VwGH 2009/08/0251

VwGH2009/08/025122.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des AH in G, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in 8010 Graz, Neutorgasse 47, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 23. April 2009, Zl. LGS600/SfA/0566/2009-He/S, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §12 Abs3 lith;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §12 Abs3 lith;
AlVG 1977 §25 Abs1;
AlVG 1977 §38;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war vom 3. April bis zum 31. Oktober 2006 bei der E GmbH vollversicherungspflichtig beschäftigt. Ihm wurde auf Grund seines Antrags vom 2. November 2006 Arbeitslosengeld und in der Folge Notstandshilfe zuerkannt.

Mit zwei Bescheiden vom 24. März 2009 widerrief die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice G (AMS) einerseits das Arbeitslosengeld des Beschwerdeführers vom 2. November 2006 bis zum 20. März 2007 und andererseits die Notstandshilfe vom 21. März 2007 bis zum 28. Februar 2009 und verpflichtete den Beschwerdeführer zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 3.291,80 und der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe von EUR 12.525,92. Der Beschwerdeführer habe die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu Unrecht bezogen, weil er innerhalb eines Monats beim gleichen Dienstgeber ein unter der Geringfügigkeitsgrenze liegendes Dienstverhältnis begonnen habe.

In seinen gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen brachte der Beschwerdeführer vor, er habe in seinen Anträgen auf Zuerkennung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung nur seinen Namen und die Adresse ausgefüllt. Der Rest sei von einem Mitarbeiter des AMS in seinem Beisein ausgefüllt worden. Der Mitarbeiter des AMS habe ihn nicht danach gefragt, ob er in einem Dienstverhältnis stünde.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde den Berufungen keine Folge gegeben. Der Beschwerdeführer habe sein vollversichertes Dienstverhältnis bei der E GmbH mit 31. Oktober 2006 beendet und das geringfügige Dienstverhältnis bei derselben Dienstgeberin am 2. November 2006 sohin innerhalb eines Monats nach Ende des vollversicherten Beschäftigungsverhältnisses begonnen. Daher liege vom 2. November 2006 bis zum 20. März 2009 keine Arbeitslosigkeit vor. Der Beschwerdeführer habe drei Anträge auf Zuerkennung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gestellt, und zwar am 2. November 2006, am 21. März 2007 und am 11. März 2008. In diesen Anträgen habe er die Fragen 5 ("Ich stehe derzeit in Beschäftigung") und 8 ("Ich habe ein eigenes Einkommen. Wenn ja, welcher Art (z.B. Pensionen, Renten, Unterhaltsleistungen, Einkommen aus geringfügiger, selbständiger oder freiberuflicher Tätigkeit, Vermietung oder Hausbesorgertätigkeit) und Höhe des Einkommens") mit "nein" beantwortet. Auf Seite 4 der Antragsformulare sei jeweils darauf hingewiesen worden, dass der Beschwerdeführer nach § 50 Abs. 1 AlVG verpflichtet sei, dem AMS den Eintritt in ein Arbeitsverhältnis (wobei die geringfügige Beschäftigung ausdrücklich angeführt worden sei) mitzuteilen. Weiters sei der Beschwerdeführer auf Folgendes hingewiesen worden:

"Ich bestätige mit meiner Unterschrift, die Wahrheit der auf diesem Formular gemachten Angaben und nehme zur Kenntnis, dass falsche Angaben oder das Verschweigen maßgebender Tatsachen (z.B. auch durch das Nichtbeantworten von Fragen) die Einstellung und Rückforderung der bezogenen Leistung bewirken, außerdem in solchen Fällen eine Geldstrafe verhängt oder eine Strafanzeige gegen Sie erstattet werden kann ..."

Dies habe der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift zur Kenntnis genommen. Wenn er behaupte, Mitarbeiter des AMS hätten die Antragsformulare selbständig ohne Rückfragen ausgefüllt, so sei dem entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift die Wahrheit der auf diesen Formularen gemachten Angaben bestätigt habe. Schon deshalb sei es unglaubwürdig, dass er die Beantwortung von Fragen, die ihn beträfen, einer fremden Person überlassen und dies auch noch mit seiner Unterschrift versehen hätte, ohne die Angaben geprüft zu haben. Vielmehr habe er die Angaben in den Anträgen selbst gemacht bzw. seien diese nach seinen Vorgaben gemacht worden. Seinem Einwand, er sei der Auffassung gewesen, dass man neben dem Arbeitslosengeld geringfügig dazu verdienen könne, werde entgegengehalten, dass ihn das AMS hätte aufklären können, wenn er das geringfügige Dienstverhältnis nicht verschwiegen hätte. Er habe in den Anträgen auf Arbeitslosengeld und Pensionsvorschuss auf Basis der Notstandshilfe unwahre Angaben gemacht. Daher seien sowohl das Arbeitslosengeld als auch die Notstandshilfe von ihm zurückzufordern.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. September 2009, B 604/09-3, abgelehnte und dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 ist arbeitslos, wer eine (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) beendet hat (Z. 1), nicht mehr der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegt oder dieser ausschließlich auf Grund des Weiterbestehens der Pflichtversicherung für den Zeitraum, für den Kündigungsentschädigung gebührt oder eine Ersatzleistung für Urlaubsentgelt oder eine Urlaubsabfindung gewährt wird (§ 16 Abs. 1 lit. k und l), unterliegt (Z. 2) und keine neue oder weitere (unselbständige oder selbständige) Erwerbstätigkeit (Beschäftigung) ausübt (Z. 3).

Nach Abs. 3 dieser Bestimmung gilt als arbeitslos insbesondere nicht, wer in einem Dienstverhältnis steht (lit. a) sowie, wer beim selben Dienstgeber eine Beschäftigung aufnimmt, deren Entgelt die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt, es sei denn, dass zwischen der vorhergehenden Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung ein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist (lit. h).

Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.

Nach § 25 Abs. 1 erster Satz leg. cit. ist bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.

Gemäß § 50 Abs. 1 AlVG sind Bezieher von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung verpflichtet, die Aufnahme einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 AlVG unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle anzuzeigen. Diese Verpflichtung besteht selbst dann, wenn nach Auffassung des Leistungsempfängers diese Tätigkeit den Leistungsanspruch nicht zu beeinflussen vermag (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. November 2008, Zl. 2007/08/0191, mwN).

Die sich aus der in § 25 Abs. 1 AlVG (iVm § 38 AlVG) vorgesehenen Sanktionierung ergebende Verpflichtung von Antragstellern auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, hinsichtlich maßgebender Tatsachen vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen, soll sicherstellen, dass der Behörde, die zahlreiche gleichartige Verfahren relativ rasch abzuwickeln hat, grundsätzlich die für den Leistungsanspruch maßgebenden Umstände vollständig und wahrheitsgemäß zur Kenntnis gelangen. Der Rückforderungstatbestand "unwahre Angaben" liegt daher jedenfalls dann vor, wenn die Behörde in einem Antragsformular eine rechtserhebliche Frage stellt und diese Frage unrichtig oder unvollständig beantwortet wird. Da die Angaben zur Geltendmachung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung im Antragsformular die Behörde in die Lage versetzen sollen, ihrerseits zu beurteilen, ob ein Anspruch besteht, ist das Risiko eines Rechtsirrtums, aus dem ein Arbeitsloser meint, die darin gestellten Fragen nicht vollständig oder richtig beantworten zu müssen, von ihm zu tragen (vgl. die ständige Rechtsprechung, vgl. etwa das Erkenntnis vom 16. Februar 1999, Zl. 98/08/0111, und Hinweis auf die Vorjudikatur; sowie vom 20. November 2002, Slg. Nr. 15.959/A).

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, nicht er, sondern ein Bediensteter des AMS habe jeweils das Antragsformular ausgefüllt, ist zu entgegnen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Inhalt des Antragsformulars demjenigen, der dieses Formular unterschreibt und damit ausdrücklich die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben bestätigt, auch dann zuzurechnen ist, wenn das Formular von einem Dritten (vgl. die Erkenntnisse vom 11. Mai 1993, Zl. 92/08/0182, und vom 17. Oktober 1995, Zl. 94/08/0030) bzw. durch Bedienstete des AMS (vgl. das Erkenntnis vom 20. Oktober 1998, Zl. 96/08/0352) ausgefüllt worden ist.

Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG kann von jenem Arbeitslosengeld nicht zurückgefordert werden, der zwar objektiv falsche Angaben, jedoch in unverschuldeter Unkenntnis vom wahren Sachverhalt gemacht hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 16. Oktober 2002, Zl. 99/03/0201).

Was die Verschuldensseite betrifft, so deutet zwar die Verwendung der Begriffe "unwahr" (und nicht bloß "unrichtig") bzw. "Verschweigen" in den beiden ersten Rückforderungstatbeständen des § 25 Abs. 1 AlVG insoweit auf eine subjektive Komponente hin, als dafür (im Gegensatz zum dritten Tatbestand des Erkennenmüssens) die Schuldform des Vorsatzes erforderlich ist (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 19. Juli 2007, Zl. 2004/08/0129). Es ist nach allgemeinem Erfahrungsgut und Aktenlage aber auszuschließen, dass dem Beschwerdeführer die Tatsache und der Zeitpunkt des Beginns seiner geringfügigen Beschäftigung nicht bekannt gewesen wäre.

Zur Frage der inhaltlichen Rechtswidrigkeit regt der Beschwerdeführer an, in Bezug auf § 12 Abs. 3 lit. h AlVG ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten. Die Gesetzesstelle enthalte unsachliche Differenzierungen und sei außerdem in gleichheitswidriger Weise interpretiert worden. Es sei nicht zwingend, den Beginn des Bezugs des Arbeitslosengeldes im ersten Monat nach Beendigung des vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnisses als Maßstab für den gesamten Zeitraum der Arbeitslosigkeit von drei Jahren zu nehmen. Eine am Gleichheitssatz orientierte Interpretation des Gesetzes hätte zum Ergebnis führen müssen, dass lediglich ein Widerruf für einen Monat zulässig sei, weil nach Ablauf dieses Monats auch die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber nicht schade.

Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden:

Der Beschwerdeführer stand bis zum 31. Oktober 2006 in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis, an welches sich zwei Tage später eine geringfügige Beschäftigung beim selben Dienstgeber anschloss. Damit ist aber die vom Gesetzgeber angenommene Missbrauchsmöglichkeit des vom jeweiligen Bedarf des Arbeitgebers abhängigen Wechsels des Arbeitnehmers in ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis bei (teilweiser) Substitution des Entgeltausfalles durch Arbeitslosengeld indiziert. Für eine einschränkende Interpretation des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG dahin gehend, dass - wie vom Beschwerdeführer angestrebt - länger als einen Monat dauernde geringfügige Beschäftigungen beim selben Dienstgeber dem Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht mehr entgegenstehen sollten, besteht in Anbetracht des eindeutigen Wortlauts dieser Bestimmung kein Raum.

Soweit der Beschwerdeführer - wie auch bereits in seiner an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde - eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung der Beschäftigung beim gleichen im Gegensatz zu einer Beschäftigung bei einem anderen Dienstgeber sieht, ist er auf den genannten Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 22. September 2009, B 604/09-3, zu verweisen, aus dem hervorgeht, dass der Verfassungsgerichtshof auf Grund seiner einschlägigen Rechtsprechung zu diesem Bereich keine Bedenken hegt. Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers, zur Verhinderung möglicher Missbräuche - ungeachtet denkbarer Härtefälle - Leistungen nicht schon dann vorzusehen, wenn die Arbeitsverpflichtung unter die Geringfügigkeitsgrenze herabgesetzt wird, sondern erst dann, wenn ein Arbeitsplatz durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich verloren geht und der Arbeitslose keine neue, die Geringfügigkeitsgrenze übersteigende Beschäftigung findet.

Im Übrigen bestreitet der Beschwerdeführer nicht, dass es sich beim Wechsel in ein geringfügiges Dienstverhältnis um eine maßgebende Tatsache iSd § 25 Abs. 1 AlVG handelt und auch die übrigen, von der belangten Behörde zutreffend beurteilten Voraussetzungen für eine Rückforderung nach dieser Gesetzesstelle erfüllt sind (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 20. April 2005, Zl. 2004/08/0073, und vom 21. Dezember 2011, Zl. 2010/08/0168).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 22. Februar 2012

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