VwGH 2006/01/0612

VwGH2006/01/061215.1.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerden 1. der R P alias S (geboren 1969), 2. des A S (geboren 1966), 3. der S S (geboren 1996) und 4. der V S (geboren 2002), alle in S, alle vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in 6780 Schruns, Gerichtsweg 2, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 18. Mai 2006, Zlen. 262.588/5- XV/54/06, 262.590/5-XV/54/06, 268.862/3-XV/54/06 und 262.589/5- XV/54/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 (1. und 2.) bzw. §§ 10, 11 (3. bis 4.) Asylgesetz 1997 (jeweils weitere Partei: Bundesminister für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §10;
AsylG 1997 §11;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §10;
AsylG 1997 §11;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
EMRK Art8;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der (zur Zl. 2006/01/0612) erst- und der (zur Zl. 2006/01/0613) zweitangefochtene Bescheid wird jeweils in seinem Spruchpunkt 2. (Refoulement) und 3. (Ausweisung) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer bzw. der Zweitbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

Ein Aufwandersatz in den Verfahren zu den Zlen. 2006/01/0614 und 0615 findet nicht statt.

Begründung

I.

1. Die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehegatte, der Zweitbeschwerdeführer (im Folgenden: Asylwerber), sind Staatsangehörige von (ehemals) Serbien und Montenegro, nach ihrem Vorbringen Albaner (Ashkali) und in Zemun nahe Belgrad (Serbien) geboren, wo sie bis zu ihrer Ausreise im März 1999 lebten. Sie stellten am 17. Dezember 2003 jeweils einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Für ihre minderjährigen Kinder, die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden: Erstreckungswerber), stellte die Erstbeschwerdeführerin jeweils einen Antrag auf Asylerstreckung gemäß § 10 Asylgesetz 1997.

2. Mit dem erst- bzw. zweitangefochtenen Bescheid wurde jeweils die Berufung der Asylwerber gegen die Abweisung ihrer Asylanträge mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 27. Juni 2005, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt 1.).

Weiters wurde gemäß "§ 8 (Abs. 1)" AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Asylwerber "nach Serbien und Montenegro" zulässig sei (Spruchpunkt 2.).

Schließlich wurden die Asylwerber gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" ausgewiesen (Spruchpunkt 3.).

Begründend führte die belangte Behörde nahezu gleich lautend aus, die Asylwerber gehörten dem "Volksstamm" der Ashkali an und lebten bis März 1999 in Zemun nahe Belgrad. Sie seien ihren Angaben folgend von Nachbarn auf Grund ihrer Zugehörigkeit "zu den Ashkali" unter Druck gesetzt worden, so seien ihnen etwa tote Tiere in den Garten gelegt worden. Auch habe der Erstbeschwerdeführerin ihr serbischer "Exmann" laufend Schwierigkeiten gemacht. Nach Ausbruch des Krieges im Kosovo habe der Zweitbeschwerdeführer eine Ladung zur Mobilisierung während des Kriegszustandes erhalten, habe dieser Einberufung jedoch nicht Folge geleistet, weil er nicht in den Krieg ziehen und "gegen sein eigenes Volk" kämpfen wolle. Die Asylwerber hätten sich zunächst in Deutschland aufgehalten, wo ihre Asylverfahren ebenso wie in der Schweiz negativ abgeschlossen worden seien.

Sodann traf die belangte Behörde (auf 23 Seiten) Feststellungen zur Lage in Serbien und Montenegro basierend auf einem Bericht des auswärtigen Amtes Berlin, Stand Ende Jänner 2006, betreffend die Lage in Serbien und Montenegro (ohne Kosovo). Diese Feststellungen betrafen die politische Situation in Serbien und Montenegro (1.2.1.), die Lage in den einzelnen Regionen (1.2.2.: Lage der ethnischen Bosniaken im Sandzak, Lage verschiedener nationaler Minderheiten in der Provinz Wojwodina, Lage in der mehrheitlich von ethnischen Albanern bewohnten Grenzregion Südserbiens), die menschenrechtliche Situation einschließlich einer allgemeinen Darstellung der Lage der Minderheiten (1.2.3.), allgemein die Lage der Minderheiten (1.2.4.; genannt werden die Minderheiten der Albaner, Bosniaken, Roma), sodann wurden Feststellungen getroffen zur Lage der Roma (1.2.5.), zur Religionsfreiheit (1.2.6.), zur Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis (1.2.7.), zur Heranziehung zum Wehrdienst (1.2.8.), zu Repressionen Dritter, genannt werden "Übergriffe auf Minderheiten, v.a. Roma (1.2.9.)", zur medizinischen Versorgung (1.2.10.), zur wirtschaftlichen und sozialen Lage (1.2.11.) und zur Rückkehrfrage (1.2.12.)

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, gemäß § 44 Abs. 1 AsylG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 sei nach Maßgabe des § 44 Abs. 3 leg. cit. die bisherige Rechtslage des AsylG anzuwenden gewesen. Das Vorbringen der Asylwerber, ihre Heimat verlassen zu haben, weil sich der Zweitbeschwerdeführer nicht am Krieg beteiligen haben wollen, sei glaubwürdig und nachvollziehbar sowie unter Vorlage von entsprechenden Dokumenten dargestellt worden. Jedoch werde diesem Vorbringen keine Asylrelevanz zugemessen, weil sich die politische Lage in der Heimat der Asylwerber mittlerweile geändert habe. So bestünden für Wehrdienstverweigerer in Serbien und Montenegro Amnestiegesetze, welche unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe praktisch angewendet würden. Daher sei der Zweitbeschwerdeführer infolge seiner "Desertion" keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Zu § 8 Abs. 1 AsylG (gemeint offenbar auch in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003) führte die belangte Behörde aus, die Asylwerber hätten keine abschiebungsrelevante Bedrohungssituation dargestellt. So sei weder im Verfahren hervorgekommen noch bei der belangten Behörde notorisch bekannt, dass im Hinblick auf das gesamten Staatsgebiet von Serbien und Montenegro eine extreme Gefahrenlage mit besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung, vor allem gegenüber der Zivilbevölkerung, oder eine unmenschliche Behandlung bewirkende humanitäre Situation vorliege. Die Behörde gehe davon aus, dass die Situation für Minderheitenangehörige im Großraum Belgrad schwierig sei, insbesondere der Zugang zu Wohnraum und zum Arbeitsmarkt. Dieser Umstand erreiche jedoch nicht die Schwelle, um im Sinne des Art. 3 EMRK von einer unmenschlichen Behandlung ausgehen zu können. Zu den erstmals in der Berufungsverhandlung von der Erstbeschwerdeführerin angeführten psychischen Problemen sei darauf hinzuweisen, dass eine entsprechende Behandlung in Serbien und Montenegro möglich sei.

Zur Ausweisung der Asylwerber enthält der erst- bzw. zweitangefochtene Bescheide keine Begründung.

3. Mit dem dritt- bzw. viertangefochtenen Bescheid wurden die Berufungen der Erstreckungswerber gegen die Abweisung ihrer Asylerstreckungsanträge mit Bescheid des Bundesasylamtes jeweils vom 28. Juni 2005 gemäß § 10, 11 AsylG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde nahezu gleich lautend im Wesentlichen aus, die Voraussetzungen einer Asylerstreckung gemäß § 11 Abs. 1 AsylG seien nicht erfüllt, da der Asylantrag der Erstbeschwerdeführerin mit dem erstangefochtenen Bescheid abgewiesen worden sei.

4. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Beschwerden auf Grund ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung zu verbinden. Er hat sodann erwogen:

Zu I.:

1.1. Refoulemententscheidung und Konzept zweier

Herkunftsstaaten:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nach der hier noch maßgeblichen Sachlage bei der Prüfung der Voraussetzungen der Asylgewährung von aus dem Kosovo stammenden Asylwerbern von zwei Herkunftsstaaten - dem Kosovo einerseits und der Bundesrepublik Jugoslawien bzw. Republik Serbien und Montenegro ohne den Kosovo andererseits - auszugehen. Das bedeutet, dass für Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, die nicht aus dem Kosovo stammen, bei Prüfung der Voraussetzungen der Asylgewährung der Kosovo nicht als Teil des "Herkunftsstaates" Republik Serbien und Montenegro in Betracht zu ziehen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. Mai 2004, Zl. 2003/01/0417, und vom 26. Jänner 2006, Zl. 2002/01/0327, jeweils mit Verweis auf Vorjudikatur).

Die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen zur Lage in Serbien und Montenegro beruhen auf einer Berichtslage betreffend Serbien und Montenegro (ohne Kosovo). Die belangte Behörde hat insoweit daher nur diesen Teil des Staatsgebietes von Serbien und Montenegro geprüft. Dagegen sprechen die rechtlichen Ausführungen zu Art. 3 EMRK vom gesamten Staatsgebiet von Serbien und Montenegro, ohne dass dem entsprechende Feststellungen zugrunde lägen. Auch die mit Spruchpunkt 2. des erst- bzw. zweitangefochtenen Bescheides getroffene Feststellung gemäß "§ 8 (Abs. 1) AsylG" bezieht sich ohne weitere Differenzierung auf "Serbien und Montenegro" und sohin das gesamte Staatsgebiet.

Indem die belangte Behörde solcherart das oben angeführte Konzept zweier Herkunftsstaaten nicht berücksichtigte, hat sie die Refoulemententscheidung in Spruchpunkt 2. des erst- bzw. zweitangefochtenen Bescheides mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet, weshalb dieser Spruchpunkt gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben gewesen war.

1.2. Zur Ausweisung:

Die mit Spruchpunkt 3. des erst- bzw. zweitangefochtenen Bescheides verfügten Ausweisung der Asylwerber "aus dem österreichischen Bundesgebiet" kann schon infolge der Aufhebung der Refoulemententscheidung (Spruchpunkt 2.) keinen Bestand haben.

Weiters hat die belangte Behörde verkannt, dass sie in einem Fall wie dem vorliegenden nicht berechtigt ist, die Ausweisung eines Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625, und die dort angeführte Vorjudikatur verwiesen werden (vgl. idS aus jüngster Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 13. November 2008, Zl. 2006/01/0359, mwN).

Darüber hinaus hat die belangte Behörde nicht berücksichtigt, dass in einem Fall wie dem vorliegenden (ausgewiesen werden nur die Asylwerber, nicht dagegen die minderjährigen Erstreckungswerber; sog. "partielle Ausweisung"), der es möglich erscheinen lässt, dass die Asylwerber auf Grund der asylrechtlichen Ausweisung das Bundesgebiet ohne ihre minderjährigen Kinder (eben die Erstreckungswerber) zu verlassen haben, einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben der Asylwerber mit ihren minderjährigen Kindern darstellt, welcher einer Rechtfertigung bedürfte (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 2008, Zl. 2006/01/0641, mit Verweis auf die hg. Erkenntnisse vom 31. Jänner 2008, Zl. 2007/01/1060, vom 12. Dezember 2007, Zl. 2007/19/1054, und vom 16. Jänner 2008, Zl. 2007/19/0851). Mangels jeglicher Begründung für die im erst- bzw. zweitangefochtenen Bescheid verfügte Ausweisung findet sich auch keine nach der obzitierten Rechtsprechung erforderliche Rechtfertigung der verfügten "partiellen Ausweisung".

Somit war auch Spruchpunkt 3. des erst- bzw. zweitangefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

2. Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerden werfen - im Übrigen - keine für die Entscheidung der Beschwerdefälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerden insoweit abzulehnen.

Den Verfahrensaufwand vor dem Verwaltungsgerichtshof in den Verfahren zu den Zlen. 2006/01/0614 und 0615 haben die Parteien in diesem Fall selbst zu tragen (§ 58 Abs. 1 VwGG).

Wien, am 15. Jänner 2009

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