OGH 3Ob67/24k

OGH3Ob67/24k28.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinde H*, vertreten durch Dr. Martin Wöll, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei R* Z*, vertreten durch Dr. Gerhard Schartner, Rechtsanwalt in Telfs, wegen Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 23. Februar 2024, GZ 3 R 129/23a‑12, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Silz vom 29. März 2023, GZ 2 C 93/23g‑6, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00067.24K.1028.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das klagsstattgebende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 548,86 EUR (darin enthalten 91,48 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 834,17 EUR (darin enthalten 75,78 EUR USt und 381 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die klagende Gemeinde ist Eigentümerin eines Wohnobjekts in H*. Die darin gelegene Sozialwohnung Top 19 hat eine Nutzfläche von ca 70 m²; zu diesem Mietobjekt gehören eine Garage und ein Kellerabteil.

[2] Am 1. 2. 2011 schlossen die Streitteile einen Mietvertrag der auszugsweise lautete:

[3] „Das Mietverhältnis beginnt am 1. 2. 2011 und wird auf die Dauer von drei Jahren abgeschlossen. Es endet sohin am 31. 1. 2014 ohne dass es einer Kündigung bedarf.“

[4] Es kann nicht festgestellt werden, ob dieser Mietvertrag mit Nachtrag vom 4. 2. 2014 bis 31. 1. 2017 verlängert wurde.

[5] Mit schriftlichem Nachtrag vom 22. 3. 2017 wurde das Mietverhältnis einvernehmlich um weitere drei Jahre bis 31. 1. 2020 verlängert. Der Nachtrag wurde für die Klägerin vom damaligen Bürgermeister unterfertigt.

[6] Am 7. 1. 2020 suchte die Beklagte bei der Klägerin um eine weitere Verlängerung des Mietverhältnisses um drei Jahre an. In der Niederschrift zur Gemeinderatssitzung vom 27. 2. 2020 wurde festgehalten, dass der Gemeinderat einstimmig beschlossen habe, den Mietvertrag auf weitere drei Jahre zu den bisherigen Bedingungen zu verlängern. Mit schriftlichem Nachtrag vom 3. 4. 2020 vereinbarten die Streitteile diese Verlängerung des Mietverhältnisses um weitere drei Jahre bis 31. 1. 2023. Dieser Nachtrag wurde für die Klägerin ebenfalls vom Bürgermeister unterfertigt. Nicht festgestellt werden kann, ob diese Verlängerung des Mietverhältnisses an der Amtstafel der Klägerin kundgemacht wurde.

[7] Am 6. 12. 2022 suchte die Beklagte neuerlich um eine Verlängerung des Mietverhältnisses an. Mit Schreiben vom 2. 2. 2023 lehnte die Klägerin eine weitere Verlängerung ab.

[8] Die Klägerin begehrte die Räumung der Mietwohnung samt Garage und Kellerabteil wegen titelloser Benützung nach 31. 1. 2023. Mit der Beklagten sei ein befristetes Mietverhältnis abgeschlossen worden, das mehrfach verlängert worden sei. Sämtliche Befristungsvereinbarungen seien wirksam gewesen, weil der Endtermin und die Befristungsdauer jeweils klar definiert gewesen seien. Die Vereinbarungen hätten auch die dreijährige Mindestvertragsdauer eingehalten, weil die erfolgten „Rückdatierungen“ zulässig gewesen seien, zumal die Beklagte die Mietwohnung im gesamten Zeitraum genutzt habe. Da das Mietverhältnis ab 31. 1. 2023 nicht mehr verlängert worden sei, sei die Beklagte verpflichtet gewesen, das Mietobjekt zu diesem Zeitpunkt geräumt zu übergeben.

[9] Die Beklagte entgegnete, dass keine gültige schriftliche Vereinbarung über eine Verlängerung der Befristung des Mietverhältnisses vorliege. Im schriftlichen Nachtrag vom 22. 3. 2017 sei eine Befristung bis 31. 1. 2020 vereinbart worden, wodurch die Mindestbefristungsdauer von drei Jahren unterschritten worden sei. Dies gelte auch für den schriftlichen Nachtrag vom 3. 4. 2020, mit dem eine Verlängerung bis 31. 1. 2023 vereinbart worden sei. Die Mindestbefristungsdauer sei erst ab dem Zeitpunkt der schriftlichen Vereinbarung zu berechnen; eine „Rückdatierung“ sei unzulässig. Davon abgesehen sei dieser Nachtrag nur vom Bürgermeister, nicht aber auch von zwei Gemeinderatsmitgliedern unterfertigt worden, weshalb der Bestimmung des § 55 TGO nicht entsprochen worden sei. Zudem sei eine allfällige Beschlussfassung des Gemeinderats betreffend die Verlängerung des Mietverhältnisses nicht nach § 60 TGO kundgemacht worden. Mangels gültiger Befristung liege ein unbefristeter Mietvertrag vor.

[10] Das Erstgericht gab der Räumungsklage statt. Da eine Verlängerung des ursprünglich befristeten Mietvertrags am 4. 2. 2014 nicht hätte festgestellt werden können, sei der Mietvertrag gemäß § 29 Abs 3 lit b MRG bis 31. 1. 2017 erneuert worden. In der Folge hätten die Streitteile mit Nachtrag vom 22. 3. 2017 eine dreijährige Verlängerung des Mietverhältnisses bis 31. 1. 2020 vereinbart. In diesem Nachtrag sei zwar die dreijährige Mindestbefristung nicht eingehalten worden, dennoch sei aber von einer wirksamen und damit durchsetzbaren Befristung bis 31. 1. 2020 auszugehen, weil die Beklagte die Wohnung seit 1. 2. 2011 ununterbrochen bewohnt habe. Schließlich seien die Streitteile mit Nachtrag vom 3. 4. 2020 neuerlich übereingekommen, das Mietverhältnis um weitere drei Jahre bis 31. 1. 2023 zu verlängern. Dass diese Befristungsvereinbarung erneut erst nach Ablauf der letzten Befristung erfolgt sei, schade nicht, weil der Beklagten die Nutzung der Wohnung durchgehend zugekommen sei. Als wirksam vereinbarter Endtermin stehe daher der 31. 1. 2023 fest. Da die Klägerin die Beklagte auf die Ablehnung einer weiteren Verlängerung rechtzeitig hingewiesen und die Räumungsklage innerhalb der Frist des § 569 ZPO eingebracht habe, benütze diese die Wohnung titellos und sei zur Räumung verpflichtet. Der von der Beklagten hinsichtlich des Nachtrags vom 3. 4. 2020 geltend gemachte Verstoß gegen § 55 TGO liege nicht vor, weil dieser Nachtrag vom damaligen Bürgermeister eigenhändig unterfertigt worden sei. Zudem liege diesem Nachtrag ein Beschluss des Gemeinderats zugrunde. Eine Kundmachung nach § 60 TGO sei nicht erforderlich gewesen, weil es sich nicht um eine erstmalige Vermietung, sondern um eine Verlängerung eines bereits bestehenden Mietverhältnisses gehandelt habe.

[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies die Räumungsklage ab. Da Anfang 2014 eine Verlängerung des ursprünglich befristeten Mietvertrags nicht hätte festgestellt werden können, sei es gemäß § 29 Abs 3 lit b MRG zu einer einmaligen Erneuerung des Mietverhältnisses bis 31. 1. 2017 gekommen. Dieser Endtermin sei ungenutzt verstrichen, weshalb das Mietverhältnis als unbefristet gelte. Zwar könne sich auch an ein unbefristetes Mietverhältnis wieder ein befristetes Mietverhältnis anschließen. Dieses müsse aber bei Wohnungen wiederum ab dem Zeitpunkt des Abschlusses mindestens drei Jahre betragen. Dementsprechend hätte im Nachtrag vom 22. 3. 2017 vereinbart werden müssen, dass ein ab diesem Zeitpunkt geltender Mietvertrag auf drei Jahre geschlossen werde. Mit der in diesem Nachtrag festgelegten Befristung bis 31. 1. 2020 sei aber die Mindestdauer unterschritten worden, sodass nach wie vor ein unbefristetes Mietverhältnis bestanden habe. Dieselbe Beurteilung gelte für die am 3. 4. 2020 vereinbarte Befristung bis 31. 1. 2023. Auch dadurch sei eine wirksame und durchsetzbare Befristung nicht zustande gekommen, weshalb nach wie vor ein unbefristeter Mietvertrag vorliege.

[12] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Wiederherstellung des klagsstattgebenden Urteils des Erstgerichts abzielt.

Rechtliche Beurteilung

[13] Mit ihrer – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

[14] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts zulässig; sie ist auch berechtigt.

[15] 1.1 Das Berufungsgericht gelangte hinsichtlich der Nachträge zum Mietvertrag vom 22. 3. 2017 sowie vom 3. 4. 2020 zum Ergebnis, dass diese die für eine durchsetzbare Befristung erforderliche Mindestvertragsdauer von drei Jahren unterschreiten, weshalb keine durchgehende Befristung des Mietverhältnisses und auch keine Umwandlung in ein befristetes Mietverhältnis erfolgt sei.

[16] 1.2 Dieser Beurteilung hält die Klägerin entgegen, dass das jeweilige Mietverhältnis am 1. 2. 2017 bzw am 1. 2. 2020 hätte beginnen sollen und die darauf gerichtete „Rückdatierung“ nach der Rechtsprechung zulässig sei. Ausgehend vom datumsmäßig fixierten Endzeitpunkt und der ausdrücklich genannten Befristungsdauer sei der jeweilige Anfangszeitpunkt eindeutig festgelegt worden.

[17] Damit ist die Klägerin im Ergebnis im Recht.

[18] 2.1 Gemäß § 29 Abs 1 Z 3 lit b MRG wird der Mietvertrag durch Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer aufgelöst, allerdings nur, wenn bei Wohnungen die ursprünglich vereinbarte Vertragsdauer oder die Verlängerung der Vertragsdauer (§ 29 Abs 4 MRG) jeweils mindestens drei Jahre beträgt. Nach § 29 Abs 4 MRG können Mietverträge, die nach § 29 Abs 1 Z 3 MRG befristet sind, schriftlich beliebig oft um jede – bei Wohnungen jedoch drei Jahre jeweils nicht unterschreitende – Vertragsdauer erneuert werden. Wird die Mindestdauer im ersten Vertrag oder in der Verlängerung unterschritten, so ist die Befristung nicht durchsetzbar und es liegt ein unbefristeter Mietvertrag vor (7 Ob 201/17k).

[19] 2.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist die Befristung durchsetzbar, wenn der Vertrag schriftlich errichtet wurde und wenn von vornherein durch Datum oder Fristablauf der Endtermin bestimmt ist (RS0090569). Der Mieter muss sich von vornherein auf eine bestimmte Mietdauer einstellen können. Dies ist der Fall, wenn entweder der Endtermin datumsmäßig angegeben oder wenn er durch die Angabe des Anfangszeitpunkts und der Mietdauer eindeutig festgelegt ist (RS0070201). Der bestimmte Endtermin muss aus der Urkunde selbst hervorgehen (7 Ob 201/17k; 5 Ob 211/22y).

[20] Die Frage, ob nach diesen Grundsätzen eine durchsetzbare Befristung vorliegt, ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln (RS0090569 [T8]). Neben dem Wortlaut der förmlichen Erklärung und ihres normativen Verständnisses ist auch bei formbedürftigen Willenserklärungen auf das tatsächlich übereinstimmende Verständnis der Beteiligten Bedacht zu nehmen (vgl RS0017280). Dieser Grundsatz gilt auch bei der Auslegung mietrechtlicher Befristungsvereinbarungen (RS0017280 [T3]; 10 Ob 43/17x).

[21] 2.3 Es ist außerdem zulässig, ein bisheriges (befristetes) Mietverhältnis (einvernehmlich) aufzulösen und daran ein weiteres befristetes Mietverhältnis anzuknüpfen (vgl 7 Ob 201/17k; 5 Ob 65/23d). Auch an die stillschweigende Verlängerung kann sich eine neue ausdrückliche (schriftliche) Verlängerung anschließen, die bei Wohnungen aber mindestens drei Jahre betragen muss (vgl Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht23 MRG § 29 Rz 20). Für all diese Befristungen gelten freilich die zuvor beschriebenen Anforderungen (bestimmter Endtermin, Schriftformerfordernis und bei Wohnungsmietverträgen die Mindestdauer von drei Jahren).

[22] 3.1 Gegen die hier erfolgten Verlängerungen, namentlich gegen jene vom 3. 4. 2020, führt die Beklagte ins Treffen, dass die dreijährige Mindestvertragsdauer nicht eingehalten worden sei, weil diese ab Unterzeichnung des Nachtrags bestehen müsse.

[23] Damit ist die Beklagte nicht im Recht.

[24] 3.2 Zu 4 Ob 601/95 sah der Oberste Gerichtshof den Abschluss des schriftlichen Mietvertrags am 28. 2. 1991 mit der Vereinbarung eines Mietverhältnisses ab 1. 1. 1991 auf die Dauer von (damals) einem Jahr somit bis 1. 1. 1992 als unbedenklich an.

[25] In der Entscheidung zu 5 Ob 208/10i war die Präklusion eines Mietzinsüberprüfungsantrags des dortigen Antragstellers nach § 16 Abs 8 MRG zu beurteilen, was davon abhing, ob die Verlängerungsvereinbarung wirksam erfolgt war. Der Oberste Gerichtshof ging von der Zulässigkeit der Unterfertigung des Mietvertrags (18. 3. 2004) erst nach dem vereinbarten Mietbeginn (15. 3. 2004) aus.

[26] In der Entscheidung zu 5 Ob 123/17z hielt der Oberste Gerichtshof ausdrücklich fest, dass es nicht grundsätzlich unzulässig sei, anlässlich der Unterfertigung des schriftlichen Mietvertrags festzuhalten, dass das Vertragsverhältnis bereits am – dort einige Tage davor liegenden – Monatsanfang beginne. Ein derartiges Verbot sei weder dem ABGB noch dem MRG zu entnehmen. Ob es sich um den erstmaligen Abschluss des Mietvertrags oder um die Verlängerung eines zuvor befristeten Mietverhältnisses handle, mache dabei keinen Unterschied. Eine Umgehungsabsicht sei nicht behauptet worden.

[27] Auch in der Entscheidung zu 7 Ob 201/17k führte der Oberste Gerichtshof aus, dass es nicht grundsätzlich unzulässig sei, anlässlich der Unterfertigung der Befristungsvereinbarung festzuhalten, dass das Vertragsverhältnis am Monatsanfang beginne. Eine unzulässige Verkürzung der Mindestbefristung sei daraus nicht ersichtlich, zumal der dortigen Klägerin die Nutzung der Wohnung in dem vor der Unterfertigung gelegenen Zeitraum auch tatsächlich zugekommen sei.

[28] 4.1 Dass im Anlassfall auch mit der Vereinbarung („Nachtrag“) vom 3. 4. 2020 eine dreijährige Vertragsdauer mit einem jeweils datumsmäßig angegebenen Endtermin bestimmt vereinbart werden sollte, ist unzweifelhaft. Diese Vertragsdauer entsprach dem ausdrücklich erklärten Parteiwillen, insbesondere dem eigenen Wunsch der Beklagten und der bis dahin jahrelang geübten Vertragspraxis.

[29] 4.2 Nach der zitierten Rechtsprechung, von der abzugehen kein Anlass besteht, muss die Mindestvertragsdauer entgegen der Ansicht der Beklagten nicht unbedingt ab Unterzeichnung des Vertrags bestehen.

[30] Die Beklagte weist an sich richtig darauf hin, dass nach dem Schutzzweck der mietvertraglichen Befristungsregelungen dem Mieter während der gesamten Mindestbefristungsdauer eine rechtlich geschützte Position an der Wohnung zukommen soll. Nun lagden zitierten Entscheidungen jeweils „Rückdatierungen“ zugrunde, bei denen der Zeitraum zwischen Mietbeginn (bzw Verlängerung) und Vertragsunterzeichnung (bzw Wohnungsübernahme) verhältnismäßig kurz war. Entscheidend ist aber, dass der Mieter durch eine Befristungsvereinbarung mit „Rückdatierung“ keiner Drucksituation ausgesetzt und keine Umgehung der Befristungsregelungen erfolgt. Derartiges liegt aber im Anlassfall nicht vor, weil die Beklagte die Wohnung durchgehend bewohnte und die Einhaltung der Mindestdauer damit gewährleistet war. Worin für die Beklagte eine Drucksituation bestanden haben soll, vermag sie selbst nicht schlüssig zu erklären. Im Ergebnis ist daher ein auf ein Datum (nur) vor der Vertragserklärung des Vermieters „rückdatierter“ Befristungsbeginn zumindest dann unschädlich, wenn – wie hier – die auf die von ihm gewünschte Befristung abzielende Vertragserklärung des Mieters noch vor Fristbeginn erfolgt, der Mieter dabei nicht unter Druck steht und die Nutzung des Bestandobjekts während des gesamten Befristungszeitraums gesichert ist.

[31] 4.3 Daraus folgt, dass mit dem „Nachtrag“ vom 3. 4. 2020 eine dreijährige Befristung im Einklang mit § 29 MRG und damit insoweit wirksam erfolgt ist.

[32] 5.1 Die Beklagte stützt die von ihr vertretene Unwirksamkeit der Befristungsvereinbarung (Verlängerungen) darüber hinaus auf die Nichteinhaltung der Formerfordernisse der Tiroler Gemeindeordnung (TGO).

[33] Auch damit ist sie nicht im Recht.

[34] 5.2 Gemäß § 55 Abs 1 TGO kommt die Vertretung der Gemeinde nach außen grundsätzlich dem Bürgermeister zu. Nach § 55 Abs 4 leg cit bedürfen Rechtsgeschäfte und sonstige Erklärungen, durch die eine Gemeinde verpflichtet werden soll, der Schriftform, sofern wegen der Geringfügigkeit oder der Art der Angelegenheit nicht die mündliche Form üblich ist. Schriftstücke sind dabei vom Bürgermeister zu unterfertigen. Dieser Anforderung wurde entsprochen, weil der schriftliche Nachtrag vom 3. 4. 2020 für die Klägerin vom Bürgermeister unterfertigt wurde.

[35] 5.3 Für den Fall, dass der Willensbildung der Gemeinde ein (erforderlicher) Beschluss des Gemeindeorgans zugrunde liegt, ordnet Abs 4 letzter Satz leg cit zusätzlich die Unterfertigung des Schriftstücks durch zwei Mitglieder des betreffenden Gemeindeorgans an (vgl RS0031560). Wird diese Vorgabe missachtet, so erwächst für die Gemeinde nach § 55 Abs 5 TGO aus dem betreffenden Rechtsakt keine Verpflichtung (vgl RS0033421 [T3]). Dasselbe gilt, wenn zwar dem Formgebot des § 55 Abs 4 TGO genüge getan wurde, jedoch der für den Rechtsakt erforderliche Beschluss des Gemeinderats diesem nicht zugrunde liegt.

[36] Der Zweck dieser Formvorschriften besteht darin, die Gemeinden vor unüberlegten rechtsgeschäftlichen Erklärungen zu schützen und das Wirksamwerden rechtsgeschäftlicher Erklärungen von Gemeindeorganen im Außenverhältnis zu erschweren (RS0014667; RS0014717; 7 Ob 688/88; 3 Ob 32/11v). Diesem Zweck würde es widersprechen, wenn sich nicht nur die klagende Gemeinde, sondern auch die Beklagte auf die die Gemeinde bindenden Formvorschriften berufen könnte (3 Ob 32/11v). Die Beklagte kann sich daher von vornherein nicht auf eine allfällige Nichteinhaltung des erweiterten Formgebots nach § 55 Abs 4 letzter Satz TGO stützen.

[37] 5.4 Davon abgesehen besteht hier auch kein Verstoß gegen dieses Formgebot. Nach § 30 Abs 1 TGO ist der Gemeinderat das höchste Organ der Gemeinde und hat als solches über alle Angelegenheiten von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass es sich dabei um eine Einschränkung der Entscheidungsbefugnis (der Kompetenz) des Gemeinderats handelt (RV 70/2001 13. GP 16 f). Da dem Gemeinderat die Entscheidung über Angelegenheiten, denen keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, demnach verwehrt ist, können Beschlüsse über nicht grundsätzliche Angelegenheiten auch nicht die Grundlage von Rechtsakten der Gemeinde sein (vgl 8 Ob 65/84). Das erweiterte Formgebot des § 55 Abs 4 letzter Satz TGO bezieht sich somit nur auf solche Rechtsakte, über die eine Beschlussfassung des betreffenden Gemeindeorgans vorgeschrieben ist.

[38] Die Verlängerung eines befristeten Mietvertrags auf drei Jahre ist ohne Vorliegen besonderer Voraussetzungen, die hier nicht behauptet wurden und für deren Vorliegen keine Anhaltspunkte bestehen, keine Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 30 Abs 1 lit a bis r TGO. Derartiges vermag die Beklagte auch nicht zu behaupten.

[39] 6.1 Schließlich beruft sich die Beklagte auf die Nichteinhaltung der Kundmachungspflicht nach § 81 TGO.

[40] 6.2 Gemäß § 81 TGO sind Veräußerungen, Vermietungen und Verpachtungen im Sinn des § 60 TGO vom Bürgermeister für die Dauer von zwei Wochen an der Amtstafel der Gemeinde kundzumachen und allenfalls auch durch Verlautbarung in Druckwerken oder in elektronischen Medien öffentlich auszuschreiben. Von einer solchen öffentlichen Ausschreibung kann nach § 81 Abs 2 TGO abgesehen werden, wenn diese wegen der Geringfügigkeit oder der Art des Gegenstands nicht zweckmäßig ist.

[41] Diese Bestimmung war ursprünglich als Ergänzung zu den in §§ 76 bis 80 TGO 2001 (vgl § 80 TGO 1966) enthaltenen Regelungen für Vergabeverfahren, die zum damaligen Zeitpunkt nicht vom Tiroler Vergabegesetz 1988 erfasst waren, gedacht (RV 70/2001 13. GP 16 f). Die damaligen vergaberechtlichen Bestimmungen der TGO sahen keine Sanktionen für deren Nichteinhaltung vor. Vielmehr war auf die Rechtsbehelfe des Tiroler Vergabegesetzes 1998 zurückzugreifen. Der Verstoß gegen die Ausschreibungspflicht hatte auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts daher keinen Einfluss.

[42] Durch das Inkrafttreten des Art 14b B‑VG am 1. 1. 2003 kam es zu einer Kompetenzverschiebung, weshalb die vergaberechtlichen Bestimmungen in der TGO aufgehoben wurden (LGBl 2003/43; RV 60/2003 13. GP 1 f). Die Beibehaltung des § 81 Abs 1 und 2 TGO begründete der Landesgesetzgeber damit, dass keine Lücken für Veräußerungen, Vermietungen und Verpachtungen entstehen sollten (RV 60/2003 13. GP 2).

[43] Da ein allfälliger Verstoß gegen die Kundmachungspflicht auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts keinen Einfluss hat, kann sich die Beklagte auch darauf nicht berufen.

[44] 6.3 Davon abgesehen wäre auch der Ausnahmetatbestand nach § 81 Abs 2 TGO erfüllt. Danach kann von einer öffentlichen Ausschreibung (Kundmachung) dann abgesehen werden, wenn diese wegen der Geringfügigkeit oder der Art des Gegenstands nicht zweckmäßig ist. Als Kriterium für die Geringfügigkeit kommt vor allem die Geringwertigkeit des Geschäfts etwa wegen geringer Kosten für die Gemeinde in Betracht, was bei der hier zu beurteilenden befristeten Vermietung einer Sozialwohnung zu bejahen wäre.

[45] 7. Aus den dargelegten Grundsätzen folgt, dass sich die Beklagte weder auf eine allfällige Nichteinhaltung des in § 55 Abs 4 TGO angeordneten erweiterten Formgebots noch auf einen allfälligen Verstoß gegen die Kundmachungspflicht nach § 81 TGO berufen kann. Davon abgesehen liegen solche Verstöße im Anlassfall nicht vor.

[46] 8.1 Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die in den Nachträgen vom 22. 3. 2017 und 3. 4. 2020 enthaltenen Befristungen wirksam waren. Das (zuletzt verlängerte) befristete Mietverhältnis hat damit am 31. 1. 2023 geendet. Da dieses in der Folge von der Klägerin nicht mehr verlängert wurde, benützt die Beklagte die Wohnung seither titellos, weshalb die Räumungsklage berechtigt und das klagsstattgebende erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen ist.

[47] 8.2 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Nach der zwingenden Bestimmung des § 10 Abs 2 lit b RATG beträgt der Wert des Streitgegenstands 1.500 EUR.

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