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9.5.2.3. Gemeinsame Bestimmungen

BMFBMF-280000/0061-IV/2/201431.3.2014

9.5.2.3.1. Ermittlungsmaßnahmen nach der Strafprozessordnung (StPO)

Definition

Die Ermittlungsmaßnahmen nach StPO gliedern sich in

Standard

Bei den Ermittlungsmaßnahmen ist vor allem der Grundsatz der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit nach § 5 StPO zu beachten.

Jede Rechtsgutbeeinträchtigung muss in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg stehen. Unter mehreren zielführenden Ermittlungshandlungen und Zwangsmaßnahmen ist jene zu ergreifen, welche die Rechte der/des Betroffenen am geringsten beeinträchtigt.

Gesetzlich eingeräumte Befugnisse sind in jeder Lage des Verfahrens in einer Art und Weise auszuüben, die unnötiges Aufsehen vermeidet, die Würde der betroffenen Person achtet und deren Rechte und schutzwürdige Interessen wahrt.

9.5.2.3.2. Eigenständige Ermittlungsbefugnisse

9.5.2.3.2.1. Erkundigungen, Vernehmungen

9.5.2.3.2.1.1. Erkundigungen

Definition

Erkundigungen sind "informative Befragungen", aus welchen sich erst die Stellung einer Person im Verfahren (Beschuldigte/r, Zeugin/Zeuge) ergeben kann. Sie dienen der Aufklärung einer Straftat und der Vorbereitung einer Beweisaufnahme; die Bestimmungen über die Vernehmung der/des Beschuldigten und von Zeuginnen/Zeugen dürfen durch Erkundigungen bei sonstiger Nichtigkeit (Beweisverwertungsverbot) nicht umgangen werden.

Standard

Soweit die Finanzpolizei nicht verdeckt ermittelt, hat sie bei Erkundigungen auf ihre amtliche Stellung hinzuweisen, soweit diese für den Betroffenen nicht bereits offensichtlich ist. Die Auskunft hat freiwillig zu erfolgen und darf ohne diesbezügliche gesetzliche Erteilungsverpflichtung auch nicht erzwungen werden.

Auskünfte und sonstige Umstände, welche durch Erkundigungen erlangt wurden und für das

Verfahren von Bedeutung sein können, sind in einem Amtsvermerk (§ 95 StPO) festzuhalten. Die Bestimmungen über die Vernehmung von Beschuldigten und von Zeugen dürfen durch Erkundigungen bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden.

Wenn sich daher im Rahmen einer bloßen Befragung (Erkundigung) der Verdacht ergibt, dass die/der Befragte entweder als Beschuldigte/r oder als Zeugin/Zeuge in Frage kommt, ist umgehend eine entsprechende Rechtsbelehrung zu erteilen. Über die Erkundigung ist ein Amtsvermerk anzulegen. Im weiteren Verfahren ist diese Person dann als Beschuldigte/r oder Zeugin/Zeuge zu behandeln und als solche/r formell zu vernehmen.

9.5.2.3.2.1.2. Vernehmungen

Definition

Vernehmung ist das Befragen von Personen nach förmlicher Information über deren Stellung im Verfahren.

Standard

Jede/r Beschuldigte, jede/r Zeugin/Zeuge ist prinzipiell schriftlich zu laden. Sollte es sich jedoch ergeben, dass eine sofortige Vernehmung der/des Beschuldigten, der Zeugin/des Zeugen zweckdienlich und notwendig ist, kann in Ausnahmefällen auch von einer schriftlichen Ladung Abstand genommen werden, worüber die/der Einsatzleiter/in vor Ort zu entscheiden hat. Sollte die/der Beschuldigte nicht direkt vor Ort vernommen werden, ist diese/r mittels des vorliegenden Formulars "Ladung der Beschuldigten nach StPO" unter Anschluss der entsprechenden "Rechtsbelehrung Beschuldigte(r) nach StPO" zu laden.

9.5.2.3.2.2. Beschuldigte/r und Zeugin/Zeuge nach der Strafprozessordnung (StPO)

9.5.2.3.2.2.1. Vernehmung der/des Beschuldigten

Standard

Die Vernehmung hat einzeln und abgesondert von anderen Personen und Beteiligten zu erfolgen. Die/der Beschuldigte ist über ihre/seine persönlichen Verhältnisse zu befragen und über ihre/seine Rechte und Pflichten zu belehren.

Vor der Vernehmung ist zu prüfen, ob eine Übersetzungshilfe erforderlich ist und zutreffendenfalls eine beizuziehen (Recht auf Übersetzung).

Die Belehrung hat zu enthalten:

  • Der/dem Beschuldigten ist vor Beginn der Vernehmung mitzuteilen, welcher Tat sie/er verdächtig ist
  • Die/der Beschuldigte ist darüber zu informieren, dass sie/er berechtigt ist, sich zur Sache zu äußern oder nicht auszusagen
  • Die/der Beschuldigte ist darüber zu belehren, dass ihre/seine Aussage ihrer/seiner Verteidigung dienen, aber auch als Beweis gegen sie/ihn verwendet werden kann
  • Die/der Beschuldigte ist weiters darüber zu belehren, dass sie/er sich zuvor mit einer Verteidigerin/einem Verteidiger beraten kann, soweit der Kontakt nicht eingeschränkt ist
  • Die/der Beschuldigte ist darüber zu belehren, dass sie/er, wenn sie/er sich keine Verteidigerin/keinen Verteidiger leisten kann, eine/n beigestellt bekommt. Die Bestellung erfolgt durch das Gericht auf Antrag der/des Beschuldigten
  • Die/der Beschuldigte hat das Recht, ihrer/seiner Vernehmung eine Verteidigerin/einen Verteidiger beizuziehen, die/der sich jedoch an der Vernehmung nicht beteiligen darf
  • die Verteidigerin/der Verteidiger darf nach Abschluss der Vernehmung ergänzende Fragen an die/den Beschuldigte/n stellen. Diese Fragen sowie auch die Antworten sind im selben Protokoll festzuhalten
  • die/der Beschuldigte darf sich während der Vernehmung nicht mit ihrer Verteidigerin/ihrem Verteidiger über die Beantwortung von Fragen beraten
  • die/der festgenommene Beschuldigte ist darüber zu belehren, dass sie/er das Recht hat, eine/n Angehörige/n oder eine andere Vertrauenspersonen und eine Verteidigerin/einen Verteidiger von ihrer/seiner Festnahme zu verständigen oder verständigen zu lassen und zuzuziehen, sie/er ist ebenso berechtigt, die konsularische Vertretung verständigen zu lassen (siehe § 171 Abs. 4 Z 2 lit. a StPO)

Die Beiziehung einer Verteidigerin/eines Verteidigers kann untersagt werden, falls dies erforderlich ist, um eine Gefahr für die Ermittlungen oder eine Beeinträchtigung von Beweismitteln abzuwenden. Sollte die Verteidigerin/der Verteidiger nicht beigezogen werden, sind die Gründe in einem Aktenvermerk zu dokumentieren und nach Möglichkeit eine Ton- oder Bildaufnahme anzufertigen, worüber die/der Beschuldigte ausdrücklich zu informieren ist.

9.5.2.3.2.2.2. Vernehmungen von Zeugen

Standard

Sollte die Zeugin/der Zeuge nicht direkt vor Ort im Zuge einer Außenhandlung vernommen werden, ist diese/r schriftlich mit dem vorliegenden Formular "Ladung des/der Zeugen/Zeugin nach StPO" unter Anschluss der entsprechenden "Rechtsbelehrung Zeuge nach StPO" zu laden.

Jede Zeugin/jeder Zeuge ist zur vollständigen und richtigen Aussage verpflichtet. Vernehmungsverbote sind von Amts wegen wahrzunehmen.

Nicht vernommen werden dürfen:

  • Geistliche
  • Beamte über Amtsgeheimnisse, soweit sie nicht von der Verschwiegenheitspflicht entbunden sind
  • Mitglieder besonderer parlamentarischer Ausschüsse
  • Aufgrund einer psychischen Krankheit, geistigen Behinderung oder einem anderen Grund zur Angabe der Wahrheit nicht fähige Personen
9.5.2.3.2.2.2.1. Aussagebefreiung

Von der Pflicht zur Aussage sind Personen befreit, die im Verfahren gegen Angehörige aussagen sollen (§ 72 StGB). Die durch eine Ehe oder durch eingetragene Partnerschaft begründete Eigenschaft einer Person als Angehörige/r bleibt für die Beurteilung der Berechtigung zur Aussageverweigerung aufrecht, auch wenn die Ehe oder eingetragene Partnerschaft nicht mehr besteht.

Über ihre Befreiung von der Aussagepflicht sind Zeuginnen/Zeugen vor Beginn ihrer Vernehmung zu informieren. Zeuginnen/Zeugen haben den Aussagebefreiungsgrund glaubhaft zu machen.

Sollte eine Person auf ihr Aussagebefreiungsrecht verzichten, hat sie dies ausdrücklich zu tun und ist dies zu protokollieren. Ohne diesen ausdrücklichen Verzicht ist die Aussage nichtig und nicht verwertbar. Der Verzicht ist jederzeit widerrufbar.

9.5.2.3.2.2.2.2. Aussageverweigerung

Zeuginnen/Zeugen sind vor Beginn der Vernehmung oder bei späterem Bekanntwerden des Aussageverweigerungsrechtes zu informieren. Der Umstand der Belehrung sowie der Einlassung der Zeugin/des Zeugen nach Belehrung sind zu protokollieren.

9.5.2.3.2.2.2.3. Inanspruchnahme von Befreiungs- und Verweigerungsgründen

Die Zeugin/der Zeuge ist rechtzeitig über das Verweigerungsrecht zu belehren bei sonstiger Nichtigkeit der gesamten bzw. von Teilen der Aussage.

9.5.2.3.2.2.2.4. Zeugengebühren

Zeuginnen/Zeugen haben nach den Bestimmungen des Gebührenanspruchsgesetzes (GebAG), BGBl. Nr. 136/1975 in der geltenden Fassung, nur dann Anspruch auf Ersatz von Reise- und Aufenthaltskosten und auf Entschädigung für Zeitversäumnis, wenn sie vom Staatsanwalt selbst vernommen werden. Entsprechende Anträge sind bei Gericht einzubringen.

9.5.2.3.2.2.3. Identitätsfeststellung nach §§ 117 Z 1 und 118 StPO

Definition

"Identitätsfeststellung" ist die Ermittlung und Feststellung von eine Person unverwechselbar kennzeichnenden Daten.

Die Feststellung der Identität einer Person ist zulässig, wenn diese einer Straftat verdächtig ist oder über wesentliche Informationen zu ihrer Aufklärung verfügt oder Spuren hinterlassen hat, die der Aufklärung dienen können.

Standard

Festgestellt werden dürfen Name, Geschlecht, Geburtsdatum, Geburtsort, Beruf, Wohnanschrift. Sollte es notwendig sein, kann die Größe festgestellt werden, die Person fotografiert und die Stimme aufgezeichnet werden.

Jedermann ist verpflichtet, an der Identitätsfeststellung mitzuwirken oder diese zu dulden, soweit diese auf angemessene Weise abläuft. Der betroffenen Person ist mitzuteilen, weshalb die Feststellung erfolgt. Die Begründung für die Feststellung der Identität und der Zeitpunkt der Mitteilung sind im Akt zu dokumentieren. Sämtliche die Identität dokumentierenden Urkunden sind nach Möglichkeit abzulichten (fotografieren).

Sollte die Person an der Identitätsfeststellung nicht mitwirken oder kann die Identität aus anderen Gründen nicht sogleich festgestellt werden, so können die mit kriminalpolizeilichen Befugnissen ausgestatteten Organe von sich aus die Bekleidung und die Gegenstände, die die betroffene Person mit sich führt, durchsuchen.

Das Ergebnis der Durchsuchung ist ebenfalls mittels eines Aktenvermerkes zu dokumentieren. Ausweispapiere sind, wenn möglich, zu kopieren (fotografieren).

Sollte die Durchsuchungsmaßnahme keinen Erfolg haben, so sind die Organe der öffentlichen Sicherheit unter Hinweis auf Artikel 22 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) beizuziehen.

9.5.2.3.2.2.4. Sicherstellung nach § 110 Abs. 3 StPO

Definition

Die Sicherstellung ist die Begründung der tatsächlichen Verfügungsmacht über Gegenstände, die als Beweismittel in Betracht kommen, das (vorläufige) Verbot der Herausgabe, Veräußerung oder Verpfändung solcher Gegenstände und das Verbot der Herausgabe von anderen Vermögenswerten an Dritte gegen den Willen der/des Betroffenen. Sie bedarf grundsätzlich der Anordnung der Staatsanwaltschaft, wenn nicht die Sicherstellung von den mit kriminalpolizeilichen Befugnissen ausgestatteten Organen von sich aus vorgenommen werden darf.

Standard

Jede Person, die Gegenstände oder Vermögenswerte, die sichergestellt werden sollen, in ihrer Verfügungsmacht hat, ist verpflichtet, diese auf Verlangen herauszugeben oder die Sicherstellung auf andere Weise zu ermöglichen. Diese Pflicht kann erforderlichenfalls auch mittels Durchsuchung von Personen oder Wohnungen erzwungen werden.

Sollen auf Datenträgern gespeicherte Informationen sichergestellt werden, so hat jedermann Zugang zu diesen Informationen zu gewähren und auf Verlangen einen elektronischen Datenträger in einem allgemein gebräuchlichen Dateiformat auszufolgen oder herstellen zu lassen.

Personen, die nicht selbst der Tat verdächtig sind, sind Kosten aus der Sicherstellung zu ersetzen.

Der betroffenen Person ist sofort oder zumindest binnen 24 Stunden eine Bestätigung über die Sicherstellung auszufolgen oder zuzustellen.

Der Staatsanwaltschaft ist über jede Sicherstellung unverzüglich, längstens jedoch binnen 14 Tagen zu berichten, es sei denn, dass die aus eigenem vorgenommene Sicherstellung bereits aufgehoben worden ist. Dieser Bericht kann jedoch mit dem nächstfolgenden verbunden werden, wenn dadurch keine wesentlichen Interessen des Verfahrens oder von Personen beeinträchtigt werden und die sichergestellten Gegenstände geringwertig sind, sich in niemandes Verfügungsmacht befinden oder ihr Besitz allgemein verboten ist.

Die Sicherstellung umfasst keine Berechtigung zur Durchsuchung von Orten und Gegenständen zum Auffinden des sicherzustellenden Gegenstandes.

Verbringung sichergestellter Unterlagen

Sämtliche sichergestellten Unterlagen (Sicherstellung und Durchsuchung) sind in die Amtsräumlichkeiten zu verbringen und dort gesichert zu verwahren. Nach ehest möglicher Sichtung der Unterlagen ist festzustellen, ob die Sicherstellung aufrecht zu erhalten ist und ob Originalunterlagen gegen Anfertigung von Kopien wieder retourniert werden können. Über sichergestellte Unterlagen ist die Staatsanwältin/der Staatsanwalt zumindest im nächsten Zwischenbericht zu informieren.

Abstandnahme und Aufhebung der Sicherstellung

Eine Sicherstellung ist unzulässig bzw. eine bereits vorgenommene Sicherstellung ist auf Verlangen der betroffenen Person aufzuheben, soweit und sobald der Beweiszweck durch Bild-, Tonaufnahmen und sonstige Aufnahmen bzw. durch Kopien erfüllt werden kann und nicht anzunehmen ist, dass die Originale in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen sein werden.

Die Vorgangsweise ist im Akt detailliert zu dokumentieren. Die Aufhebung der durch die Staatsanwaltschaft angeordneten, bereits vollzogenen Sicherstellungen bedarf der weiteren Anordnung durch die Staatsanwaltschaft. Diese kann auch fernmündlich eingeholt werden. Darüber ist ein Aktenvermerk anzulegen, der Datum, Uhrzeit und Namen der anordnenden Staatsanwältin/des anordnenden Staatsanwaltes ausweist.

Wurde die Sicherstellung noch nicht vollzogen, ist die Aufhebung der Anordnung nicht notwendig. Es muss allerdings im Akt dokumentiert werden, aus welchen Gründen von der Durchführung der angeordneten Maßnahme Abstand genommen wurde.

Die Sicherstellung ist dann durch die Staatsanwaltschaft aufzuheben und die Beweisgegenstände sind an die Betroffenen zurückzugeben, wenn das Gericht von einer Beschlagnahme Abstand nimmt. Der Empfang der rückgegebenen Gegenstände ist bestätigen zu lassen. Allfällige bereits angefertigte Kopien und Aufzeichnungen sind zu vernichten. Über die Vernichtung ist ein Aktenvermerk aufzunehmen. Der Staatsanwaltschaft ist binnen 14 Tagen über jede Sicherstellung zu berichten, soweit sie nicht die Maßnahme bereits vorher aufhebt oder es sich um geringwertige Güter handelt. Über deren Sicherstellung kann im nächsten Zwischenbericht an die Staatsanwaltschaft berichtet werden.

Die von der Sicherstellung betroffenen Personen sind zu verständigen und über ihr Recht zu informieren, dass sie Einspruch wegen Rechtsverletzung erheben können.

Die sichergestellten Gegenstände sind bis zum Zeitpunkt der ersten Berichterstattung und solange eine Verwahrung notwendig ist, bei der Finanzpolizei zu verwahren.

Ist der Grund für die Verwahrung weggefallen, sind die sichergestellten Gegenstände jener Person zurückzugeben, der sie abgenommen wurden.

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