OGH 9ObA60/24z

OGH9ObA60/24z21.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Arnaud Berthou (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei E* GmbH, *, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, wegen 24.609,60 EUR brutto abzüglich 2.910,31 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 18.369,62 EUR brutto) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. Juni 2024, GZ 7 Ra 44/23d‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00060.24Z.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1.1. Nach der sogenannten Empfangstheorie gilt eine schriftlich erklärte Kündigung als zugegangen, sobald das Kündigungsschreiben in den „Machtbereich“ des Adressaten gelangt ist, sodass er sich unter normalen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis verschaffen konnte, und wenn eine solche Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten des Verkehrs von ihm erwartet werden musste, selbst wenn sie dieser persönlich nicht erhalten hat (9 ObA 27/21t; RS0029157). Es ist nicht erforderlich, dass sich der Empfänger wirklich Kenntnis verschafft, weil es sonst in seinem Belieben stünde, das Wirksamwerden einer Erklärung zu verhindern (RS0014071 [T6]), sondern es genügt vielmehr, dass er die Möglichkeit hatte, die Erklärung zur Kenntnis zu nehmen (RS0014076 [T3]).

[2] 1.2. Nach ständiger Rechtsprechung sind für die Frage des rechtzeitigen Zugangs einer empfangsbedürftigen Erklärung und für die Beurteilung, ob objektiv mit einer Kenntnisnahme durch den Empfänger gerechnet werden kann, immer die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (RS0014089 [T1]).

[3] 1.3. Ob eine schriftliche Willenserklärung unter anderem per Post oder per Kurier- oder Botendienst zugeht, ist für die Frage des wirksamen Empfangs nach der Rechtsprechung irrelevant. Wie der Oberste Gerichtshof unter anderem in der Entscheidung 9 ObA 61/06w mwN (zur Zustellung per Botendienst siehe im Übrigen auch 9 ObA 27/21t Rz 14) ausführte, bestimmt sich die Frage, wann der Zugang einer Kündigung als erfolgt anzusehen ist, nach den Regeln des allgemeinen Privatrechts (§§ 862 f ABGB). Die Kündigung ist zu dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem erwartet werden kann, dass der Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen von der Erklärung Kenntnis erlangen kann. Schriftliche Kündigungen, die mit der Post zugestellt oder sonst in den Hausbriefkasten geworfen werden, sind in dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem erwartet werden kann, dass der Empfänger den Briefkasten entleert, regelmäßig also am selben Tag, soweit der Einwurf in den Briefkasten nicht zu einer Zeit erfolgt, zu der mit Kenntnisnahme nicht gerechnet werden kann, wie zB in der Nacht oder nach 19:00 Uhr (vgl 4 Ob 14/66 sowie Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 § 862a Rz 4).

[4] 2.1. Die angefochtene Entscheidung bewegt sich im Rahmen der Grundsätze dieser Rechtsprechung. Der Kläger arbeitete seit 15. 1. 2018 als Angestellter der Beklagten, die mit seiner Arbeitsleistung sehr zufrieden war. Er erkrankte im Jahr 2022 und befand sich mehrfach im Krankenstand, zuletzt seit 30. 11. 2022. Während seiner Krankenstände war der Kläger für die Beklagte nicht erreichbar, er lehnte jegliche Kommunikation ab. Nach Zuwarten beschloss die Beklagte, den Kläger zu kündigen und beauftragte einen Kurierdienst mit der Zustellung des Kündigungsschreibens. Ein Mitarbeiter des Kurierdienstes fuhr am Freitag, 13. 1. 2023, zum Einfamilienhaus des Klägers, klopfte an der Wohnungstür und läutete an der Türklingel. Da der Kläger dies nicht wahrnahm und nicht öffnete, sodass eine persönliche Zustellung nicht möglich war, warf der Kurierdienstmitarbeiter das Briefkuvert um 11:50 Uhr in den Briefkasten des Klägers. Der Kläger, der sich den ganzen Tag in seinem Haus aufhielt, entleerte seinen Briefkasten erst wieder am Montag, dem 16. 1. 2023, und fand das Kündigungsschreiben der Beklagten vor.

[5] 2.2. Eine Unvertretbarkeit der Rechtsansicht der Vorinstanzen, die übereinstimmend von einem wirksamen Zugang des Kündigungsschreibens an den Kläger am 13. 1. 2023 ausgingen, zeigt dieser in der Revision nicht auf. Davon, dass der Kläger die Zustellung der Kündigung wider Treu und Glauben vereitelt hätte, gingen die Vorinstanzen ohnehin nicht aus.

[6] 2.3. Inwiefern der Zugang einer Kündigung und deren Rechtswirksamkeit im Krankenstand des Dienstnehmers anders zu beurteilen sein sollen, führt der Revisionswerber nicht näher aus. Dass Kündigungen im Krankenstand möglich sind, ergibt sich schließlich schon aus § 5 EFZG.

[7] 2.4. Die Vorinstanzen sind richtig davon ausgegangen, dass das Recht auf eine längere Kündigungsfrist aufgrund einer längeren Dienstzeit erst durch deren Ablauf erworben wird und daher im vorliegenden Fall keine fristwidrige Kündigung vorliegt. Das Recht auf eine längere Kündigungsfrist muss bereits in dem Zeitpunkt vorhanden sein, in dem spätestens gekündigt werden konnte (RS0028823, zuletzt 8 ObS 5/23b).

[8] 2.5. Im Übrigen geht der Revisionswerber nicht von den Feststellungen aus, wenn er meint, die Beklagte habe bereits im Oktober den Entschluss gefasst, den Kläger zu kündigen, da nach den Feststellungen die Beklagte, als der Kläger Anfang Dezember wiederum eine Krankenstandsbestätigung übermittelte, beschloss, noch bis Jänner 2023 abzuwarten und allenfalls erst zu diesem Zeitpunkt die Kündigung auszusprechen.

[9] 3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

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