OGH 3Ob32/11v

OGH3Ob32/11v22.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gemeinde M*****, vertreten durch Dr. Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Firma F***** KG, *****, vertreten durch Hämmerle & Hübner Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, wegen 878.720,42 EUR sA und Feststellung (100.000 EUR), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 20. Dezember 2010, GZ 4 R 251/10h-14, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 9. Februar 2011, womit über Rekurs der beklagten Partei der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 25. Oktober 2010, GZ 41 Cg 109/10p-10, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Erstgerichts wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass die von der beklagten Partei erhobenen Einreden des Vollmachtsmangels und der Unzulässigkeit des Rechtswegs verworfen werden.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.063,42 EUR (darin 510,57 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens und die mit 3.675,34 EUR (darin 612,56 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

B e g r ü n d u n g :

Mit der am 8. Juli 2010 eingebrachten Klage begehrt die klagende Gemeinde von der beklagten Partei aus dem Titel des Schadenersatzes (wegen Verletzung eines Baurechtsvertrags) 878.720,42 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden.

Die Klagsführung wurde mit einem Beschluss des Gemeinderats vom 22. Juli 2010 genehmigt. Der Bürgermeister hat dem Klagevertreter mündlich Vollmacht erteilt. Für den Fall, dass dies nicht ausreiche, hat der Klagevertreter im Verfahren erster Instanz die Einräumung einer Frist zur Verbesserung beantragt.

Abgesehen von der im Rechtsmittelverfahren nicht mehr aufrecht erhaltenen Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs erhob die beklagte Partei in der Klagebeantwortung die Einrede „fehlender Postulationsfähigkeit“, weil die Bevollmächtigung des Klagevertreters nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Der nachträglich gefasste Gemeinderatsbeschluss bedürfe im Hinblick auf das Prozessrisiko einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung; die Bevollmächtigung des Klagevertreters müsse durch eine den inhaltlichen und formalen Erfordernissen der Tiroler Gemeindeordnung 2001 (TGO) entsprechenden Vollmachtsurkunde nachgewiesen werden.

Das Erstgericht verwarf „die Einwände der beklagten Partei der mangelnden Bevollmächtigung bzw der mangelnden Postulationsfähigkeit sowie der mangelnden Rechtswegszulässigkeit“. Bei einem Rechtsanwalt ersetze die Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis. Zweifel an der Erteilung der Bevollmächtigung durch eine hiezu befugte Person lägen nicht vor, weil unstrittig sei, dass der Bürgermeister dem Klagevertreter Vollmacht erteilt habe; aus § 55 TGO ergebe sich, dass der Bürgermeister die Gemeinde nach außen vertrete. Ob den übrigen Bestimmungen der TGO entsprochen worden sei, sei vom Gericht nicht zu überprüfen.

Das Rekursgericht hob infolge Rekurses der beklagten Partei den Beschluss des Erstgerichts, soweit damit die „Einwände“ der mangelnden Bevollmächtigung bzw der mangelnden Postulationsfähigkeit verworfen wurden, auf und verwies die Rechtssache insoweit zur Verfahrensergänzung (durch Einleitung eines Verbesserungsverfahrens) und allfälligen neuerlichen Entscheidung über den Antrag auf Klagszurückweisung wegen dieser Einwände an das Erstgericht zurück.

Unstrittig sei, dass der Bürgermeister der klagenden Gemeinde dem Klagevertreter mündlich Vollmacht zur Führung des gegenständlichen Verfahrens erteilt habe. Im Hinblick auf das Fehlen von Zweifeln an der erteilten Bevollmächtigung sei die Beibringung einer schriftlichen Vollmacht nicht erforderlich. Da die gegenständliche Klageführung unstrittig mit dem Gemeinderatsbeschluss vom 22. Juli 2010 nachträglich genehmigt worden sei, sei das grundsätzlich auch nach außen wirkende Fehlen der Beachtung der internen Organisationsvorschriften der klagenden Gemeinde als juristischer Person des öffentlichen Rechts bereits verbessert.

Allerdings komme dem § 55 Abs 4 TGO, wonach Rechtsgeschäfte, durch die die Gemeinde verpflichtet werden sollen, der Schriftform bedürfen, entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs Außenwirkung zu. Deshalb sei das Verfahren zur Durchführung eines Verbesserungsverfahrens (durch Auftrag an die Klägerin, eine schriftliche Vollmacht vorzulegen) an das Erstgericht zurückzuverweisen. Nach erfolgreicher Verbesserung bleibe dem Erstgericht vorbehalten, ob es neuerlich eine abgesonderte Entscheidung über die Einrede fälle oder die Entscheidung der Endentscheidung vorbehalte.

Der Revisionsrekurs sei im Hinblick auf das Fehlen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den Erfordernissen einer vom Bürgermeister einer Gemeinde an einen berufsmäßigen Parteienvertreter erteilten Prozessvollmacht zulässig.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der klagenden Gemeinde aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem (sinngemäßen) Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, in eventu, ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus Gründen der Klarstellung der Rechtslage zulässig; er ist auch berechtigt.

Die klagende Gemeinde legt ihrem Rekurs zugrunde, es sei außer Streit gestellt worden, dass der Bürgermeister dem Klagevertreter mündlich Vollmacht erteilt habe. Damit könne aber kein Vertretungsmangel mehr vorliegen.

Dazu wurde erwogen:

1. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Wirksamkeit hoheitlichen Handelns, sondern um die Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher Erklärungen im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung, nämlich der Erteilung einer Prozessvollmacht an einen Rechtsanwalt.

2. § 55 Abs 4 TGO sieht vor, dass Rechtsgeschäfte und sonstige Erklärungen, durch die die Gemeinde verpflichtet werden soll, der Schriftform bedürfen, sofern nicht wegen der Geringfügigkeit oder der Art der Angelegenheit die mündliche Form üblich ist. Schriftstücke sind vom Bürgermeister zu unterfertigen. Liegt der Willensbildung ein Beschluss eines Gemeindeorgans zugrunde, so ist darauf Bezug zu nehmen. In diesen Fällen ist das Schriftstück vom Bürgermeister und von je zwei Mitgliedern des betreffenden Gemeindeorgans zu unterfertigen.

3. Es steht außer Streit, dass in der klagenden Gemeinde die internen Willensbildungsvorschriften durch Genehmigung der Klagsführung eingehalten wurden; im Anwaltsprozess beinhaltet dies notwendigerweise die Beauftragung eines Rechtsanwalts.

4. Das vorliegende Problem stellt sich nicht als Frage der Prüfung des Vollmachtsnachweises nach § 30 Abs 1 ZPO (dazu RIS-Justiz RS0035627) oder als Frage der Postulationsfähigkeit (siehe Zib in Fasching/Konecny 2 § 37 Rz 2). Vielmehr geht es darum, ob die für die Erteilung einer Vollmacht vorgesehene Form eingehalten wurde; sollte hier ein Mangel vorliegen, wäre dieser einer Heilung zugänglich (RIS-Justiz RS0035639).

4.1. Welche Rechtsfolgen an die Außerachtlassung von Formgeboten geknüpft sind, ist mangels einer unmittelbaren Regelung im Einzelfall aus dem jeweiligen Sinn und Zweck des Formgebots zu entnehmen (RIS-Justiz RS0033421).

4.2. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs muss die von einer Gemeinde ausgestellte Prozessvollmacht zu ihrer Gültigkeit den Formvorschriften entsprechen, die die Gemeindeordnung für Urkunden, mit denen sie privatrechtliche Verpflichtungen übernimmt, vorsieht (RIS-Justiz RS0031560). Eine in einer Gemeindeordnung vorgeschriebene Schriftform (näher Steiner, 9. Teil, Rechtsstellung und Aufgaben der Gemeindeorgane Rz 124 ff, in Klug/Oberndorfer/Wolny [Hrsg], Das österreichische Gemeinderecht [2008]) will grundsätzlich - zum Schutz der Gemeinden und diese insoweit privilegierend - das Wirksamwerden rechtsgeschäftlicher Erklärungen von Gemeindeorganen im Außenverhältnis erschweren (7 Ob 688/88 = SZ 61/241 = JBl 1989, 444 [Wilhelm]; RIS-Justiz RS0014667). Auch wenn die Gesetzesmaterialien zur TGO 2001 diesbezüglich keine Auskunft geben, ist auch hinsichtlich § 55 Abs 4 TGO davon auszugehen, dass die Bestimmung den Zweck verfolgt, die Gemeinden vor unüberlegten rechtsgeschäftlichen Erklärungen zu schützen und insbesondere für die Gemeinde klare Verhältnisse bezüglich bestehender Verträge zu schaffen; das Formgebot hat insoweit aus Sicht der Gemeinde konstitutive Wirkung (siehe auch Giese/Huber, Sbg GdO [1995] § 42 Rz 4).

4.3. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass sich nicht die klagende Gemeinde auf die Nichteinhaltung einer sie schützenden Formvorschrift beruft, sondern die beklagte Partei zwar die Einhaltung der internen Willensbildungsvorschriften außer Streit stellt, aber die die Gemeinde bindende Formvorschrift für sich in Anspruch nehmen will. Dies widerspricht allerdings dem dargestellten, die Gemeinde privilegierenden Zweck der Formvorschrift.

5. Die vom Rekursgericht herangezogene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bietet keinen Anlass für eine andere Beurteilung. Zentral ist hier jeweils die Aussage, dass im VwGG und in den Verwaltungsverfahrensgesetzen eine dem § 38 ZPO vergleichbare Regelung nicht getroffen ist, weshalb eine nachträgliche Genehmigung einer (bis dahin) von einem Scheinvertreter gesetzten fristgebundenen Verfahrenshandlung nicht in Frage kommt (VwGH Zl 2003/17/0096 mwN). Sollte das Rekursgericht meinen, dass die Nichteinhaltung der für die Erteilung einer Vollmacht vorgesehenen Form keiner Heilung zugänglich ist, so wird dieser Standpunkt abgelehnt (siehe bereits Punkt 3.; RIS-Justiz RS0035639). Er widerspricht im Übrigen der vom Rekursgericht selbst gewählten Vorgangsweise, ein Verbesserungsverfahren einzuleiten.

6. Im Sinne der vorstehenden Erwägungen ist inhaltlich der Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen. Die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs wurde von der beklagten Partei explizit nicht mehr aufrechterhalten. Bei der weiteren Einrede handelt es sich inhaltlich um die Einrede des Vollmachtsmangels (§ 37 Abs 1 ZPO), was im Beschlussspruch klarzustellen ist.

7. Das Erstgericht hat das Verfahren in der vorbereitenden Tagsatzung am 23. September 2010 auf die von der beklagten Partei erhobenen Einreden eingeschränkt. Es liegt ein Zwischenstreit vor (Obermaier, Kostenhandbuch2 [2010] Rz 291; vgl auch RIS-Justiz RS0035955); die Entscheidung über den Kostenersatz im Zwischenstreit hängt von dessen Ausgang ab. Im Sinne der §§ 41, 50 ZPO hat die beklagte Partei dem Kläger die Kosten der Rekursbeantwortung und des Rekurses an den Obersten Gerichtshofs zu ersetzen. Der nach der Berichtigung der Rekursentscheidung neuerlich eingebrachte Rekurs ist nicht zu honorieren.

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