European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00012.24S.1023.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.599,90 EUR (darin 266,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die am * 1933 geborene Mutter des Klägers wurde nach Einlieferung durch die Rettung am Nachmittag des 16. 3. 2021 an der orthopädischen Abteilung des Landesklinikums G*, dessen Rechtsträgerin die Beklagte ist, ambulant untersucht. Nachdem sie wieder in häusliche Pflege entlassen worden war, verstarb sie zu Hause noch am selben Abend. Eine Entlassung in häusliche Pflege ohne weitere Abklärung anderer Symptome war fachlich falsch. Die bloße Abklärung orthopädischer Ursachen ohne weitere notfallmedizinische Abklärung, obwohl Anzeichen und Symptome für eine koronare Erkrankung bestanden, war fachlich nicht richtig.
[2] Zwischen dem Kläger und seiner Mutter bestand zeitlebens ein besonderes Naheverhältnis und eine enge Gefühlsbeziehung. Der eigentlich in F* lebende Kläger verbrachte jedenfalls seit dem Tod seines Vaters 2014 durchschnittlich drei Tage pro Woche im Haus seiner Mutter und übernachtete auch dort. Er leistete ihr nicht nur sozialen Kontakt und bot Unterstützung im Haushalt, sondern kümmerte sich auch um sonstige Arbeiten, die sie nicht mehr verrichten konnte und half bis zu dessen Tod auch bei der Pflege des Vaters.
[3] Der Kläger begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes neben Trauerschmerzengeld (25.000 EUR) den Ersatz der Begräbniskosten (4.105,30 EUR) sowie pauschale Unkosten (100 EUR). Die Behandlung seiner Mutter durch die Beklagte sei nicht lege artis erfolgt, es sei der Beklagten außerdem ein Organisationsverschulden vorzuwerfen. Der Kläger sei berechtigt, vertragliche Ansprüche seiner Mutter aus dem Behandlungsvertrag geltend zu machen. Er habe zeitlebens eine enge Gefühlsbeziehung zu seiner Mutter gehabt.
[4] Die Beklagte wandte ein, dass zwischen ihr und dem Kläger kein Vertragsverhältnis bestehe. Eine deliktische Haftung scheide aus. Zudem sei ihr weder ein Behandlungs- noch ein Organisationsverschulden vorwerfbar. Es liege jedenfalls keine grobe Sorgfaltswidrigkeit vor.
[5] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 14.205,30 EUR sA und wies das Mehrbegehren ab. Es liege keine lege artis erfolgte Behandlung vor, der Beklagten sei in der Gesamtschau auch eine grobe Fahrlässigkeit anzulasten. Der Kläger sei in den Schutzbereich des zwischen der Mutter und der Beklagten abgeschlossenen Behandlungsvertrags einbezogen. Neben den Aufwendungen für die Begräbniskosten und pauschalen Unkosten stünden ihm ausgehend vom tatsächlichen Alter der verstorbenen Mutter und der Intensität der Gefühlsgemeinschaft für die Abgeltung des Trauerschmerzes 10.000 EUR zu.
[6] Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise, jener der Beklagten nicht Folge und änderte das angefochtene erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass es dem Kläger insgesamt 19.205,30 EUR sA, somit weitere 5.000 EUR Trauerschmerzengeld zusprach. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig, da zur Frage, ob auch erwachsene Kinder in den Schutzbereich eines zwischen ihren Eltern und einer Krankenanstalt geschlossenen Behandlungsvertrags einzubeziehen seien, sodass sie im Fall des Todes ihrer Eltern aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers berechtigt seien, auf Grundlage des Behandlungsvertrags Ersatz für ihnen entstandene Schäden (insbesondere Trauerschmerzengeld) zu verlangen, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
[7] Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung der Klage anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
[8] Die Revision der Beklagten ist zur Klarstellung zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
[9] Die Revision wendet sich lediglich gegen die Einbeziehung des Klägers in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags zwischen der Mutter des Klägers und der Beklagten sowie die Bejahung eines groben Verschuldens durch die Vorinstanzen. Weder tritt sie der Bejahung eines Behandlungsfehlers der Mutter des Klägers durch die Beklagte noch der Höhe des zugesprochenen Schadenersatzes entgegen. Auch die Frage eines deliktischen Schadenersatzanspruchs wird nicht (mehr) releviert.
[10] 1.1. Grundsätzlich macht eine Vertragsverletzung nur dem Vertragspartner gegenüber ersatzpflichtig. Nach der Rechtsprechung bestehen Schutz‑ und Sorgfaltspflichten aus einem Vertragsverhältnis aber nicht nur zwischen den unmittelbaren Vertragsparteien, sondern auch gegenüber dritten Personen, die durch die Vertragserfüllung erkennbar in erhöhtem Maß gefährdet werden und der Interessensphäre eines Vertragspartners angehören. Begünstigt sind Dritte, deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung bei Vertragsabschluss vorhersehbar war, die also der vertraglichen Leistung nahestehen und die der Vertragspartner des Hauptleistungspflichtigen erkennbar durch Zuwendung der Hauptleistung begünstigte, an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist (RS0020769; 4 Ob 176/19i).
[11] 1.2. Soll die vom Gesetzgeber getroffene unterschiedliche Ausgestaltung von Delikts‑ und Vertragsrecht nicht aufgehoben werden, so muss der Kreis der vertraglich geschützten Personen eng gezogen werden (RS0022814). Von einer Sorgfalts‑ und Schutzpflicht zugunsten dritter, am Vertrag nicht beteiligter Personen ist daher nur dann auszugehen, wenn bei objektiver Auslegung des Vertrags anzunehmen ist, dass eine Sorgfaltspflicht auch in Bezug auf die dritte Person übernommen wurde (RS0017195). Auch der begünstigte Personenkreis wird durch objektive Auslegung des Vertrags bestimmt (5 Ob 82/19y mwN).
[12] 1.3. Zur Beurteilung der Frage, ob der Kläger zu dem durch den Behandlungsvertrag geschützten Personenkreis gehört, ist demnach eine generalisierende objektive Betrachtung erforderlich, die gewährleistet, dass für den Vertragspartner das Naheverhältnis des Dritten zur Vertragsleistung vorhersehbar und offensichtlich ist (so bereits 4 Ob 176/19i [Punkt 2.1]). Für die Beurteilung des begünstigten Personenkreises ist somit maßgebend, dass bei objektivem Verständnis typischerweise, bei üblichen Sozialstrukturen, eine auffallende innige familiäre Nahebeziehung zu erwarten ist, sodass der aus dem Vertrag Hauptleistungspflichtige mit der Einbeziehung der fraglichen Personengruppe in den geschützten Personenkreis rechnen musste (6 Ob 241/21s Rz 9; mwH). Dass im Einzelfall besondere, von den üblichen Sozialstrukturen abweichende Verhältnisse vorgelegen haben mögen, ist für die vorzunehmende objektive Auslegung der personellen Reichweite möglicher Schutzwirkungen des Behandlungsvertrags nicht von Belang (7 Ob 105/17t [Punkt 8.]).
[13] 1.3.1. Nach diesen Grundsätzen wertete der Oberste Gerichtshof den Schmerzengeld für einen Trauerschaden mit Krankheitswert begehrenden Ehegatten einer Patientin als eine der Leistung aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag nahestehende Person, sofern die Lebensgemeinschaft aufrecht war und keine Hinweise auf eine bereits eingetretene Entfremdung bestanden (9 Ob 83/09k).
[14] 1.3.2. Auch Lebensgefährten werden unter diesen Voraussetzungen von der Rechtsprechung zum Kreis der von einem Behandlungsvertrag geschützten Dritten gezählt (1 Ob 153/20m Punkt 2.2.).
[15] 1.3.3. Ebenso wurde bereits ausgesprochen, dass auch unmündige Kinder grundsätzlich in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags ihrer Mutter mit einem Arzt einbezogen werden können (5 Ob 82/23d Rz 11).
[16] 1.3.4. Hingegen geht die Rechtsprechung bei erwachsenen und annähernd erwachsenen Geschwistern nicht von einer typischen, für Dritte erkennbaren objektiven typisierten Nahebeziehung aus, die die Einbeziehung in den Schutzbereich eines fremden Behandlungsvertrags rechtfertigt, auch wenn sie noch im gemeinsamen Haushalt leben oder eine innige Gefühlsgemeinschaft, die über die übliche Beziehung zwischen erwachsenen Geschwistern hinausgeht, bestand (7 Ob 105/17t; 4 Ob 176/19i [Punkt 2.2 ff]).
[17] 1.4. Unter Anwendung dieser – vom Berufungsgericht zutreffend dargestellten – Grundsätze ist entgegen der Ansicht der Beklagten bei einer generalisierenden Betrachtungsweise und bei objektivem Verständnis typischerweise, bei üblichen Sozialstrukturen, eine auffallende innige familiäre Nahebeziehung zwischen Eltern und ihren (wenn auch bereits erwachsenen) Kindern zu erwarten. Nachdem es sich dabei um die Kernfamilie handelt, besteht auch nicht die von der Beklagten befürchtete Gefahr einer uferlosen Haftung gegenüber Dritten (so auch in ihren Entscheidungsanmerkungen zu 7 Ob 105/17t Karner, RdM 2018/115, 145 [149] und Spitzer, EvBl 2018/105, 729). Es ist für die Beklagte als Spitalsbetreiberin auch nicht unvorhersehbar, dass auch ältere Patienten Kinder haben können, zu denen eine lebenslange innige familiäre Nahebeziehung besteht.
[18] 1.5. Für die objektive Bestimmung des Schutzbereichs ist zudem irrelevant, ob das Krankenhaus zuvor konkret wusste, ob ein Patient verheiratet ist oder Kinder hat. Wie Karner (RdM 2018/115, 149 mwN) richtig anmerkt, ist die Erstreckung vertraglicher Schutzpflichten auf Dritte schließlich auch dann anzunehmen, wenn dem Vertragspartner diese zuvor nicht genau bekannt sind, kommt es doch auch bei einem Mietvertrag nicht darauf an, ob dem (gemeint offensichtlich) Vermieter die einzelnen Mitbewohner bekannt sind, ist bei der Produkthaftung irrelevant, ob der Kunde eine Einzelperson oder eine Käufergemeinschaft ist und der Produzent dies wusste oder nicht, und muss auch bei der Dritthaftung eines Gutachters dem Gutachter nicht bekannt sein, wem das Gutachten konkret vorgelegt wird, sondern ist völlig ausreichend, dass sich das Gutachten auf ein bestimmtes Projekt bezieht (differenzierend zur Frage der Einbeziehung in den Schutzbereich jedoch Huber, ZVR 2018/103, 193).
[19] 1.6. Entgegen der Ansicht der Revision ist daraus auch nicht abzuleiten, dass damit bei sämtlichen Vertragsabschlüssen, wie zB Werk‑ oder Mietverträgen sowohl (un)mündige als auch volljährige Kinder unabhängig vom konkreten Alter (gemeint offensichtlich: jedenfalls) in den Schutzbereich des von einem Elternteil abgeschlossenen Vertrags miteinzubeziehen wären, hängt doch die Einbeziehung in den Schutzbereich generell nicht vom Alter des Dritten ab, sondern in diesen Fällen davon, ob deren räumlicher Kontakt mit der vertraglich zu erbringenden Hauptleistung beim Vertragsabschluss voraussehbar war, sie also der vertraglichen Leistung nahestehen, und an ihnen der Vertragspartner (beim Werkvertrag der Besteller) ein sichtbares eigenes Interesse hat oder hinsichtlich welcher ihm selbst offensichtlich eine Fürsorgepflicht zukommt (vgl RS0034594).
[20] 1.7. Soweit die Revision meint, dass zwischen einer 87-jährigen Mutter und einem 65‑jährigen Sohn typischerweise keine Unterhaltspflicht bestehe, ist sie auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 137 ABGB zu verweisen, wonach zwischen Eltern und Kindern ein lebenslang andauerndes Rechtsband mit wechselseitigen Rechten und Pflichten besteht und die gegenseitige Pflicht einander beizustehen auch für volljährige Kinder gilt (RS0009634, insbesondere [T1]). Auch wenn die Beistandspflicht des § 137 ABGB eine lex imperfecta sein mag (vgl 6 Ob 85/18w), ändert dies nichts daran, dass die verstorbene Mutter und der Kläger als ihr Sohn einander zur Fürsorge und zum gegenseitigen Beistand verpflichtet waren, zwischen Eltern und auch erwachsenen Kindern eine emotionale Sonderbeziehung besteht (vgl bereits zum deliktischen Anspruch auf Trauerschmerzengeld 2 Ob 141/04f) und dies auch für die Beklagte nicht unvorhersehbar war.
[21] 1.8. Das Berufungsgericht ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass schon aufgrund der üblichen Sozialstrukturen bei generalisierender Betrachtung in der Regel auch zwischen erwachsenen Eltern und Kindern noch eine innige familiäre Nahebeziehung zu erwarten ist und hat somit zu Recht den Kläger in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags seiner Mutter mit der Beklagten einbezogen.
[22] 2.1. Grobe Fahrlässigkeit ist immer dann anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar ist (vgl RS0030644; RS0030477; RS0030438). Das Verhalten des Schädigers muss sich dabei aus der Menge der sich auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens als eine auffallende Sorglosigkeit herausheben (RS0030477 [T24]). Es muss sich um einen objektiv besonders schweren Sorgfaltsverstoß handeln, der bei Würdigung aller Umstände des Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RS0030272).
[23] 2.2. Es ist zwar richtig, dass die Mutter des Klägers gegenüber dem behandelnden Arzt nicht von Brustschmerzen, sondern nur von Durchfall und Rückenschmerzen berichtete. Allerdings hatte sie bereits gegenüber dem Notruf von Brustschmerzen und dem Verdacht eines Herzinfarkts berichtet und waren der die Zuweisung vornehmenden Krankenschwester im Klinikum der Beklagten auch die Brustschmerzen bekannt. Diese verständigte aber den Arzt nur über Rückenschmerzen sowie den Durchfall. Zudem können auch Rückenschmerzen für sich allein ein Indikator für eine Herzerkrankung sein und hätten auch diese inhaltlich vollständig lege artis abgeklärt werden müssen. Vor allem wäre eine Untersuchung von Blutdruck, Pulsfrequenz, Sauerstoffsättigung und anderen Vitalparametern erforderlich gewesen und hätte bei entsprechender Einholung eine weitere Abklärung von anderen als orthopädischen Ursachen zwingend erfolgen müssen. Eine Unrichtigkeit der Annahme der Vorinstanzen, dass in Summe der Beklagten ein grobes Verschulden der ihr zuzurechnenden Gehilfen anzulasten ist, zeigt die Revision nicht auf.
[24] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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