließe das PDS nicht nur die ärmsten Haushalte ein, sondern jeder, der im Irak ansässig sei, habe ein Anrecht auf monatliche Rationen. Theoretisch sehe die Lebensmittelkarte monatliche Nahrungsmittelrationen pro Person von 9kg Weizen, 3kg Reis, 2kg Zucker, einem Liter pflanzlichem Öl und drei Packungen (450g) Milchpulver vor. Das PDS, so Oxfam, sei seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es sehr teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet sei. In den letzten Jahren habe die Regierung versucht das PDS zu verbessern, indem sie Staatsbedienstete mit einem monatlichen Einkommen von mehr als 1.286 US-Dollar vom Programm ausgeschlossen habe. Versuche, das PDS ab 2012-2013 mit einem Geldtransfer-System zu ersetzen, hätten bis jetzt aufgrund von mangelndem politischen Willen und großflächigen öffentlichen Protesten keinen Erfolg gezeigt. Die Weltbank arbeite mit der irakischen Regierung daran, das PDS in ein auf Vulnerabilität basierendes Sozialsystem umzuwandeln. Derzeit gebe es große Verzögerungen bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln. Im Jänner 2016 seien Reis mit einer Verzögerung von drei Monaten und Öl mit einer Verzögerung von sieben Monaten ausgegeben worden. Zucker und Milchpulver seien seit mindestens sechs Monaten nicht mehr verteilt worden. Theoretisch habe ein Haushalt, der seine PDS-Rationen seit mindestens drei Monaten nicht mehr erhalten habe, ein Anrecht darauf, mit Bargeld kompensiert zu werden. Allein in der Provinz Dohuk gebe es 1.400 Lebensmittelausgabestellen. Das World Food Programme (WFP) unterstütze das PDS in der Region Kurdistan seit 1996. Derzeit würden Hilfsorganisationen daran arbeiten, die Versorgungslücken des PDS zu füllen, um die Bevölkerung zu versorgen. Dabei wolle man auch versuchen, die gegenwärtige humanitäre Hilfe und das Regierungsgesteuerte System zu vernetzen. Derzeit würden PDS-Lebensmittelkörbe nicht in regelmäßigen Abständen verteilt, noch seien diese immer komplett. Trotz der Verzögerungen bei der Ausgabe einiger Lebensmittelkörbe funktioniere das PDS-System jedoch relativ gut in Dohuk und Zakho.

 

Fälle schlechter Behandlung oder Festnahmen von Rückkehrern sind keine bekannt.

 

Das australische Außen- und Handelsministerium (DFAT) veröffentlicht mit dem Zweck der Verwendung in Verfahren zum internationalen Schutz im Juni 2017 einen Länderbericht zum Irak. Hierin wird berichtet, dass DFAT deutliche Beweise dafür habe, dass Iraker aus Australien zurückkehren und im Irak unter anderem Geschäfte eröffnen, Arbeit aufnehmen oder eine frühere Arbeit wieder aufnehmen würden. Die Praxis, um Asyl im Ausland anzusuchen und dann, wenn es die Umstände erlauben würden, in den Irak zurückzukehren, sei unter Irakern akzeptiert. Eine große Anzahl von Kurden, darunter insbesondere alleinstehende Männer, kehre freiwillig vor allem aus Europa in die Region Kurdistan zurück. Wie auch in anderen Regionen des Irak seien hier familiäre Verbindungen wichtig und eine erneute Integration falle denjenigen leichter (insbesondere im Hinblick auf Unterkunft und Arbeit), die weiterhin über Verbindungen in die Region Kurdistan verfügen würden.

 

REACH, eine Initiative der humanitären NGOs IMPACT und ACTED sowie von UNOSAT, veröffentlicht im Juni 2017 einen Bericht zur Migration von Irakern nach Europa sowie deren Rückkehr in den Irak. Bei Gesprächen mit Gemeinschaftsführern (unter anderem in Sulaimaniya) sei erwähnt worden, dass Rückkehrer wieder in ihre Gemeinschaften aufgenommen würden und dass die Gemeinschaften keine Schwierigkeiten hätten, Rückkehrer zu akzeptieren. Manchen Gemeinschaftsführern zufolge sei es für die Rückkehrer selbst schwierig, da sie bei ihrer Migration nicht erfolgreich gewesen seien und es nicht vermocht hätten, ein besseres Leben im Ausland aufzubauen. Die meisten der befragten Gemeinschaftsführer hätten auch angemerkt, dass es für Rückkehrer keine Möglichkeiten bei der Rückkehr gebe. Sie hätten in Europa keine neuen Fertigkeiten erlernt und dadurch, dass sie Zeit in Europa verschwendet hätten und es nur wenig Beschäftigungsmöglichkeiten gebe, gehe es ihnen oft schlechter als vor ihrer Migration. Nach der Rückkehr würden diese Personen oft in notdürftigen Unterkünften leben und seien Berichten zufolge stark abhängig von Unterstützungsleistungen der Familie oder der Gemeinschaft.

 

Für den Bericht der REACH-Initiative vom Juni 2017 zur Rückkehr in den Irak wurden zwischen April und Juni 2017 qualitative Daten an besonders von Rückkehr betroffenen Orten in Kurdistan sowie in Bagdad erhoben. Insgesamt wurden 65 Rückkehrer zu den Motiven ihrer Rückkehr sowie zur Lage nach ihrer Rückkehr befragt. In der Region Kurdistan hätten neun von 34 befragten Personen angegeben, dass der Mangel einer passenden Unterkunft zu ihren Hauptproblemen zähle. Rückkehrer, die Probleme hinsichtlich einer Unterkunft angegeben hätten, würden normalerweise Wohnraum mieten und seien oft Binnenvertriebene und hätten daher Probleme, die Miete zu bezahlen. In der Provinz Sulaimaniya würden die meisten Binnenvertriebenen in Mietunterkünften leben und seien mit hohen Mieten konfrontiert.

 

25 der 34 in der Region Kurdistan befragten Rückkehrer hätten angegeben, dass sie keine Arbeit hätten oder es für sie schwer sei, eine passende Arbeit zu finden. Insbesondere Binnenflüchtlinge, die in die Autonome Region Kurdistan anstatt an ihren ursprünglichen Wohnort zurückgekehrt seien, hätten Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche gehabt. Die 23 Rückkehrer, die angegeben hätten, eine Arbeit gefunden zu haben, hätten ebenfalls berichtet, dass sie mit ihrem derzeitigen Job nicht zufrieden seien und darauf hoffen würden, eine Arbeit zu finden, die besser bezahlt und besser auf ihre Ausbildung abgestimmt sei. Fünf Rückkehrer hätten angegeben, in Branchen zu arbeiten, die nichts mit ihrer bisherigen Ausbildung zu tun hätten. Sie würden demnach als Taxifahrer und in Geschäften arbeiten, wohingegen sie früher im Businessbereich gearbeitet oder studiert hätten. Auch wenn Rückkehrer durch die Familie oder externe Hilfsprogramme Unterstützung erhalten würden, dann sei diese den Befragten zufolge nicht ausreichend gewesen, um ihr Leben wieder aufzubauen. Die Mehrheit der befragten Rückkehrer habe berichtet, dass sie sich hinsichtlich Unterstützung eher auf ihre Familien als auf die lokale Gemeinschaft oder Organisationen verlassen könnten. Die Gemeinschaften hätten mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen und Rückkehrer würden bisweilen nicht als Gruppe wahrgenommen, die einen besonderen Unterstützungsbedarf habe. Iraker, die über offizielle Rückkehrerprogramme zurückgekehrt seien, hätten Unterstützungsleistungen durch Reintegrationsprogramme von IOM oder ERIN (European Reintegration Network) erhalten.

 

Vier Rückkehrer, die eine solche Unterstützung erhalten hätten, hätten angegeben, dass diese finanzielle Hilfe nicht nachhaltig gewesen sei, da sie zwar anfallende Kosten decke, aber keine Investitionen für neue Projekte ermögliche. Ein Rückkehrer habe mit offizieller Unterstützung ein Geschäft eröffnen können, ein anderer habe sein Geschäft aufgrund zu niedriger Einnahmen nicht aufrechterhalten können. Einige Rückkehrer hätten berichtet, dass sie das Gefühl hätten, Binnenvertriebene würden mehr Unterstützung erhalten als Rückkehrer aus Europa. Das Bundesministerium für Inneres nimmt seit Juni 2016 als offizielle Partnerorganisation am ‚European Reintegration Network', kurz ERIN-Programm teil und bietet Reintegrationsunterstützung in unterschiedlichen Herkunftsländern, darunter der Autonomen Region Kurdistan. Im Rahmen des ERIN Programms erhält jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin eine Reintegrationsleistung in der Höhe von 3.500 Euro, wobei 500 Euro als Bargeld und 3.000 Euro als Sachleistung vom Service Provider im Herkunftsland ausgegeben werden. Bei den Service Providern handelt es sich entweder um eine im Herkunftsland angesiedelte Internationale Organisation oder eine lokale NGO, die den Rückkehrer und die Rückkehrerin bei ihrer Wiedereingliederung in der Heimat unterstützt. Leistungsumfang (pro Haushalt erhält eine Person Reintegrationsunterstützung):

 

* Abholung/Empfang und Assistenz am Ankunftsort (z.B. Flughafen)

 

* Kurzfristige Unterkunft am Ankunftsort

 

* Beratung und Unterstützung bei der Existenzgründung im Herkunftsland

 

* Unterstützung in sozialen, medizinischen und rechtlichen Angelegenheiten

 

* Unterstützung bei Wohnungssuche / Wohnraumbeschaffung (ggf. Mietzuschuss)

 

* Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens (Erstellung eines Businessplans, etc.)

 

* Beratung bei der Suche und Vermittlung von Arbeitsstellen

 

* Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen

 

* Sonstige individuelle Hilfsangebote

 

Während die Geldleistung grundsätzlich dazu gedacht ist die unmittelbaren Bedürfnisse nach der Rückkehr zu decken, dient die Sachleistung insbesondere als Investition zur Schaffung einer Existenzgrundlage und trägt somit zu einer nachhaltigen Rückkehr bei.

 

Lifos, das Zentrum für Länderinformationen der schwedischen Einwanderungsbehörde, schreibt in einem Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom Dezember 2017, dass sich in der Region Kurdistan aufgrund fallender Ölpreise und eines teuren Kampfes gegen die Gruppe Islamischer Staat (IS) die wirtschaftliche Lage verschlechtere und sich dies wiederum auf die lokale Bevölkerung auswirke. Daher sei in der Region die Kriminalität angestiegen darunter insbesondere die organisierte Kriminalität des Drogen- und Goldschmuggels sowie Diebstähle. Der Verlust von Ölfeldern in Kirkuk und Ninawa, die sich vormals unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung befunden hätten, verschärfe die wirtschaftliche Lage in Kurdistan noch zusätzlich. Die Ölexporte der Autonomen Region Kurdistan seien bereits um 55 Prozent zurückgegangen. Dies wiederum mache es der kurdischen Regionalregierung schwer, die Beamtengehälter auszuzahlen. Viele Beamte hätten bereits seit mehr als zwei Jahren nicht mehr ihren kompletten Lohn erhalten. Zudem hätten sich bei der kurdischen Regionalregierung 20 Milliarden US-Dollar Schulden für Energieabkommen mit der Türkei und Russland angehäuft.

 

Quelle:

 

 

 

Die schwedische Einwanderungsbehörde Migrationsverket bemerkt in einer rechtlichen Stellungnahme zur Lage im Irak vom Jänner 2018, dass die Sicherheitslage in den kurdischen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniya nicht einem bewaffneten Konflikt oder anderen schweren Auseinandersetzungen gleiche. Die Lage werde jedoch nach dem Referendum und den anschließenden Militäroperationen in den [zwischen der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung] umstrittenen Gebieten als fragil eingestuft. Die politischen Spannungen zwischen kurdischen Gruppierungen einerseits und zwischen der irakischen Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung andererseits könnten Auswirkungen auf die Region und ihre Einwohner mit sich bringen. Derzeit werde die Sicherheitslage jedoch als stabil betrachtet. Was die Existenz von staatlichem Schutz angehe, so meint Migrationsverket, dass es ein angemessenes Maß an staatlichem Schutz gebe, obwohl es auch Einschränkungen und Defizite gebe, wie beispielsweise beim Schutz vor Ehrverbrechen.

 

Iraq Body Count ist eine Datenbank, die von der in London ansässigen Firma Conflict Casualties Monitor betrieben wird und die auf Basis von Berichten verschiedener Quellen zu Vorfällen und Opfern des Konflikts im Irak Statistiken zu den einzelnen Provinzen erstellt. Soweit aus den Statistiken zu den drei Provinzen der ARK (Dohuk, Erbil und Sulaimaniya) ersichtlich, wurden nur Daten bis einschließlich Februar 2017 erhoben. Für die Monate Jänner und Februar 2017 wird für die ARK lediglich ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit einem getöteten Zivilisten in der Provinz Sulaimaniya angezeigt. (Iraq Body Count, ohne Datum)

 

Auf Musings on Iraq, einem Blog des US-Amerikanischen Irakanalysten Joel Wing, finden sich in einwöchigen oder zweiwöchigen Abständen Übersichten zu sicherheitsrelevanten Vorfällen im Irak, deren Daten sich wiederum auf verschiedene meist regionale Nachrichtenquellen stützen. Eine Übersicht zur Woche vom 8. bis 14. Jänner 2018 erwähnt zwei sicherheitsrelevante Vorfälle in der Provinz Sulaimaniya, bei denen es zwei Tote und drei Verletzte gegeben habe. Für die Woche vom 15. bis zum 21. Jänner wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall in der Provinz Sulaimaniya, bei dem es sich um eine Schießerei gehandelt habe, vermerkt. Es finden sich keine Angaben zu Toten oder Verletzten. Der Übersicht über die Woche vom 22. bis zum 28_Jänner ist zu entnehmen, dass es einen sicherheitsrelevanten Vorfall in der Provinz Dohuk gegeben habe, bei der eine Person getötet worden sei. Bei einem weiteren sicherheitsrelevanten Vorfall in der Provinz Sulaimaniya habe es sich um einen Raketeneinschlag gehandelt, hierzu werden keine Angaben über mögliche Tote und Verletzte gemacht. Für die Woche vom 1. bis zum 7. Februar berichtet Musings on Iraq von Gefechten an der irakisch-türkischen Grenze im Gebiet der ARK zwischen Kämpfern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und dem türkischen Militär. Die Übersicht zur Woche vom 8. bis zum 14. Februar enthält keine Meldungen zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in der Autonomen Region Kurdistan. In der Woche vom 15. bis zum 21. Februar sei es laut Musings on Iraq zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall in der Provinz Sulaimaniya, einer Schießerei, gekommen. In der Übersicht zur Woche vom 1. bis zum 7. März finden sich ein sicherheitsrelevanter Vorfall in der Provinz Dohuk sowie zwei solche Vorfälle in der Provinz Erbil. In Dohuk sei ein Zivilist getötet worden, als das türkische Militär ein Dorf im Norden der Provinz beschossen habe. In der Provinz Erbil seien bei der Explosion einer Bombe eine Person getötet und zwei weitere verletzt worden. In der Woche von 15. bis zum 21. März verzeichnet Musings on Iraq einen sicherheitsrelevanten Vorfall in der Provinz Dohuk und vier Vorfälle in der Provinz Erbil. In der Provinz Dohuk sei ein Zivilist bei einem türkischen Luftangriff getötet worden. Im Norden der Provinz Erbil habe das türkische Militär unterdessen Stellungen der PKK angegriffen. Sowohl türkische Soldaten als auch Kämpfer der PKK seien bei Auseinandersetzungen getötet beziehungsweise verletzt worden.

 

Today, eine Zeitung aus Singapur, berichtet am 01.03.2018 unter Bezugnahme auf Informationen der Nachrichtenagentur Reuters, dass zwei Personen bei der Explosion einer Autobombe in Erbil verletzt worden seien. Es handle sich hierbei um einen relativ seltenen Angriff in der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan. Die Bombe habe vermutlich auf einen Vertreter der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran abgezielt.

 

Das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW), das sich selbst als überparteiliche Forschungsorganisation im Bereich Militärangelegenheiten bezeichnet, erstellt in circa wöchentlichen Abständen den sogenannten Iraq Situation Report, für den wichtige sicherheitsrelevante Ereignisse und Konfliktentwicklungen auf einer Karte des Irak verzeichnet werden. Für den Zeitraum vom 12. April 2016 bis zum 20 April 2017 wurden 37 solcher Karten erstellt. Innerhalb des genannten Zeitraums wird ein sicherheitsrelevanter Vorfall in der Autonomen Region Kurdistan erwähnt. Das ISW berichtet im Dezember 2016, dass unbekannte Bewaffnete am 4. Dezember 2016 kurdische Sicherheitskräfte in der Provinz Sulaimaniya im Ort Bunkala angegriffen hätten. Zwei der Angreifer hätten Berichten zufolge Sprengstoffwesten gezündet, es habe jedoch keine Angaben zu etwaigen Opfern gegeben. Der Einsatz von Sprengstoffwesten habe nicht unabhängig bestätigt werden können. Bei einem weiteren Angriff unbekannter Bewaffneter auf kurdische Sicherheitskräfte seien am 2. Dezember zwei ZivilistInnen getötet worden.

 

Der irakische Fernsehsender Al-Sumaria News berichtet am 22.03.2018, dass laut Augenzeugenberichten türkische Luftangriffe im Distrikt Choman der Provinz Erbil durchgeführt worden seien. Dabei seien vier Zivilisten getötet und Häuser in mehreren Dörfern zerstört worden. Laut türkischen Medien habe der Angriff auf Stellungen der PKK abgezielt. (Al Sumaria, 22.03.2018). Laut einer Meldung vom 25.März sei ein Zivilist bei einem türkischen Luftangriff im Norden der Provinz Dohuk verletzt worden. (Al Sumaria, 25.03.2018). Am 26.03. berichtet Al Sumaria, dass türkische Kampfflugzeuge Grenzregionen der Provinzen Erbil (Region Sidekan) und Dohuk (Region Sheladiz) angegriffen hätten. Bei den Bombardierungen habe es keine Opfer gegeben. (Al Sumaria, 26.03.2018).

 

Die auf die Autonome Region Kurdistan fokussierte Nachrichtenwebsite Dwarosh berichtet im April 2017, dass die türkische Artillerie am 11. April Gegenden in der Provinz Dohuk beschossen habe. Ein Bewohner der Gegend Derkar im Distrikt Zakho habe angegeben, dass die türkische Artillerie Gegenden im Distrikt Zakho bombardiert habe, wobei sie auf Stellungen der PKK abgezielt habe. Die Bombardements seien bis in die Stadt Zakho zu hören gewesen. (Dwarozh, 11. April 2017).

 

Lifos, das Zentrum für Länderinformationen der schwedischen Einwanderungsbehörde, schreibt in einem Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom Dezember 2017, dass die kurdischen Behörden weiterhin die Sicherheitslage in der Autonomen Region Kurdistan im Griff hätten. Laut einem Gespräch, das Lifos mit Vertretern von UNAMI im März 2017 geführt habe, sei die Sicherheitslage in der Region stabil, lokale Behörden seien jedoch weiterhin wachsam hinsichtlich aufständischer Aktivitäten. Insbesondere in der Gegend Kalar [Provinz Sulaimaniya] seien lokale Schläferzellen identifiziert worden.

 

In einer Stellungnahme des UNO-Generalsekretärs an den UNO-Sicherheitsrat vom Jänner 2018 wird erwähnt, dass die schlechten wirtschaftlichen Bedingungen in der Region Kurdistan zu weit verbreiteten Protesten in der Provinz Sulaimaniya geführt hätten. Am 19.12.2017 sei es dabei zu gewaltsamen Ausschreitungen gekommen, als Demonstranten die Büros politischer Parteien sowie öffentliche Gebäude angegriffen hätten. In Raniya und Dschamdschamal seien Verletzte und Tote gemeldet worden.

 

Quelle:

 

 

 

1.8. Zur Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der angeführten Quellen getroffen:

 

1.8.1. Rechtslage:

 

Nach dem Einmarsch der Koalitionstruppen im Irak im Jahr 2003 wurde von der Übergangsverwaltung das irakische Strafgesetzbuch Nr. 111 aus dem Jahr 1969 in Geltung gesetzt. Das irakische Strafgesetzbuch verbietet gleichgeschlechtliche Beziehungen bzw. einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Erwachsenen nicht.

 

Art. 401 des irakischen Strafgesetzbuches zufolge ist allerdings eine Person mit bis zu sechs Monaten Haft und/oder einer Geldstrafe bis zu 50 Dinar (das sind derzeit 0,037 Euro) zu bestrafen, die in der Öffentlichkeit unanständige Handlungen begeht. Gemäß Art. 404 des irakischen Strafgesetzbuches macht sich ferner strafbar, wer selbst oder mit Hilfe technischer Vorrichtungen an einem öffentlichen Ort anstößige Lieder singt bzw. sendet oder anstößige Bemerkungen von sich gibt oder sendet, und ist mit einer Gefängnisstrafe von maximal einem Jahr oder einer Geldstrafe von nicht mehr als 100 Dinar (das sind derzeit 0,073 Euro) zu bestrafen.

 

In länderkundlichen Berichten wird die Auffassung vertreten, dass insbesondere Art. 404 des irakischen Strafgesetzbuches von Sicherheitskräften dazu genutzt wird, gegen Personen vorzugehen, die sich für die Rechte von LGBTQ-Personen einsetzen, indem Festnahmen ausgesprochen werden und kurzzeitige Anhaltungen erfolgen. Gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten werden länderkundlichen Berichten zufolge auch mit dem Vorwurf der Prostitution verfolgt, wobei behördlicherseits dieselben Vorwürfe herangezogen werden, um heterosexuelle Personen zu verhaften, die sich in sexuellen Beziehungen mit anderen Personen als ihren Ehepartnern befanden. Zur Häufigkeit dieser Vorgehensweise kann keine Feststellung getroffen werden.

 

Dass Angehörige sexueller Minderheiten aufgrund gesetzlicher Bestimmungen in der Autonomen Region Kurdistan von Gerichten zu Haftstrafen verurteilt wurden, kann nicht festgestellt werden. In einem Bericht aus dem Jahr 2009 wird angegeben, dass ein Arzt in der Autonomen Region Kurdistan wegen "unmoralischen Verhaltens" zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, da er einen Artikel über Homosexualität veröffentlicht hatte. Nach lokalen und internationalen Protesten sei er verhaftet worden.

 

Amir Ashour, der Gründer von IraQueer, berichtet davon, dass er Jahr 2014 zum ersten Mal im Alter von 23 Jahren verhaftet worden sei. Jemand hätte ihn beschuldigt, ein Bordell zu betreiben, obwohl er in Wahrheit Schulungen zu LGBTQ-Themen organisiert habe. Er sei zur Polizei gegangen mit dem Vorhaben sich zu beschweren, sei in der Folge jedoch selbst zum Ziel von Anschuldigungen geworden und sei daraufhin einige Stunden inhaftiert gewesen. Danach sei er mit einer Verwarnung entlassen worden. Zum zweiten Mal sei er Ende 2014 verhaftet worden, nachdem er in Dublin einen Vortrag zur Situation der LGBTQ im Irak gehalten hatte. Dort wären auch einige Personen anwesend gewesen, die die Kurdische Regionalregierung vertreten hätten. Bei seiner Rückkehr in den Irak sei er vom Flughafen abgeholt und für eine Befragung festgehalten worden. Er hätte mit internationalen Aktivitäten, worauf er habe gehen können, jedoch unter der Ankündigung, dass die Befragung zu einem anderen Zeitpunkt fortgesetzt werde. Einige Stunden später habe er das Land verlassen (seine Geschichte wird im Bericht an das ICCOR in anonymisierter Form dargestellt).

 

Nicht festgestellt werden kann, dass in der Autonomen Region Kurdistan eine außerhalb staatlicher Strukturen angesiedelte Gerichtsbarkeit durch "Sharia-Richter" besteht und von solchen Personen "Strafen" gegen Angehörige sexueller Minderheiten angeordnet werden würden. Schiitische Milizen sind in der Autonomen Region Kurdistan nicht aktiv. Haft verurteilt worden war. Ein homosexueller Mann, der für die Rechercheeinheit der norwegischen Asylbehörden Landinfo in der Autonomen Region Kurdistan im Jahr 2009 oder 2012 interviewt wurde, brachte zum Ausdruck, dass Schwule schneller als andere Personen in Schwierigkeiten mit der Polizei geraten könnten. Homosexuelle seien in Gefängnissen sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Es seien ihm mehrere Fälle bekannt, in denen homosexuelle Männer verhaftet und anschließend im Gefängnis vergewaltigt worden wären. In einem häufig geschilderten Fall habe die Sicherheitspolizei Asayish 2011 eine Razzia auf eine Gruppe schwuler Männer in der Stadt Kalar in der Provinz Sulaymaniya, durchgeführt. Einige der Teilnehmer wären verhaftet worden, und einige der Verhafteten wären in Polizeigewahrsam zusammengeschlagen worden.

 

Auf der anderen Seite bestehen im Irak keine Gesetze zu Hassdelikten oder Rechtsvorschriften gegen Diskriminierung. Es gibt auch keine anderen strafrechtlichen Mechanismen, die bei der Verfolgung von Verbrechen gegenüber LGBTI hilfreich wären. Das UN Human Rights Committee, das die Einhaltung des International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR) überwacht, dessen Vertragspartei der Irak ist, erachtet den Schutz vor Gewalt und Diskriminierung gegenüber LGBT-Personen als unzureichend. Die irakische Regierung habe verabsäumt, im Rahmen des ICCPR geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die darin anerkannten Rechte durchzusetzen, wirksame Rechtsbehelfe bei Verstößen zu gewährleisten und systemische Straffreiheit zu verhindern.

 

1.8.2. Zur Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan:

 

Mehreren Quellen zufolge gibt es zahlreiche Schwule und Lesben in der Autonomen Region Kurdistan. Es kommt allerdings sehr selten vor, dass sie ihre sexuelle Orientierung offen deklarieren. Die meisten benutzen anonyme Bilder im Avatar-Stil und Pseudonyme, wenn sie an Online-Communities teilnehmen. Die Größe der LGBT-Community in der Kurdenregion kann demgemäß nicht exakt festgestellt werden. Homosexualität ist dessen ungeachtet in Kurdistan existent und weitverbreitet bei Jugendlichen und sogar bei verheirateten Paaren. Häufig begeben sich schwule und lesbische Kurden allerdings auch in traditionelle heterosexuelle Ehen.

 

Während einige Städte Kurdistans etwas offener zu sein scheinen, bleibt die Gesellschaft im Allgemeinen konservativ eingestellt und Homosexualität ein Tabuthema. Gesellschaftliche Diskriminierung in den Bereichen Beschäftigung, Beruf und Wohnung aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität oder von unkonventionellem Aussehen sind weit verbreitet, über Diskriminierungen beim Zugang zu Bildung und zur Gesundheitsversorgung liegen keine Informationen vor. Ungeachtet der fehlenden Strafbarkeit von Homosexualität sind die viele Muslime im Irak davon überzeugt, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen aus religiösen und kulturellen Gründen nicht geduldet werden dürfen. Der gesellschaftliche Umgang mit Homosexualität ist vom Standpunkt geprägt, dass diese der kurdischen Kultur fremd sei. Nicht selten wird Homosexualität als Krankheit gesehen.

 

Zuletzt scheint es laut einer Quelle eine geringfügige Änderung in der Haltung der Öffentlichkeit gegeben zu haben. Es gibt nach wie vor viel Unverständnis bezüglich des Themas Homosexualität, aber es scheint sich in manchen Bereichen eine offenere gesellschaftliche Diskussion anzubahnen. So haben z.B. einige bekannte Ortsansässige begonnen, offen über Homosexualität zu sprechen. Es werden in der Folge einige Beispiele genannt: Ein in Erbil lebender iranisch-kurdischer Sänger gibt an, selbst nicht homosexuell zu sein, sich jedoch für die Rechte der Homosexuellen einzusetzen und deshalb angegriffen und beleidigt zu werden. Im Juni 2017 sagte eine 26-Jährige, die ursprünglich aus dem iranischen Teil Kurdistans stammt, dem kurdischen Sender des Nachrichtenunternehmens Voice of America, dass sie lesbisch sei. Es ist laut dem Artikel gut möglich, dass diese Frau eine der ersten Kurdinnen war, die öffentlich über ihre sexuelle Orientierung sprach und dabei ihren tatsächlichen Namen preisgab, sowie ihr Gesicht zeigte. Allerdings lebt sie in Deutschland, wo es eine viel tolerantere Haltung gegenüber sexuellen Minderheiten gibt. Sie berichtet, dass sie in Kurdistan ihre sexuelle Orientierung verstecken musste, da die Gesellschaft Schwule und Lesben nicht akzeptieren würde. Laut ihren Angaben gäbe es in Kurdistan viele Schwule und Lesben, die aber in Furcht leben müssten. Im Jahr 2017 zeigten zwei große TV-Kanäle Kurdistans Sendungen, in denen es um die Schwierigkeiten der LGBT-Communities ging. Beide Sendungen wiesen laut einem Journalisten von Al-Monitor gewisse Mängel auf, es sei aber mutig gewesen sei, dieses tabuisierte Thema anzusprechen.

 

Zuletzt führten Aktivistinnen und Aktivisten der Menschenrechtsorganisation Rasan in der Stadt Sulaimaniyya eine Plakatkampagne im öffentlichen Raum durch, um das Bewusstsein für die Rechte von LGBT-Menschen zu schärfen und den Dialog innerhalb ihrer überwiegend sunnitisch-kurdischen Gesellschaft zu fördern. Die Organisation plant außerdem die Veröffentlichung von Online-Lernanimationen anlässlich der Kampagne, die Anfang April starten wird. Rasan arbeitete mit zwei Imamen zusammen, das Ziel ist die Herausgabe von Fatwas zur Unterstützung von LGBT-Personen. Die Aktivitäten von Rasan haben den einen starken Kontrast in den Einstellungen zu LGBT-Themen im gesamten Irak sowie die Fähigkeit der Aktivisten, sie öffentlich aufzuziehen, deutlich gemacht. Für die aktuelle Kampagne wurde Rasan die Erlaubnis gegeben, ihre Wandbilder auf Wänden von lokalen Regierungsbehörden in Sulaimaniyya anzubringen (bildliche Darstellungen sind unter https://www.middleeasteye.net/news/rasan-1330280220 abrufbar). Sulaimaniyya ist seit langem als die sozial liberalste Stadt im Irak bekannt, und während LGBT-Personen immer noch viel sozialem Druck ausgesetzt sind, gibt es der Quelle zufolge dort einen Raum, der in anderen Teilen des Landes nicht existiert.

 

Die Autonome Region Kurdistan als wird im Allgemeinen als säkularer und sozial liberaler wahrgenommen, als die arabisch dominierten Regionen des Irak. Insgesamt ist der Einfluss von sozialkonservativen religiösen Organisationen und bewaffneten Gruppen in der Autonomen Region Kurdistan weniger ausgeprägt. Die Vizedirektorin von Rasan gib dazu an, dass auch die Lage von LGBT-Personen in der Autonomen Region Kurdistan besser und sicherer ist und LGBT-Personen in der Autonomen Region Kurdistan nicht befürchten müssten, dass sie auf der Straße getötet würden.

 

Trotz der Schwierigkeiten, mit denen LGBT-Menschen konfrontiert sind, haben sowohl Rasan als auch andere Organisationen wie IraQueer es geschafft, kleine Netzwerke aufzubauen und (normalerweise geheime) Treffen abzuhalten, bei denen LGBT-Iraker über ihre Sexualität diskutieren können. Neue Medien wie das Internet und sicheres Smartphone-Messaging eröffnen Kommunikationskanäle, begründen aber auch Unsicherheit. Während das Internet Mitgliedern sexueller Minderheiten im Irak dabei hilft, sich gegenseitig zu finden, kann ein ungelöschter Browser-Cache oder öffentliche Kommentare oder Likes auf einer schwulenfreundlichen Facebook-Seite dazu beitragen, dass Angehörige sexueller Minderheiten identifiziert werden.

 

Landinfo, die Rechercheeinheit der norwegischen Asylbehörden, gibt in einer 2013 erstellten Anfragebeantwortung an, dass es in einer größeren Stadt in der Autonomen Region Kurdistan ein Café gebe, in dem sich homosexuelle Männer treffen. Dies sei ein gewöhnliches Café mit verschiedenen Gästen und nicht nur ein Ort für homosexuelle Männer. Landinfo habe in diesem Café im Oktober 2012 Interviews mit drei homosexuellen Männern durchgeführt. Wahrscheinlich gibt es noch mehr solcher Orte. Wie im Rest des Irak ist auch im Norden Homosexualität ein Tabu, und die meisten Menschen, sowohl bei den Kurden als auch bei den Arabern, halten Homosexuelle für moralisch anstößig. Dennoch wisse jeder, dass es homosexuelle Männer gebe und dass sie in der kurdischen Gesellschaft schon immer existiert haben. Der herangezogene Experte meint, dass Pädophilie und sexueller Missbrauch von Jugendlichen eine lange Tradition habe und zuweisen ein offenes Geheimnis sei, während sexuelle Handlungen zwischen zwei gleichberechtigten Männern gesellschaftlich weitaus seltener akzeptiert würden. Dennoch sei es in vielen Gemeinden bekannt, dass manche Menschen homophile Neigungen haben. Diejenigen, von denen angenommen wird, dass sie homosexuell sind, sind von Ausgrenzung und Belästigungen betroffen, weil Menschen nicht mit Homosexuellen in Verbindung gebracht werden wollen. Ebenso können Schwule Schwierigkeiten haben, eine Beschäftigung im privaten Sektor zu finden. Inwieweit sie von der Arbeit im öffentlichen Sektor ausgegrenzt sind, sei unklar.

 

Homosexuelle können von schweren Konsequenzen von Seiten der eigenen Familie betroffen sein, vor allem, wenn die sexuelle Orientierung der Person außerhalb der Familie bekannt wird. Die Wahrung des Rufes und der Ehre der Familie scheint der Hauptgrund dafür zu sein. LGBT-Menschenrechtsgruppen führten die geringe Zahl von öffentlich dokumentierten Fällen von Übergriffen auf Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft auf die Tatsache zurück, dass sich diese generell bedeckt halten und ihre Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft nicht bekannt ist, da sie ihr öffentliches Auftreten, ihre Kleidung und ihren Lebensstil an die gesellschaftlichen Normen anpassen. Insgesamt wird die Bedrohung von LGBT-Personen durch die Gesellschaft, durch Stammes- und Familienangehörige in der Autonomen Region Kurdistan als geringer angesehen, als sonst im Irak.

 

Das Leben in offenen homosexuellen Beziehungen wird im Nordirak von den Betroffenen als nur schwer möglich erachtet. Vielmehr ist es üblich, die Veranlagung zu verbergen. Ein von Landinfo Befragter gab an, dass er zwar ein Paar kenne, das zusammengelebt habe, aber dass sie ängstlich gewesen seien und dass sie belästigt worden wären. Gleichgeschlechtlich zu sein, und zusammen zu wohnen sei etwas, das man höchstens in jungen Jahren eine begrenzte Zeit lang tun könne, nicht aber im Alter. Ein anderer Befragter erzählte, dass er sieben Jahre mit einem Mann zusammen war und er den Traum hatte, dass sie zu zweit in ein anderes Land reisen könnten, um ein gemeinsames Leben zu beginnen. Aber dann heiratete der Mann plötzlich eine Frau. Er meinte zur allgemeinen Situation, dass Einige neben der Ehe weiterhin homosexuelle Beziehungen hätten. Die Geheimhaltung, die sich Homosexuelle selbst auferlegen, kann sie anfällig für Erpressung machen. Einer der von Landinfo Befragten sagte, dass Erpressung in dieser Szene keine Seltenheit sei, und dass er selbst befürchte, dass einer, mit dem er zusammen war, ihn der Sicherheitspolizei melden könnte. Er meinte, dass Homosexuelle Gefahr laufen würden, verhaftet zu werden, und dass einige Homosexuelle damit drohen würden, Personen zu denunzieren, v.a. dann, wenn diese vorhätten, aus einer Beziehung auszubrechen, sozusagen um den Partner zur Fortsetzung der Beziehung zu zwingen. Die Androhung, Gerüchte zu verbreiten, welche dazu führen könnten, dass die Beziehung der Familie bekannt wird, wurden als eine weitere Form der Erpressung genannt. Homosexuelle, deren sexuelle Orientierung der Familie bekannt geworden ist, müssen unter Umständen von ihrer Familie fliehen, um Reaktionen zu vermeiden. Das Migration Board schreibt in seinem Bericht von 2009, dass keiner der Befragten Personen kannte, die in Irakisch Kurdistan auf Grund ihrer Homosexualität getötet worden waren. Eine andere Quelle vertritt die Auffassung, dass homosexuelle Personen in der Autonomen Region Kurdistan aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht getötet würden, dass jedoch die Familie ihr Äußerstes tun würde, um zu verbergen, dass ein Familienmitglied homosexuell ist.

 

Am 1. Juni 2017 hisste das US-Konsulat in Erbil "Pride Month" auf dem Konsulatsgelände die Regenbogenflagge. Die Reaktionen waren immens, es gab hunderte von Kommentaren auf Facebook in kurdischer und englischer Sprache, was zu einer lebhaften Debatte führte, in der viele die Vereinigten Staaten, die LGBT-Gemeinschaft und die kurdische Regierung beschimpften. Viele Personen argumentierten, dass Homosexualität der kurdischen Kultur fremd sei. Öffentliche Kundgebungen während des "Pride Month" fanden nicht statt.

 

Al-Monitor, eine Online-Medienplattform mit Sitz in Washington, die Berichte und Analysen zum Nahen Osten anbietet, beschreibt in einem Artikel vom 16.6.2017 die Geschichte eines in der Autonomen Region Kurdistan lebenden jungen Mannes, der als 13-jähriger Bub auf Grund seiner Homosexualität von seiner Mutter dazu aufgefordert worden war, sich selbst anzuzünden. Der junge Mann sagt, dass seine Situation nicht mehr so schlimm sei wie früher, und dass ihn nun die meisten seiner Freunde akzeptieren würden. Sein Leben sei nun stabiler, aber er müsse immer auf der Hut sein, denn man wisse nie, wer als nächstes zuschlagen würde. Er kenne etwa 30 weitere Menschen im Irak, die schwul seien, und sagt, dass diese weiterhin - teilweise im Stillen - leiden würden.

 

IOM vertritt die Ansicht, dass es sich bei "coming outs" um einen westlichen Gedanken handeln würde, wohingegen Homosexualität im Irak, ebenso wie in anderen islamischen Ländern, nicht öffentlich gezeigt werde.

 

Eine systematische Verfolgung von Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan durch staatliche Organe oder Privatpersonen kann nicht festgestellt werden. Angehörige sexueller Minderheiten sind mit der Gefahr von Missbrauch und Gewalt von Familienmitgliedern und nichtstaatlichen Akteuren konfrontiert. Ferner besteht das Risiko von Ehrenverbrechen, da das Verhalten nicht den traditionellen Geschlechternormen entspricht, wobei das Risiko von einer Quelle als gering eingeschätzt sind. Die Mehrheit der Opfer von Ehrenverbrechen sei weiblich und die Mehrheit der Täter männlich. Wenn Männer in Opfer von Ehrenverbrechen würden, wobei dies als nicht sehr wahrscheinlich eingeschätzt werde, dann wäre das Motiv in den meisten dieser Fälle die unterstellte Homosexualität des Opfers. Das Coming Out als LGBT ist nur ein Motiv für ein Ehrverbrechen, in Betracht kommt ferner die Wahl des Liebespartners, das Verweigern einer arrangierten Hochzeit sowie die Weigerung, einen Akt von Ehrengewalt gegenüber einer anderen Person, die Schande auf sich gezogen hat, durchzuführe Dokumentierte Ermordungen von Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan in den letzten Jahren sind nicht feststellbar. Offiziellen Zahlen von Ehrenmorden in Irakisch Kurdistan belaufen sich einer Quelle zufolge auf 50 bis 60 Fälle pro Jahr, wobei die Dunkelziffer höher liegen soll, da über Ehrenverbrechen häufig nicht berichtet wird.

 

1.9. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

 

1. Politische Lage

 

Im März 2003 kam es zum Einmarsch von Truppen einer Koalition, die von den USA angeführt wurde (BBC 12.7.2017). Als Grund hierfür wurden Massenvernichtungswaffen angegeben, deren Existenz jedoch nie bestätigt werden konnte. Nach dem im März 2003 erfolgten Sturz von Saddam Hussein, einem Angehörigen der sunnitischen Minderheit, wurden die Regierungen von Vertretern der schiitischen Mehrheitsbevölkerung geführt (BPB 9.11.2015). Mit 2003 begann der Aufstieg von [vorwiegend] irantreuen bzw. dem Iran nahestehenden schiitischen Parteien/Milizen, denen die amerikanischen Invasoren erlaubten, aus dem iranischen Exil in ihre Heimat zurückzukehren (SWP 8.2016; vgl. Hiltermann 26.4.2017). Es konnte nach der Entmachtung Husseins weder eine umfassende Demokratisierung noch eine Stabilisierung erreicht werden, da die Strukturen des neuen politischen Systems das Land entlang ethnisch-konfessioneller Linien fragmentierten (BPB 9.11.2015). Die von der US-Besatzung beschlossene Auflösung der irakischen Armee sowie das Verbot der Baath-Partei ließen viele Sunniten, darunter erfahrene Militärs, radikalen islamistischen Gruppen zuströmen (Spiegel 18.4.2015). Die sunnitische Minderheit fühlte sich zunehmend diskriminiert und radikale Anführer konnten immer mehr Anhänger gewinnen (AI 28.5.2008). Zudem hatte die Demontage der irakischen Armee und irakischen Sicherheitskräfte durch die US-geführte Koalition ein Sicherheitsvakuum hinterlassen, das die schiitischen Milizen zu füllen versuchten, wodurch es zu einem sunnitischen Aufstand kam (Hiltermann 26.4.2017). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung) arbeitete zum Teil mit diesen Kräften (Badr-Miliz) zusammen, und verschloss vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitischen Bevölkerung die Augen (Reuters 14.12.2015). Während die Revolte der Sunniten gegen die US-Präsenz seit 2003 eher eine nationalistisch als eine religiös geprägte Bewegung war, entwickelte die Revolte zunehmend einen dominanten radikal-sunnitisch-islamistischen Zug. Der in der Folge entstehende konfessionelle Bürgerkrieg (ca. 2005 bis 2007) führte zu einer Änderung der US-Politik im Irak, die wiederum die Niederlage von Al-Qaida im Irak (AQI) herbeiführte. Doch dadurch, dass das Problem der Ausgrenzung der Sunniten weiter bestehen blieb, kam es zu weiteren Protesten in den sunnitischen Gebieten in den Jahren 2013 und 2014, daraufhin zu einer gewaltsamen Antwort von Seiten des Staates und danach zur Übernahme sunnitischer Gebiete durch eine noch radikalere Version von Al-Qaida - durch die Organisation "Islamischer Staat" [IS, auch ISIS oder ISIL, vormals ISI, arabisch Daesh] (Hiltermann 26.4.2017). Diese konnte in große Teile der sunnitischen Gebiete im Westen des Irak, in kurdische Gebiete im Norden des Irak und in Teile Syriens vordringen (ACCORD 12.2016). Als die nach der Entmachtung Saddam Husseins neu aufgestellte Armee vorübergehend "kollabierte", mobilisierten schiitische Führer in Notwehr ihre Gefolgschaft, wodurch die schiitischen Milizen (allen voran die Badr Organisation, Asaib Ahl al-Haq und Kataeb Hezbollah, mit Unterstützung des Irans) verstärkt auf den Plan traten und sich nordwärts in die sunnitischen Gebiete bewegten (Hiltermann 26.4.2017).

 

Das politische Geschehen ist trotz großer Erfolge bei der Rückeroberung von IS weiterhin vom Kampf gegen den IS geprägt (ÖB 12.2016). Seit Ende 2015 wird der IS mit einem Bündnis auf Zeit aus irakischem Militär, kurdischen Peschmerga, schiitischen Milizen und Luftschlägen der internationalen US-geführten Anti-IS-Koalition bekämpft (AA 7.2.2017).

 

Staatsform & Parteien

 

Der Irak ist formal-konstitutionell eine republikanische, demokratische, föderal organisierte und parlamentarische Republik. So sieht es die gültige Verfassung von 2005 vor. Sitz von Regierung und Parlament ist Bagdad. Staatspräsident ist seit dem 24.07.2014 der Kurde Fuad Massum, Angehöriger der irakisch-kurdischen Partei Patriotic Union of Kurdistan - PUK. Ein Teil des föderalen Staates ist auch das kurdische Autonomiegebiet, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Diese Föderale Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung, sowie gesonderte Militäreinheiten, die Peschmerga (LIP 6.2015). Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften).

 

Wahlen & Premierminister

 

Die nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, hatte zwar abermals der zuvor amtierende Premierminister Nouri al-Maliki gewonnen, da es jedoch auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen ihn gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Maliki wird unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitenfeindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen, wie dem IS, beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015; vgl. auch Abschnitt "Sicherheitslage"). Infolge dessen wurde die schiitisch dominierte Regierung des Premierministers Nuri al-Maliki von einer nationalen Einheitsregierung mit Beteiligung von Sunniten und Kurden unter dem gemäßigteren Premierminister Haidar al-Abadi abgelöst (HRW 29.1.2015). Abadi ist ebenfalls Schiite und ein Parteikollege Malikis in der Da'wa-Partei. Er ist mit dem Versprechen angetreten, das ethno-religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015), und zunächst konnten durch seine Ernennung zum irakischen Premierminister tatsächlich einige gesellschaftliche Gräben geschmälert werden. Von einer tatsächlichen Versöhnung zwischen den ethnischen und religiösen Gruppierungen ist jedoch nichts zu bemerken (ÖB 12.2016). Die Besetzung aller politischen Führungspositionen, so auch der Kabinettsposten, folgt seit Jahren einem Kalkül ethnisch/religiöser Balance. Die sunnitischen Regierungs- und Parlamentsmitglieder stehen unter Druck, da ihre Kooperation in Bagdad bislang kaum dazu beitrug, ihre Klientel zu schützen (ÖB 12.2016). Das irakische Parlament wählte den moderaten sunnitischen Politiker Salim al-Jabouri zum Parlamentspräsidenten (Al Arabiya 15.7.2014).

 

Abadis Reformen waren nur oberflächlicher Natur oder harren noch ihrer Umsetzung. Unterstützt werden die Reformpläne der Regierung bislang immerhin durch die höchste geistliche Autorität der Schiiten, Großajatollah Al-Sistani (AA 7.2.2017). Insgesamt ist die Zentralregierung aber schwach, Premierminister Abadi kann gegen die internen Rivalitäten der schiitischen Parteien nicht viel ausrichten. Er ist von zahlreichen Herausforderern umgeben: Dem Ex-Premierminister Nouri al-Maliki, dem Oppositionsführer und populärer Priester Muqtada al-Sadr, sowie den anderen Anführern schiitischer Milizen (Stansfield 26.4.2017).

 

Das irakische Parlament hat am 29.01.2017 die neuen Minister für Verteidigung und Inneres bestätigt. Der Armeegeneral Erfan al-Hiyali von der sunnitischen Minderheit im Land wird künftig das Verteidigungsministerium führen. Kasim al-Aradschi von der schiitischen Badr-Organisation leitet das Ressort Inneres. Ministerpräsident Haider al-Abadi lobte die Entscheidung des Parlaments als "guten Fortschritt zu einer entscheidenden Zeit". Beide Posten waren monatelang unbesetzt (ORF, 30.01.2017).

 

Am 12.5.2018 wurden im Irak neuerlich Parlamentswahlen abgehalten. Die Wahlbeteilung lag bei 44,5 Prozent - die niedrigste Beteiligung seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 (Die Presse 13.5.2018). Als Sieger geht das Wahlbündnis Sa'irun des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs hervor, das nicht mehr vom ersten Platz zu verdrängen ist und 54 Sitze erreichte. Auf zweitem Platz liegt mit 47 Sitzen das Fatah Bündnis des Milizenführers Hadi al-Ameri, der eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden ist (Die Presse 13.5.2018). Die Nasr Allianz des amtierenden Ministerpräsidenten Haider al-Abadi kommt mit 42 Sitzen nur auf den dritten Platz (NZZ 15.5.2018). Die Sitzverteilung stellt sich wie Folgt dar:

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

Anschuldigungen von Wahlbetrug in der zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung umstrittenen Stadt Kirkuk verzögern die Veröffentlichung der Endergebnisse (The Washington Post 17.5.2018). Laut Wahlkommission belagerten Bewaffnete am Mittwoch, den 16.5.2018, etliche Wahllokale in der Stadt und hielten Mitarbeiter der Wahlkommission in Geiselhaft (Reuters 16.5.2018). Der Gouverneur von Kirkuk sowie der Leiter der Exekutivorgane, Generalmajor Maan al-Saadi, bestritten dies und erklärten, dass die Lage stabil sei und es sich um friedliche und unbewaffnete Proteste um die Wahllokale herumhandle (The Washington Post 17.5.2018; Reuters 16.5.2018).

 

Eine neue Regierung wurde bislang noch nicht gebildet, da keiner der Wahlblöcke eine Mehrheit erreichte und deshalb Koalitionsverhandlungen geführt werden müssen.

 

Schiitische Milizen, Rolle des Ex-Premierminister Maliki und Einfluss des Iran

 

Der noch amtierende Ministerpräsident Abadi hat mit dem Iran-freundlichen Ex-Premierminister Maliki (nunmehr Vize-Premierminister und Vorsitzender der State of Law Coalition, sowie Da'wa-Parteiführer) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen - einerseits unverzichtbar für Abadi im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (Standard 5.11.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz aber von der sunnitischen Bevölkerung als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Das Vertrauen der sunnitischen Bevölkerung in die schiitisch dominierte Zentralregierung bleibt weiterhin minimal. Der Einsatz dieser Milizen im Kampf gegen den IS wird von Sunniten meist abgelehnt, sie fürchten ein ruchloses Vorgehen der Milizen und dulden daher oft die sunnitischen Extremisten in ihren Gebieten. Berichte zu Übergriffen der schiitischen Milizen konterkarieren die Versuche von Premierminister Haidar al-Abadi, den arabischen Sunniten wieder Vertrauen in den irakischen Staat einzuflößen (ÖB 12.2016). Bezüglich der schiitischen Milizen spielt auch der schiitisch dominierte Iran eine große Rolle, der insgesamt einen großen Einfluss auf den Irak ausübt. An den Schalthebeln der Macht in Bagdad werden selbst hochrangige irakische Kabinettsmitglieder von der iranischen Führung abgesegnet oder "hinauskomplementiert". Dadurch kommt es auch dazu, dass Gesetze verabschiedet werden, wie z. B. jenes vom November 2016, das die schiitischen Milizen effektiv zu einem permanenten Fixum der irakischen Sicherheitskräfte macht (NYTimes 15.7.2017), und sie im Rahmen der Dachorganisation PMF (auch PMU, Popular Mobilisation Forces/Units, Volksmobilisierung, arabisch Al-Hashd al-Shaabi) der irakischen Armee gleichstellt (Harrer 9.12.2016). Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt. Dem Iran geht es dabei nicht nur um die weitere Ausbreitung der Kontrolle über irakisches Gebiet, sondern auch darum, einen Korridor zu den Stellvertreterkräften in Syrien und im Libanon zu bilden. Was im März 2017 passierte, nämlich, dass Iran-gestützte schiitische Milizen zum ersten Mal den gesamten Weg westwärts bis zur syrisch-irakischen Grenze vorstoßen konnten, quer durch irakisches, vorwiegend sunnitisches Gebiet, veranschaulicht dieses Vorhaben (ICG 31.5.2017; vgl. NY Times 15.7.2017). Der ehemalige Premierminister Maliki, der sich bereits zu seiner Amtszeit stark in Richtung Iran gelehnt hatte, und der nach Ende seiner Amtszeit weiterhin massiv von der Zusammenarbeit mit dem Iran profitierte, spielt heute auf politischer Ebene in Bezug auf die PMF eine zentrale Rolle. Unter anderem aufgrund der Schwäche des Irakischen Staates, der Dominanz des Irans, sowie ganz besonders aufgrund der Hilfe, die der reguläre irakische Sicherheitsapparat für das Zurückschlagen des IS benötigt(e), blieb Abadi keine andere Wahl, als den PMF-Milizen zu noch weiterem Einfluss zu verhelfen - in Fortsetzung der bezüglich der Milizen vorangetriebenen Legitimierungspolitik Malikis. Die PMF sind somit einerseits eine vom Staat mittlerweile legitimierte und der Armee gleichgestellte Dachorganisation von - fast ausschließlich - schiitischen Milizen, gleichzeitig werden sie aber von nicht-staatlichen Anführern befehligt (Carnegie 28.4.2017). Maliki versucht, an die Spitze der irakischen Politik zurückzukehren, und hat als Verbündete dabei den Iran und "seine" neue Hausmacht, die schiitischen Milizen (Harrer 13.2.2017). Gegen dieses Vorhaben regt sich insbesondere auch im Süden verstärkter Widerstand: Die Anhänger der Sadr-Bewegung [Muqtada al-Sadr: Führer der Sadr-Bewegung, einer politischen Partei, sowie Führer der Saraya al-Salam] wollen mittels Demonstrationen die Hoffnung Malikis auf eine Rückkehr verhindern. Ein innerschiitischer Konflikt zwischen Sadristen und Maliki-Anhängern ist spürbar, auch wenn diesbezügliche militärische Auseinandersetzungen unwahrscheinlich sind (Al Monitor 26.1.2017). Zu solchen Auseinandersetzungen war es zwischen diesen beiden Lagern im Jahr 2008 in Basra gekommen (BBC 12.7.2017).

 

Die Sadr-Bewegung ist aber auch gegenüber Abadis Regierung kritisch eingestellt. Muqtada al-Sadr stilisiert sich als irakischer Nationalist, der gegen den konfessionell-ethnischen Proporz in der irakischen Politik ankämpft, der jedoch andererseits Abadis Reformen zum Teil sogar blockiert, wie z.B. Abadis Versuch, eine Technokratenregierung aufzustellen. Darüber hinaus führt die Sadr-Bewegung regierungskritische Demonstrationen durch, die - trotz Aufrufs Sadrs, friedlich zu protestieren - außer Kontrolle geraten können und zuletzt im Februar 2017 in Bagdad zur wiederholten Erstürmung der Grünen Zone führten. Die Proteste der Sadr-Bewegung spielen Maliki in die Hände und schwächen Abadi zusätzlich, der in der Schusslinie zwischen Sadr und Maliki steht (Harrer 13.2.2017). In Hinblick auf die Parlamentswahl im Jahr 2018 und einen möglichen Erfolg des pro-iranischen Maliki, näherte sich Premierminister Abadi einer Koalition einflussreicher schiitischer religiöser und politischer Führer (darunter auch besagter Muqtada al-Sadr) an, mit dem Ziel Maliki zu isolieren (IFK 9.6.2017).

 

Der gemeinsame Gegner IS schweißte 2014 das Land und teilweise auch die Bevölkerung etwas zusammen, doch die Bruchlinien bleiben insbesondere mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS akut: Nicht nur zwischen Schiiten und Sunniten oder innerhalb der schiitischen Kräfte, sondern auch zwischen der KRI (Kurdische Region im Irak) und der Zentralregierung, innerhalb der kurdischen Gruppierungen sowie zwischen de facto allen Mehrheitsbevölkerungen und Religionen und den Minderheiten in ihrem Bereich. Mit zunehmenden Erfolgen gegen den IS gehen auch ein verstärkter Terrorismus, neue humanitäre Herausforderungen und wiederaufflammende Spannungen einher. Eine ethnisch-religiöse Aussöhnung hat nicht stattgefunden. Die Gefahr eines weiteren Zerfalls des Staates, samt bewaffneten Auseinandersetzungen ist nach wie vor nicht gebannt (ÖB 12.2016). Insbesondere ist auch unklar, ob die vom IS zurückeroberten sunnitischen Gebiete auf eine Weise verwaltet werden, die nicht erneuten Unfrieden und eine erneute Rebellion (unter dem Banner des IS oder einer anderen Organisation) provozieren wird (OA/EASO 2.2017). Die Islamisten genießen im Irak in der Bevölkerung nach wie vor Unterstützung, da sie sich als Beschützer der sunnitischen Gemeinschaft präsentieren. Der IS ist ja ursprünglich vorrangig eine irakische Organisation mit starken lokalen Wurzeln (Stansfield 26.4.2017), und selbst das Zurückschlagen des IS in Mossul vermag es nicht, die schiitisch-sunnitischen Spannungen zu lösen, die das Ergebnis einer mangelnden politischen Übereinkunft sind (USCIRF 26.4.2017). Die Gewalt, der die Sunniten seit der US-geführten Invasion im Irak von Seiten Iran-gestützter Regierungen und Milizen ausgesetzt waren [und sind], hat in der sunnitisch-arabischen Bevölkerung ein tiefgreifendes und gefährliches Gefühl der Viktimisierung bewirkt, das Rekrutierungsbemühungen von Jihadisten in die Hände spielt (ICG 22.3.2017). Die Rolle der internationalen Koalition gegen den IS ist zwiespältig. Während diese sich selbst als unparteiischen Akteur sehen mag (abgesehen vom Kampf gegen den IS), sehen das die irakischen Akteure anders, die die Koalition alleine schon auf Grund der Wahl ihrer Verbündeten als völlig parteiisch ansehen (ICG 31.5.2017).

 

1.1. Kurdische Autonomieregion (Kurdistan Region-Iraq: KRI)

 

Hintergrund

 

Die Region Kurdistan-Irak (KRI), die hauptsächlich aus den Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniya besteht, ist seit der Verabschiedung einer neuen irakischen Verfassung infolge der US-geführten Invasion von 2003 rechtlich gesehen ein Bundesstaat. Faktisch ist sie schon lange eigenständig. Unter dem Schutz der Alliierten des Golfkriegs von 1991 hatten die Kurden im Mai 1992 Parlamentswahlen abgehalten und eine Regionalregierung gebildet. Die Region verfügt über eigene Verteidigungskräfte, die Peschmerga, betreibt eine eigenständige Wirtschafts- und Außenpolitik und regelt Fragen der Grenzkontrolle selbst - hierzu gehört auch die, von zentralirakischen Behörden unabhängige Vergabe von Visa. Das im September 2013 zuletzt gewählte Parlament [das jedoch seit 2015 nicht mehr tagt, s.u.] hat 110 Abgeordnete; elf davon sind quotierte Vertreter ethnischer und religiöser Minderheiten. Zudem regelt eine Quote, dass dreißig Prozent der Mandate von Frauen wahrgenommen werden müssen. Das derzeitige Kabinett ist eine Koalition aus den einflussreichsten Parteien: Demokratische Partei Kurdistan (KDP, gegründet 1946) und Patriotische Union Kurdistan (PUK, gegründet 1975), ferner die Bewegung Goran (auch Gorran, englisch "Change", 2009 von der PUK abgespalten), die Islamische Union in Kurdistan-Irak (IUKI, gegründet 1994) und die Islamische Gruppe in Kurdistan-Irak (IGKI, gegründet 2001). Präsident der Region war Mas?ud Barzani. Von 1992 bis 2003 hatten KDP und PUK in der Kurdistan-Region alleine regiert. Die neue Regierung repräsentiert einen Kompromiss zwischen Gruppen, die auf eine lange Geschichte gewaltsamer Konflikte untereinander blicken. Zu nennen ist hier etwa der Bürgerkrieg zwischen KDP und PUK Mitte der 1990er Jahren. Bis heute ist die Region faktisch zwischen KDP und PUK aufgeteilt - wobei die PUK in den letzten Jahren Einfluss an Goran abgeben musste (Savelsberg 8.2017). Innerhalb der autonomen Kurdenregion gibt es immer wieder Konflikte zwischen den drei großen irakisch-kurdischen Parteien KDP, Goran und PUK. Grund dafür ist unter anderem die Wirtschaftskrise und die weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft, die im Kurdengebiet vorherrschen (Reuters 26.10.2015). Darüber hinaus sorgt der Streit um die Präsidentschaft Mas?ud Barzanis für Spannungen, dessen (bereits außertourlich verlängerte) Amtszeit im August 2015 abgelaufen ist (s.u.). Die Waffenlieferungen des Westens und anderer Verbündeter an die Kurden haben zudem den Effekt, dass die kurdische Politik insgesamt zwar an Bedeutung gewinnt, sich jedoch dadurch die Spannungen zwischen den kurdischen Fraktionen weiter erhöhen. KDP und PUK sind durch ihre jeweiligen Bündnisse mit mächtigen - teilweise gegensätzlichen - Partnern gespalten: Die KDP mit Mas'ud Barzani, dem Präsidenten der KRG (Kurdish Regional Government - die Regionalregierung in der KRI) wird vorrangig vom Westen unterstützt und steht der Türkei nahe, während die PUK vorrangig vom Iran unterstützt wird und der türkischen PKK, sowie der irakischen Regierung in Bagdad nahesteht. Beide Parteien haben ihre jeweils eigenen Militäreinheiten (Peschmerga), die im Kampf gegen den IS oftmals in einem starken Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. (ICG 12.5.2015).

 

Die Newcomer-Partei Goran, die erst seit Juni 2014 in der kurdischen Regionalregierung vertreten ist, und die mit dem Versprechen angetreten ist, gegen den Nepotismus und die Korruption der beiden Altparteien vorzugehen, besitzt keine eigenen Militäreinheiten und ist auch wirtschaftlich nicht gut vernetzt, sodass sie aufgrund fehlenden Einflusses ihre Versprechen nicht umsetzen kann, und in der gegenwärtigen Situation - obwohl zweitstärkste Partei hinter der KDP - politisch und insbesondere militärisch keine herausragend große Rolle spielt (Bauer 2015). Nach dem Tod des Goran-Parteigründers Nawshirwan Mustafa im Mai 2017 heißt der nunmehrige Parteichef Omar Ali (Rudaw 25.7.2017).

 

Im August 2015 kam es zum Zerfall der Allparteienkoalition (AA 7.2.2017). Mas?ud Barzani hat seit Ablauf seiner bereits außertourlich verlängerten Amtszeit im Oktober 2015 das Amt nicht verlassen und das Parlament ausgesetzt (Ekurd 18.7.2017; vgl. Ekurd 16.1.2017). In Folge dieses Konflikts kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen. Büros der KDP wurden in Brand gesteckt. Fünf Demonstranten wurden nach Angaben von Human Rights Watch getötet. Der unabhängige Nachrichtensender NRT und der Sender der Goran-Bewegung mussten ihre Büros in Erbil vorübergehend schließen. Parlamentspräsident Muhammed Yussuf, selbst Mitglied von Goran, wurde im Oktober 2015 an einem Checkpoint an der Weiterfahrt nach Erbil gehindert, die fünf Goran-Minister mussten die Regierung verlassen. Seit dem 12. Oktober 2015 hat das Parlament nicht mehr getagt. Während Barzani sein Festhalten an der Präsidentschaft mit dem Urteil eines Schiedsgerichts legitimiert, demzufolge er bis zur Neuwahl eines Nachfolgers im Amt bleibe, sprach Goran von einem "Putsch" (Savelsberg 8.2017).

 

Betreffend die nächsten Parlamentswahlen auf nationaler Ebene hat die irakische Wahlkommission den 12. Mai 2018 als Wahltermin festgelegt, der Termin muss noch vom irakischen Parlament bestätigt werden (Rudaw 22.10.2017).

 

2. Sicherheitslage

 

Hintergrund

 

Nachdem die irakische Armee im Sommer 2014 vorübergehend Auflösungserscheinungen zeigte und dem IS kampflos große Gebiete des Landes überließ (Spiegel 15.6.2014), veröffentlichte der schiitische Religionsführer im Irak, Großayatollah Ali al-Sistani einen Aufruf zur Mobilisierung gegen den IS, infolge dessen sich zahlreiche schiitische Milizen gründeten. Auch ältere schiitische Milizen aus der Zeit der religiös motivierten Gewalt von 2006 gewannen wieder an Einfluss. Mit Unterstützung des Irans konnten diese einen Angriff des IS auf die Hauptstadt verhindern und die Terrororganisation weiter nach Norden zurückdrängen. Seit Ende 2015 forciert Bagdad eine Regierungsoffensive gegen den IS, bei der mit Einsatz von schiitischen Milizen, sunnitischen Stammeskämpfern und Luftunterstützung der USA vorige IS-Hochburgen wie Ramadi und Fallujah zurückerobert werden konnten (ACCORD 12.2016). In den Jahren 2015 und 2016 wurden auch die Städte Tikrit, Hit, Rutba, sowie die Gegend um Sinjar, die sich unter der Kontrolle des IS befunden hatten, zurückerobert (ÖB 12.2016). Der bewaffnete Konflikt ging somit im Jahr 2016 unvermindert weiter (AI 31.12.2016), und mit Stand Dezember 2016 waren bereits 60 Prozent des Gebietes, das im Irak unter Kontrolle des IS stand, zurückerobert (ÖB 12.2016). Laut dem Irakexperten des "Institute for the Study of War", Patrick Martin, hat der IS im Irak mit Stand Juli 2017 nur noch etwa sieben Prozent des ursprünglichen IS-Gebietes unter seiner Kontrolle, gleichzeitig warnt er jedoch davor, den IS zu früh als mögliche weitere Bedrohung abzuschreiben (Daily Star 10.7.2017). Im Zuge der Rückeroberungen werden im Irak immer wieder zahlreiche Massengräber gefunden (Standard 11.5.2017; USDOS 3.3.2017, HRW 16.11.2016). Die Offensive zur Rückeroberung Mossuls startete im Oktober 2016 und am 9. Juli 2017 verkündete Premierminister Abadi (nach fast neun Monaten schwerer Kämpfe und fast einer Million Vertriebener) den erfolgreichen Abschluss derselben (OCHA 13.7.2017).

 

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei die diesbezüglichen Schätzungen unterschiedlich sind. Die letzte Volkszählung wurde 1997 durchgeführt. Im Gouvernement Bagdad leben ca. 7,6 Millionen Einwohner. Geschätzte 99% der Einwohner sind Moslems, wovon ca. 60%-65% der schiitischen und ca. 32%-37% der sunnitischen Glaubensrichtung angehören (CIA World Factbook 2014-2015, AA 10.5.2016).

 

Der folgende Atlas, den das österreichische Bundesministerium für Inneres in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport im Jahr 2016 ausgearbeitet hat, stellt in der folgenden Karte religiöse und sektiererische Zusammensetzung in wichtigsten irakischen Ansiedlungen im Jahr 2014 dar.

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

Austrian Federal Ministry of the Interior & Austrian Federal Ministry of Defence and Sports (2016): Landkarte: Atlas Syria & Iraq, Syria & Iraq: Religious and sectarian groups January 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1471942452_bmi-bmlvs-atlas-syria-iraq-2016.pdf , Zugriff 5.12.2016

 

Aktuelle Sicherheitslage

 

Nachdem Premierminister Abadi am 31. August 2017 die gesamte Provinz Ninewah für vom IS zurückerobert erklärt hatte (Rudaw 31.8.2017), liegt der Focus nun auf den Provinzen Anbar und Kirkuk. Am 21. September 2017 startete die Operation zur Rückeroberung der in der Provinz Kirkuk/Tameem liegenden Stadt Hawija und deren Umgebung (BAMF 25.9.2017). Bei der Operation nehmen irakische Truppen, sowie schiitische Milizen teil, die kurdischen Peschmerga sind derzeit nicht beteiligt (Al-Jazeera 23.9.2017). Das Gebiet liegt jedoch im von den Kurden für sich beanspruchten Gebiet (Al-Jazeera 27.9.2017). Gleichzeitig findet eine Offensive zur Rückeroberung der Provinz Anbar statt, an der die irakischen Sicherheitskräfte, einschließlich Polizeieinheiten und schiitischer PMF-Milizen (PMF: Popular Mobilization Forces) teilnehmen (Al-Monitor 26.9.2017).

 

Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).

 

Die folgende Grafik zeigt die massiven Gebietsverluste des IS seit Jänner 2015 (Stand 30.10.2017). Der Wüstenbereich nördlich von Al-Qaim wird je nach Quelle als Wüstengebiet oder als IS-Gebiet eingezeichnet (s. untere Karte) eingezeichnet.

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

(BBC 3.11.2017)

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

(Liveuamap 17.11.2017, Stand 17.11.2017)

 

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017). Zu diesen Zahlen gelten die im Länderinformationsblatt Irak in Abschnitt 3.1 erwähnten Einschränkungen und Anmerkungen - kriminelle Gewalt wurde in dieser Statistik nur zum Teil berücksichtigt, Stammesgewalt gar nicht.

 

Gewaltmonopol des Staates

 

Staatlichen Stellen ist es derzeit nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen sowie der IS handeln eigenmächtig. Dadurch sind die irakischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage, den Schutz der Bürger sicherzustellen (AA 7.2.2017). Insbesondere über den Nordwesten des Irak kann die Regierung nicht die Kontrolle behalten und muss sich auf die [vorwiegend] schiitischen Milizen der PMF verlassen. Die zwei wichtigsten davon sind Asaïb Ahl al-Haq (AAH) und die Badr-Brigaden, die beide [effektiv] unter dem Kommando des Iran stehen (Stansfield 26.4.2017). Durch die staatliche Legitimierung der Milizen verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Staatliche Ordnungskräfte können sich teilweise nicht mehr gegen die mächtigen Milizen durchsetzen (AA 7.2.2017).

 

Anschläge

 

Der IS verübte im gesamten Land Selbstmordattentate und andere Anschläge, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden. Die Anschläge richteten sich wahllos und teils gezielt gegen Zivilpersonen auf belebten Märkten und öffentlichen Plätzen oder beim Besuch schiitischer Schreine (AI 22.2.2017). VBIEDs (vehicle-borne improvised explosive devices - Autobomben) und Sprengsätze von Selbstmordattentätern wurden auf öffentlichen Märkten, Sicherheitskontrollpunkten und in vorwiegend schiitischen Umgebungen zur Explosion gebracht (USDOS 3.3.2017). V.a. Städte waren im Fokus des IS. Bagdad war dabei am stärksten betroffen und war der Ort, an dem mehr als die Hälfte der gesamten Todesfälle passierten (USDOS 3.3.2017). Der IS stellt trotz der massiven Rückschläge, die er erlitten hat, im Irak weiterhin eine ernstzunehmende Gefahr dar, und seine Transformation zu einer Organisation, die ihre Ressourcen zunehmend für Aufstände, Guerilla-Angriffe und terroristische Anschläge benutzt, hat bereits begonnen (Daily Star 10.7.2017). Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt ein (Wieder)-Erwachen von anderen aufständischen sunnitischen Gruppen, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden, vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten radikaler Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des Institutes for the Study of War zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich (ISW 7.2.2017). Terroristische Organisationen sind im gesamten Irak weiterhin imstande tödliche Anschläge durchzuführen. Heimische Terrororganisationen sind dabei für den Großteil der Anschläge verantwortlich und sind in den meisten Fällen religiösen oder politischen Organisationen zuordenbar. Zu diesen Gruppen gehören neben dem (sunnitischen) IS auch die Peace Brigades von Muqtada al Sadr (schiitisch), sowie die ebenfalls schiitischen Gruppen Asa'ib Ahl al-Haq (AAH) und Kata'ib Hizballah (OSAC 1.3.2017).

 

2.1. Sicherheitsbehörden und die wichtigsten im Irak operierenden militärischen Akteure und Milizen

 

Irakische Sicherheitskräfte (ISF)

 

Die ISF bestehen aus den Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, aus jenen, die vom Verteidigungsministerium verwaltet werden, aus den [vorrangig schiitischen] Milizen, die unter der Dachorganisation der Volksmobilisierung (PMF) zusammengefasst wurden (Anm.: diese werden auf Grund ihrer besonderen Rolle und Stellung in einem gesonderten Abschnitt behandelt) und dem Counterterrorism Service (CTS). Die Aufgaben des Innenministeriums umfassen nationale Gesetzesvollstreckung und Aufrechterhaltung der Ordnung, gestützt auf die staatliche Polizei, die regionale Polizei, die Abteilung zum Schutz von Gebäuden/Einrichtungen, die Bürgerwehr sowie die Abteilung für Grenzschutz. Die dem Ölministerium unterstehende Energie-Polizei ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur verantwortlich. Herkömmliche, dem Verteidigungsministerium unterstehende Militärkräfte sind für die Verteidigung des Landes verantwortlich, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch häufig Anti-Terror-Einsätze sowie interne Sicherheitseinsätze durch (USDOS 3.3.2017).

 

Die irakischen Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige und über 100.000 Polizisten umfassen. Die ISF sind nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert, darüber hinaus existiert kein Polizeigesetz. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung. In einem Urteil des EGMR (EGMR 264 (2016) vom 23.08.2016) hinsichtlich der Rückführung in den Irak wird bemerkt, dass weite Gebiete des Landes sich außerhalb der effektiven Kontrolle der Regierung befinden und die Schutzfunktion des Staates als vermindert anzusehen ist. Die Menschenrechtslage ist, vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und des wenig ausgeprägten Gewaltmonopols samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017).

 

Die irakische Armee verfügt nicht über ausreichende Fähigkeiten oder Ausrüstung, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. Die Schmach des weitgehend kampflosen Rückzugs gegenüber den IS-Kräften bei deren Vormarsch 2014 sitzt jedoch tief und führte in der Zwischenzeit in Teilen der Truppe zu einer hohen Motivation bei der Rückeroberung besetzter Gebiete. [Zehntausende irakische Soldaten verließen im Juni 2014 ihre Posten und flüchteten; viele aus Angst vor dem IS, viele meinten, sie hätten den Befehl dazu bekommen - Global Security

o. D] Die Professionalisierung der Armee und vor allem auch der Bundes- und lokalen Polizei wird im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition mit Hilfe internationaler Militär- und Polizeiausbildung unterstützt (AA 7.2.2017).

 

Schiitische Milizen - Popular Mobilization Forces

 

Genese und Entwicklung seit 2014

 

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" bzw. Al-Hashd al-Shaabi, englisch: Popular Mobilization Units (PMU) oder Popular Mobilization Forces bzw. Front (PMF)) bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig fast ausschließlich schiitische Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Schätzungen zufolge haben die Volksmobilisierungseinheiten zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen. Die Entstehung des Milizenbündnisses kann als Reaktion auf die irakische Offensive des sog. "Islamischen Staates" (IS) verstanden werden und ist somit eng mit dessen militärischen Erfolgen und territorialen Gewinnen verquickt: Im Sommer 2014 drang die Terrororganisation in den Irak ein und nahm am 10. Juni erst Mossul und danach weite Teile der Provinzen Ninewah, Salahuddin, Anbar, Diyala und Kirkuk ein; wenig später waren auch die Städte Erbil und Bagdad in Gefahr (Süß 21.8.2017).

 

Die reguläre irakische Armee war dem IS nicht gewachsen, weshalb der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 11. Juni zur Mobilisierung einer "Reservearmee" aufrief. Außerdem ließ der führende irakische schiitische Gelehrte Ayatollah Ali Sistani am 13. Juni ein islamisches Rechtsgutachten (fatwa) verlautbaren, in dem er alle jungen Männer dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten des Irak anzuschließen. Infolge der Fatwa schrieben sich tausende junge schiitische Männer auf Freiwilligenlisten ein, schlossen sich jedoch nicht Armee oder Polizei, sondern bereits existierenden oder neu formierten schiitischen Milizen an. Zwei Tage später bildete die irakische Regierung ein Komitee der Volksmobilisierung, das dem Ministerpräsident Haidar al-Abadi untersteht und vom Nationalen Sicherheitsberater Falih al-Fayyad geleitet wird. Die wahren Kräfteverhältnisse sind allerdings schon daran abzusehen, dass die Gründung durch das irakische Innenministerium verkündet wurde:

Dieses unterstand bis Juli 2016 der Führung des "Badr-Politikers" Muhammad al-Ghabban, die dominante Kraft im Innenministerium und damit der eigentliche irakische Führer des Milizenbündnisses ist jedoch Hadi al-Amiri. Mehrere Milizen stehen außerdem politischen Parteien nahe. Innerhalb der zahlreichen, meist lokal organisierten Gruppen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten können im Wesentlichen drei Gruppen ausgemacht werden: Erstens schon länger aktive Milizen, die infolge der Fatwa tausende neue Rekruten hinzugewannen (Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah und Saraya as-Salam). Zweitens gibt es solche schiitischen Formationen, die ab Juni 2014 entstanden (bspw. Kata'ib al-Imam Ali) und drittens einige kleinere sunnitische Milizen (Süß 21.8.2017).

 

Die wichtigsten Milizen innerhalb der PMF

 

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Sie orientiert sich an der Tradition Khomeinis und der Staatsdoktrin Irans. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Hohen Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war. Mit der Namensänderung in Badr-Organisation wurde das Korps zum politischen Akteur. Als sich der Rat in "Irakischer Islamischer Hoher Rat" umbenannte und sich gleichzeitig vom Iran distanzierte, gelang es Badr, sich als wichtigster Verbündeter Irans im Irak zu etablieren und trennte sich 2009 schließlich vom Hohen Rat. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft des Milizenbündnisses. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und arbeitet mit Kata'ib Hizbullah zusammen. Unklar ist jedoch, ob die genannten Zahlen ausschließlich Kämpfer oder auch sonstiges Personal umfassen, denn die Badr-Organisation ist Miliz und politische Partei in einem. Badr war bisher an allen wichtigen militärischen Auseinandersetzungen in den Provinzen Diyala, Salah ad-Din, Anbar und Ninewah beteiligt; ihr militärisches Hauptquartier befindet sich im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad. In Diyala verfügt Badr außerdem über ein Territorium, das sich zu einer eigenständigen Machtbasis im Sinne eines "Staates im Staate" ausbauen lässt (Süß 21.8.2017).

 

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) entstanden im Zuge der Umbenennung des Badr-Korps in Badr-Organisation und bekämpften im Gegensatz zu diesem die US-Truppen. Sie wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

 

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der Volksmobilisierungseinheiten (Süß 21.8.2017).

 

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa Sistanis auf Anweisung von Muqtada as-Sadr gegründet und sollten möglichst viele der Freiwilligen vereinigen. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

 

Auch Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl az-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr-Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feld-kommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

 

Überblick über die wichtigsten PMF:

 

 

 

Name *Gründung

Anführer und Gruppengröße

Verbindungen, Zusammenarbeit

Bekannte regionale Aktivität

1

Badr-Organisation *1983/84

Hadi al-Amiri 20.000 - 50.000

Kata'ib Hizbullah

stark in Kirkuk, Tuzkhurmato, Amerli, Salah ad-Din, Diyala; milit. Hauptquartier im Militärlager Camp Ashraf nördlich von Bagdad

2

Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) *2007

Abu Mahdi al-Muhandis ca. 30.000

Badr, Kata'ib Sayyid Shuhada, Kata'ib al-Imam Ali, Haraqat al-Nujaba

vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv

3

Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) *2006

Qaiz al-Khaz'ali mind. 3.000

unbekannt

Einfluss in neun Provinzen, u.a. Bagdad, Siyala, Tuzkhurmato, Südirak; einflussreichste Gruppe in Basra, Najaf, Kerbela, Muthanna

4

Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) *2014

Muqtada as-Sadr mind. 50.000

unbekannt

Haupteinsatzgebiet im südlichen Zentrum des Irak

5

Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) *2014

Shibl az-Zaidi

Badr, Kata'ib Hizbullah

bedeutend um Tuzkhurmato

     

 

(Süß 21.8.2017)

 

Kurdische Sicherheitskräfte und Akteure

 

Peschmerga: Gemäß Art. 121 der irakischen Verfassung üben kurdische Sicherheitskräfte (insbesondere die militärisch organisierten Peschmerga und die Sicherheitspolizei Asayisch) die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaymaniya, Dohuk und Halabdscha aus; diese Kräfte kontrollieren darüber hinaus de facto Teile der Provinzen Diyala, Kirkuk und Ninewah. Sie unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung und sind nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Die kurdischen Sicherheitskräfte bilden keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch den beiden großen Parteien KDP und PUK in ihren jeweiligen Einflussgebieten (s. dazu den Abschnitt zur Sicherheitslage) (AA 7.2.2017). Die Peschmerga sind also nach wie vor zweigeteilt, auch wenn es eine gemischte KDP-PUK-Einheit von ungefähr 30.000 Mann gibt (Stansfield 26.4.2017). Die zivilen Behörden der KRI konnten nicht immer die Kontrolle über die Peschmerga bewahren. (USDOS 3.3.2017).

 

Interne Sicherheitskräfte der KRG: Die KDP hat auch ihre eigene, interne Sicherheitseinheit, die Asayisch, als auch ihren eigenen Geheimdienst, den Parastin. Die PUK betreibt ebenso ihre eigene interne Sicherheitseinheit, die gleichfalls als Asayisch bekannt ist, und ihren eigenen Geheimdienst Zanyari. Die PUK und die KDP unternahmen nur symbolische Schritte, um ihre internen und externen Geheimdienste zu vereinigen, diese blieben weiterhin getrennt, und werden quasi von Parteiführern durch ihre jeweiligen Parteikanäle kontrolliert (USDOS 3.3.2017).

 

Die türkisch-kurdische Arbeiterpartei PKK, die von der Türkei als terroristische Organisation bekämpft wird, ist auch im Nordirak aktiv (insb. in den Qandil-Bergen und in Sinjar), und betreibt dort Stützpunkte, die von türkischen Streitkräften attackiert werden (s. Abschnitt "Sicherheitslage im Kurdischen Autonomiegebiet").

 

Die syrische Partei PYD (Partei der Demokratischen Union) mit ihrem militärischen Arm YPG (Volksverteidigungseinheiten) gilt als der syrische Ableger der türkischen PKK und ist im Irak im Gebiet um Sinjar aktiv (s. Abschnitt "Sicherheitslage im Kurdischen Autonomiegebiet").

 

2.2. Sicherheitslage im Kurdischen Autonomiegebiet (KRI) und den von Kurden kontrollierten Gebieten

 

Während der IS in Richtung Syrien zurückgedrängt werden konnte, bleibt die Sicherheitslage in der KRI volatil ("fluid"). Die Gefahr von asymmetrischen Angriffen auf sogenannte "weiche Ziele" bleibt hoch (OSAC 13.2.2017), auch wenn es in der irakischen Kurdenregion bedeutend weniger Berichte von Morden oder konfessioneller Gewalt gibt als im restlichen Land. Minderheitengruppen berichteten von Bedrohungen und Angriffen gegen ihre Gemeinden außerhalb des Kurdischen Autonomiegebietes, innerhalb jener Regionen, die (effektiv) unter der Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen (USDOS 3.3.2017). Außerdem kommt es nach der Befreiung von Ortschaften aus den Händen des IS im Nachgang teilweise zu Machtkämpfen um die Vorherrschaft im jeweiligen Gebiet; so wurde im Sommer/Herbst 2016 über Zusammenstöße zwischen kurdischen Peschmerga und schiitischen Milizen in der Stadt Tuz Khurmatu berichtet (AA 7.2.2017).

 

Die UN-Unterstützungsmission für den Irak (UNAMI) erwähnt in ihrem Bericht vom Dezember 2016 Kampfhandlungen des IS im Distrikt Makhmur der Provinz Erbil im Zeitraum März bis April 2016. Dabei wurden von UNAMI sieben Todesfälle dokumentiert (UNAMI/OHCHR 30.12.2016). Im Februar 2017 ist es gemäß dem im Irak ansässigen kurdischen Mediennetzwerk Rudaw zu vier sicherheitsrelevanten Vorfällen im Zusammenhang mit dem IS gekommen, die sich in der Nähe der Stadt Erbil ereignet haben, darunter zwei Luftangriffe der Koalition gegen den IS auf Ziele 20 bzw. 30 Kilometer von der Stadt entfernt. Darüber hinaus werden immer wieder mutmaßliche IS-Kämpfer oder IS-Sympathisanten in der Kurdenregion verhaftet oder getötet. Viele IS-Kämpfer sind von Mossul aus in die Provinz Sulaymaniya eingedrungen (Rudaw 24.2.2017).

 

Seit Ende Juli 2015 führt die Türkei Luftschläge gegen IS-Stellungen in Syrien und im Norden Iraks durch und nimmt dabei auch PKK-Stellungen in der Region Kurdistan-Irak ins Visier (AA 7.2.2017). Dabei werden regelmäßig Mitglieder der PKK getötet, immer wieder auch Zivilisten (Zeit 25.4.2017, vgl. MOI 2016/2017, vgl. Rudaw 22.2.2017, vgl. Reuters 1.8.2017, vgl. Reuters 1.8.2015), bzw. wurde auch zumindest von einem Fall berichtet, in dem versehentlich sechs kurdische Peschmerga-Kämpfer getötet wurden (Zeit 25.4.2017). Auch ein Ausbildungslager [der von der PKK trainierten] jesidischen Widerstandseinheiten Sinjar YBS wurde laut Berichten bei Angriffen durch die türkische Luftwaffe zerstört. Während die Jesiden und Kurden gegen die Angriffe protestieren, verteidigt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die Luftschläge (Euronews 27.4.2017) mit dem Argument, dass die Türkei nicht zulassen könne, dass das Sinjar-Gebirge eine Basis der Terrororganisation PKK werde. Die PKK gewinnt im Irak immer stärker an Einfluss, was die Türkei zunehmend als Bedrohung ansieht (Natali 3.1.2017; vgl. WINEP 2017). Mit dem Schlag auf Sinjar (Shengal) drang die türkische Luftwaffe deutlich tiefer als zuvor in das irakische Staatsgebiet ein (NA 28.4.2017). Denn zusätzlich zum Hauptstützpunkt in den Qandil-Bergen hat sich die PKK seit der Rückeroberung Sinjars vom IS nun auch in diesem Gebiet, also in den Sinjar-Bergen einen offenbar dauerhaften Standort eingerichtet - einerseits, um die Jesiden vor dem IS zu schützen, andererseits aus strategischen Gründen (WINEP 2017, Al-Jazeera 25.4.2017). Das türkische Militär führt im Irak mittlerweile nicht nur Luftschläge, sondern auch Bodeneinsätze gegen die PKK durch, z.B. kam es im Juni 2017 zu einem Zusammenstoß zwischen der PKK und türkischen Truppen, bei dem es zumindest 18 Tote gab (AN 18.6.2017).

 

Der Konflikt zwischen der PKK und der Türkei auf irakischem Boden führt auch zu einer weiteren Verstärkung der innerkurdischen Feindseligkeiten zwischen der PKK und der KDP, welche die PKK immer wieder auffordert, sich aus der Region zurückzuziehen. Es kommt zu Gefechten zwischen den beiden kurdischen Parteien rund um Gebiete bei Sinjar (NA 28.4.2017). Sinjar befindet sich außerhalb des offiziellen Gebietes der Autonomieregion und es wurde berichtet, dass die vom Westen unterstützten Peschmerga dort auch gegen PKK-nahe Jesiden kämpfen (Spiegel 6.3.2017). Zur Vorgeschichte: Die Jesiden bildeten nach der Befreiung Sinjars (Shengals) im November 2015 eigene Selbstverteidigungseinheiten (YBS), die von den Einheiten der dort präsenten PKK ausgebildet wurden. Nachdem sich die Peschmerga im Kampf um Sinjar damals zurückgezogen hatten, wollten sich die Jesiden nicht mehr auf deren Schutz verlassen und gründeten einen jesidischen Volksrat, der den Wiederaufbau Sinjars organisieren sollte. Allerdings akzeptiert die KRG unter Barzani weder die jesidischen Selbstverteidigungseinheiten noch den jesidischen Volksrat (TP 23.1.2017). Die Jesiden - gespalten zwischen KDP und PKK - befürchten nun erneute Vertreibungen aus ihrem Siedlungsgebiet, denn der Türkei wie auch der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak sind die kurdischen Jesiden mit ihren Selbstverwaltungsplänen in Sinjar ein Dorn im Auge (TP 23.1.2017; Al-Monitor 21.8.2017).

 

In der KRI befinden sich neben der PKK auch noch zahlreiche andere kurdische Gruppen / bewaffnete kurdische Organisationen, welche die Türkei bzw. der Iran regelmäßig auf dem Boden der KRI mit Luft- und Artillerieschlägen angreift (MEE 21.12.2016). Das iranische Militär führte im Jahr 2016 Anti-Terror-Operationen (beispielsweise gegen die iranisch-kurdische "Partei für ein freies Leben in Kurdistan"/PJAK) mit erheblichen militärischen Mitteln (Luftangriffe bzw. Artilleriebeschuss) auf irakischem Boden durch (AA 7.2.2017). Gegen die iranisch-kurdische Partei Kurdistan Democratic Party-Iran (KDPI) gab es auch zumindest einen solchen Vorfall im Dezember 2016, bei dem sieben Menschen ums Leben kamen. (MEE 21.12.2016). Türkische Bodentruppen greifen im Nordirak auch Stellungen des IS an (HRW 21.1.2017).

 

In der KRI finden immer wieder zivile Unruhen statt. Religiöse und politische Versammlungen ziehen Hunderte, gelegentlich Tausende an. Die Proteste sind üblicherweise friedlich, an eine Demonstrationsbewilligung gebunden und streng bewacht von kurdischen Polizei- und Sicherheitskräften. Die Demonstrationen sind eine Folge der politischen Konflikte und der wirtschaftlichen Herausforderungen, die in der Region existieren. Im Jahr 2015 eskalierte eine Demonstration zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen der KDP und Anhängern von Goran, in dessen Folge das irakisch-kurdische Parlament außer Kraft gesetzt wurde, das bis heute (Stand 11.8.2017) nicht mehr tagt (s. Abschnitt Kurdische Autonomieregion). Es gab im Jahr 2016 weitere Demonstrationen in Zusammenhang mit Gehältern von Staatsangestellten, diese waren jedoch weniger gewaltsam (OSAC 13.2.2017).

 

Irakexperte Joel Wing ("Musings on Iraq") dokumentierte für den Zeitraum Juli 2016 bis Juni 2017 innerhalb des kurdischen Gebietes 36 sicherheitsrelevante Vorfälle mit insgesamt 296 Toten (Großteil dieser Todesfälle: Mitglieder der türkisch-kurdischen PKK im Zuge von Angriffen durch die türkische Luftwaffe) - davon 23 getötete Zivilisten, 44 Zivilisten wurden laut dieser Quelle verletzt (MOI 2016/2017). Dabei muss beachtet werden, dass in diesen Zahlen Opfer stammesbezogener Gewalt, "gewöhnlicher" krimineller Handlungen (z.B. Raubüberfälle oder Kidnapping), etc. nicht enthalten sind (Wing 19.7.2017). Iraqi Body Count dokumentierte für die drei Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya für das Jahr 2016 105 Zivilisten, die durch Gewalt von Seiten "der US-geführten Koalition, der Sicherheitskräfte der irakischen Regierung, paramilitärischer Einheiten oder durch kriminelle Angriffe von anderen" ums Leben kamen.

 

Innerirakische Migration in die Region Kurdistan-Irak ist möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss zur Asayisch-Behörde des jeweiligen Bezirks gehen und sich anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht. Durch den Zustrom von Binnenvertriebenen ist die Region Kurdistan-Irak an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit angelangt. Mehr als 900.000 Binnenflüchtlinge sind allein seit Anfang des Jahres 2014 nach Kurdistan-Irak geflohen. Hinzu kommen mehr als 250.000 syrische Flüchtlinge. Es gibt inzwischen regelmäßige Linienflüge wichtiger Luftfahrtgesellschaften, u.a. aus Europa und Staaten des Nahen Ostens, nach Bagdad (Royal Jordanian, Middle East Airlines, Turkish Airlines) sowie nach Erbil (Lufthansa, Austrian Airlines, Turkish Airlines, Germania) und Sulaymaniya (Turkish Airlines, Germania). Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Während Rückführungen in die Region Kurdistan auch von Deutschland aus regelmäßig stattfinden, werden Abschiebungen nach Zentralirak aus Deutschland gar nicht und von anderen Staaten sehr verhalten durchgeführt (AA 7.2.2017).

 

Die KDP (Kurdische Demokratische Partei) des kurdischen Regionalpräsidenten Mas'ud Barzani kontrolliert die Provinzen Erbil und Dohuk im Norden des Kurdengebiets mit Grenzen zu Syrien, der Türkei und dem Iran. Die PUK (Patriotische Union Kurdistans) übt traditionell die Kontrolle über die Provinzen Sulaimaniya und Halabdscha im Süden des Kurdengebiets mit Grenze zum Iran aus. Im Zuge des Kampfes gegen den IS haben die kurdischen Peschmerga-Kämpfer auch die erdölreiche und von vielen Kurden bewohnte Provinz Kirkuk unter ihre Kontrolle gebracht [Mit den in Abschnitt "Sicherheitslage" erwähnten Einschränkungen; der IS hält in der Provinz Kirkuk nach wie vor Kontrollgebiet]. Auch diese gilt als Einflussgebiet der PUK. Auch weitere Gebiete im Norden und Osten von Mossul, in der Provinz Ninewa, fallen derzeit in den Machtbereich der Kurden, in diesem Fall der KDP. Es ist derzeit nicht absehbar, ob und inwieweit die Peschmerga diese Gebiete nach Beendigung der Mossul-Operation wieder räumen werden (AA 7.2.2017). Die Sicherheitslage in Kirkuk hat sich nach 2014 stetig verschlechtert, im Jahr 2016 blieb sie weiterhin instabil (IOM 2015-2016). Laut US Department of States Bureau of Diplomatic Security ist die Sicherheitslage in Kirkuk sogar höchst instabil, mit regelmäßigen Angriffen/Anschlägen und sicherheitsrelevanten Vorfällen (OSAC 13.2.2017). Im Oktober 2016 fand ein Angriff des IS auf die Stadt Kirkuk statt, bei dem eine große Zahl an IS-Kämpfern in die Stadt eindrang; laut Rudaw wurden dabei etwa hundert Menschen getötet. Kirkuk ist immer wieder Schauplatz von Angriffen oder Anschlägen (Rudaw 8.11.2016, vgl. HB 22.10.2016). Im Jahr 2016 dokumentierte Iraqi Body Count in der Provinz Kirkuk Vorfälle mit

1.106 getöteten Zivilisten, in den ersten beiden Monaten des Jahres 2017 wurden 120 in dieser Provinz getötete Zivilisten dokumentiert (Anm.: Im Westen der Provinz Kirkuk hält der IS nach wie vor das Kontrollgebiet rund um Hawija.) (IBC 2016/2017). Joel Wing dokumentierte in den ersten 6 Monaten des Jahres 2017 in der Provinz Kirkuk Vorfälle mit 328 getöteten Zivilisten (MOI 2016/2017). Anm.:

Auch bezüglich dieser Zahlen gelten die in Abschnitt Sicherheitslage und nochmals weiter unten beschriebenen Anmerkungen und Einschränkungen. Der IS führt in der Provinz Kirkuk immer wieder Exekutionen durch, zuletzt exekutierte er im August laut Berichten 27 Zivilisten auf dem Al-Bakkara Militärstützpunkt in Hawija im Südwesten Kirkuks (IraqiNews 9.8.2017).

 

Beim Unabhängigkeitsreferendum bezüglich der Frage der Loslösung Irakisch Kurdistans (KRI) vom irakischen Staat stimmten am 25.9.17 92,7 Prozent der Stimmberechtigten für einen eigenen Staat (Wahlbeteiligung: 72 Prozent) (ORF 27.9.2017). Als Reaktion darauf verbot die irakische Zentralregierung u.a. internationale Flüge in die Region. Die irakische Zentralregierung bat zudem die beiden Länder Türkei und Iran darum, ihre Grenzen zu den kurdischen Autonomiegebieten zu schließen sowie jeglichen Handel einzustellen (BAMF 9.10.2017). Die Grenzübergänge von der KRI zum Iran und der Türkei sind seit dem Referendum nur mehr teilweise geöffnet (s. Karte unten). Die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) haben außerdem begonnen, Checkpoints an diesen Grenzübergängen einzurichten (ISW 6.10.2017).

 

Die Türkei, der Iran und der Irak antworteten darüber hinaus auf das Referendum mit einem aggressiven und koordinierten In-Position-bringen ihrer Truppen. Die vorangetriebenen Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden führen in der Region somit zu Annäherungen zwischen diesen drei Staaten. Am 24 September kam es zum Beschuss des Bezirks Juman (Provinz Erbil) von Seiten nicht-identifizierter iranischer Streitkräfte (ISW 6.10.2017).

 

Am 25. September kam es laut des kurdischen Sicherheitsdienstes Asayish von Seiten der Popular Mobilization Forces (PMF, offiziell in den irakischen Sicherheitsapparat eingegliedert) in Tuz Khurmatu zum Beschuss der kurdischen Peschmerga. Am 27. September verabschiedete der irakische Repräsentantenrat eine Resolution, welche die irakische Regierung dazu aufruft, die ISF mit der Zurückgewinnung der Ölfelder in Kirkuk zu beauftragen (ISW 6.10.2017). Premierminister Haidar al-Abadi forderte die Kurdenführung auf, alle Gebiete an die irakische Zentralregierung zurückzugeben, die die kurdischen Peschmerga-Kämpfer während des Kampfes gegen den IS unter ihre Kontrolle gebracht hatten (ORF 27.9.2017).

 

Am 15. Oktober 2017 eröffneten die irakischen Sicherheitskräfte (Iraqi Security Forces, ISF), Counterterrorism Services (CTS), die Bundespolizei und die vom Iran unterstützten PMF eine Offensive in Kirkuk mit dem Ziel die K1 Militärbasis, den Flughafen Kirkuk und die Ölfelder in Kirkuk von den kurdischen Peshmerga einzunehmen (ISW 15.10.2017). Dies folgte dem Ablaufen eines Ultimatums der irakischen Armee an die kurdischen Kämpfer, laut welchem der Rückzug der Peshmerga auf ihre Stellungen, die sie vor dem 6. Juni 2014 hielten, gefordert wird. Die kurdischen Peshmerga hatten diese Gebiete 2014 im Kampf gegen den IS erobert (Der Standard 15.10.2017). Noch Stunden zuvor hatte der Irakische Sicherheitsrat den Kurden vorgeworfen, Kräfte mit Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nach Kirkuk zu bringen. Dies sei eine "Kriegserklärung" (Der Tagesspiegel 16.10.2017). Laut Irakischer Regierung haben die Truppen am Morgen des 16. Oktobers große Teile Kirkuks ohne Gefechte mit den Peshmerga erobert. Dies wurde jedoch von kurdischer Seite bestritten (Der Standard 16.10.2017). Südlich von Kirkuk ist es zu einem bewaffneten Zusammenstoß zwischen irakischen und kurdischen Einheiten gekommen, bei dem auch schwere Waffen eingesetzt wurden (Rudaw 16.10.2017). Laut Hemin Hawrami, einem Assistenten des kurdischen Präsidenten Massoud Barzani, hat dieser angeordnet, keinen Konflikt zu initiieren, sich im Falle eines Angriffes aber zu verteidigen (The Guardian 16.10.2017). Auf die multiethnische Region Kirkuk erheben sowohl die Kurden im Irak als auch die Zentralregierung in Bagdad Anspruch. Kirkuk gehört nicht zum autonomen Kurdengebiet im Irak, wird aber überwiegend von Kurden bewohnt (Spiegel Online 16.10.2017).

 

Die Kurden im Nordirak planen nach dem Unabhängigkeitsreferendum als nächsten Schritt Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Als Wahltermin ist der 1. November vorgesehen, berichtete der Sender Rudaw TV unter Berufung auf die Wahlbehörde (Die Zeit 3.10.2017).

 

Am 3. Oktober 2017 verstarb der frühere irakische Staatspräsident und Gründer der kurdischen Partei "Patriotische Union Kurdistans" (PUK), Jalal Talabani, in Berlin (BAMF 9.10.2017).

 

Am 05.10.17 haben die irakische Armee, Polizei und paramilitärische Einheiten einen weiteren Erfolg bei der Zurückdrängung des sogenannten Islamischen Staates (IS) erzielt und die Stadt Hawija (rd. 300 km nördlich von Bagdad) zurückerobert. Gegen mehrere, weiterhin vom IS kontrollierte Orte im Nordwesten läuft eine Offensive der irakischen Armee (BAMF 9.10.2017). Im Rahmen der Offensive rund um Hawija kam es wiederum zu Menschenrechtsverletzungen von Seiten der PMF gegenüber Zivilisten, darunter unrechtmäßige Verhaftungen und Folter (K24 29.9.2017). Während der Mosul-Offensive hatte sich das Ausmaß der berichteten Racheakte und Menschenrechtsverletzungen massiv vergrößert, inzwischen ist der Zorn auf IS-Sympathisanten, und Personen, die als solche wahrgenommen werden, so groß, wie er zuletzt im konfessionell motivierten Bürgerkrieg [ca. 2006-2007] war (NW 2.10.2017).

 

Am 29.10.2017 erklärte Mas'ud Barzani seinen Rücktritt als Präsident der kurdischen Region. Er lehnte in einem Brief an das kurdische Parlament eine Verlängerung seines Mandats über den 1.11.17 hinaus ab (IFK 6.11.2017). Barzani bleibt Vorsitzender der KDP (Kurdistan Democratic Party) und somit weiterhin ein wichtiger politischer Akteur. Die weiter andauernde Lähmung des kurdischen Regionalparlamentes versetzt die beiden Parteien KDP und PUK (Patriotische Union Kurdistans) weiterhin in die Lage, politische Entscheidungen ohne die Einbeziehung der Partei Goran oder anderer Parteien zu treffen (CR 14.11.2017).

 

Nach der Offensive der irakischen Armee und der PMF (Popular Mobilization Forces) in die von den Kurden kontrollierten Gebiete, besteht derzeit ein Waffenstillstand, es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit, nicht nur bezüglich der weiteren Vorgehensweise der irakischen Regierung, sondern auch die wirtschaftliche Situation Kurdistans betreffend. Unterdessen gibt es neue Beweise dafür, dass im Zuge der Offensive in den vorwiegend kurdischen Gebieten Plünderungen, Brandstiftungen, Häuserzerstörungen und willkürliche Angriffe offenbar insbesondere von Seiten der PMF (auch von Seiten turkmenischer PMF-Milizen) stattfanden. Tausende haben dabei ihre Häuser, ihre Geschäfte und ihre sonstigen Besitztümer verloren. (AI 24.10.2017; Bas 14.11.2017; HRW 20.10.2017). Laut den Vereinten Nationen (VN) kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung zur Vertreibung von zehntausenden Menschen aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten". 180.000 Menschen sind (mit Stand 18.11.2017) nach wie vor vertrieben, 172.000 sind zurückgekehrt. Die meisten dieser Vertriebenen sind Kurden, aber auch Mitglieder anderer Minderheiten, einschließlich sunnitischer Araber und Turkmenen. Die meisten Vertriebenen lebten in den Städten Kirkuk, Daquq (Provinz Kirkuk), sowie Tuz Khurmatu (Rudaw 18.11.2017). Aus Furcht vor Repressalien kehren sie derzeit nicht in ihre Heimatgebiete zurück (Reuters 9.11.2017).

 

Die irakische Regierung beantwortete den Aufruf Barzanis nach dem Unabhängigkeitsreferendum, mit den Kurden nun in Verhandlungen zu treten, ebenfalls mit einer Drohung. Premierminister Haider al-Abadi forderte die Kurden auf, binnen drei Tagen die Kontrolle der Flughäfen im Norden des Landes an die Zentralregierung zu übergeben. Sollte dies nicht geschehen, werde die irakische Regierung den Luftraum sperren und keine Flüge mehr aus oder in den Nordirak zulassen. Inlandsflüge seien davon jedoch nicht betroffen und internationale Flüge in und aus der Kurdenregion könnten [nach derzeitigem Stand] über Bagdad stattfinden (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Darüber hinaus stimmte das irakische Parlament bereits am Montag dafür, die irakische Armee in jene Gebiete zu schicken, in denen das Referendum abgehalten wurde, die jedoch laut irakischer Verfassung von 2005 als "umstrittenen" gelten - insbesondere Kirkuk und Umgebung, wo die Kurden die völlige Kontrolle übernahmen, nachdem 2014 die irakische Armee vor dem "Islamischen Staat" (IS) geflohen war (Harrer 26.9.2017).

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

(Al-Jazeera 27.9.2017)

 

Irakische Regierungskräfte haben als Reaktion auf das Kurdenreferendum beinahe alle Gebiete eingenommen, die zu den sogenannten "umstrittenen Gebieten" zählen, einschließlich Kirkuk und die dort befindlichen Ölquellen. Auch die jesidische Stadt Sinjar werde Berichten zufolge nun von Popular Mobilization Forces (PMF) kontrolliert (NYTimes 22.10.2017; Rudaw 17.10.2017). Unter anderem kam es dabei am 20. Oktober 2017 zu schweren Gefechten zwischen irakischen Truppen und kurdischen Peschmerga-Kämpfern. Iraks gemeinsames Operationskommando teilte am Freitag mit, Kräfte von Armee, Polizei und schiitischen Milizen hätten den Ort Altun Kopri/Pirde in der umstrittenen Provinz Kirkuk eingenommen. Nach offiziellen kurdischen Angaben kamen bei den Gefechten etwa 30 Peschmerga-Kämpfer ums Leben. Auch die arabischen Kämpfer der Regierungskräfte sollen hohe Verluste gehabt haben. Von ihrer Seite hieß es, die Kurden hätten das von Deutschland für den Kampf gegen den IS gelieferte MIlan-Panzerabwehrsystem eingesetzt. Die Kurden ihrerseits beklagen, dass sie mit US-Waffen bekämpft werden. Es gab zwar vereinzelt Gefechte, meist zogen sich die Peschmerga zurück (Standard 20.10.2017). Die Anti-IS-Koalition zerfällt nicht nur entlang ethnischer Linien, sondern auch die innere Spaltung der irakischen Kurden tritt wieder stärker zutage. Die irakischen Kurden sind in sich tief gespalten. Die von Barzani geführte KDP (Kurdistan Democratic Party) beschuldigt ihren innerkurdischen Hauptrivalen PUK (Patriotic Union of Kurdistan), schuld am Verlust der Stadt Kirkuk zu sein, da diese mit der Zentralregierung in Bagdad einen Deal abgeschlossen und einige ihrer Peschmerga-Einheiten angewiesen habe, sich von ihren Positionen zurückzuziehen. Die beiden kurdischen Parteien haben unterschiedliche Interessen: Der Barzani-Clan (KDP) strebt die Unabhängigkeit von Bagdad an, der Talabani-Clan (PUK) eher die Unabhängigkeit vom Barzani-Clan - durchaus auch im Einvernehmen mit Bagdad. Ein Deal zwischen Bagdad und den Talabanis über einen kurdischen Rückzug aus Kirkuk war die Konsequenz dieser Konstellation. Verlierer sind indes beide kurdischen Parteien. Im Hintergrund stehen radikalere Fraktionen wie die PKK (Kurdische Arbeiterpartei) oder die Salafisten bereit, um das kurdische Vakuum im Irak zu füllen (TDB 16.10.2017; Presse 18.10.2017).

 

Die Vereinten Nationen drängen die irakische Regierung, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, dass alle Zivilisten geschützt sind und dass jene, die die Zivilbevölkerung bedrohen, zwangsvertreiben, oder dieser gegenüber Gewaltverbrechen begehen, gestoppt werden (Rudaw 20.10.2017). Es liegen Berichte vor, denen zufolge in der Stadt Tuz Khurmatu 150 kurdische Häuser (laut Amnesty International "hunderte Häuser") von (auch mit der Regierung verbündeten) bewaffneten Gruppen niedergebrannt wurden. Nachdem sich die Peschmerga-Kämpfer aus diesen Gebieten zurückgezogen hatten, gelangte die Stadt unter die Kontrolle von schiitisch-turkmenischen Kämpfern, die den PMF angehören. Laut VN sind mit Stand 22.10.2017 mehr als 30.000 Zivilisten aus Tuz Khurmatu geflohen. Bei Zusammenstößen zwischen Regierungskräften (einschließlich PMF-Milizen) und den kurdischen Peschmerga in Tuz Khurmatu wurden zumindest 11 Zivilisten getötet. Es schien sich dabei um einen gezielten Angriff auf überwiegend kurdische Gebiete zu handeln. Insgesamt sind laut VN 100.000 Zivilisten aus den umstrittenen Gebieten geflohen, einschließlich Zehntausender aus der Stadt Kirkuk, einige davon sind danach wieder zurückgekehrt. Den meisten jener, die geflohen sind, wird nachgesagt, dass sie Anhänger Mas'ud Barzani's seien (NYTimes 22.10.2017; AI 24.10.2017). Für den 24.10.2017 wurde ein Vorfall dokumentiert, bei dem die irakische Armee und PMF-Milizen auch einen Peschmerga-Checkpoint östlich des von den Kurden gehaltenen Dorfs Mahmud angriffen, nach schweren Gefechten scheiterten und sich ergaben, wobei zumindest 15 Menschen starben (NA 24.10.2017).

 

Neben den militärischen Maßnahmen fasste die Zentralregierung in Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum eine Reihe weiterer Maßnahmen, darunter: Die Sanktionierung kurdischer Banken, das Einfrieren von Fremdwährungstransfers, sowie das Einstellen von Flugverbindungen und mobilen Kommunikationsnetzen (IFK 13.10.2017). Der für den 1. November 2017 festgelegte Wahltermin für Präsidial- und Parlamentswahlen in Irakisch Kurdistan wurde verschoben (Reuters 23.10.2017). Nach dem Oktober 2017 ereigneten sich keine weiteren Kampfhandlungen und verlagerte sich der innenpolitische Fokus auf die irakischen Parlamentswahlen des Jahres 2018.

 

Die Organisation IS ("Islamischer Staat") wurde zwar massiv zurückgedrängt (s. Länderinformationsblatt inkl. bisherige Kurzinformationen), befindet sich aber weiterhin in Teilen der Provinzen Ninewa, Salah Al-Din und Anbar. Es muss dort weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen IS-Verbündeten und den irakischen Sicherheitskräften, regional-kurdischen Peschmerga, Milizen und auch mit US-Luftschlägen gerechnet werden. In der Provinz Ta'mim kommt es regelmäßig zu Kämpfen zwischen terroristischen Gruppen und kurdischen Peschmerga (AA 24.10.2017). Veröffentlichungen von Audiobotschaften des IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi zielen darauf ab, die Gerüchte rund um seinen Tod zu entkräften und die IS-Kämpfer in Syrien und Irak zur Standhaftigkeit aufzurufen. In Mosul etwa wurde der IS zwar vor drei Monaten besiegt, die Organisation stellt dort jedoch noch immer eine Bedrohung dar. Alleine im Zeitraum 19.9.2017 bis 13.10.2017 wurden dort zwölf Selbstmordattentäter getötet. In der Provinz Anbar versuchte der IS Ende September 2017 die Kontrolle über Teile der Stadt Ramadi wiederzuerlangen. Kurzzeitig konnten einige IS-Truppen tatsächlich Teile der Stadt besetzen, letztlich scheiterte der Versuch jedoch. Anbar war stets eine Hochburg von sunnitischen Aufständischen (IFK 13.10.2017).

 

3. Rechtsschutz/Justizwesen

 

Art. 19 Abs. 1 und Art. 86 ff. der Verfassung bezeichnen die Rechtsprechung als unabhängige Gewalt. Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts. Der Gerichtsaufbau wird durch noch zu erlassende Ausführungsgesetze geregelt. Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung ist nicht durchgehend gewährleistet (AA 7.2.2017). Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos. Eine Verfolgung von Straftaten findet allgemein nur unzureichend statt. Insbesondere das Problem, dass Beamte bei Vergehen straffrei davonkommen, spielt sowohl bei Regierungsbeamten, Beamten der Sicherheitskräfte (einschließlich der Peschmerga), sowie bei Militärs eine große Rolle (USDOS 3.3.2017). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssten, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über die "schiitische Siegerjustiz" und die einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten (AA 7.2.2017). Die Vorstöße des IS im Nord- und Zentralirak 2014 und Anfang 2015 und das damit verbundene Sicherheitsvakuum in anderen Landesteilen haben laut Berichten dazu geführt, dass Milizen und Stammesführer die Macht an sich gerissen haben, die Kriminalität zugenommen hat und insgesamt das staatliche Machtmonopol und die Rechtsstaatlichkeit aufgeweicht wurden, einschließlich in der Hauptstadt Bagdad und den südlichen Provinzen (UNHCR 14.11.2016).

 

Berichten zufolge sind im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit weiterhin regelmäßige Verstöße gegen das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren zu beobachten (UNHCR 14.11.2016). Dies galt insbesondere für Angeklagte, denen terroristische Straftaten zur Last gelegt wurden. Gerichte sprachen Angeklagte weiterhin aufgrund von "Geständnissen" schuldig, die unter Folter erpresst worden waren. Von Angeklagten erhobene Foltervorwürfe führten weder zu Ermittlungen noch zu einer gerichtsmedizinischen Untersuchung der Opfer. In einigen Fällen wurde nach unfairen Verfahren die Todesstrafe verhängt (AI 22.2.2017). Rechtsexperten, zivilgesellschaftliche Aktivisten und einige Politiker werfen dem irakischen Justizwesen vor, nicht die ihm vorgeschriebenen Aufgaben zu erfüllen, und unprofessionell mit der Umsetzung von Recht und der gleichen Anwendung des Gesetzes auf alle Bürger umzugehen. Das Oberste Bundesgericht und der Strafgerichtshof wird hierbei besonders kritisiert, und beschuldigt, Urteile zu fällen, die sich nach der Politik der Regierung richten (Fanack 18.5.2016). Die richterliche Unabhängigkeit ist insbesondere auch durch zahlreiche Drohungen und Morde von Seiten religiöser oder stammesbezogener Extremisten oder krimineller Kräfte beeinträchtigt. Richter und Anwälte, sowie deren Familienmitglieder waren regelmäßig Todesdrohungen und Angriffen ausgesetzt (USDOS 3.3.2017).

 

Die PMF-Milizen haben ihre eigenen Gerichte gegründet, die ursprünglich dafür gedacht waren, dass die Milizen Missbräuche/Rechtsverletzungen in den eigenen Reihen ahnden können. Im Moment werden diese Gerichte jedoch dafür eingesetzt, um (ohne Haftbefehl) verhaftete Sunniten zu verurteilen (Wille 26.6.2017).

 

Autonomes Kurdengebiet

 

Die Region Kurdistan-Irak ist ebenfalls von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet. Die Asayisch-Sicherheitskräfte operieren immer wieder außerhalb der Kontrolle des zuständigen Innenministeriums (insbesondere in der Provinz Sulaymaniya). In einem glaubhaft belegten Fall berichtet Amnesty International von einem Gefangenen, der seit zehn Jahren ohne Verfahren in Haft sitzt (AA 7.2.2017). Gefangene werden gemäß der Independent Human Rights Commission der Kurdenregion in den Haftanstalten der KRG für längere Dauer festgehalten, obwohl das Gericht ihre Freilassung angeordnet hat (USDOS 3.3.2017). Untersuchungen nach Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte bleiben oft ohne Ergebnis (AA 7.2.2017). Der Sicherheitsdienst Asayish und andere kurdische Sicherheitskräfte nahmen tausende Menschen wegen Terrorverdachts fest, vor allem sunnitische arabische Männer und Buben. Die Behörden verstießen in mehrfacher Weise gegen deren Recht auf ein faires Verfahren, u. a. indem sie die Überstellung der Inhaftierten an die Justizbehörden extrem verschleppten und ihnen über lange Zeiträume keinen Zugang zu ihren Familienangehörigen gewährten. Im Oktober 2016 gaben die Behörden der Regionalregierung bekannt, dass der allgemeine Sicherheitsdienst Asayish Ghishti und die Asayish-Abteilung in Erbil seit Anfang des Jahres 2.801 Terrorverdächtige festgenommen hätten (AI 22.2. 2017). Latif Mustafa, Richter in der Kurdenregion, und vormals in der Gesetzgebung tätig, ging im Mai 2017 an die Öffentlichkeit und erklärte, dass die Behörden der KRG nicht an das Prinzip der Rechtstaatlichkeit glauben würden. Fälle von höheren Beamten und reichen oder einflussreichen Bürgern würden nicht vor Gericht gestellt und in anderen Fällen kommt es laut diesem Richter zu überzogenen Urteilen (z.B. 11 Jahre Haft für das Stehlen von Milch und Windeln) (Ekurd Daily 1.5.2017).

 

4. Folter und unmenschliche Behandlung

 

Folter und unmenschliche Behandlung werden von der irakischen Verfassung in Art. 37 ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die VN-Anti-Folter- Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren eingesetzt. Es kommt immer wieder zu systematischer Anwendung von Folter bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte.

 

Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz überwiesen, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 7.2.2017). Das Innenministerium gab keine Zahlen bekannt, wie viele Beamte [wegen Misshandlungsvorwürfen] während des Jahres 2016 bestraft wurden, und es gab diesbezüglich keine bekannt gewordenen Verurteilungen. Berichte von internationalen Menschenrechtsorganisationen geben an, dass Regierungskräfte und schiitische Milizen Gefangene misshandelten, insbesondere sunnitische Gefangene (USDOS 3.3.2016). In den Gefängnissen und Hafteinrichtungen, die vom Innen- und Verteidigungsministerium betrieben oder von Milizen kontrolliert wurden, waren Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen weiterhin an der Tagesordnung. Die Folter sollte dazu dienen, "Geständnisse" zu erpressen, Informationen zu erhalten oder die Häftlinge zu bestrafen. Mehrere Gefangene starben in Gewahrsam an den Folgen der Folter (AI 22.2.2017).

 

Autonomes Kurdengebiet

 

Nach Berichten von Human Rights Watch kommt es in Gefängnissen der Asayisch in der Region Kurdistan-Irak zur Anwendung von Folterpraktiken gegen Terrorverdächtige, sowie ausgedehnte Einzelhaft. (AA 7.2.2017). Der Sicherheitsdienst Asayish und andere kurdische Sicherheitskräfte nahmen in der KRI und in Gebieten, die unter der Kontrolle der KRG stehen, tausende Menschen wegen Terrorverdachts fest, vor allem sunnitische arabische Männer und Buben. Im Oktober 2016 gaben die Behörden der Regionalregierung bekannt, dass der allgemeine Sicherheitsdienst Asayish Ghishti und die Asayish-Abteilung in Erbil seit Anfang des Jahres 2.801 Terrorverdächtige festgenommen hätten (AI 22.2.2017; vgl. UNHCR 14.11.2016). Es wurde von Folter und Misshandlung der Inhaftierten berichtet. Andere wurden Berichten zufolge an die Behörden der Zentralregierung überstellt, obwohl der weitverbreitete Einsatz von Foltermethoden in den Haftanstalten der Regierung besorgniserregend ist (UNHCR 14.11.2016).

 

5. Allgemeine Menschenrechtslage

 

Auch wenn in der Verfassung aus dem Jahr 2005 wichtige demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung verankert sind, kommt es weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte (AA 7.2.2017). UN-Menschenrechtsgremien und Menschenrechtsorganisationen haben dokumentiert, dass alle Parteien des nicht internationalen bewaffneten Konflikts im Irak das humanitäre Völkerrecht verletzen und schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechte begehen (UNHCR 14.11.2016). Die Menschenrechtslage ist vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und das wenig ausgeprägte Gewaltmonopol samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017). Im gesamten Land gibt es einen Mangel an Schutzmöglichkeiten, und die Menschen sind ernstzunehmenden Verletzungen des internationalen humanitären Rechts sowie der Menschenrechte ausgesetzt. Mangelnder Zugang zu sicheren Orten, Mangel an Bewegungsfreiheit, Gewalt und unfaire Behandlung verschlimmern die Spannungen zwischen den Volksgruppen (OCHA 7.3.2017).

 

Den Großteil der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen beging die Terrororganisation IS, die unter anderem Angriffe gegen folgende Gruppen verübte: Zivilisten (im speziellen Schiiten aber auch Sunniten, die den IS ablehnen); Mitglieder anderer religiöser und ethnischer Minderheiten; einschließlich Frauen und Kinder. Die Behörden entdeckten während des Jahres 2016 etliche Massengräber (USDOS 3.3.2017).

 

Verstöße gegen die Menschenrechte sind aber auch außerhalb des vom IS beherrschten Gebietes weit verbreitet (AA 7.2.2017). Staatliche Stellen, insbesondere die irakische Armee und ihre Verbündeten sind nach wie vor für zahlreiche schwere Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten (ÖB 12.2016; AA 7.2.2017). Von Seiten der Regierungskräfte wurden u.a. Massenexekutionen, Misshandlungen während der Haft, "Verschwindenlassen", das Verstümmeln von Leichen (HRW 12.1.2017), sowie Folter dokumentiert (AI 22.2.2017). Insbesondere den Popular Mobilisation Forces (PMF) werden Massenerschießungen, Tötungen von Gefangenen und Festgenommenen (ohne Gerichtsverfahren) vorgeworfen (ÖB 12.2016). Den staatlichen Stellen ist es nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht einher mit Repressionen, mitunter auch Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten (AA 7.2.2017).

 

In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, kommt es zu Massenvergeltungsmaßnahmen an sunnitisch-arabischen und turkmenischen Einwohnern und Rückkehrern aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Verbindung zum IS (AA 7.2.2017; vgl. UNHCR 14.11.2016). Daran beteiligt sind mit den PMF verbündete Streitkräfte, Stammesgruppen und kurdische Sicherheitskräfte (UNHCR 14.11.2016). Es kommt zu Repressionen durch schiitische und sunnitische Milizen, durch die kurdischen Peschmerga, sowie in geringerem Maße durch Milizen der verschiedenen konfessionellen Minderheiten (AA 7.2.2017). Auch im Zuge der Mossul-Offensive verhafteten und misshandelten Stammesmilizen Einwohner der Gebiete, die vom IS zurückerobert worden waren, und es kam zu Racheakten der schiitischen Milizen (HRW 12.1.2017; Harrer 10.8.2017; vgl. BAMF 26.6.2017). Die irakischen Sicherheitskräfte misshandelten und töteten Berichten zufolge Männer und Knaben, die aus Mossul flüchteten (HRW 30.6.2017). Allgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, ist auch von Plünderungen und der willkürlichen Inbrandsetzung und Zerstörung von Wohnhäusern, Geschäften und Moscheen berichtet worden (UNHCR 14.11.2016). Zum Teil wurden gesamte arabische Dörfer zerstört, bei gleichzeitiger Deportation der Einwohner, obwohl es dafür keine militärische Notwendigkeit gab. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Kriegsverbrechen (HRW 12.1.2017). Bezüglich der Frage der Rückkehrer hat die lokale Regierung in der Provinz Salahuddin im Jahr 2016 ein Dekret erlassen, nach dem jeder, der Verbindungen zum IS hat, nicht in die Region zurückkommen dürfe - Iraker, die ihre IS-assoziierten Verwandten töten würden, wären ausgenommen (OA/EASO 2.2017, vgl. HRW 5.3.2017).

 

Die große Zahl der Binnenvertriebenen im Irak und die weitverbreitete Pauschal-Auffassung, dass sunnitische Araber IS-Mitglieder sind oder mit dem IS sympathisieren, hat Berichten zufolge dazu geführt, dass immer mehr sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die nicht vertrieben wurden und in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten leben, nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 verhaftet werden (UNHCR 14.11.2016). Teilweise unterzogen die Regierungskräfte alle männlichen Personen im kampffähigen Alter (etwa zwischen 15 und 65 Jahren), die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren, einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden in behelfsmäßige Hafteinrichtungen oder provisorische Auffanglager gebracht, in denen sie Tage oder sogar Monate ausharren mussten, häufig unter extrem harten Bedingungen. Terrorverdächtige wurden an Sicherheitsbehörden wie die Abteilung für Verbrechensbekämpfung, die Abteilung für Terrorismusbekämpfung oder die Geheimdienstabteilung des Innenministeriums überstellt, wo ihnen Folter und andere Misshandlungen drohten, und regelmäßig wurde ihnen der Kontakt zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen verwehrt. Sicherheitskräfte und Milizen nahmen mutmaßliche Terrorverdächtige ohne Haftbefehl in ihren Wohnungen, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene fest und informierten weder die Betroffenen noch deren Angehörige über die Gründe für die Festnahme (AI 22.2.2017). Häufig befinden sich diese Kontrollpunkte in der Nähe der Front. Zwar werden manche Personen nach einigen Tagen wieder entlassen, andere werden jedoch Berichten zufolge wochen- oder gar monatelang festgehalten, bis sie schließlich freigelassen oder in die Obhut der zuständigen Sicherheitsbehörden überstellt werden (UNHCR 14.11.2016).

 

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. UNHCR berichtet von Vergeltungsmaßnahmen nach einem ISIS-Anschlag auf Kirkuk vom 21. Oktober 2016. In vier mehrheitlich arabischen Dörfern (Kara Tepa, Wahid Huzairan, Kutans und Qushqai) in der Provinz Kirkuk wurden massenhaft Wohnhäuser zerstört, was zur Vertreibung von über 1.100 Familien geführt hat. Ferner werden nicht näher quantifizierte Vorfälle aufgezeigt, wonach sunnitische Araber entführt, verschleppt oder außergerichtlich hingerichtet wurden. Die sunnitische Zivilbevölkerung wird Berichten zufolge nach IS-Attacken auf die schiitische Zivilbevölkerung von den ISF und verbündeten Streitkräften der PMU ins Visier genommen und im Rahmen offensichtlicher Vergeltungsmaßnahmen wurden sunnitische Zivilpersonen getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Lager für Binnenvertriebene sind Anschlägen zum Ziel gefallen. Dokumentiert sind etwa Vergeltungsmaßnahmen gegen Sunniten nach Angriffen von ISIS auf schiitische Ziele in der Stadt Al-Muqdadiyah (Diyala) im Januar und Februar 2016, bei denen Sunniten getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen in Brand gesetzt wurden. Beim sogenannten "Barwana-Massaker" vom 26. Januar 2015 wurden im Rahmen einer Vergeltungsmaßnahme für den Tod von ISFund PMU-Mitgliedern in den Tagen zuvor mindestens 56 sunnitische Muslime in Barwana (Diyala) von den ISF und PMU summarisch hingerichtet (UNHCR 14.11.2016).

 

Männer und Jugendliche ab 15 Jahren wurden unter Druck gesetzt, bewaffneten Stammesgruppen zur Bekämpfung des IS beizutreten, um nicht für IS-Anhänger gehalten zu werden (UNHCR 14.11.2016). Darüber hinaus gibt es Berichte, dass sowohl Volksmobilisierungskräften (PMF), sunnitische Stämme, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und sonstige bewaffnete kurdische Gruppen sowie turkmenische und jesidische Selbstverteidigungsgruppen Kinder für Unterstützungs- und Kampfhandlungen rekrutieren (UNHCR 14.11.2016, vgl. USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017).

 

Die Behörden unternahmen nichts, um den Aufenthaltsort und das Schicksal Tausender sunnitischer arabischer Männer und Jungen zu klären, die Milizen und Regierungstruppen in den vergangenen Jahren in Wohnhäusern, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene aufgegriffen hatten und die seitdem "verschwunden" sind (AI 22.2.2017).

 

6. Todesstrafe

 

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen. Sie wurde von der ehemaligen US-Besatzungsbehörde kurzzeitig suspendiert, von der irakischen Interimsregierung am 8. August 2004 unter Verweis auf die Ausnahmesituation im Irak aber wieder eingeführt. Derweil werden vor allem gegen IS-Kämpfer, die in fragwürdigen Prozessen überführt wurden, zunehmend Todesurteile verhängt und vollstreckt (2015: mind. 26 Hinrichtungen; 2016: mind. 71 Hinrichtungen und über 123 neue Todesurteile). Problematisch sind zudem die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag u.a. auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art (AA 7.2.2017). Der UN-Ausschuss gegen Folter sprach von "einem durchgängigen Muster, nach dem mutmaßliche Terroristen und andere Verdächtige, die als hohes Sicherheitsrisiko angesehen werden, einschließlich Minderjähriger, ohne Haftbefehl festgenommen, über lange Zeiträume in Isolationshaft gehalten oder in geheimen Internierungsanstalten untergebracht und grausam gefoltert werden, damit sie ein Geständnis ablegen (UNHCR 14.11.2016). Der öffentliche und der politische Druck auf die Behörden, "Terroristen" hinzurichten, erhöhte sich nach einem Selbstmordanschlag im Karrada-Viertel von Bagdad in der Nacht vom 2. auf den 3. Juli 2016, bei dem fast 300 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Zivilpersonen. Der Anführer einer Miliz drohte, zum Tode verurteilte Häftlinge im Nasriya-Gefängnis zu töten, sollte die Regierung nicht tätig werden. Am 12. Juli 2016 unterzeichnete Präsident Fuad Masum eine Reform des Strafverfahrensrechts, die Einschränkungen für Wiederaufnahmeverfahren vorsah, um auf diese Weise den Vollzug von Hinrichtungen zu beschleunigen (AI 22.2.2017). Im August des Jahres 2016 exekutierten die Behörden 36 Männer, die in einem Scheinprozess für schuldig befunden wurden, an Massenexekutionen schiitischer Armeerekruten durch den IS in Camp Speicher teilgenommen zu haben (HRW 12.1.2017). Die Verfahren dauerten nur wenige Stunden. Das Gericht ignorierte unter anderem dabei die Vorwürfe der Angeklagten, ihre "Geständnisse" seien während der Untersuchungshaft unter Folter erpresst worden (AI 22.2.2017). Im August 2017 kam es zuletzt zu einer zweiten Massenverurteilung in Zusammenhang mit dem Camp Speicher-Massaker. Dabei wurden 27 Männer zum Tode verurteilt (CNN 8.8.2017).

 

Am 24.09.17 wurden 42 Todesurteile wegen terroristischer Angriffe und tödlicher Überfälle auf Sicherheitskräfte vollstreckt (BAMF 25.9.2017).

 

Autonomes Kurdengebiet

 

In der Region Kurdistan-Irak wurde nach dem Fall des Regimes Saddam Husseins die Todesstrafe abgeschafft, später aber zur Bekämpfung des Terrorismus wiedereingeführt. Am 12. August 2015 wurden erstmals seit 2008 wieder drei Menschen hingerichtet. Gerichte in der Autonomen Region Kurdistan verhängten weiterhin Todesurteile für terroristische Straftaten (AA 7.2.2017). Im Jahr 2016 gab es jedoch keine Hinrichtungen (AI 22.2.2017)

 

7. Religionsfreiheit

 

Die Verfassung erklärt den Islam als die offizielle Religion und legt fest, dass kein Gesetz beschlossen werden darf, das den "bestehenden Vorschriften des Islam" widerspricht. Die Verfassung gewährt das Recht auf Religionsfreiheit für Muslime, Christen, Jesiden, und Saebäer/Mandäer. Das Gesetz verbietet allerdings das Ausüben des Bahai-Glaubens und des wahabitischen Zweiges des sunnitischen Islam (USDOS 10.8.2016).

 

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Yeziden, Sabäer, Mandäer und Schabak. Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und Assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 7.2.2017). Der Verfassungsentwurf der KRG enthält die Scharia als eine der Gesetzesquellen, jedoch verbietet er nicht die Existenz von Gesetzen, die das islamische Recht verletzen (wie dies in der irakischen Verfassung festgeschrieben ist), außerdem anerkennt er die Rechte von Nicht-Muslimen (UNCIRF 26.4.2017). Anm.: In der Praxis sind Personen bei der Ausübung ihrer Religion in vielen Punkten de-facto eingeschränkt. S. dazu auch die Abschnitte Minderheiten, Menschenrechte, etc.

 

Es existieren zwar keine Gesetze im irakischen Zivil- oder Strafrecht, die Strafen für Personen vorsehen, die vom islamischen Glauben abfallen, es gibt jedoch Gesetze und Regulierungen, die die Konversion vom islamischen Glauben zu anderen Religionen verhindern. Iraks Muslime sind aber darüber hinaus auch nach wie vor der Scharia, dem islamischen Recht, untergeordnet. Dieses verbietet Apostasie, also den Abfall vom islamischen Glauben. Älteren Quellen des Jahren 2014 zufolge sind Menschen, die den islamischen Glauben ablegen wollen, sind darüber hinaus oft ernsthafter Verfolgung durch die Gesellschaft ausgesetzt, werden zum Teil sogar getötet, oftmals von den eigenen Angehörigen/Bekannten. Im Jahr 2010 wurde dem Institute for War and Peace Reporting zufolge ein Sunnit von seiner Familie getötet, da er zum Christentum konvertierte. Feindseligkeiten gegenüber den Konvertiten oder Atheisten sind im Irak weit verbreitet (IRB 10.6.2014, vgl. IRB 2.9.2016).

 

Massive Einschränkungen der Religionsfreiheit gibt es insbesondere im IS-Gebiet: Der IS ging nach wie vor gewaltsam gegen Mitglieder aller Glaubensbekenntnisse vor, insbesondere gegen Nicht-Sunniten. In Gebieten, die unter der Kontrolle des IS stehen, beging dieser Morde, Massenexekutionen, Vergewaltigungen, Entführungen, Verhaftungen, Massenvertreibungen und Versklavung von Frauen und Mädchen, die religiösen Minderheiten angehören (USDOS 10.8.2016).

 

8. Grundversorgung / Wirtschaft

 

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des Programms "Habitat" der Vereinten Nationen gleichen die Lebensbedingungen von 57% der städtischen Bevölkerung im Irak denen von Slums (AA 7.2.2017). Das Land befindet sich in einer anschwellenden humanitären Krise, die durch anhaltende Konflikte, beschränkten Zugang zu humanitären Hilfsleistungen, zunehmendes Versagen bestehender Bewältigungsmechanismen und finanzielle Engpässe gekennzeichnet ist. Durch den Konflikt und die anhaltende Vertreibung und Unterbrechung der Grundversorgung ist der Bedarf an humanitärer Hilfe laut Berichten schnell eskaliert. Schätzungsweise über 10 Mio. Menschen, d. h. fast ein Drittel der Bevölkerung, benötigen derzeit humanitäre Hilfe im Irak, einschließlich Binnenvertriebener, Rückkehrer, Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern sowie der Menschen, die in Gebieten leben, die vom IS kontrolliert werden (UNHCR 14.11.2016). Es gibt derzeit im Irak mehr schutzbedürftige Menschen und mehr Menschen, die auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind, als zu irgendeinem Zeitpunkt der letzten Jahre (OCHA 7.3.2017). Dennoch erreichen die humanitären Hilfsorganisationen derzeit nur 7,3 Mio. Menschen (UNHCR 14.11.2016). Aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität der humanitären Krise haben die Vereinten Nationen im August 2014 die "Notstandstufe 3" - die höchste Stufe - für den Irak ausgerufen und seitdem jedes Jahr bestätigt (UNHCR 14.11.2016; aktuell s. OCHA o. D.). ACAPS kategorisiert die humanitäre Krise im Irak als "severe humanitarian crisis" - dies stellt innerhalb dieser Kategorisierung ebenfalls die höchste Stufe dar.

 

Wasser, Sanitäreinrichtungen und Hygiene

 

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr (AA 7.2.2017). Das Fehlen eines kontinuierlichen und gerecht verteilten Zugangs zu sicherem Wasser und sicheren sanitären Einrichtungen sowie zu notwendigen Hygieneartikeln hat einen negativen Einfluss auf die allgemeine Gesundheit im Land. Im Jahr 2011 hatten 91 Prozent der irakischen Bevölkerung Zugang zu einer verbesserten Trinkwasserquelle, aber seit damals haben Entwicklungen wie politische Instabilität, andauernde Gewalt und interne Vertreibung zur Zerstörung, zum Zusammenbruch und zu massiver Überlastung von Wasser-/Sanitär- und Hygieneeinrichtungen im ganzen Land geführt. Derzeit befinden sich im Irak 6,3 Millionen Menschen bezüglich ihrer Versorgung mit sicherem Wasser und ihrer sanitären sowie Hygieneversorgung in kritischer Notlage (OCHA 7.3.2017). Laut Auswärtigem Amt verfügt heute im ganzen Land nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 7.2.2017). Die folgende Grafik zeigt den Schweregrad betreffend die verschiedenen Gebiete des Irak, der geschlechtlichen - sowie der Altersverteilung:

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

(OCHA 7.3.2017)

 

Nahrungsmittelversorgung

 

Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Die UN-Mission ermittelte schon im Juni 2013, dass vier Millionen Iraker unterernährt sind. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2 USD/Tag) (AA 7.2.2017). Auf Grund des Fortschreitens der Krise sind Millionen von Haushalten, die von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind, massiv auf Unterstützung angewiesen. In solchen betroffenen Haushalten wird häufig auf "negative Bewältigungsstrategien" umgestellt, um den Nahrungsmittelbedarf decken zu können. Ungefähr 800.000 Einwohner und 138.000 IDPs leiden im Irak unter Nahrungsmittelunsicherheit - die Menschen in Mossul, Anbar und Hawija nicht einberechnet (OCHA 7.3.2017).

 

Einkommen/Arbeitsplätze

 

Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt wurden. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 7.2.2017).

 

Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit

350 - 1500 USD, je nach Position und Ausbildung. Die folgende Grafik

zeigt - je nach Provinz - den Anteil jener Personen, die keinen Zugang zu einem Einkommen haben:

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

(OCHA 7.3.2017)

 

Die Arbeitslosenquote beträgt 14%. Das Ministerium für Arbeit und Soziales (Ministry Of Labor and Social Affairs) stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Stellen können beim Generalsekretariat der Arbeits und Sozialversicherung (General directorate of Labor and Social insurance) eingesehen werden. Die Regierung hat ein Programm gestartet um irakische Arbeiter zu unterstützen, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, sowie Arbeitslose. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe eingestellt und es wird keine Arbeitslosenhilfe ausbezahlt. Die Regierung hat jedoch ein Programm entwickelt um die hohe Arbeitslosigkeit, schlechte Ausbildungen und die Notwendigkeit eines aufstrebenden Dienstleistungsbereichs anzugehen. Durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen sollen die Fähigkeiten der irakischen Arbeitskräfte verbessert werden Private Zentren und Kurse sind ebenfalls zugänglich (IOM 2016).

 

Alle Angestellten im öffentlichen Sektor haben Zugang zum Rentensystem, sobald sie vom Staat eingestellt werden. Männliche Staatsbürger im Alter von 60 Jahren müssen zuvor 25 Jahre Dienst im öffentlichen Sektor geleistet haben, um beim Rentensystem berücksichtigt zu werden. Weibliche Angestellte im Alter von 55 Jahren müssen 20 Jahre Dienst vorweisen. In Baghdad können Beamte mit 13 Dienstjahren oder im Alter von 55 Rente in Anspruch nehmen (IOM 2016).

 

Das staatliche Bildungssystem ist über alle Stufen kostenfrei. Daher gibt es auch keine Stipendien und Studienkredite (IOM 2016).

 

9. Medizinische Versorgung

 

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen (AA 7.2.2017). Geschätzte 75 Prozent der Ärzte, Pharmakologen und Krankenpfleger haben seit 2003 ihre Arbeit niedergelegt, wodurch ein massiver Versorgungsmangel entsteht. Etwa 60 Prozent des medizinischen Fachpersonals, das das Land verlassen hat, tat dies aufgrund der Sicherheitslage (CR 7.7.2016).

 

Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Korruption ist verbreitet. Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 7.2.2017). Die Jahre des bewaffneten Konflikts haben das Gesundheitssystem ernsthaft deformiert und im Irak gibt es beträchtliche Lücken bei der Bereitstellung von medizinischen Leistungen, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. In Konfliktzonen sind viele Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb oder zerstört (AIO 12.6.2017). In den am meisten betroffenen Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninewah und Salahuddin wurden geschätzt 23 Krankenhäuser und über 230 medizinische Versorgungseinrichtungen beschädigt oder zerstört (OCHA 7.3.2017). Angriffe auf Spitäler und Schulen sind häufig und die Verweigerung von humanitärer Unterstützung und die Zerstörung von grundlegenden Diensten wie Wasser- und Stromversorgung werden als Kriegswaffe eingesetzt (UNICEF o.D.). Jenen Gesundheitseinrichtungen, die weiterbetrieben werden, fehlt es häufig an der Kapazität für den erhöhten Bedarf an zu Versorgenden, insbesondere in Gebieten mit einer hohen Zahl an IDPs, wie in der Region Kurdistan (AIO 12.6.2017).

 

Die folgende Grafik des Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen zeigt den Schweregrad bezüglich der Zahl von Menschen, die in medizinischer Notlage sind, nach Regionen, Alter und Geschlecht. Die darunterliegende Grafik gibt einen Überblick über die Zahl der Betroffenen anhand der Provinzen:

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

(OCHA 7.3.2017)

 

Neben dem bewaffneten Konflikt und der großen Menge an IDPs tragen auch noch der Ausbruch von Krankheiten (mitausgelöst durch die beeinträchtigte Wasserversorgung und die Unterbrechung bei Schutzimpfungsprogrammen), sowie Finanzierungsengpässe zur Verschlimmerung bei. Es gibt einen weit verbreiteten Mangel an wesentlichen Medikamenten, Sanitätsartikeln und Nahrungsergänzungen. Laut Schätzungen haben mehr als 7,7 Millionen Menschen (laut anderer Quelle mehr als 8 Millionen Menschen) dringenden Bedarf an wesentlichen medizinischen Dienstleistungen. Seit Ende 2015 gibt es im Irak einen Cholera-Ausbruch und es besteht darüber hinaus ein erhöhtes Risiko, an Typhus, Gelbsucht oder Masern zu erkranken (WHO 2016, vgl. OCHA 7.3.2017). Im gesamten Land gibt es für schwangere Frauen nur eingeschränkten Zugang zu reproduktiven Gesundheits- und Beratungsdiensten, zu prä- und postnataler Versorgung und sicheren Geburtseinrichtungen. Diese Situation ist in verschärftem Ausmaß in Flüchtlingslagern oder anderen Umgebungen zu beobachten, in denen es einen mangelhaften Zugang zu Gesundheitsversorgung in diesem Bereich gibt. Darüber hinaus sehen sich schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen verschiedenen Barrieren beim Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung gegenüber, beispielsweise auf Grund der Sicherheitslage, der ethnischen Zugehörigkeit oder finanzieller Schwierigkeiten (OCHA 7.3.2017).

 

Gemäß WHO lag im Jahr 2014 die Dichte von primären medizinischen Einrichtungen im Irak bei 0,7 auf 10.000 Einwohner (MedCOI 2017). In ungefähr der Hälfte der medizinischen Zentren arbeitet zumindest ein Arzt/ eine Ärztin, im Rest der Versorgungszentren arbeiten geschulte Gesundheitskräfte wie medizinische HelferInnen und KrankenpflegerInnen.

 

Das Gesundheitsministerium ist der Hauptanbieter im Gesundheitsbereich. Das öffentliche Gesundheitssystem basiert auf einem Kostenteilungsmodell, bei dem die Regierung die Kosten für die medizinischen Dienstleistungen übernimmt und dem Patienten eine geringe Gebühr in Rechnung stellt. Der Mangel an politischer Stabilität und Staatssicherheit im Irak hindert den Staat jedoch daran, die allgemeine Gesundheitsversorgung der Bevölkerung abzudecken. Der private Sektor bietet ebenfalls heilmedizinische Leistungen an, diese können jedoch, wenn weitere Leistungen nötig werden (z.B. MRT, Medikamente oder operative Eingriffe) für ärmere Familien kostspielig sein (MedCOI 2017).

 

10. Behandlung nach Rückkehr

 

Eine freiwillige Rückkehr in den Irak aus dem österreichischen Bundesgebiet ist über Vermittlung entsprechender Rückkehrberatungseinrichtungen und nach erteilter Zustimmung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Unterstützung von IOM-Österreich möglich. IOM stellt im Gefolge der administrativen Abwicklung Flugtickets zur Verfügung und gewährt in Einzelfällen besonderer Hilfsbedürftigkeit auch finanzielle Überbrückungshilfe.

 

Auf niedrigem Niveau ist eine freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten zu beobachten. In der Region Kurdistan-Irak gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren, ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 7.2.2017). Aus Österreich kehrten in der ersten Jahreshälfte 2017 in Etwa 346 Iraker freiwillig in den Irak zurück - von diesen fast alle im Zuge einer sogenannten unterstützen Rückkehr (BFA 11.8.2017). Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u. a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 7.2.2017).

 

Dokumente

 

Irakische Reisepässe, die nach dem 17.Juni 1999 abgelaufen sind, bleiben zur Rückkehr in den Irak gültig. Die Regierung erkennt die vom alten Regime für ungültig erklärten Pässe der Serie H im Rahmen ihrer Gültigkeitsdaten an. Pässe der Serie M werden seit 01.Jänner 2007 nicht mehr anerkannt, Pässe der Serie N sind seit 1. Jänner 2008 nicht mehr gültig. Es sind vereinzelt noch Pässe der Serie S im Umlauf, die mittlerweile von den EU-Staaten, Jordanien und den USA nicht mehr anerkannt werden. Von 2006 bis 2009 gab die Regierung Pässe der Serie G aus, seit dem 1. Oktober 2010 werden nur noch Pässe der Serie A ausgestellt. Die Pässe der alten Serie G behalten ihre Gültigkeit. Irakische Blanko-Pässe der Serie A 4091901 - bis A 4150000 sind nicht mehr gültig; diese stammten aus der Provinz Anbar. Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D-Barcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen, v. a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, Pässe auszustellen. An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 7.2.2017).

 

Die irakische Regierung stellte im USDOS-Berichtszeitraum 2016 für hunderte auf die Abschiebung aus den USA wartende irakische Staatsbürger die entsprechenden Reisedokumente nicht aus, und gab an, dass es sich um Staatenlose handelt (USDOS 3.3.2017).

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde vorgelegten Verfahrensakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers und der im Gefolge seiner Einvernahme in Vorlage gebrachten Unterlagen (irakischer Personalausweis) sowie des Inhaltes der gegen den angefochtenen Bescheid erhobenen Beschwerde, ferner durch Vernehmung des Beschwerdeführers als Partei in der vor dem erkennenden Gericht am 05.07.2017 und am 28.03.2018 durchgeführten mündlichen Verhandlung sowie Vernehmung des XXXX als Zeuge am 28.03.2018 und durch Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und in Anfragebeantwortungen von ACCORD vom 10.05.2017 und vom 29.03.2018 zur Sicherheitslage und zur sozioökonomischen Lage in der Autonomen Region Kurdistan.

 

Zur Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan wurde Beweis aufgenommen durch Einholung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu sexuellen Minderheiten in Irakisch Kurdistan und Einsichtnahme in das Rechercheergebnis vom 13.03.2018, ferner durch Einsichtnahme in die Broschüre der International Lesbian and Gay Human Rights Commission vom November 2014 ("Tee"), das Länderkapitel Irak des Berichts der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) aus dem Jahr 2016, diverse Ausdrucke aus dem Internet über Aussagen von Muqtada Al-Sadr zu LGBTI-Personen, die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 09.02.2017 zur Lage von LGBTI-Personen im Irak, den Bericht des Auswärtigen Amtes vom Februar 2017 betreffend den Irak, den Bericht des Department of State vom 03. März 2017 ("Human Rights Practices 2016 - Iraq"), den Bericht von Iraqueer an das ICCPR zu dessen 115 Session im Jahr 2015, einen Bericht von Human Rights Watch aus dem Jahr 2018 ("Audacity in Adversity, LGBT Activism in the Middle East and North Africa"), dem "Security Guide for LGBT+ Individuals in Iraq / KurdistanRegion" von Iraqueer (ohne Datum) sowie den Artikel von Middle East Eye vom 10.03.2018 ("The world is changing': Iraqi LGBT group takes campaign to streets", abrufbar unter http://www.middleeasteye.net/news/rasan-1330280220 ).

 

Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wurde der Strafakt des Landesgerichts Wels zu XXXXebenso amtswegig beigeschafft, wie der Vollzugsakt des Landesgerichts Wels zu XXXX.

 

2.2. Der eingangs angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts der belangten Behörde, die ein mängelfreies und ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.

 

Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers sowie dessen persönliche und familiäre Lebensumstände im Herkunftsstaat und in Österreich ergeben sich aus den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers in den Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem erkennenden Gericht, sie sind im Beschwerdeverfahren nicht strittig. Die Identität des Beschwerdeführers wurde von diesem nunmehr im Wege der Vorlage eines irakischen Identitätsdokuments im Original (Personalausweis) hinreichend dargetan.

 

Die unter dem Punkt 1.2. getroffene Feststellung zur sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers gründet sich auf folgende Erwägungen:

 

Der Beschwerdeführer legte erstmals in der mündlichen Verhandlung am 05.07.2017 dar, dass sich in seinem Leben viele Änderungen ergeben hätten, insbesondere sei seine sexuelle Orientierung anders geworden. Vor dem Bundesamt habe aus er Scham noch keine detaillieren Ausführungen tätigen können, aber bereits dort angesprochen, dass er anders geworden sei. Er habe von Anfang 2017 bis März 2017 mit einem transsexuellen Mann eine Beziehung unterhalten, eigentlich habe er ihn heiraten wollen, mittlerweile sei der Beziehungsstatus allerdings "unsicher". Auf Nachfrage legte der Beschwerdeführer dar, dass er seit der Einreise in das Bundesgebiet Beziehungen sowohl mit Männern als auch mit Frauen unterhalten habe. Ich sei anders geworden und fühle sich Männern mittlerweile mehr zugeneigt und "stehe" nicht mehr so sehr auf Frauen.

 

Ausgehend von diesen Angaben ergibt sich die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Neigungen zu beiden Geschlechtern zeigt und er sowohl heterosexuelle als auch homosexuelle Beziehungen bzw. Bekanntschaften einging, wobei die mit dem Zeugen XXXX eingegangene Beziehung zu einer transsexuellen Person seitens des Zeugen glaubhaft bestätigt wurde. Zwischenzeitlich besteht die Beziehung nicht mehr, der Beschwerdeführer und der Zeuge erachten sich als Freunde, die fallweise auch geschlechtlich miteinander verkehren.

 

Ferner darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beschwerdeführer der versuchten Vergewaltigung einer weiblichen Person im Jahr 2013 schuldig erkannt wurde. Irritierend ist, dass der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ausführte, dass die versuchte Vergewaltigung Anlass gewesen sei, seine sexuelle Orientierung zu ändern und dass er seither Angst davor habe, mit Frauen sexuelle Handlungen vorzunehmen. In der mündlichen Verhandlung am 28.03.2018 führte der Beschwerdeführer nämlich erstmals aus, dass er bereits im Irak homosexuelle Kontakte zu einer Person unterhalten und sich auch schon vor seiner Ausreise mit der Frage seiner sexuellen Neigung auseinandergesetzt habe. Damit setzt sich der Beschwerdeführer freilich in Widerspruch zu seiner vorangehenden Verantwortung, er sei (erst) infolge der versuchten Vergewaltigung "anders geworden" und wolle Frauen nunmehr meiden. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes und ob des vom Beschwerdeführer gewonnenen Eindrucks ist der zunächst im Verfahren eingenommene Standpunkt des Beschwerdeführers plausibler, wonach er Neigungen zu beiderlei Geschlechtern empfinde. Dafür spricht im Ergebnis auch die mehrmonatige Beziehung mit einem transsexuellen Mann, der sich als Frau verkleidet. Dass er im Irak vor der Ausreise behauptetermaßen auch einen homosexuellen Kontakt unterhielt, steht dem nicht entgegen, erweist sich aber als nicht glaubwürdig, wobei diesbezüglich ergänzend auf die untenstehende Beweiswürdigung verwiesen wird.

 

Abschließend ist festzuhalten, dass das (zulässige) Vorbringen zur sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers in verfahrensrechtlicher Hinsicht zur Folge hat, dass dessen neuerlicher Asylantrag nicht wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, sondern inhaltlich zu behandeln ist.

 

2.3. Die getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat und zur Rekrutierung von Kämpfern durch schiitische Milizen im Irak ergeben sich aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, welche in der mündlichen Verhandlung erörtert und dem Beschwerdeführer ausgehändigt wurden. Zur Sicherstellung der notwendigen Ausgewogenheit in der Darstellung wurden Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt. In Anbetracht der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild zeichnen, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

Der Beschwerdeführer ist den in der mündlichen Verhandlung erörterten und ihm ausgefolgten bzw. im Anschluss an die mündliche Verhandlung zur Stellungnahme übermittelten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage im Irak und zur Rekrutierung von Kämpfern durch schiitische Milizen im Irak nicht entgegengetreten.

 

Eine besondere Auseinandersetzung mit der Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit des Staates einschließlich diesbezüglicher Feststellungen ist nur dann erforderlich, wenn eine Verfolgung durch Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen festgestellt wird (vgl. VwGH 2.10.2014, Ra 2014/18/0088). Da der Beschwerdeführer jedoch nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts keine von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehende Verfolgung zu gewärtigen hat, sind spezifische Feststellungen zum staatlichen Sicherheitssystem sowie zur Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit der Behörden des Herkunftsstaates nicht geboten.

 

2.4. Die Feststellungen zur Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan gründen sich auf die unter Punkt 2.1. erwähnten länderkundlichen Berichte, wobei im Details nachstehende Erwägungen maßgeblich sind:

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat eine umfassende Recherche durchgeführt und dabei auf Berichte in Medien, Berichte verschiedenster allgemein anerkannter Institutionen sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zurückgegriffen. Da die Berichte kein einheitliches Bild zeigen - insbesondere, weil die Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten in den verschiedenen Teilen des Irak unterschiedlich sein dürfte und in den meisten Berichten keine diesbezügliche Differenzierung stattfinden - sind die Berichte im Folgenden zu würdigen. Festzuhalten ist, dass die herangezogenen länderkundlichen Informationen dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht wurde und dazu jeweils Stellungnahmen abgegeben wurde. Die Vollständigkeit der herangezogenen Berichte wurde seitens des Beschwerdeführers nicht beanstandet und von diesem auch keine eigenen länderkundlichen Berichte zur Lage sexueller Minderheiten in der autonomen Region Kurdistan in Vorlage gebracht. Der Beschwerdeführer ist auch der Richtigkeit der herangezogenen länderkundlichen Berichte nicht entgegengetreten, er verweist vielmehr in seinen Stellungnahmen unter auszugsweiser Zitierung auf den eigenen Verfahrensstandpunkt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Ausführungen zur Lage sexueller Minderheiten im Irak im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation nicht herangezogen wurden, zumal diese unterschiedslos den gesamten Irak betreffen, hier aber nur auf die Lage in der Autonomen Region Kurdistan einzugehen ist und deshalb spezifische dahingehende Ermittlungen geboten waren.

 

Einleitend ist außerdem festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht die Ausführungen der Staatendokumentation unter dem Titel "Zusammenfassung" ihrer Anfragebeantwortung vom 13.03.2018 als unrichtig und verzerrend erachtet, sodass ausschließlich auf die in der Folge zitierten Einzelquellen zurückgegriffen wird. Ferner wurde bei der Auswertung der Quellen darauf Bedacht genommen, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Autonome Region Kurdistan zu erwarten ist und eine solche auch aufgrund bestehender Flugverbindungen auf direktem Weg möglich ist. Die Feststellungen gründen sich demnach insbesondere auf Quellen, die vorrangig oder ausschließlich die Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan auseinandersetzen. Auf die Lage sexueller Minderheiten in anderen Landesteilen des Irak ist mangels Relevanz nicht einzugehen.

 

Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer im Rückkehrfall weder mit den zwischenzeitlich militärisch besiegten Milizen des Islamischen Staates konfrontiert sein wird, noch mit schiitischen Milizen. Schiitische Milizen sind in der Autonomen Region Kurdistan nämlich nicht aktiv. Soweit demnach in Quellen von Bedrohungen sexueller Minderheiten durch schiitische Milizen oder die Milizen des Islamischen Staates die Rede ist, erweisen sich die diesbezüglichen Ausführungen als für die gegenständliche Rechtssache nicht relevant.

 

Hinsichtlich der strafrechtlichen Aspekte einvernehmlicher homosexueller Handlungen ergibt die Auswertung der herangezogenen Quellen, dass überwiegend von einer Straffreiheit einvernehmlichen homosexueller Handlungen unter Erwachsenen ausgegangen wird (siehe dazu etwa den Bericht des Auswärtigen Amtes vom Februar 2017 betreffend den Irak und den Bericht von Human Rights Watch aus dem Jahr 2018). Soweit Feststellungen zum Inhalt des irakischen Strafgesetzbuches Nr. 111 aus dem Jahr 1969 getroffen werden, gründen sich diese auf die unter http://www.refworld.org/docid/452524304.html abrufbare Übersetzung.

 

Wenn im Bericht von ILGA "State Sponsored Homophobia 2016" davon die Rede ist, dass im Irak "Sharia-Richter" Hinrichtungen von Männern und Frauen unter dem Vorwurf gleichgeschlechtlicher sexueller Handlungen anordnen würden, wird damit nicht die Lage in der Autonomen Region Kurdistan beschrieben (sondern wohl eher die Situation in den vormals von den Milizen des Islamischen Staates) und ist die Quelle auch mit dieser Ansicht alleine. Eine solche Feststellung konnte demnach in Ansehung der Lage in der Autonomen Region Kurdistan nicht getroffen werden. Aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 09.02.2017 zur Lage von LGBTI-Personen im Irak geht insoweit nichts Gegenteiliges hervor.

 

Im Übrigen wird in den herangezogenen Quellen überwiegend die Ansicht vertreten, dass weit formulierte Strafbestimmung über den Schutz der öffentlichen Ordnung gegen LBGT-Personen instrumentalisiert werden können und auch ein Fall einer solchen Verurteilung - allerdings aus dem Jahr 2009 - angegeben wird. Ferner wird in den Quellen abschnittsweise von Polizeigewalt berichte, wobei ein solcher Vorfall im Gefolge einer Razzia gegen homosexuelle Personen (der sich allerdings bereits 2012 oder früher ereignete) festgestellt wurde. Aus jüngerer Zeit finden sich hingegen kaum substantiierte Berichte über polizeiliche Übergriffe auf homosexuelle Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in der Autonomen Region Kurdistan. Dass der Aktivist Amir Ashour von zwei kurzen Inhaftierungen im Jahr 2014 berichtet, wurde festgestellt (dass er auch bedroht worden sei, geht aus seinem Interview mit dem Magazin Fader im Übrigen nicht hervor).

 

Davon abgesehen zeichnen die herangezogenen Quellen ein diffuses Bild zur Lage sexueller Minderheiten im Irak, sodass - wie eingangs erwähnt wurde - überwiegend auf die in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu sexuellen Minderheiten in Irakisch Kurdistan vom 13.03.2018 und die darin zitierten Einzelquellen zurückgegriffen wurde, wiewohl diese abschnittsweise zwar die Lage in der Autonomen Region Kurdistan im Speziellen behandeln (wie etwa die Anfragebeantwortung von Landinfo auf dem Jahr 2013 und den Artikel von Niqash), aber teilweise auch verwaltet sind. Der Artikel von Middle East Eye vom 10.03.2018 berichtet demgegenüber über aktuelle Aktivitäten einer Menschenrechtsorganisation mit dem Ziel, die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Anliegen sexueller Minderheiten im Irak zu fördern.

 

Aus den Berichten, die sich mit der Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan im Speziellen auseinandersetzen, ergibt sich zusammengefasst das festgestellte Lagebild, wobei einerseits deutlich wird, dass zahlreiche homosexuelle Personen in der Autonomen Region Kurdistan leben, die sexuelle Orientierung allerdings sehr selten offen deklariert wird. Homosexualität wird abschnittsweise sogar als weitverbreitet beschrieben. Übergriffe gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten gehen aus den herangezogenen Berichten kaum hervor. Zwei Quellen sprechen (mit näheren Nachweisen) explizit davon, dass keine Ermordung einer Person aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bekannt sei bzw. homosexuelle Personen in der Autonomen Region Kurdistan aufgrund ihrer sexuellen Orientierung nicht getötet würden, dass jedoch die Familie ihr Äußerstes tun würde, um zu verbergen, dass ein Familienmitglied homosexuell ist. Diese Ansicht stimmt mit dem ebenfalls in den Quellen gezeichneten Bild überein, dass Homosexualität nach wie vor mit gesellschaftlicher Ablehnung konfrontiert ist, auch wenn rezente Initiativen eine öffentliche Auseinandersetzung mit diesem Thema bezwecken. Dass die Entwicklung in eine solche Richtung geht verdeutlicht aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts insbesondere der Artikel von von Middle East Eye vom 10.03.2018, zumal darin die Aktivistinnen und Aktivisten der Menschenrechtsorganisation Rasan öffentlich auftreten und seitens der Behörden auch gestattet wurde, dass diese ihre Wandbilder auf Wänden von lokalen Regierungsbehörden in Sulaimaniyya anbringen. Dass die Aktivistinnen und Aktivisten der Menschenrechtsorganisation Rasan deshalb bedroht oder in anderer Weise verfolgt worden wären, trat im Verfahren nicht zutage.

 

Überhaupt können den herangezogenen Berichten nur wenige tatsächlich dokumentierte Fälle von Gewalttaten oder Drohungen gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten entnommen werden. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass etwa bei Ehrenmorden von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen wird oder die tatsächlichen Motive einer Tat nicht immer zu Tage treten. Dennoch ist einerseits von Bedeutung, dass - und das geht bereits aus den herangezogenen Quellen hervor - zwischenzeitliche einige Menschenrechtsorganisationen für die Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten im Irak eintreten und etwa IraQueer sich als Menschenrechtsorganisation in Irakisch Kurdistan mit Fokus auf LGBT-Personen bezeichnen, die neun Angestellte ein Netzwerk von mehr als 200 Personen beschäftigt und monatlich bis zu 11.000 Leser über Essays und Sicherheitswarnungen erreichen will. Angesichts davon ist von einem hohen Vernetzungsgrad auszugehen, sodass aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes zu erwarten wäre, dass entsprechende Gewalttaten gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten mittlerweile sehr wohl dokumentiert würden. Ferner erlaub der technische Fortschritt einen höheren Vernetzungsgrad und ist auch bei manchen Einzelfällen davon die Rede, dass die Verbreitung des Vorfalls zur Freilassung inhaftierter Personen führte. Dazu tritt andererseits, dass dem Risiko von Ehrenmorden oder Gewalttaten aufgrund der sexuellen Orientierung - zumindest hinsichtlich der Lage in der Autonomen Region Kurdistan - in anderen Quellen sogar entgegengetreten wird. In einer Gesamtwürdigung kann das Bundesverwaltungsgericht insbesondere jene Berichte schwer nachvollziehen, die - ohne jegliche nähere Auseinandersetzung und ohne die Darlegung bestimmter Ereignisse - von einer mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden Gefährdung von Angehörigen sexueller Minderheiten ausgehen. Dies trifft etwa auf die Einschätzung von IraQueer auf deren Website zu, wonach LGBT-Personen auch in der Autonomen Region Kurdistan unter täglichen Menschenrechtsverletzungen leiden würden, die von bewaffneten Gruppen begangen würden. In den anderen Berichten, die sich mit der Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan auseinandersetzen findet sich kein näherer Hinweis für ein derart drastisches Bedrohungsbild und bleibt auch IraQueer eine nähere Erörterung des eigenen Standpunkts bedauerlicherweise schuldig (die Organisation antwortete auch nicht auf die Einladung der Staatendokumentation, eine Stellungnahme zur Anfrage des Bundesverwaltungsgerichtes abzugeben). Die Einschätzung der Lage wird auch dadurch erschwert, dass zahlreiche Berichte in ihrer Darstellung vage bleiben und redundant sind. Hinweise auf eine aktuelle und gravierende Bedrohung von Angehörigen sexueller Minderheiten in der Region Kurdistan durch staatliche Organe oder Milizen bzw. religiöse oder fundamentalistische Gruppierungen sind jedenfalls nicht hervorgekommen.

 

Hinweise auf die Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten können insbesondere der sehr detaillierten und auf Fact-Finding-Mission-Berichte zurückgehenden Anfragebeantwortung von Landinfo auf dem Jahr 2013 entnommen werden, auch wenn diese nicht aktuell ist und aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes in Anbetracht der letzten Initiativen auch von einer weiteren Verbesserung ausgegangen werden kann. Die getroffenen Feststellungen greifen deshalb in wesentlichen Teile auf die Informationen von Landinfo zurück, ergänzend auf den Artikel von Niqash und jenen von Al-Monitor, zumal diese ein ähnliches Bild zeichnen und außerdem aktuell sind. Hinsichtlich der weiteren, in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zitierten Quellen ist auszuführen, dass Feststellungen zur Gefahr von Ehrverbrechen getroffen werden und dazu insbesondere die Anfragebeantwortung des Immigration and Refugee Board of Canada vom 15.02.2016 und des Danish Immigration Service aus dem Jahr 2010 aufschlussreich sind. Die Quellen weisen auch vereinzelt auf Ehrverbrechen bzw. Übergriffe aus dem Familienkreis hin, wobei in einem Fall von einer Flucht berichtet wird (Ekurd Daily vom 19.3.2017) und in einem anderen Fall davon, dass eine Person in ihrer Jugend aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von der Mutter zum Suizid aufgefordert worden sich, sich die Situation zwischenzeitlich aber gebessert habe und er bei den meisten seiner Freunde Akzeptanz finden würde.

 

ICSSI gibt zunächst im Wesentlichen Informationen zur Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten in Bagdad und berichtet in der Folge davon, dass die Lage in der Autonomen Region Kurdistan besser sei und LGBT-Personen aus Bagdad und Südirak dorthin fliehen würden. In der Autonomen Region Kurdistan gebe es sichere Unterkünfte für LGBT-Personen und Transgender können relativ gesehen offener leben. Dessen ungeachtet sei die Autonomen Region Kurdistan noch weit von der in der kurdischen Türkei herrschenden Toleranz entfernt. Die Einschätzung von ICSSI fügt sich damit in das gezeichnete Bild, wiewohl die Angaben nicht von sonderlicher Breite sind.

 

Der gewonnene Eindruck findet Bestätigung etwa auch in der Broschüre der International Lesbian and Gay Human Rights Commission vom November 2014, worin bereits im Jahr 2014 davon gesprochen wird, dass die Bedrohung von LGBT-Personen "geringer" sei. Die Autonome Region Kurdistan wird in diesem Bericht ferner als - schwer zu erreichende - "relativ sichere" Zone bezeichnet. Auch dort gebe es jedoch Schwierigkeiten mit den vorherrschenden gesellschaftlichen und offiziellen Einstellungen.

 

Den Berichten, die sich mit der Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan im Speziellen auseinandersetzen kann schließlich auch kein Hinweis darauf entnommen werden, dass Angehörige sexueller Minderheiten in der Autonomen Region systematisch der Folter unterzogen würden. Dass ein Fall von Polizeigewalt vor mehr als fünf Jahren dokumentiert ist, vermag die maßgebliche Wahrscheinlichkeit von Polizeigewalt in Ermangelung rezenter Berichte nicht aufzuzeigen. XXXX, wird in dieser Form lediglich in einem Artikel des Vice-Magazin vom 20.11.2014 behauptet. Das Vice-Magazin beruft sich dabei auf die Einschätzung eines anonym bleibenden NGO-Mitarbeiters in der Autonomen Region Kurdistan. Da anderen Quellen von derartigen Maßnahmen staatlicher Organe nicht berichten und insbesondere auch in aktuellen Interviews von Aktivisten keine Rede davon ist, dass XXXX Angehörigen sexueller Minderheiten verschleppt und verschwinden lässt, vermag das Bundesverwaltungsgericht nicht zu einer solchen Feststellung zu gelangen.

 

Die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 09.02.2017 zur Lage von LGBTI-Personen im Irak bezieht sich überwiegend auf die Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten in von den Milizen des Islamischen Staates faktisch beherrschten Gebiete sowie mit schiitischen Milizen und von diesen ausgehenden Übergriffen auseinander und ist damit nicht einschlägig. Der Security Guide for LGBT+ Individuals in Iraq / KurdistanRegion" von Iraqueer setzt sich erkennbar (auch) mit der Lage homosexueller Personen in anderen Regionen des Irak auseinander (etw indem von "killing campains" die Rede ist - in keiner anderen Quelle wird derartiges für die Autonome Region Kurdistan behauptet), sodass die diesbezüglichen Vorsichtsmaßnahmen, die in der Folge sehr allgemein gehalten sind, aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht die Lage in der Autonomen Region Kurdistan dahingehend wiederspiegeln, dass damit eine dort stattfindende asylrelevante Verfolgung von Angehörigen sexueller Minderheiten stattfindet. Entsprechendes gilt für den Bericht Bericht von Iraqueer an das ICCPR zu dessen 115 Session im Jahr 2015, zumal darin (mit Ausnahme der Fluchtgeschichte des Gründers) ausschließlich auf Vorfälle in Bagdad, Tikrit und in Samarra Bezug genommen wird, die wiederum vornehmlich auf Aktivitäten schiitischer Milizen zurückgehen sollen. Hinsichtlich der Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan enthält der Bericht keine substantiierten Ausführungen. Das das Länderkapitel Irak des Berichts der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) aus dem Jahr 2016 enthält Ausführungen zur Rechtslage, die in die Feststellungen eingeflossen sind. Der Bericht des Department of State vom 03. März 2017 wurde von der Staatendokumentation bei der Erstellung der Anfragebeantwortung berücksichtigt, er bleibt im Übrigen vage und enthält schließlich keine spezifischen Ausführungen zur Lage in der Autonomen Region Kurdistan.

 

2.5. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007). Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

 

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

 

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

 

2.6. Unter Berücksichtigung der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, ein asylrelevantes Vorbringen glaubwürdig und in sich schlüssig darzulegen. Im Einzelnen:

 

2.6.1. Der Beschwerdeführer brachte im seinem zweiten Asylverfahren nunmehr vor, den Irak aufgrund von Bedrohungen der islamistischen Gruppierung Ansar al-Islam verlassen zu haben, nachdem auf das von ihm betriebene Geschäft im Monat April 2010 geschossen worden sei. Das diesbezügliche Vorbringen gestaltete sich jedoch als widersprüchlich und nicht plausibel, ferner eignet es sich nicht zur Glaubhaftmachung einer individuellen Gefährdung im Rückkehrfall.

 

2.6.2. Den nachstehenden Erwägungen ist voranzustellen, dass der Beschwerdeführer im Gefolge der Erstbefragung zu seinem neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz einräumte, dass sämtliche seiner bisherigen Angaben - mit Ausnahme seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit sowie der von ihm gesprochenen Sprache - unrichtig wären. Der Beschwerdeführer gestand damit selbst zu, sich bereits einmal zum Zweck der Erlangung von internationalem Schutz eines konstruierten Vorbringens bedient zu haben. Dem belangten Bundesamt ist darin beizutreten, dass die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers schon ob dieses Faktums massiv erschüttert ist. Im Asylverfahren ist in der Regel die Aussage des Beschwerdeführers das einzige Beweismittel, gerade wie - wenn im ersten Asylverfahren den Beschwerdeführer betreffend - nicht einmal Identitätsdokumente vorgelegt werden.

 

Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069). Der Beschwerdeführer hat dieser Verpflichtung in seinem ersten Asylverfahren nicht Folge geleistet. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ist indes in Anbetracht der Mitwirkungspflicht von einem Asylwerber zu verlangten, dass seine wahre Fluchtgeschichte bereits bei der ersten sich bietenden Gelegenheit vorgetragen wird, zumal im Fall einer tatsächlich vorhandenen Verfolgungssituation im Herkunftsstaat von einem maßgeblichen Interesse des Asylwerbers auszugehen ist, diese Verfolgungssituation zur Begründung seines Antrages auf internationalen Schutz darzulegen. Die mangelnde Bereitschaft ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts als Indiz dafür zu sehen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich keine individuelle Gefährdung im Herkunftsstaat zu gewärtigen hat.

 

Die vom Beschwerdeführer dazu vorgetragene Erklärung, er habe sich davor gefürchtet, dass er von Islamisten im Bundesgebiet gefunden werde, überzeugt nicht. Einerseits kann das Bundesverwaltungsgericht schon grundsätzlich nicht nachvollziehen, wäre doch gerade in einem solchen Fall davon auszugehen, dass sein eine tatsächlich verfolgte Person den Behörden im Bundesgebiet anvertraut, um diesbezüglichen Schutz von Sicherheitskräften zu erlangen. Wäre der Beschwerdeführer tatsächlich einer Bedrohung auch im Bundesgebiet ausgesetzt gewesen bzw. hätte eine solche befürchtet, wäre zu erwarten, dass er sich mit seinen Befürchtungen sogleich an die Polizei wendet. Der Beschwerdeführer äußerte sich in diesem Punkt ferner bei seiner Einvernahme vor dem belangten Bundesamt widersprüchlich, zumal er letztlich angab, eigentlich doch nicht davon auszugehen, dass er im Bundesgebiet von islamistischen Gruppen gesucht werde (AS 231). Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes stellt die vorgeschobene Befürchtung lediglich eine Schutzbehauptung dar, zumal selbst nach der diesbezüglichen Befragung vor dem belangten Bundesamt vollkommen offen bleibt, weshalb der Beschwerdeführer am XXXX bei der Erstbefragung zu seinem neuerlichen Asylantrag die Befürchtung von Übergriffen islamistischer Gruppen nicht mehr hegte. Die neuerliche Antragstellung ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes vielmehr in Zusammenhang mit der zuvor ergangenen Entscheidung des Asylgerichtshofs zu sehen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht vermag auch nicht der Argumentation in der Beschwerde nicht zu teilen, wonach die nunmehr erfolgte Vorlage eines Identitätsdokumentes im Original zugunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sei. Wenn der Beschwerdeführer nunmehr hinsichtlich der Feststellung seiner Identität seiner Mitwirkungspflicht nachkommt, ändert das nichts daran, dass er zuvor die Asylbehörden über seine wahre Identität täuschte, woraus wiederum die Bereitschaft abzuleiten ist, zum Zweck der Erlangung eines Vorteiles unwahre Angaben gegenüber den Asylbehörden zu tätigen. Aufgrund der Vorlage des Personalausweises ist demnach nunmehr die Identität des Beschwerdeführers einer zweifelsfreien Feststellung zugänglich, auf die Frage der Glaubwürdigkeit des nunmehrigen Vorbringens zum Ausreisegrund vermag sich dieser Umstand jedoch nicht auszuwirken.

 

2.6.3. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das Vorbringen zum in diesem Verfahren vorgebrachten Ausreisegrund aus nachstehenden Gründen nicht als glaubwürdig.

 

Der Beschwerdeführer äußerte sich bei der Darlegung seines Ausreisegrundes nicht stringent. Vor dem Bundesverwaltungsgericht legte der Beschwerdeführer dar, die Eltern seiner Kunden hätten diesen untersagt, sein Geschäft weiterhin zu besuchen, da er sich nicht dem Islam entsprechend verhalte. Vor dem belangten Bundesamt wusste er von einem Engagement von Eltern seiner Kunden nichts zu berichten. Während der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt noch mit seinen Kunden über die Ideologie des Islamischen Staates diskutiert haben und deshalb bekannt geworden sein will, sprach er vor dem Bundesverwaltungsgericht von Treffen von einigen Freunden in seinem Geschäft und dass er über die aktuelle politische Situation diskutiert haben will.

 

Ferner steigerte der Beschwerdeführer sein Vorbringen hinsichtlich der erlittenen Bedrohung und brachte neuerlich widersprüchlich vor. Im Gefolge der Einvernahme im Verfahren erster Instanz lege der noch dar, dass er von den drei unbekannten Personen in seinem Geschäft als ungläubig und schmutzig beschimpft und aufgefordert worden sei, sich "wieder auf den richtigen Weg [zu] bekehren" (AS 205). Nachdem er auf die selbständige Gestaltung seines Lebens hingewiesen habe, sei ihm erklärt worden, dass er sich als gewarnt erachten solle. Die Nachfrage nach einer Morddrohung verneinte der Beschwerdeführer mit dem Hinweis, dass ihm mit "Konsequenzen" gedroht worden sei (AS 207). Demgegenüber brachte der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht zunächst abweichend vor, die angeblichen Bedroher hätten von ihm verlangt, dass er sein Geschäft schließen solle (von einer Änderung des Lebensstils war hingegen keine Rede mehr). Ferner legte der Beschwerdeführer erstmals dar, dass er mit dem Umbringen bedroht worden sei. Eine stringente Darlegung der zentralen Bedrohungsereignisse liegt demnach nicht vor, sodass von mangelnder Glaubwürdigkeit auszugehen ist. Dass der Beschwerdeführer bei der zeitlichen Einordnung der Vorfälle in der mündlichen Verhandlung vage blieb - so behauptete er, nach dem Besuch der drei Personen die Aufforderung ignoriert zu haben, jedoch dann doch sein Geschäft "einige Zeiten" geschlossen zu haben, während er im Verfahren erster Instanz noch von einer umgehenden Schließung für eine Woche sprach, rundet das Bild ab.

 

Das Bundesverwaltungsgericht kann ferner nicht nachvollziehen, dass dem Beschwerdeführer staatlicher Schutz verweigert worden sein soll, obwohl er sich angeblich an einen beim kurdischen Inlandsgeheimdienst Asayesch tätigen Freund (!) wandte. Wiewohl es zutrifft, dass sich die Gorran-Partei damals in Opposition befand (mittlerweile schlossen Gorran und die Patriotische Union Kurdistans am 17. Mai 2016 ein Abkommen über eine politische Zusammenarbeit im kurdischen Parlament), ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht nachvollziehbar, dass die kurdischen Sicherheitskräfte deshalb von der Bekämpfung islamistischer Personen Abstand nehmen sollten. Der Beschwerdeführer legte über Nachfrage in Übereinstimmung mit den Feststellungen zur Lage im Irak dar, dass die großen kurdischen Parteien PDK und PUK islamistische Strömungen stets ablehnten und islamistische bzw. terroristische Gruppierungen wie etwa der Islamische Staat sich zu keinem Zeitpunkt in der Autonomen Region Kurdistan etablieren konnten sondern vielmehr energisch bekämpft wurde (letztlich bewahrten gerade die kurdischen Peschmerga im Jahr 2014 den Nordirak mit ihrem entschlossenen Widerstand vor einem weiteren Vordringen der Milizen des Islamischen Staates). Schon ausgehend davon ist nicht plausibel, dass gegen islamistische Bedroher nicht eingeschritten wurde. Wenn der Beschwerdeführer seine Bedroher nunmehr Ansar al-Islam zuordnet, wird sein Standpunkt noch unplausibler, zumal diese Gruppierung mit zahlreichen Anschlägen und Selbstmordattentaten gegen kurdische Einrichtungen in Verbindung gebracht wird und - auch wenn der Beschwerdeführer Gorran - Mitglied gewesen sein sollte - seitens der Sicherheitsbehörden nicht umgehend gegen derartige Personen eingeschritten wurde. Dass der Beschwerdeführer schließlich den Standpunkt einnimmt, er habe sich an einen Freund gewandt, aber von diesem aufgrund seiner politischen Einstellung keine Hilfe erlangt, rundet das Bild ab, zumal diesfalls wohl kaum vom Bestehen einer Freundschaft ausgegangen werden könnte.

 

2.6.4. Soweit der Beschwerdeführer von einem Angriff auf sein Geschäft berichtet, reicht der Hinweis aus, dass er eigenen Angaben zufolge die Angreifer nicht erkennen konnte, sodass sich sämtliche weiteren Ausführungen zur Person der Angreifer und ihren Motiven im Ergebnis als spekulativ erweisen.

 

In der mündlichen Verhandlung erwähnte der Beschwerdeführer im Übrigen beiläufig (und ebenfalls erstmals im Asylverfahren), dass er von Inhabern zweier nahe gelegener Geschäft aufgrund des entstandenen Konkurrenzverhältnisses unter Druck gesetzt worden sei und diese ihn "hinausschmeißen" hätten wollen. Sollte der Beschwerdeführer tatsächlich Schwierigkeiten vor der Ausreise erlitten habe, wären diese in Anbetracht der vorstehenden Erwägungen in plausibler Weise nur auf Übergriffe verfeindeter Geschäftsinhaber und somit auf kriminelle Machenschaften zurückzuführen. Dass der Beschwerdeführer aufgrund politischer oder religiöser Ansichten in das Blickfeld islamistischer Gruppierungen geraten sein soll, ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedenfalls nicht glaubwürdig.

 

Ausgehend von den vorstehenden Erwägungen kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte dahingehend ausgesetzt war, dass er von Islamisten bedroht und beschossen wurde. Da der vorgebrachte ausreisekausale Vorfall nicht festgestellt werden kann, ist auch von keiner Gefährdung durch fundamentalistische Personen oder Gruppierungen im Rückkehrfall denkbar.

 

2.6.5. Selbst wenn - entgegen der vorstehenden beweiswürdigenden Erwägungen zum ausreisekausalen Vorfall - der Beschwerdeführer im Jahr 2010 tatsächlich von drei Islamisten attackiert worden wäre, wäre dem Asylantrag des Beschwerdeführers kein Erfolg beschieden, zumal sich daraus keine glaubhafte Verfolgungsgefahr pro futoro im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ergäbe. Die politische Lage sowie die Sicherheitslage in der Autonomen Region Kurdistan hat sich seit der Ausreise des Beschwerdeführers - die bereits mehr als acht Jahre zurückliegt - maßgeblich geändert. In den Jahren 2014 bis 2017 waren die Sicherheitskräfte der Autonome Region Kurdistan bei der Abwehr der Milizen des Islamischen Staates erfolgreich, im Lauf des Jahres 2017 konnte der Islamische Staat im Irak militärisch besiegt werden und wurde das von diesem geschaffene "Kalifat" zerschlagen. Die Sicherheitslage in der Autonomen Region Kurdistan stellt sich seither ausweislich der dazu getroffenen Feststellungen als stabil dar. Insbesondere sind die kurdischen Sicherheitskräfte - die Peschmerga, der Sicherheitsdienst Asayesch und lokale Polizeikräfte - grundsätzlich willens und fähig, staatlichen Schutz vor terroristischer Bedrohung und kriminellen Handlungen zu gewährleisten. Ferner ist die Partei Gorran zwischenzeitlich eine in der Autonomen Region Kurdistan etablierte Kraft, die sich mit den vorherrschenden politischen Kräften der PDK und der PUK arrangiert hat.

 

Ausgehend davon ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt weder zu erwarten, dass einem Anhänger oder Mitglied der Partei Gorran aus diesem Grund die Inanspruchnahme staatlichen Schutzes verweigert werden würde. Die gegenteilige Ansicht des Beschwerdeführers teilt das Bundesverwaltungsgericht nicht, zumal die politische Situation in der Autonomen Region Kurdistan durch mehrere voneinander unabhängige Quellen erwiesen ist und die Behauptung des Beschwerdeführers, dass die gesellschaftliche Realität anders sei, in Ermangelung diesbezüglicher Berichte nicht nachvollzogen werden kann.

 

Ferner kann aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre und des von den Milizen des Islamischen Staates verbreiteten Terrors umso mehr davon ausgegangen werden, dass einer Bedrohung durch islamistische Gruppierungen seitens der Sicherheitskräfte umso energischer entgegengetreten wird und der Beschwerdeführer demnach jedenfalls im Fall einer Bedrohung durch fundamentalistische Kräfte mit staatlichen Schutz rechnen kann. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht nicht verkennt, dass es durch die Polizei und andere Sicherheitskräfte zwar auch zu Menschenrechtsverletzungen kommt und Korruption ein ernsthaftes Problem im gesamten Irak und somit auch in der Autonomen Region Kurdistan darstellt, kann auf Basis der Länderberichte nämlich nicht geschlossen werden, dass die kurdischen Sicherheitsbehörden systematisch bei (drohenden) Gewaltverbrechen nichts unternimmt und bei einer entsprechenden Anzeige untätig bleiben würde. Ein Schutz vor Gewalttaten ist im Übrigen in keinem Staat der Erde lückenlos möglich. In der Autonomen Region Kurdistan bestehen Behörden, die zur Strafrechtspflege und Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die grundsätzliche Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Staates ist somit gegeben (vgl. hierzu auch die Ausführungen des VwGH im Erkenntnis vom 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141 zu den Voraussetzungen der Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit; in diesem Erkenntnis wird insbesondere ausgeführt: "Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem die Gewährung von Asyl an einen algerischen Staatsangehörigen betreffenden Erkenntnis vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256, ausgesprochen, dass mangelnde Schutzfähigkeit des Staates nicht bedeute, dass der Staat nicht mehr in der Lage sei, seine Bürger gegen jedwede Art von Übergriffen durch Dritte präventiv zu schützen, sondern dass mangelnde Schutzfähigkeit erst dann vorliege, wenn eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung "infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt" nicht abgewendet werden könne (wobei auf die Erkenntnisse vom 07.07.1999, Zl. 98/18/0037, und vom 06.10.1999, Zl. 98/01/0311, Bezug genommen wird). Dies sei dann der Fall, wenn für einen von dritter Seite Verfolgten trotz des staatlichen Schutzes der Eintritt eines - entsprechende Intensität erreichenden - Nachteiles mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei."). Aufgrund der geänderten Sicherheits- und politischen Lage in der Autonomen Region Kurdistan aber Letzteres gerade nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

 

2.6.6. Die Feststellungen betreffend die politische Betätigung des Beschwerdeführers beruhen auf den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und vor dem Bundesamt. Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer keine mit seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten vor der Ausreise substantiiert vor.

 

Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ausführt, er sei für sich selbst aus der islamischen Religion ausgetreten und im Irak Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam gewesen, würdigt das Bundesverwaltungsgericht diesen Standpunkt dahingehend, dass sich der Beschwerdeführer nicht als religiös erachtet. Hinweise auf eine atheistische Einstellung des Beschwerdeführers oder eine Konversion zu einer anderen Religionsgemeinschaft sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer brachte auch kein Schlüsselerlebnis vor, welches seine Einstellung zum Islam im Besonderen und zu Religionen im Allgemeinen entscheidend beeinflusst hätte. Der Beschwerdeführer hinterließ bei seiner Befragung vielmehr den Eindruck, dass er selbst bereits im Irak kein religiöses Leben führte und religiösen Verhaltensvorschriften schon vor der Ausreise keine Beachtung schenkte und ein solches Leben fern von religiöser Betätigung im Bundesgebiet fortsetzte. Darüber hinaus trat in der mündlichen Verhandlung in keinster Weise zu Tage, dass der Beschwerdeführer sich im Fall einer Rückkehr in den Irak in irgendeiner Weise im atheistischen Sinne öffentlich betätigen oder eine dahingehende missionarische Tätigkeit entfalten wollen würde. In der Autonomen Region Kurdistan ist der Islam im Übrigen zwar Staatsreligion, jedoch besteht - im Unterschied etwa zu den vormals von den Milizen des Islamischen Staates beherrschten Gebieten - keine Religionspolizei, die die Einhaltung religiöser Verhaltensvorschriften kontrolliert bzw. ahndet. Auch wenn Feindseligkeiten gegenüber Atheisten im Irak verbreitet sind, existieren auch keine Gesetze im irakischen Zivil- oder Strafrecht, die Strafen für Personen vorsehen, die vom islamischen Glauben abfallen. Der Beschwerdeführer wird deshalb im Rückkehrfall - wie schon vor der Ausreise - nicht gezwungen sein, Gebete zu verrichten, die Moschee zu besuchen oder zu pilgern. Eine über die Ablehnung religiöser Verwaltungsvorschriften des Islam hinausgehende atheistische Einstellung des Beschwerdeführers bzw. die glaubhafte Absicht, sich in diesem Sinne im Rückkehrfall öffentlich bzw. missionarisch betätigen zu wollen, trat im Beschwerdeverfahren - wie vorstehend ausführlich erörtert - nicht hinreichend zutage.

 

Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen der Erörterung seiner Rückkehrbefürchtungen auch nicht vor, in der Autonomen Region Kurdistan Verfolgung aufgrund seiner nunmehrigen religiösen Einstellungen zu befürchten, sondern bezog sich einerseits auf die als nicht glaubwürdig erachtete islamistische Bedrohung seiner Person und andererseits auf seine sexuelle Orientierung.

 

2.6.7. In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer am 05.07.2017 im Hinblick auf seine sexuelle Orientierung zunächst vor, dass er deshalb im Rückkehrfall Schwierigkeiten mit seiner Familie bekommen könne. Seine sexuelle Orientierung werde von Stammesangehörigen als Schande betrachtet, er werde deshalb verfolgt, diskriminiert und verachtet werden. Sein Stamm würde ihn verstoßen und er werde getötet werden.

 

Die Nachfrage nach erhaltenen Drohungen verneinte der Beschwerdeführer mit dem Hinweis, dass sein Stamm seine sexuelle Orientierung nicht kennen würde, wäre er jedoch in Kenntnis der Tatsachen, würden die Stammesmitglieder das nicht tolerieren. Auf Nachfrage legte der Beschwerdeführer außerdem dar, ein "Bekannter" von ihm habe aus den gleichen Gründen und aus Angst vor dem Stamm den Irak verlassen müssen.

 

Am 28.03.2018 legte der Beschwerdeführer im Gefolge seiner ergänzenden Befragung dar, er stehe derzeit in Kontakt mit seiner Familie. Seine Familie würde jedoch seine sexuelle Orientierung nicht verstehen, es würde eine Gefahr darstellen, seiner Familie davon zu erzählen. Im Fall einer Rückkehr fürchte er, getötet zu werden. Einen bestimmten Gefährder könne er nicht benennen, "aber es könnte passieren". Er würde aufgrund seiner sexuellen Orientierung aus dem Stamm ausgeschlossen werden und es würden die Brüder seines Vaters "Schwierigkeiten machen".

 

Ausgehend von den Ausführungen des Beschwerdeführers und den Feststellungen zur Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan erkennt das Bundesverwaltungsgericht keine im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 glaubhafte Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat seitens Familien- oder Stammesangehöriger aufgrund der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers. Im Ergebnis beruht das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Gänze auf Vermutungen, wobei er diese nicht durch substantiiertes Vorbringen - etwa zur Gefährlichkeit einzelner Familienmitglieder oder von einer oder mehreren bestimmten Personen ausgehenden Gefahr untermauern konnte. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer den Standpunkt einnimmt, dass er seine Familie bislang in Unkenntnis über seine sexuelle Orientierung gelassen hat, sodass er konkrete Drohungen gar nicht erhalten habe können. Auf der anderen Seite fehlt jedoch - wie bereits erörtert - schon ein konkreter Verdacht gegen einen bestimmten Verfolgerkreis, der sich auf vorhandene Hinweise wie Äußerungen, Gewalttätigkeiten, Waffenbesitz und dergleichen stützen könnte. Dazu tritt, dass der Beschwerdeführer einerseits erst sehr spät im Verfahren die Brüder seines Vaters als präsumtive Verfolger nannte und andererseits hinsichtlich der behaupteten Verfolgung eines Bekannten keine weiteren Details ausführte, sodass nicht von einer substantiierten Darlegung gesprochen werden kann.

 

Nicht unterwähnt bleiben kann an dieser Stelle auch, dass der Beschwerdeführer ausführte, im Irak sowohl homosexuelle als auch heterosexuelle Kontakte unterhalten zu haben. Er habe jedoch auch heterosexuellen Kontakten nicht öffentlich nachgehen können. Das Faktum, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat sexuelle Kontakte einging - mag dies auch im Verborgenen geschehen sein - spricht aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts tendenziell gegen eine von der Familie ausgehendes Verfolgungsrisiko, zumal der Beschwerdeführer auch damals die Möglichkeit in Betracht ziehen musste, dass seine Aktivitäten entdeckt werden könnten.

 

Ausweislich der Feststellungen zur Lage sexuelle Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan ist ein Ehrverbrechen an einem Mann in der Autonomen Region Kurdistan als nicht sehr wahrscheinlich einzuschätzen. Dokumentierte Ermordungen von Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan in den letzten Jahren sind überhaupt nicht feststellbar. Ausgehend davon erachtet das Bundesverwaltungsgericht die Befürchtung des Beschwerdeführers als unbegründet, im Fall einer Rückkehr aufgrund seiner sexuellen Orientierung von Familien- oder Stammesmitgliedern getötet oder sonst verfolgt zu werden. Vielmehr ist in Übereinstimmung mit den Feststellungen davon auszugehen, dass entweder eine Distanzierung erfolgt - ohne dass damit die Gefahr von Übergriffen verbunden ist - oder seitens der Familie danach getrachtet wird, zu verbergen, dass der Beschwerdeführer bisexuell orientiert ist. In beiden Fällen ist nicht von einer asylrelevanten Verfolgung auszugehen. Ausgehend davon kann aber aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht davon gesprochen werden, dass das Bekanntwerden einer bi- oder homosexuellen Beziehung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit schlechthin zu einer Verfolgung durch Stammesmitglieder in asylrelevanter Intensität führt.

 

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist zusammenfassend nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan des Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung aufgrund seiner sexuellen Orientierung durch Familien- oder Stammesangehörige ausgesetzt sein wird. Dies entspricht auch der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes, wonach allgemeine Behauptungen für die Glaubhaftmachung von Verfolgungsgefahr nicht ausreichen (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007).

 

Die Feststellungen weisen auch nicht darauf hin, dass von einer anderweitigen individuellen Gefährdung des Beschwerdeführers aufgrund seiner sexuellen Orientierung ausgegangen werden müsste.

 

Den für die Feststellungen herangezogenen Quellen zufolge gibt es zahlreiche Schwule und Lesben in der Autonomen Region Kurdistan, die Größe der LGBT-Community in der Kurdenregion kann allerdings nicht festgestellt werden, da die Geheimhaltung der sexuellen Orientierung vor der Öffentlichkeit ebenso weit verbreitet ist. Dessen ungeachtet wird Homosexualität als in Kurdistan existent und weitverbreitet bei Jugendlichen und sogar bei verheirateten Paaren beschrieben. Die herangezogenen Quellen bieten ferner einen hinreichenden Einblick in die Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan. Homosexualität wird zwar einerseits weiterhin als Tabuthema beschrieben und ist mit gesellschaftlicher Diskriminierung in den Bereichen Beschäftigung, Beruf und Wohnung aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität oder von unkonventionellem Aussehen zu rechnen. Zuletzt sind jedoch mehrere Initiativen festzustellen, die eine Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit mit den Anliegen der Angehörigen sexueller Minderheiten bezwecken. Zuletzt führten Aktivistinnen und Aktivisten der Menschenrechtsorganisation Rasan in der Stadt Sulaimaniyya eine Plakatkampagne im öffentlichen Raum durch, um das Bewusstsein für die Rechte von LGBT-Menschen zu schärfen und den Dialog innerhalb ihrer überwiegend sunnitisch-kurdischen Gesellschaft zu fördern. Für die aktuelle Kampagne wurde Rasan die Erlaubnis gegeben, ihre Wandbilder auf Wänden von lokalen Regierungsbehörden in Sulaimaniyya anzubringen. Die Aktivisten treten in Medien mit Lichtbildern und unter Nennung ihrer Identität auf. Dass diese Personen Übergriffen infolge ihres Engagements ausgesetzt wäre, kann nicht erkannt werden.

 

Hinweise auf systematische Übergriffe staatlicher Organe oder dritter Personen gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan können den herangezogenen Quellen nicht entnommen werden. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sowohl Einzelfälle von Gewalt gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan dokumentiert sind, als auch behördliche Schikanen gegenüber LGBT-Aktivisten. Ein Fall von Polizeigewalt liegt allerdings bereits etwa sieben Jahre zurück. Ferner wird nicht verkannt, dass in Quellen angezweifelt wird, dass es sicher sei, sich zu outen. Die geringe Anzahl der Fälle spricht aber dafür, dass es sich um Einzelfälle handelt, die noch keine asylrelevante Verfolgungsdichte bescheinigen. Bereits vorstehend wurde zum Ausdruck gebracht, dass zwar von einer Dunkelziffer auszugehen ist, jedoch angesichts der mittlerweile hohen Bekanntheitsgrades von Menschenrechtsorganisationen und der einfachen Kontaktmöglichkeit mittels sozialer Medien von entsprechenden Hinweisen auszugehen wäre, würden Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan tatsächlich aufgrund ihre sexuellen Orientierung in asylrelevanter Weise verfolgt werden. Dass in der Autonomen Region Kurdistan weder der Islamische Staat aktiv ist, noch schiitische Milizen, bedarf aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keiner näheren Erörterung. Aufgrund dessen ist jedoch plausibel, dass die Autonome Region Kurdistan in Quellen als Fluchtort innerhalb des Irak für Angehörige sexueller Minderheiten angesehen wird, zumal im Rest des Irak Verfolgungshandlungen gegenüber solchen Personen insbesondere Milizen wie dem Islamischen Staat oder schiitischen Milizen zugeschrieben werden (wobei an dieser Stelle nochmals festgehalten sei, dass von einer hypothetischen Rückkehr des Beschwerdeführers in die direkt erreichbare Autonomen Region Kurdistan ausgegangen wird und demgemäß die Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten im Rest des Irak nicht weiter zu erörtern ist und sich diese Lage möglicherweise anders darstellt). In den herangezogenen Quellen findet sich kein substantiierter Hinweis darauf, dass Personen, deren bi- oder homosexuelle Neigung bekannt ist, deshalb einer konkreten individuellen Gefährdung ausgesetzt wären, die von asylrelevanter Intensität ist.

 

Den Feststellungen zufolge gibt es in der Autonomen Region Kurdistan Lokale, in denen sich homosexuelle Männer treffen. Die länderkundlichen Berichte stehen insoweit im Gegensatz zur Verantwortung des Beschwerdeführers, der - in Anbetracht der länderkundlichen berichte nicht glaubwürdig - den Versuch unternahm, die Präsenz homosexueller Personen bzw. das Vorhandensein einer Homosexuellenszene überhaupt abzustreiten. Dem Vorbringen kann aufgrund der gepflogenen Erhebungen nicht beigetreten werden. Vielmehr konnte Landinfo, die Rechercheeinheit der norwegischen Asylbehörden, im Zuge von Fact-Finding-Missions in den Nordirak im Frühjahr 2009 und Herbst 2012 mit homosexuellen Personen sprechen. Dabei wurde von einer siebenjährigen Beziehung ebenso berichtet wie davon, dass sehr schwierig sei, gleichgeschlechtlich zu sein und zusammen zu wohnen, jedoch für junge Menschen nicht unmöglich. Die Einstellung in Großstädten wird überhaupt als liberaler angesehen.

 

Ausgehend davon kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan des Irak einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre, dies auch dann nicht, wenn seine Neigung öffentlich bekannt ist. Ausweislich der Feststellungen ist nämlich sehr wohl davon auszugehen, dass die sexuelle Orientierung von Angehörigen sexueller Minderheiten in ihren Gemeinden bekannt wird, wobei deshalb erfolgende Übergriffe eben nicht in einer Anzahl dokumentiert sind, dass von einer gegenwärtigen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden Verfolgungsgefahr gesprochen werden könne.

 

2.6.8. Da der Beschwerdeführer keine staatliche Strafverfolgung im Irak aufgrund eines Kapitalverbrechens in den Raum gestellt hat, war dem Folgend zur Feststellung zu gelangen, dass er im Fall einer Rückkehr nicht der Todesstrafe unterzogen würde. Ebenso kann aus dem Vorbringen keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers durch drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe abgeleitet werden, zumal keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften vorgebracht wurden.

 

Ferner bleibt seitens des Bundesverwaltungsgerichts festzuhalten, dass die Sicherheitslage in den autonomen Kurdengebieten verglichen mit der Situation im übrigen Irak gut und stabil ist. Anschläge finden vereinzelt statt. Das kurdische Autonomiegebiet ist deutlich weniger von der konfessionell geprägten Gewalt betroffen, die im Rest von Irak vorherrscht. Dass es vereinzelt zu Übergriffen kommt ändert aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nichts daran, dass die Sicherheitslage insgesamt als annehmbar, wenn auch nicht ganz frei von gelegentlichen Terrorakten, anzusehen ist. Die im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen bringen jedenfalls hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass die kurdischen Sicherheitskräfte für eine ausreichend stabile Sicherheitslage sorgen.

 

Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer gehört auch nicht den staatlichen Sicherheitskräften an. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ferner kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage im Irak dargestellten Gefahrendichte nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in der Autonomen Region Kurdistan davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines Anschlages werden würde. Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt findet in der Autonomen Region Kurdistan im Übrigen nicht statt.

 

Die weiteren Feststellungen unter Punkt 1.5. beruhen auf den Angaben des Beschwerdeführers zu dessen Lebenslauf und zu seiner Verfassung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie in der Einvernahme vor der belangten Behörde. Der Beschwerdeführer ist in XXXX in der Autonomen Region Kurdistan geboren und aufgewachsen und mit der Sprache sowie den Gebräuchen in seinem Herkunftsstaat vertraut. Er hat in XXXX Schulbildung im Ausmaß von zehn Jahren konsumiert und sein Auskommen anschließend durch eigene Erwerbstätigkeit in der Werkstatt seines Vaters und anschließend als selbständiger EDV-Händler bestritten.

 

Das Bundesverwaltungsgericht kann keinen Grund erkennen, weshalb der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan die neuerliche Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Lebensunterhaltes - nach dem Verbrauch der finanziellen Leistungen im Rahmen der Rückkehrhilfe - nicht möglich sein sollte. Es steht dem Beschwerdeführer außerdem frei, am ERIN-Programm teilzunehmen. ERIN ist ein Rückkehr- und Reintegrationsprogramm auf europäischer Ebene mit dem Hauptziel, Reintegrationsunterstützung im Herkunftsland anzubieten. ERIN ist eine Spezifische Maßnahme (Specific Action) im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU, wird von den Niederlanden (Repatriation and Departure Service (R&DS) - Ministry of Security and Justice of the Netherland) geleitet und zu 90% aus Europäischen Mitteln finanziert.

 

Im Rahmen des ERIN Programms erhält jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin eine Reintegrationsleistung in der Höhe von 3.500 Euro, wobei 500 Euro als Bargeld und 3.000 Euro als Sachleistung vom Service Provider im Herkunftsland ausgegeben werden. Während die Geldleistung grundsätzlich dazu gedacht ist die unmittelbaren Bedürfnisse nach der Rückkehr zu decken, dient die Sachleistung insbesondere als Investition zur Schaffung einer Existenzgrundlage und trägt somit zu einer nachhaltigen Rückkehr bei. Von Juni 2016 bis Jänner 2018 erhielten 843 Personen im Rahmen ihrer Rückkehr von Österreich in ihr Heimatland Reintegrationsunterstützung über das ERIN-Programm. Unter Berücksichtigung von Familienangehörigen kehrten im selben Zeitraum sogar 1.254 Personen freiwillig in ihr Heimatland zurück. Aktuell wird ERIN-Reintegrationsunterstützung im Zentralirak und in der autonomen Region Kurdistan zur Verfügung gestellt

(http://www.bmi.gv.at/107/EU_Foerderungen/Finanzrahmen_2014_2020/AMIF/ERIN.aspx , Zugriff am 15.0.2018). Die Teilnahme an diesem Programm vermittelt etwa hinreichende Starthilfe für eine selbständige Tätigkeit und ist es dem Beschwerdeführer damit möglich, neuerlich ein Geschäft zu eröffnen, wie er es bereits vor der Ausreise - eigenen Angaben zufolge finanziell erfolgreich - geführt hat. Diese Möglichkeit besteht aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes selbst dann, wenn der Beschwerdeführer keine Unterstützung seitens seiner Familie zu erwarten hat, etwa aufgrund von Differenzen infolge seiner sexuellen Orientierung. Dass alleinstehende junge Männer in der Autonomen Region Kurdistan keine Lebensgrundlage vorfinden würde, geht im Übrigen aus keinem länderkundlichen Bericht hervor.

 

Da der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise Unterkunft im Haus im Eigentum seiner Familie in XXXX nahm, kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Rückkehrfall anfänglich neuerlich Aufnahme bei seinen Eltern oder alternativ bei Geschwistern finden wird, bis er eine eigene Unterkunft durch Erwerbstätigkeit finanzierten kann. Darüber hinaus kann in Anbetracht der Tatsache, dass der Beschwerdeführer auch derzeit in Kontakt mit einem seiner Brüder steht, der Automechaniker ist, davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer bei Familienmitglieder anfangs auch Unterstützung in Form der Zurverfügungstellung von Nahrung vorfinden wird, bis er sein Auskommen durch eigene Erwerbstätigkeit bestreiten kann.

 

Soweit der Beschwerdeführer zu seiner Situation im Fall einer Rückkehr in der Beschwerde vorbringt, es könne nicht eindeutig erkennt werden, wie er für seinen Lebensunterhalt sorgen solle, ist dem zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen hat, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 MRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat (im zitieren Erkenntnis: Afghanistan) zu berufen (VwGH 03.05.2018, Ra 2018/20/0191 mwN). Ausweislich der Feststellungen zur sozioökonomischen Lage in der Autonomen Region Kurdistan ist diese zwar angespannt und es wird von einer hohen Arbeitslosigkeit, Rückständen bei der Bezahlung von Gehältern und wirtschaftlichen Schwierigkeiten infolge des Verlusts von Ölfeldern um Kirkuk berichte. Zweifellos wird der Beschwerdeführer eine schwierige ökonomische Lage im Fall einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan vorfinden. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch einerseits davon auszugehen, dass die Teilnahme am ERIN Programms den Aufbau eines eigenen Geschäftes erlaubt. Da der Beschwerdeführer bereits über Berufserfahrung als Selbständiger verfügt, kann nicht davon ausgegangen werden, die reale Gefahr eines Misserfolgs besteht. Abseits davon gelangt das Bundesverwaltungsgericht aufgrund der festgestellten Ansichten von Rückkehrern zum Schluss, dass davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer in jedem Fall zumindest mit unqualifizierten Gelegenheitsarbeiten in der Lage sein wird, sich ein bescheidenes Auskommen zu erwirtschaften. Der Beschwerdeführer ist ein junger, gesunder Mensch, die persönlichen Umstände sprechen nicht gegen die Annahme einer hinreichenden Lebensgrundlage. Sein Vater betreibt nach wie vor eine Werkstätte, wo der Beschwerdeführer bereits einmal als Arbeitnehmer tätig war, sodass auch hier Anknüpfungspunkte für eine neuerliche Berufstätigkeit zu sehen sind.

 

Davon abgesehen gehört der Beschwerdeführer keiner Minderheit an sodass auch diesbezüglich keine Vulnerabilität in Ansehung des Beschwerdeführers im Fall einer Rückkehr erkannt werden kann. Der Beschwerdeführer ist ferner kein Binnenvertriebener, der in die Autonome Region Kurdistan zugewandert ist, sondern wurde dort geboren und ist dort aufgewachsen. Auch die festgestellte allgemeine Lage in der Autonomen Region Kurdistan zeugt zwar von einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld, nicht jedoch davon, dass Rückkehrer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Lebensgrundlage vorfinden. Der Beschwerdeführer kann darüber hinaus als Staatsbürger des Irak Leistungen des Lebensmittelverteilungssystem PDS (Public Distribution System) in Anspruch nehmen, um grundlegende Bedürfnisse bei der Versorgung mit Nahrung befriedigen zu können. Der Beschwerdeführer selbst konnte schließlich auch selbst keine individuellen Umstände im Sinn der zitierten Judikatur glaubhaft machen, die im Fall der Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan eine reale Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beruhen auf den diesbezüglichen Angaben vor dem erkennenden Gericht und der belangten Behörde. Die Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf dessen glaubhaften Ausführungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung im Hinblick auf die durchlaufene Ausbildung und die im Herkunftsstaat sowie im Bundesgebiet ausgeübte Berufstätigkeit.

 

Dass Rückkehrer aus dem westlichen Ausland besonders vulnerabel wären, kann den zur Rückkehr getroffenen Feststellungen zur Lage in der Autonomen Region Kurdistan nicht entnommen werden. Seitens des Beschwerdeführers wurde letztlich auch nicht vorgebracht, im Rückkehrfall in eine ausweglose Lage zu geraten oder in seinen Grundbedürfnissen nicht abgesichert zu sein, sodass insgesamt eine gesicherte Existenzgrundlage im Irak als erwiesen anzusehen ist.

 

2.6.9. Soweit schließlich hilfsweise von einer zumutbaren und tauglichen Aufenthaltsalternative in Großstädten wie Erbil oder Sulaimaniyya ausgegangen wird, sind dafür unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, konkretisierten Kriterien ergänzend folgende Erwägungen maßgeblich:

 

Der Beschwerdeführer ist ein gesunder Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, mit der Landessprache seiner Herkunftsregion (Sorani) und mit den dortigen kulturellen Gepflogenheiten vertraut, sodass die Möglichkeit besteht, sich zumindest durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Die Sicherheitslage in Erbil oder XXXX ist dermaßen stabil, dass der Beschwerdeführer dort jedenfalls keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Ausweislich der Feststellungen zur sozioökonomischen Lage in der Autonomen Region Kurdistan ist diese zwar angespannt, jedoch sind insbesondere Binnenvertriebene mit Schwierigkeiten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt konfrontiert. Der Beschwerdeführer gehört dieser Risikogruppe nicht an, da er in der Autonomen Region Kurdistan geboren wurde und dort 21 Lebensjahre verbracht hat. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes wird es dem Beschwerdeführer gelingen, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten durch eigene Erwerbstätigkeit dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Der Beschwerdeführer kann zudem Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen, wodurch er Unterstützung für die Existenzgründung bei einer Rückkehr erlangen kann. Dass in der Autonomen Region Kurdistan Niederlassungsfreiheit herrscht, bedarf aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keiner weiteren Erörterung.

 

Der Beschwerdeführer steht ferner in Kontakt mit seinem Bruder XXXX, der als Automechaniker erwerbstätig ist, sodass der Beschwerdeführer selbst im Fall einer Rückkehr in eine Großstadt wie Erbil oder XXXX - etwa weil er Abstand zu den in seiner Heimatstadt aufhältigen Familienmitgliedern halten möchte - mit Unterstützung zumindest eines Familienmitglieds rechnen kann. Zwei Brüder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben darüber hinaus in XXXX, sodass der Beschwerdeführer in dieser Stadt ebenfalls über sozialen Anschluss verfügt. Dass sein Verhältnis zu seinen in XXXX ansässigen Geschwistern zerrüttet sei, wurde nicht vorgebracht.

 

Aus den zur Lage von Angehörigen sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan getroffenen Feststellungen geht schließlich hervor, dass in Großstädten allgemein eine liberalere Einstellung zu beobachten ist und derzeit gerade in XXXX mit behördlicher Genehmigung und Unterstützung eine Kampagne zur breiteren öffentlichen Diskussion der Anliegen sexueller Minderheiten im Gange ist. Die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers stellt demnach keinen Hinderungsgrund im gegebenen Kontext dar.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:

 

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), droht.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069 mwN).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/19/0459). Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in seinem Heimatstaat Verfolgung zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233 mwN). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; 18.02.1999, Zl. 98/20/0468).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

3.1.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht des Beschwerdeführers, im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht begründet ist:

 

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

 

Im gegenständlichen Fall ist ausweislich der Feststellungen und der diesbezüglichen Beweiswürdigung nach Ansicht des erkennenden Gerichts keine den Beschwerdeführer betreffende aktuelle, unmittelbare und konkrete Verfolgungsgefahr im Irak aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund gegeben.

 

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Bezüglich der Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder unruhebedingten Lebensbedingungen zurückzuführen sind, bleibt festzuhalten, dass diese keine Verfolgungshandlungen im Sinne des Asylgesetzes darstellen, da alle Bewohner gleichermaßen davon betroffen sind.

 

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen sind, weil das Asylrecht nicht die Aufgabe hat, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die etwa in Folge des Krieges, Bürgerkrieges, Revolution oder sonstiger Unruhen entstehen, ein Standpunkt den beispielsweise auch das UNHCR-Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft in Punkt 164 einnimmt (VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

 

Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, Zl. 95/20/0329 mwN).

 

3.1.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat Feststellungen zur Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan unter Heranziehung aktueller Länderberichte getroffen (siehe dazu insbesondere VwGH 16.11.2016, Ra 2015/18/0295).

 

Ausgehend von den getroffenen Feststellungen kann das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennen, dass Personen mit der sexuellen Orientierung des Beschwerdeführers in der Autonomen Region Kurdistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte unterliegen würden, auch wenn deren sexuellen Orientierung bekannt wird. Eine von Familien- bzw. Stammesmitgliedern ausgehende Gefährdung wurde bereits im Rahmen der Beweiswürdigung verneint. Die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers vermag daher nicht zur Zuerkennung von Asyl zu führen.

 

Soweit aus den Feststellungen abschnittsweise eine Diskriminierung sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan hervorgeht, ist festzuhalten, dass nach der Rechtsprechung nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (VwGH 22.3.2017, Ra 2016/19/0350). Eine solche Verletzung grundlegender Menschenrechte kann ob der getroffenen Feststellungen zur Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan und den Erwägungen zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Rückkehrfall nicht erkannt werden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass Personen nicht darauf verwiesen werden dürfen, ihre sexuelle Orientierung verborgen zu halten. Aus den Feststellungen zur Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan geht diesbezügliche einerseits hervor, dass Angehörige sexueller Minderheiten ihre Orientierung derzeit - insbesondere aufgrund der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz, der vorhandenen Diskriminierung oder familiären Aspekten - mehrheitlich verschweigen. Festgestellt wurde indes auch, dass der Einschätzung von Landinfo zufolge die sexuelle Orientierung von Personen in den Gemeinden bekannt ist, Orte existieren, an denen LGBT-Personen angetroffen werden und die neuen Medien eine neue Form der Vernetzung ermöglichen. Ferner sind allgemein in den letzten Jahren - von der zweimaligen kurzzeitigen Inhaftierung eines Aktivisten und der Bedrohung einer Person im Familienkreis sowie einem nicht näher definierten Angriff auf einen Sänger - keine Fälle asylrelevanter Übergriffe auf Angehörige sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan dokumentiert. Ausgehend davon und der Feststellung, dass sehr wohl zahlreiche LGBT -Personen in der Autonomen Region Kurdistan leben und diese in einigen Quellen zudem als Zufluchtsort dargestellt wird, kann das Bundesverwaltungsgericht zunächst keine asylrelevante Bedrohung solcher Personen erkennen. Da von einer gewissen Kenntnis der Umgebung über die sexuelle Orientierung von Personen auch anhand der Quellen ausgegangen werden muss, kann auch nicht davon gesprochen werde, dass im Fall des Bekanntwerdens einer bi- oder homosexuellen Orientierung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine individuelle Gefährdung von asylrelevanter Intensität eintritt. Das Bundesverwaltungsgericht merkt in diesem Zusammenhang an, dass nur eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zur Zuerkennung von internationalem Schutz führt. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069 mwN).

 

Freilich wird sich der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in einer Gesellschaft wiederfinden, die in weiten Teilen Homosexualität als der kurdischen Kultur fremd ablehnt. Gesellschaftliche Diskriminierung in den Bereichen Beschäftigung, Beruf und Wohnung aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität oder von unkonventionellem Aussehen sind weit verbreitet. In Anbetracht der Feststellungen kann auch davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer keine mit der Situation im Bundesgebiet vergleichbare Möglichkeit vorfindet, Lokale zu besuchen, in denen vorwiegend Homosexuelle verkehren. Ferner sind Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Partner zu erwarten und kann in Anbetracht der vorherrschenden Gebräuche nicht zwingend damit gerechnet werden, dass nicht ein präsumtiver Partner vom Beschwerdeführer verlangen wird, eine Beziehung nicht öffentlich zu praktizieren. In diesen gesellschaftlichen Restriktionen kann jedoch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtet keine asylrelevante Verfolgung gesehen werden, zumal in dieser Situation noch keine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte erkannt werden kann. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts besteht im Übrigen kein Zweifel daran, dass der Beschwerdeführer - zumindest in einer kurdischen Großstadt wie Erbil und XXXX - eine homosexuelle Beziehung eingehen kann, ohne diese verborgen halten zu müssen, zumal einerseits sogar davon berichtet wird, dass es - wiewohl schwierig - zumindest in Großstädten möglich sein, zusammen zu leben. Ferner kann davon ausgegangen werden, dass - wie hinsichtlich eines Kaffeehauses beschrieben - auch Orte für Treffen mit anderen LGBT-Personen zugänglich sind. Dass der Beschwerdeführer dabei keine vergleichbare Infrastruktur wie im Bundesgebiet, insbesondere entsprechende Lokale wie etwa die von ihm beschriebene Lokalität in Innsbruck - vorfinden wird, stellt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keine zur Gewährung von Asyl führende Verfolgung dar.

 

Entsprechendes gilt für die gesellschaftliche Diskriminierung und die nach wie vor weit verbreitete und kulturell sowie religiös bedingte Ablehnung sexueller Minderheiten, zumal darin ebenfalls noch keine Verfolgung im Sinn der Genfer Konvention bzw. des Art. 9 der Statusrichtlinie gesehen werden kann.

 

Dass sich der Beschwerdeführer als Aktivist für die Rechte von LGBT-Personen in seinem Herkunftsstaat betätigen wolle und er deshalb eine Gefährdung ausgesetzt wäre - etwa in Gestalt willkürlicher Festnahmen durch Sicherheitskräfte bei öffentlichen Aktivitäten - wurde nicht vorgebracht und konnte dementsprechend auch nicht festgestellt werden.

 

3.1.4. Eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A Z. 2 GFK liegt somit nicht vor. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist demgemäß nicht zu beanstanden und kommt der Beschwerde insoweit keine Berechtigung zu.

 

3.2. Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten:

 

3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Demgemäß hat das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen, ob im Falle der Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

 

Bei der Prüfung und Zuerkennung von subsidiärem Schutz im Rahmen einer gebotenen Einzelfallprüfung sind zunächst konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 MRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Die dabei anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0236; VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwN). Zu berücksichtigen ist auch, ob solche exzeptionellen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0060 mwH).

 

Nach der ständigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Verwaltungsgerichtshofs obliegt es dabei grundsätzlich dem Beschwerdeführer, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (EGMR U 05.09.2013, I. gegen Schweden, Nr. 61204/09; VwGH 18.03.2015, Ra 2015/01/0255; VwGH 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Die Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich das erkennende Gericht nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214). Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (etwa die familiäre, gesundheitliche oder finanzielle Situation), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 18.12.2002, Zl. 2002/18/0279). Der Antragsteller muss die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben schlüssig darstellen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus, wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (EGMR U 17.10.1986, Kilic gegen Schweiz, Nr. 12364/86). So führt der EGMR aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller, Beweise zu beschaffen, dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (EGMR U 05.07.2005, Said gegen Niederlande, 5.7.2005).

 

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen im Übrigen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141).

 

3.2.2. Unter "real risk" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (grundlegend VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; RV 952 BlgNR XXII. GP 37). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die Feststellung einer Gefahrenlage im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erfordert das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; 14.10.1998, Zl. 98/01/0122).

 

3.2.3. Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der betroffenen Person im Falle seiner Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. EGMR U 08.04.2008, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 21878/06).

 

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (VfSlg 13.314/1992; EGMR GK 07.07.1989, Soering gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 14038/88). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Antragstellers zu berücksichtigen, wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein ausreichend reales Risiko für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (EGMR U 04.07.2006, Karim gegen Schweden, Nr. 24171/05, U 03.05.2007, Goncharova/Alekseytev gegen Schweden, Nr. 31246/06).

 

3.2.4. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinn des Art. 15 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann überdies landesweit oder regional bestehen, er muss sich mithin nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (VG München 13.05.2016, M 4 K 16.30558).

 

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Beschwerdeführers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Bedrohung darstellt. Eine allgemeine Gefahr kann sich insbesondere durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH U. 17.02.2009, C-465/07 ). Ob eine Situation genereller Gewalt eine ausreichende Intensität erreicht, um eine reale Gefahr einer für das Leben oder die Person zu bewirken, ist insbesondere anhand folgender Kriterien zu beurteilen:

ob die Konfliktparteien Methoden und Taktiken anwenden, die die Gefahr ziviler Opfer erhöhen oder direkt auf Zivilisten gerichtet sind; ob diese Taktiken und Methoden weit verbreitet sind; ob die Kampfhandlungen lokal oder verbreitet stattfinden; schließlich die Zahl der getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten (EGRM U 28.06.2011, Sufi/Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Nrn. 8319/07, 11449/07).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt jedoch nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; EGMR U 20.07.2010, N. gegen Schweden, Nr. 23505/09; U 13.10.2011, Husseini gegen Schweden, Nr. 10611/09). Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zur Lage in Bagdad). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427).

 

Im Hinblick der Gefahrendichte ist auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die der Beschwerdeführer typischerweise zurückkehren wird. Zur Feststellung der Gefahrendichte kann auf eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung zurückgegriffen werden. Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann (dt BVerwG 17.11.2011, 10 C 13/10).

 

3.2.5. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht gegeben sind:

 

Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte.

 

Zwar kann eine Behandlung, die sich auf Vorurteilen einer heterosexuellen Mehrheit gegenüber einer homosexuellen Minderheit gründet, kann auch in den Anwendungsbereich von Art. 3 EMRK fallen (EGMR U 27.09.1999., Lustig-Prean und Becket gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 31417/96). Ausweislich der Feststellungen zur Lage sexueller Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan erreicht die fallweise stattfindende gesellschaftliche Diskriminierung sexueller Minderheiten nicht den Grad der Schwere, dass von einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder der realen Gefahr einer unmenschlichen Bestrafung gesprochen werden könnte.

 

Seitens des Beschwerdeführers wurde im Übrigen kein substantiiertes Vorbringen erstattet, wonach er im Fall einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan aufgrund seiner sexuellen Orientierung einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte.

 

Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen. Die Sicherheitslage in der Autonomen Region Kurdistan ist stabil und es herrscht dort ausweislich der Feststellungen auch kein innerstaatlicher Konflikt. Es finden zwar vereinzelt Anschläge und sicherheitsrelevante Vorfälle statt, aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts kann in Anbetracht der zu den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Autonomen Region Kurdistan dargestellten Gefahrendichte nicht erkannt werden, dass schon aufgrund der bloßen Präsenz des Beschwerdeführers in der Autonomen Region Kurdistan davon ausgegangen werden muss, dass dieser wahrscheinlich das Opfer eines terroristischen Anschlages werden würde. Offene Kampfhandlungen finden im Übrigen nicht statt. Risikoerhöhende Umstände im Hinblick auf die Person des Beschwerdeführers, welche zu einer im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung stark erhöhte Gefährdung durch terroristische Aktivitäten hindeuten würden, wurden im Verfahren nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer gehört auch nicht den staatlichen Sicherheitskräften an.

 

Es kann auch nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. hiezu grundlegend VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059), hat doch der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung in den Irak jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

 

Der Beschwerdeführer ist ein junger, gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit hinreichender Ausbildung in der Schule. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Teilnahme am Erwerbsleben kann in Ansehung des Beschwerdeführers vorausgesetzt werden, zumal er über Berufserfahrung im Herkunftsstaat als Arbeiter in der Werkstatt seines Vaters und als selbständiger Händler mit EDV-Komponenten verfügt.

 

Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer im Irak und dort in der Autonomen Region Kurdistan grundsätzlich in der Lage sein wird, sich durch eigene Berufstätigkeit ein ausreichendes Einkommen zur Sicherstellung des eigenen Lebensunterhalts zu erwirtschaften und eine Unterkunft zu erhalten. Es steht dem Beschwerdeführer außerdem frei, am ERIN-Programm teilzunehmen und dermaßen Reintegrationsleistungen zu erhalten. Ferner hat er als Staatsbürger des Irak Anspruch auf Leistungen des Lebensmittelverteilungssystem PDS, welches den Feststellungen zufolge zwar inneffizient geführt wird und mit teilweisen Ausfällen zu kämpfen hat, jedoch dennoch für eine gewisse Absicherung mit Grundnahrungsmittel sorgt.

 

Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in der Autonomen Region Kurdistan in Gestalt seiner Kernfamilie und besteht die Möglichkeit, sich neuerlich um familiäre Unterstützung zu bemühen. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass ein bestehendes Zerwürfnis mit der Familie nicht festgestellt werden konnte und der Beschwerdeführer selbst angibt, auch gegenwärtig in Kontakt mit einem erwerbstätigen Bruder zu stehen. Selbst wenn sich infolge der sexuellen Orientierung ein Zerwürfnis mit einzelnen Familienmitgliedern ergebe sollte, ist von einer gesicherten Existenz in einer kurdischen Großstadt wie Erbil oder XXXX auszugehen. In Anbetracht des persönlichen Profils des Beschwerdeführers geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass diese sich auch ohne Unterstützung durch Familienangehörige durch Erwerbstätigkeit und Gestalt der Eröffnung eines eigenen Geschäftes oder hilfsweise durch unqualifizierte Tätigkeiten eine hinreichende Existenz sichern kann. Die festgestellte Diskriminierung von Angehörigen sexueller Minderheiten steht dem nicht entgegen, zumal aus den Feststellungen und den dazu herangezogenen länderkundlichen Berichten Schwierigkeiten zwar allgemein von einer gesellschaftlichen Diskriminierung in den Bereichen Beschäftigung, Beruf und Wohnung aufgrund der sexuellen Orientierung gesprochen wird, jedoch einerseits nicht substantiiert vorgebracht wurde, inwiefern der Beschwerdeführer davon betroffen wäre und andererseits aus den herangezogenen länderkundlichen Berichten nicht ersichtlich ist, dass die diskriminierenden Maßnahmen mit dem Entzug jeglicher Lebensgrundlage verbunden sind. Für derartiges besteht vielmehr kein Anhaltspunkt.

 

Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde, liegt demnach nicht vor.

 

3.2.6. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden.

 

Weder droht ihm im Herkunftsstaat das reale Risiko einer Verletzung der oben genannten gewährleisteten Rechte, noch bestünde die Gefahr, der Todesstrafe unterzogen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen, sodass der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu Recht abgewiesen wurde.

 

4. Der angefochtene Bescheid erweist sich ob der vorstehenden Ausführungen als rechtsrichtig, sodass die dagegen erhobene Beschwerde in vollem Umfang als unbegründet abzuweisen ist. Da die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wider den Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid rechtskräftig dauerhaft als unzulässig erklärt wurde, sind sämtliche Überlegungen zu einer Rückkehr in die Autonome Region Kurdistan ferner rein hypothetisch, zumal sich der Beschwerdeführer bereits rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und hier auch bereits lange Zeit einer Erwerbstätigkeit nachgeht.

 

Zu B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, insbesondere zum Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorgebrachten Gründe, zum Flüchtlingsbegriff und zum Refoulementschutz abgeht.

 

Ebenso wird zu diesen Themen keine Rechtssache, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, erörtert. In Bezug auf den angefochtenen Bescheid liegt das Schwergewicht zudem in Fragen der einzelfallbezogenen Beweiswürdigung.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte