European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00046.24Y.1008.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des Klägers auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld für die Zeit von 22. November 2022 bis 21. Jänner 2023.
[2] Der Kläger ist der Vater des am * Jänner 2022 geborenen J*. Er lebt von der Mutter des Kindes getrennt; beide Eltern sind obsorgeberechtigt. Der Lebensmittelpunkt des Klägers befindet sich in Niederösterreich, jener der Mutter und von J* in Wien, wo sie jeweils auch ihren Hauptwohnsitz haben. Der Kläger einerseits sowie die Mutter und J* andererseits haben jeweils auch Nebenwohnsitze am Hauptwohnsitz des anderen Elternteils begründet.
[3] In der Zeit von 21. März 2022 bis 21. November 2022 bezog zunächst die Mutter Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens. Im Anschluss daran bezog der Kläger (von 22. November 2022) bis 21. Jänner 2023 Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 4.106,43 EUR. Um J* nicht aus der gewohnten Umgebung herauszureißen, betreute der Kläger ihn in der Wohnung der Mutter in Wien, wo er zwischen 8. November 2022 und 27. Jänner 2023 auch hauptwohnsitzlich gemeldet war. Familienbeihilfe bezog seit Jänner 2022 jedoch immer die Mutter von J*.
[4] Mit Bescheid vom 21. März 2023 widerrief die beklagte Österreichische Gesundheitskasse die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes an den Kläger und verpflichtete ihn zur Rückzahlung der zu Unrecht bezogenen Leistung in Höhe von 4.106,43 EUR.
[5] Das Erstgericht wies die auf Feststellung des Nichtbestehens des Rückforderungsanspruchs der Beklagten gerichtete Klage ab und verurteilte den Kläger zur Rückzahlung.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es könne dahingestellt bleiben, ob bei nur im Anspruchszeitraum im gleichen Haushalt, davor und danach aber nicht zusammen lebenden Eltern von „getrennt lebenden Eltern“ iSd § 2 Abs 7 KBGG auszugehen sei, weil der Kläger in beiden möglichen Varianten nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfülle: Betrachte man den Kläger und die Mutter als getrennt lebende Eltern, fehle es am Bezug der Familienbeihilfe durch den Kläger. Im gegenteiligen Fall sei die von § 2 Abs 6 KBGG geforderte (Mindest‑)Dauer des gemeinsamen Haushalts mit dem Kind von 91 Tagen nicht erfüllt.
Rechtliche Beurteilung
[7] In seiner außerordentlichen Revision spricht der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO an, die durch Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht schon geklärt wäre.
[8] 1. Dem Kläger ist zwar zuzustimmen, dass der Oberste Gerichtshof § 2 Abs 6 Satz 1 KBGG insbesondere im Kontext der Bezugsvariante „365 Tage + 61 Tage“ des § 24b Abs 2 KBGG (früher: „12 Monate + 2 Monate“) teleologisch dahin reduziert, dass bei getrennt lebenden Eltern, die sich für einen abwechselnden Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld entscheiden, eine „dauerhafte“ Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft iSd § 2 Abs 6 KBGG an derselben Wohnadresse auch dann als erfüllt anzusehen ist, wenn diese nur von 61‑tägiger Dauer ist und das Kind anschließend wieder in den Haushalt des anderen Elternteils zurückkehrt (RS0132594; 10 ObS 119/19a ErwGr 1.1. und 7.). Denn die kürzere Mindestbezugsdauer soll die Beteiligung von Vätern an der Kinderbetreuung fördern, indem ihr Zugang zum Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld und damit der abwechselnde Bezug erleichtert werden. Diesem Zweck würde es widersprechen, wenn getrennt lebende Eltern aus dieser Bezugsvariante durch das Erfordernis einer mindestens 91 Tage durchgehenden Wohn‑ und Wirtschaftsgemeinschaft ausgeschlossen wären (10 ObS 134/22m Rz 11; 10 ObS 65/19k ErwGr 4.4.). Nach der ständigen Rechtsprechung muss jedoch in diesem Fall der antragstellende Elternteil gemäß § 2 Abs 7 KBGG die Voraussetzung des Bezugs der Familienbeihilfe selbst („in eigener Person“) erfüllen. Es bedarf demnach der Personenidentität zwischen dem Familienbeihilfe‑ und dem Kinderbetreuungsgeldbezieher (10 ObS 16/20f ErwGr 2.2.; 10 ObS 17/19a ErwGr 6.3. ua).
[9] 2. Diese Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof auch in einer Konstellation angewandt, in der nicht nur das Kind, sondern auch die (bis dahin) vom Vater getrennt lebende Mutter für die Dauer von zwei Monaten zum Vater gezogen und danach wieder an ihren eigenen Wohnsitz zurückgekehrt waren (10 ObS 17/19a ErwGr 4.5.). Obwohl die Eltern für die Dauer des Kinderbetreuungsgeldbezugs durch den Vater somit – zumindest faktisch (vgl dazu 10 ObS 45/19v ErwGr 2.3.) – gemeinsam lebten, wurde an der Voraussetzung des Bezugs der Familienbeihilfe durch den Vater grundsätzlich festgehalten. Dem liegt die (unausgesprochene) Überlegung zugrunde, dass nicht schon deshalb nicht (mehr) von getrennt lebenden Eltern auszugehen ist, weil sie im Interesse des Kindes bloß für die Dauer eines kurzzeitigen Bezugswechsels vorübergehend zusammenziehen. Ein solches, von Haus aus nur auf beschränkte Zeit angelegtes Zusammenleben unterliegt daher weiterhin dem Regime des § 2 Abs 7 KBGG.
[10] 3. Der vorliegende Sachverhalt gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. So wie zu 10 ObS 17/19a lebte auch der Kläger für die Zeit des Kinderbetreuungsgeldbezugs durch ihn in einem gemeinsamen Haushalt mit der Mutter (und dem Kind). Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon nur insoweit, als das vorübergehende Zusammenleben nicht am Wohnsitz des (Kinderbetreuungsgeld beziehenden) Vaters, sondern jenem der Mutter erfolgte. Das rechtfertigt es aber nicht, von der Anspruchsvoraussetzung des Bezugs der Familienbeihilfe in eigener Person abzusehen.
[11] Der Kläger klärt auch nicht auf, warum der Ort des vorübergehenden gemeinsamen Zusammenlebens für die (Un-)Anwendbarkeit des § 2 Abs 7 KBGG ausschlaggebend sein soll. Zwar bezweckt die Bestimmung das Verhindern von Missbrauch (vgl ErläutRV 1110 BlgNR 25. GP 4; 10 ObS 51/19a ErwGr 2.5.). Eine teleologische Reduktion des § 2 Abs 7 KBGG in Fällen, in denen das nach Ansicht des Klägers „nicht möglich bzw gegeben“ ist, bedürfte jedoch einer (verdeckten) Lücke (RS0008979). Das Ziel, ein einfach handhabbares und leicht zu erfüllendes Anspruchskriterium auf Basis einer Durchschnittsbetrachtung vorzusehen (vgl VfGH, G41/2021), spricht mangels stichhältiger Anhaltspunkte aber grundsätzlich gegen das Fehlen einer an sich notwendigen Ausnahme. Solche Gründe zeigt der Kläger in Bezug auf § 2 Abs 7 KBGG auch nicht auf.
[12] 4. Auf die plausible, eine konkrete Einordnung aber offen lassende Überlegung des Berufungsgerichts, dass sich der Kläger nur auf eine der beiden Varianten (gemeinsam oder getrennt lebende Eltern) stützen und nicht die jeweils für ihn günstige Regelung für getrennt (teleologische Reduktion des § 2 Abs 7 KBGG) und für zusammen lebende Eltern (keine Notwendigkeit der Identität des Familienbeihilfe- und des Kinderbetreuungsgeldbeziehers) in Anspruch nehmen könne („Rosinentheorie“), muss daher nicht mehr eingegangen werden. Welche (teleologischen) Erwägungen die angestrebte Kombination rechtfertigen könnten, wird in der Revision auch gar nicht dargelegt.
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