European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00089.24H.1022.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde, teils aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu I/ sowie in der Subsumtion der vom Schuldspruch zu II/ erfassten Taten nach § 130 Abs 2 (iVm Abs 1 zweiter Fall) StGB und in der zu II/ gebildeten Subsumtionseinheit, weiters in den Aussprüchen über die Strafe (einschließlich der Vorhaftanrechnung), die Konfiskation und die Ansprüche der Privatbeteiligten * P* ebenso aufgehoben wie der unter einem gefasste Beschluss, „die Entscheidung zur bedingten Nachsicht der Strafe, die * E* mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. Jänner 2021 [...] zu AZ 045 Hv 48/2020m gewährt wurde [...], gemäß § 495 StPO“ vorzubehalten, und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
In diesem Umfang wird der Angeklagte mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * E* des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (I/), des Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und Z 2, 130 Abs 2 (iVm Abs 1 zweiter Fall) StGB (II/), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (III/1/), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter und vierter Fall SMG (III/2/), des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (IV/), des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB (V/), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (VI/1/) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (VI/2/) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er – soweit hier von Bedeutung –
I/ von August 2021 bis 13. April 2023 in B* und an anderen Orten Österreichs gegen * P* eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er
a/ sie regelmäßig (durchschnittlich zwei Mal im Monat) würgte, sie am Hals gegen Wände und Möbel drückte, sie durch die Wohnung stieß, ihr Tritte und Ohrfeigen versetzte und sie jeweils (zumindest) in einem Fall mit ihrem Kopf gegen eine elektrische Motorsense stieß, sie an ihren Haaren über eine unbekannte räumliche Distanz zerrte und ihr mit einem Metallschuhlöffel Schläge gegen Körper, Arme und Ohr versetzte;
b/ sie wiederholt durch die sinngemäßen Äußerungen, er werde ihr die Kehle aufschneiden, und indem er ihr ein Fleischmesser und eine Schere an den Hals und ein abgeschlagenes Glas „entgegen hielt“, gefährlich mit dem Tod bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;
c/ sie durch die wiederholten (zumindest wöchentlichen) sinngemäßen Äußerungen, er werde ihr in die „Goschn“ hauen und er werde ihr den Schädel einschlagen oder brechen, gefährlich zumindest mit einer Verletzung am Körper bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;
d/ durch gefährliche Drohungen, nämlich durch die sinngemäßen Äußerungen, wenn sie ihn verlasse oder zur Polizei gehe, werde er ihr die Kehle durchschneiden bzw ihr den Schädel einschlagen, zu Unterlassungen nötigte, die besonders wichtige Interessen der Genannten verletzten, nämlich zur Abstandnahme von einer Trennung bzw polizeilichen Anzeigeerstattung;
II/ am 28. Februar 2022 in M* im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten * N* und * V* als Mittäter (§ 12 StGB) fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung und (großteils) durch (Einbrechen und) Einsteigen in ein Gebäude und Aufbrechen eines Behältnisses mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar
1/ * Z* zwei Holzleitern,
2/ Gewahrsamsträgern der PE* GmbH einen Winkelschleifer im Wert von 300 Euro durch Aufbrechen von Containern;
3/ Gewahrsamsträgern des U* 15.800 Euro Bargeld durch Einschlagen eines Fensters, Einsteigen durch dieses und Aufbrechen eines Tresors.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Mängelrüge behauptet zu II/ Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall), weil eine inhaltlich die Glaubhaftigkeit der Depositionen der Zeugin P* (dazu allgemein US 22) in Frage stellende Aussagepassage des Angeklagten nicht berücksichtigt worden sei. Da das Erstgericht dessen Verantwortung jedoch insgesamt als unglaubwürdig ansah (US 21 f), war es nicht verhalten, auf den von der Beschwerde angesprochenen Inhalt der Aussage näher einzugehen (RIS-Justiz RS0098642 [T1]).
[5] Der eingewendete Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen der Feststellung, der Angeklagte habe „Ende Februar 2023“ die Begehung der vom Schuldspruch zu II/ umfassten Taten beschlossen (US 15), und dem konstatierten Tatzeitpunkt am 28. Februar 2022 (US 16 ff; vgl auch US 3) betrifft fallkonkret keine entscheidende Tatsache (RIS‑Justiz RS0098557) und verfehlt damit den gesetzlichen Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (RIS Justiz RS0117499).
[6] In diesem Umfang war der Mängelrüge somit kein Erfolg beschieden.
[7] Zutreffend reklamiert sie jedoch (nominell Z 5 fünfter Fall, der Sache nach Z 5 vierter Fall) zu II/, dass die betreffend die kriminelle Vereinigung getroffenen Feststellungen (US 15) offenbar unzureichend begründet geblieben sind (US 31).
[8] Das Schöffengericht stützte diese pauschal auf die Aussage der Zeugin * P*, ohne darzulegen, inwiefern diese aus Sicht der Tatrichter fallkonkret auf das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung hinweisen soll. Auch die darüber hinaus bezeichneten Begründungselemente (Zusammenkünfte in der Wohnung der genannten Zeugin zeigende Fotos, sichergestellte GPS‑Tracker, sichergestelltes Werkzeug sowie der Umstand, „dass sich der Mittäter extra mit einem Fahrzeug mit Schweizer Kennzeichen nach Österreich begab“) tragen die Feststellungen (insbesondere) zu den zeitlichen Merkmalen einer kriminellen Vereinigung (vgl RIS‑Justiz RS0125232) nicht (RIS‑Justiz RS0099413).
[9] Dieses Begründungsdefizit erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs zu II/ in der Subsumtion unter die Vereinigungsqualifikation nach § 130 Abs 2 (iVm Abs 1 zweiter Fall) StGB, demzufolge auch in der zu II/ gebildeten Subsumtionseinheit (RIS‑Justiz RS0133589) und im Ausspruch über die Strafe (einschließlich der der Vorhaftanrechnung).
[10] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur überdies davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Urteil sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkende, von diesem nicht geltend gemachte Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet:
[11] Die Verwirklichung des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b StGB setzt in subjektiver Hinsicht nicht nur die Intention voraus, längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt auszuüben, sondern muss der Vorsatz auch dem Tatbestand des jeweiligen Anknüpfungsdelikts entsprechen; gleichermaßen sind nur vorsätzliche körperliche Misshandlungen tatbestandlich im Sinn des § 107b StGB (vgl 14 Os 101/17k mit weiteren Nachweisen).
[12] In Bezug auf die Anknüpfungstatbestände der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (I/b/) und § 107 Abs 1 StGB (I/c/) wie auch die (zu I/a/ erfassten) körperlichen Misshandlungen fehlt es an Konstatierungen zur subjektiven Tatseite. Betreffend die – ebenfalls § 107b Abs 1 StGB unterstellte – schwere Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB (I/d/) konstatierte das Erstgericht zwar, dass der Angeklagte * P* von der Trennung und der polizeilichen Anzeigeerstattung abhalten wollte (US 11), insoweit fehlt es jedoch an einer hinreichenden Sachverhaltsbasis zum vom Vorsatz umfassten Einsatz des Nötigungsmittels (vgl Schwaighofer in WK² StGB § 105 Rz 88; Seiler/Seiler, SbgK § 105 Rz 72; RIS-Justiz RS0093760).
[13] Dieser Rechtsfehler erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs zu I/ sowie des (darauf bezogenen) Ausspruchs über die Ansprüche der Privatbeteiligten P* (Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7; RIS-Justiz RS0101303, RS0100493).
[14] Ebenso zu beseitigen war der undifferenziert bloß auf „zur Begehung einer vorsätzlichen Straftat verwendet[e]“ Gegenstände (US 6; vgl auch US 41 f) bezogene Ausspruch der Konfiskation.
[15] Zusammengefasst war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.
[16] Ebenso war mit dem Beschluss zu verfahren, „die Entscheidung zur bedingten Nachsicht der Strafe, die * E* mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. Jänner 2021 […] zu AZ 045 Hv 48/2020m gewährt wurde […], gemäß § 495 StPO“ vorzubehalten (vgl RIS‑Justiz RS0101886 sowie Jerabek/Ropper, WK-StPO§ 494a Rz 11 und § 498 Rz 8und Ratz, WK-StPO § 289 Rz 7 zur generellen Abhängigkeit von Beschlüssen nach § 494a StPO von der Rechtskraft des urteilsmäßigen Strafausspruchs).
[17] Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde – im Einklang mit der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[18] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung zu verweisen.
[19] Soweit diese gegen „den Ausspruch des Verfalls“ angemeldet wurde (ON 176) fehlt ihr mangels eines solchen Ausspruchs im Urteil der Bezugspunkt.
Mit Blick auf den zweiten Rechtsgang ist anzumerken:
[20] Nach der Subsidiaritätsklausel des § 107b Abs 5 StGB ist der Täter nicht nach § 107b StGB zu bestrafen, wenn die Tat nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist. Sofern die zu I/d/ umschriebenen Äußerungen (jeweils) das Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllen, wären diese demnach nicht § 107b Abs 1 StGB, sondern dem genannten Tatbestand zu subsumieren.
[21] Kann ein vom sachlich zuständigen Gericht für geboten erachteter Ausspruch nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO wegen Fehlens der Formerfordernisse des Abs 3 erster Satz dieser Gesetzesstelle (etwa weil eine Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung oder zumindest in die Abschrift des Urteils unterblieben ist) nicht erfolgen, bedarf es keines förmlichen Vorbehaltsbeschlusses. Vielmehr geht die Entscheidungskompetenz in solchen Fällen ex lege auf das sonst zuständige Gericht über (RIS‑Justiz RS0111829 [T7], RS0101961, RS0111829; vgl auch Jerabek/Ropper, WK‑StPO § 494a Rz 10).
[22] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Sie bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 7).
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