European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00089.24P.1009.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten sowie aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Punkten 1.1.2., 1.2. und 2.1. des Schuldspruchs, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im Einziehungserkenntnis betreffend eine Feinwaage aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Wels verwiesen.
Im Übrigen werden die Nichtigkeitsbeschwerden zurückgewiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * B* und * R* jeweils der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 fünfter und sechster Fall SMG (1.1.1.), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (1.1.2.) und „des Vergehens“ des Geldwuchers nach § 154 Abs 1 StGB (2.), der Angeklagte B* darüber hinaus des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (1.2.) schuldig erkannt.
[2] Danach haben in W* und an anderen Orten des Bundesgebiets
1. vorschriftswidrig Suchtgift
1.1. seit Anfang 2009 bis 24. April 2023 B* und R* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB; US 5)
1.1.1. ein- und ausgeführt, nämlich gemeinsam mit anderen Mitgliedern einer Tätergruppierung wiederholt Kokain (Cocain.HCl) aus Deutschland und dem Kosovo bzw Albanien, wobei das Suchtgift versteckt in PKW und Reisebussen nach Österreich geschmuggelt wurde;
1.1.2. in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, nämlich 2 Kilogramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 44,8 % Cocain.HCl;
1.2. B* ab einem unbekannten Zeitpunkt bis zum 24. April 2023 in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, erworben und besessen, und zwar 211,1 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 74,6 % Cocain.HCl;
2. B* und R* die Zwangslage des * L* dadurch ausgebeutet, dass sie sich für eine Leistung, die der Befriedigung eines Geldbedürfnisses diente, einen in einem auffallenden Missverhältnis zum Wert der eigenen Leistung stehenden Vermögensvorteil versprechen oder gewähren ließen, und zwar
2.1. im Jahr 2017 jährliche Zinsen von 24.000 Euro für einen „Wucherkredit“ von 60.000 Euro, der bis etwa Mitte 2019 im Gesamtbetrag von rund 84.000 Euro zurückbezahlt wurde;
2.2. im Jänner 2023 monatliche Zinsen von 2.400 Euro für einen „Wucherkredit“ von 30.000 Euro.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich die vom Angeklagten B* auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 9 lit a und lit b, 10 sowie 11 StPO und vom Angeklagten R* auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 9 lit b sowie 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden, welchen – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – teilweise Berechtigung zukommt.
Zum berechtigten Teil der Nichtigkeitsbeschwerden sowie zur amtswegigen Maßnahme:
[4] Die vom Erstgericht zu den Schuldsprüchen 1.1.2. und 1.2. konstatierte Reinsubstanz „Cocain.HCl“ (US 5 f) enthält zwar jedenfalls Cocain in Reinsubstanz im Sinn der Suchtgiftverordnung, entspricht jedoch nicht der im Anhang unter 1. der Verordnung des Bundesministers für Gesundheit über die Grenzmengen der Suchtgifte (SGV) genannten Substanz „Cocain“. Die darin festgesetzte Grenzmenge von 15 Gramm bezieht sich nämlich nur auf die Base, nicht aber auf ein Salz (hier Kokainhydrochlorid) dieses Suchtgifts (§ 2 SGV).
[5] Beide Angeklagten rügen zutreffend (Z 10), dass sich eine Überschreitung der Grenzmenge (§ 28b SMG) sowie des Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge auf der vom Erstgericht festgestellten Sachverhaltsgrundlage nicht beurteilen lässt (RIS‑Justiz RS0114428 [T5]).
[6] Die Konstatierungen, die einen – gar nicht erfolgten – Schuldspruch nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG und nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall SMG tragen würden, können für sich allein nicht bestehen bleiben (RIS‑Justiz RS0115884). Solcherart waren die Schuldsprüche 1.1.2. und 1.2. zur Gänze aufzuheben.
[7] Nach dem Urteilssachverhalt setzten die Angeklagten die dem Tatbestand des § 154 Abs 1 StGB subsumierten Handlungen zu 2.1. „im Jahr 2017“ (US 6). Feststellungen zu verjährungshemmenden Umständen hat das Erstgericht nicht getroffen. Mit Blick auf den Wegfall der Schuldsprüche zu 1.1.2. und 1.2. und die Verjährungsfrist von fünf Jahren macht das Fehlen von Konstatierungen zu solchen Umständen die (implizite) rechtliche Beurteilung, die Strafbarkeit sei nicht verjährt, unschlüssig (RIS‑Justiz RS0122332 [T1, T6, T7, T11], RS0091794 [T4]), wie der Angeklagte B* zutreffend ausführt (Z 9 lit b). In Ansehung des Angeklagten R* war dies von Amts wegen aufzugreifen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
[8] Dies erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs 2.1. betreffend beide Angeklagte.
[9] Das weitere auf die Schuldsprüche 1.1.2., 1.2. und 2.1. sowie den Strafausspruch bezogene Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerden kann daher auf sich beruhen.
[10] Gemäß § 26 Abs 1 StGB wurde im angefochtenen Urteil angeordnet, „die sichergestellte Feinwaage mit Suchtgiftanhaftungen“ einzuziehen (US 3). Die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) weist zutreffend darauf hin, dass den Entscheidungsgründen dazu keine ausreichenden Feststellungen zu entnehmen sind.
[11] Einziehung nach dieser Bestimmung setzt unter anderem voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Dabei spricht das Wort „geboten“ die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an (RIS‑Justiz RS0121298). Der Hinweis im Urteil auf „vermutete Suchtgiftanhaftungen“ auf der Waage (US 27) trägt die Einziehung nicht (vgl RIS‑Justiz RS0088201 [T5, T7, T12]).
Zur weiteren Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten B*:
[12] Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet eine Verletzung von § 252 Abs 1 StPO durch die Verlesung (ON 224 S 23) von Teilen des Anlassberichts der Kriminalpolizei (ON 2 S 9), weil darin Angaben eines Zeugen enthalten seien und die Verlesung ohne Einverständnis iSd § 252 Abs 1 Z 4 StPO und ohne Vorliegen von Erlaubnistatbeständen der Z 1 bis 3 leg cit erfolgt sei. Entgegen dem Beschwerdevorbringen handelt es sich bei der in der Beschwerde zitierten Passage des Berichts der Kriminalpolizei nicht um ein gezieltes Festhalten einer Zeugenaussage, sondern bloß um die Bekanntgabe eines „Hinweises“ einer Einheit des Bundeskriminalamts auf vorliegende Ermittlungsergebnisse (ON 2 S 9; RIS‑Justiz RS0117259, RS0132011), somit um ein Schriftstück iSd § 252 Abs 2 StPO, welches verlesen werden muss (RIS‑Justiz RS0099246).
[13] Der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung (ON 224 S 21) zweier in der Hauptverhandlung gestellter Anträge des Angeklagten Verteidigungsrechte nicht geschmälert.
[14] Ein auf seine Berechtigung überprüfbarer Beweisantrag liegt nur dann vor, wenn in ihm das Beweismittel und das Beweisthema angegeben und darüber hinaus dargelegt wird, inwieweit das bei Durchführung der beantragten Beweise nach Ansicht des Antragstellers zu erwartende Ergebnis der Beweisaufnahme für die Schuldfrage von Bedeutung ist und aus welchem Grund erwartet werden kann, dass die Durchführung der begehrten Beweise auch tatsächlich das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erbringen werde (RIS‑Justiz RS0118444).
[15] Für Anträge, die keine Beweisanträge sind, gelten die Begründungserfordernisse des § 55 Abs 1 StPO sinngemäß. Demzufolge bedarf es eines Vorbringens, zu welchem Zweck die beantragte Verfügung begehrt wird, warum die begehrte Verfügung zum angestrebten Zweck tauglich ist und warum dies in der konkreten Verfahrenssituation zur Gewährleistung eines Anklage und Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens zur Feststellung der entscheidenden Tatsachen von Bedeutung sein sollte (RIS‑Justiz RS0130796 [T3]).
[16] Der Antrag, die Vertrauensperson nicht per Videokonferenz zu vernehmen, sondern persönlich in die Hauptverhandlung zu laden, um dort das Fragerecht der Verteidigung unmittelbar ausüben zu können (ON 224 S 2), blieb demgegenüber unbegründet, weshalb er bereits aus diesem Grund zu Recht der Abweisung verfiel. Im Übrigen hatte der Rechtsmittelwerber davor die Vernehmung der Vertrauensperson per Videokonferenz beantragt (ON 215 S 13).
[17] Aus dem Antrag auf „Gegenüberstellung des Erstangeklagten mit der Vertrauensperson zum Beweis dafür, dass die Vertrauensperson niemals mit dem Angeklagten B* zu tun gehabt hat“ (ON 224 S 10), ergab sich nicht, inwiefern dieses (behauptete) Ergebnis zu erwarten gewesen wäre, weshalb er auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte (RIS‑Justiz RS0118444 [T6], vgl RS0120952 zur Zulässigkeit der Wahrung der Anonymität von Zeugen in einem Strafverfahren im Licht von Art 6 Abs 1 iVm Abs 3 lit d MRK).
[18] Das die Anträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).
[19] Bezugspunkt der Mängelrüge ist der Ausspruch des Gerichts über entscheidende, also für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsame Tatsachen (RIS‑Justiz RS0106268), wobei zur deutlichen und bestimmten Bezeichnung eines Begründungsmangels jene Feststellungen benannt werden müssen, auf die sich dieser beziehen soll (RIS‑Justiz RS0130729). Die Kritik (Z 5 vierter Fall), die Tatrichter hätten ihre „Verurteilung“ auf ON 175 und wiederholt auf ON 73, 74, 82 und 93 gestützt, welche nicht verlesen worden seien, spricht solche Feststellungen nicht hinreichend deutlich an, womit die Argumentation ins Leere geht. Im Übrigen ist die – hier erkennbar – bloß illustrative Erwähnung solcher (angeblich nicht verlesener) Beweismittel im Urteil nicht geeignet, den behaupteten Begründungsmangel zu verwirklichen (RIS‑Justiz RS0113209, RS0113210).
[20] Zu 2.2. des Schuldspruchs gingen die Tatrichter davon aus, dass bei einer Kreditsumme von 30.000 Euro eine (zumindest drei Mal fällige) monatliche Zinsrate von 2.400 Euro vereinbart war und ein auffallendes Missverhältnis zwischen Leistung der Angeklagten und Gegenleistung, nämlich Zinszahlungen des Zeugen L*, vorlag (US 7 f). Weshalb zur Beurteilung des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung weitere Feststellungen zur Fälligkeit des Kredits erforderlich gewesen wären, legt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (RIS‑Justiz RS0116565; Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 154 Rz 2; Kirchbacher/Sadoghi in WK2 StGB § 154 Rz 10).
[21] Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) zu 1.1.1. behauptet, es sei mangels Feststellungen zu den konkreten Zeitpunkten der Ein- und Ausfuhr des Suchtgifts Verjährung eingetreten. Sie vernachlässigt dabei jedoch prozessordnungswidrig die Gesamtheit des Urteilssachverhalts (RIS‑Justiz RS0099810), wonach die wiederholte Tatbegehung von 2009 bis zur Hausdurchsuchung am 24. April 2023 andauerte (US 28 iVm US 5).
[22] Dass das Erstgericht beim Ausspruch der Konfiskation der sichergestellten Gegenstände die gemäß § 19a Abs 2 StGB gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung gänzlich unterlassen hätte, trifft – entgegen dem Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11 dritter Fall) – nicht zu (US 30; vgl RIS‑Justiz RS0088035).
Zur weiteren Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten R*:
[23] Die Verfahrensrüge (Z 3) begründet nicht, weshalb der Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO zu 1.1.1. nicht ausreichend verwechslungsfrei individualisiert und eine Abgrenzung von anderen Taten nicht möglich sein sollte (Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 6 ff und 12).
[24] Soweit die weitere Verfahrensrüge (Z 3) das Fehlen der Voraussetzungen für die Vernehmung der Vertrauensperson in Abwesenheit des Beschwerdeführers (§ 250 Abs 1 StPO; ON 224 S 5 ff) moniert, macht sie keine Verletzung einer der in § 281 Abs 1 Z 3 StPO taxativ aufgezählten – oder in (nach Inkrafttreten der StPO erlassenen) Nebengesetzen enthaltenen, ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit zu beobachtenden – Bestimmungen geltend (RIS‑Justiz RS0098271 [T3], RS0099118).
[25] Entgegen dem Rügevorbringen (Z 3) wurde der Beschwerdeführer darüber in Kenntnis gesetzt, was der (in Abwesenheit) vernommene Zeuge ausgesagt hat (ON 224 S 21; § 250 Abs 2 StPO; zum Ganzen Kirchbacher, WK‑StPO § 250 Rz 11 ff).
[26] Der weiteren Kritik aus Z 3 ist zu erwidern, dass – ungeachtet einer Verletzung des § 252 Abs 1 StPO – ein Nachteil für den Beschwerdeführer (§ 281 Abs 3 StPO) durch Verlesung jener Teile des „Anlassberichts ON 65“, welcher die Beschuldigteneinvernahme von * S* beinhaltet, in der Hauptverhandlung (ON 224 S 23; siehe auch ON 65 S 59 ff) auszuschließen ist, weil die Tatrichter diesem Beweismittel keinerlei Bedeutung für die Lösung der Schuldfrage beigemessen haben (US 9, 17).
[27] Entgegen dem Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) ist die Ableitung der subjektiven Tatseite zu 1.1.1. und 2. aus dem objektiven Tatgeschehen und einer realitätsbezogenen Betrachtung des Sachverhalts (US 28) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.
[28] In Ansehung der Verfahrensrüge nach Z 4 und der Rechtsrüge nach Z 9 lit b decken sich die Rechtsmittelausführungen mit jenen des Angeklagten B*, sodass insoweit auf die Beantwortung seiner Einwände verwiesen werden kann.
[29] Es war daher in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden und aus deren Anlass das Urteil im im Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels zu verweisen (§ 285e StPO). Im Übrigen waren die Nichtigkeitsbeschwerden bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[30] Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und die Angeklagten auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.
[31] Die Kostenersatzpflicht gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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