European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00134.22M.1122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Sozialrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Revisionsgegenständlich ist der Anspruch der Klägerin auf pauschales Kinderbetreuungsgeld als Konto für den Zeitraum von 23. Februar 2021 bis 12. Mai 2021, die in diesem Zeitraum (von weniger als 91 Tagen) ein Krisenpflegekind als Krisenpflegeelternteil im gemeinsamen Haushalt betreute.
[2] Die Klägerin betreut seit 2014 regelmäßig Krisenpflegekinder im Auftrag der Stadt Wien und weiß bei Aufnahme eines Kindes in die Krisenpflege nicht, wie lange die Betreuung tatsächlich dauern wird. Dies können nur Wochen, aber auch mehrere Monate sein. Sie nimmt die Kinder mit der Absicht auf, sie so lange zu betreuen, wie es notwendig ist.
[3] Die Klägerin betreute als Krisenpflegemutter von 23. Februar 2021 bis 12. Mai 2021 das am 26. April 2019 geborene Krisenpflegekind, für das sie gegenständlich Kinderbetreuungsgeld begehrt. Sie lebte in diesem Zeitraum mit dem Kind im gemeinsamen Haushalt, beide waren dort hauptwohnsitzlich gemeldet und sie bezog für dieses Kind Familienbeihilfe.
[4] Danach betreute die Klägerin von 2. Juni 2021 bis 17. September 2021 als Krisenpflegemutter ein weiteres, am 8. April 2021 geborenes Krisenpflegekind, für das die beklagte Österreichische Gesundheitskasse der Klägerin Kinderbetreuungsgeld gewährte.
[5] Mit Bescheid vom 14. September 2021 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 17. Juni 2021 auf Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgeldes für den Zeitraum von 23. Februar 2021 bis 12. Mai 2021 ab.
[6] Die Vorinstanzen wiesen das, auf Zuerkennung von Kinderbetreuungsgeld gerichtete Klagebegehren ab. Die Mindestdauer des § 2 Abs 6 letzter Satz KBGG sei nicht erfüllt. Diese Regelung könne nicht dahingehend teleologisch reduziert werden, dass bei Krisenpflege, die kürzer als 91 Tage andauere, unter bestimmten Umständen dennoch eine dauerhafte Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft angenommen werden könne. Das Erfordernis einer mindestens 91 Tage durchgehenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft gelte auch für jeden anderen Elternteil gleichermaßen und sei daher nicht diskriminierend. Die Zeiten der Betreuung eines anderen Krisenpflegekindes seien nicht mit dem hier gegenständlichen Zeitraum zusammenzurechnen.
Rechtliche Beurteilung
[7] In der außerordentlichen Revision macht die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend.
[8] 1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist § 2 Abs 6 letzter Satz KBGG idF der Novelle BGBl I 2019/24 so zu verstehen, dass eine Krisenpflegeperson Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld für das Krisenpflegekind nur dann hat, wenn sie es mindestens 91 Tage durchgehend in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft betreut (10 ObS 13/21s). Damit steht die Beurteilung der Vorinstanzen im Einklang. Die von der Klägerin für ihren Standpunkt ins Treffen geführte Entscheidung 10 ObS 65/19k (SSV‑NF 33/47) erging zur (hier nicht relevanten) Rechtslage vor der Novelle BGBl I 2019/24, nach der keine tatsächliche Mindestdauer der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vorgesehen war.
[9] 2.1. Die Klägerin folgert aus der in § 3 Abs 5 KBGG angeordneten Mindestdauer eines Bezugsblocks von 61 Tagen, dass für Krisenpflegeeltern nur diese Mindestbezugsdauer erfüllt sein müsse.
[10] 2.2. Richtig ist zwar, dass der Oberste Gerichtshof § 2 Abs 6 Satz 1 KBGG idF BGBl I 2019/24 teleologisch dahin reduziert, dass bei getrennt lebenden Elternteilen, die sich für die Inanspruchnahme von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld in der Bezugsvariante „365 Tage + 61 Tage“ (früher: „12 + 2“) entschieden haben, eine „dauerhafte“ Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft im Sinn des § 2 Abs 6 KBGG an derselben Wohnadresse auch dann als erfüllt anzusehen ist, wenn diese im „Verlängerungszeitraum“ nur von 61‑tägiger Dauer ist und das Kind anschließend wieder in den Haushalt des anderen Elternteils zurückkehrt (RS0132594 [T4]).
[11] 2.3. Dieser Rechtsprechung liegt die Bezugsvariante „365 Tage + 61 Tage“ des § 24b Abs 2 KBGG (früher: „12 Monate + 2 Monate“) beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld zugrunde. Die kürzere Mindestbezugsdauer sollte die Beteiligung von Vätern an der Kinderbetreuung fördern, indem ihr Zugang zum Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld und damit der abwechselnde Bezug erleichtert werden. Dem Gesetzeszweck würde es widersprechen, wenn getrennt lebende Eltern aus dieser Bezugsvariante durch das Erfordernis einer mindestens 91 Tage durchgehenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft ausgeschlossen wären (10 ObS 119/19a SSV‑NF 34/18 [Pkt 6.1 f]; s bereits 10 ObS 65/19k SSV‑NF 33/47 [Pkt 4.8]).
[12] 2.4. Der vorliegende Fall rechtfertigt eine solche teleologische Reduktion allerdings nicht. Erstens geht es hier nicht um getrennt lebende Eltern, die einen abwechselnden Bezug in einer ansonsten ausgeschlossenen Bezugsvariante anstreben, und ist somit nicht ersichtlich, inwiefern hier die gleichberechtigte Beteiligung an der Kinderbetreuung gefördert werden könnte. Zweitens liefe die Rechtsansicht der Klägerin darauf hinaus, dass es bei Krisenpflegeeltern generell nur noch auf eine Betreuungsdauer von 61 Tagen ankäme, womit der in § 2 Abs 6 letzter Satz KBGG genannten Dauer von 91 Tagen kein Anwendungsbereich verbliebe. Durch teleologische Reduktion eine gesetzliche Vorschrift zur Gänze ihres Inhalts zu entkleiden ist aber methodisch unzulässig (RS0008979).
[13] 3. Auch aus der Rechtsprechung, dass bei Überschreiten der – nicht für jedes Kind gesondert zu ermittelnden – Zuverdienstgrenze der Überschreitungsbetrag nur einmal für das Kalenderjahr zurückgefordert werden kann (RS0133757), kann die Klägerin kein für sich günstigeres Ergebnis ableiten. Das Gesetz stellt bei der Ermittlung der Zuverdienstgrenze bzw des Überschreitungsbetrags auf das Kalenderjahr ab (vgl § 2 Abs 1 Z 3 KBGG). Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld wird dadurch aber nicht zu einem einheitlichen Anspruch für mehrere Kinder, sondern er ist weiterhin separat bezogen auf das jeweilige Kind zu sehen (10 ObS 73/21i; 10 ObS 72/21t [jeweils Pkt 3.3]). Die hier gegenständliche Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 2 KBGG bezieht sich dementsprechend ausdrücklich auf das Kind, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll (arg: „mit diesem Kind“). Bezogen auf das Kind, für das die Klägerin im vorliegenden Verfahren Kinderbetreuungsgeld begehrt, gehört die Klägerin vielmehr der Gruppe der typischen Kurzzeitpflegepersonen an, denen der Gesetzgeber keinen Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld einräumen wollte (IA 584/A 26. GP 3). Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes und der Absicht des Gesetzgebers können Zeiten der Betreuung anderer Kinder im gemeinsamen Haushalt somit keine Berücksichtigung finden.
[14] 4. Soweit die Klägerin verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Erfordernis einer mindestens 91 Tage durchgehenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft bei Krisenpflegeeltern im Vergleich zur Situation bei Pflegeeltern erhebt, übersieht sie, dass dieses Erfordernis grundsätzlich auch für andere Personen, die Kinderbetreuungsgeld beantragen, gleichermaßen gilt (§ 2 Abs 6 Satz 1 KBGG), insbesondere auch für Pflegeeltern. Entgegen dem offenbaren Verständnis der Klägerin wurden verfassungsrechtliche Bedenken in der Entscheidung 10 ObS 65/19k (SSV‑NF 33/47) auch nicht erhoben. In den Fällen, in denen nach der Rechtsprechung ausnahmsweise eine kürzere Dauer der Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zugelassen wird (oben Pkt 2.2.), wird dies durch die Förderung der gleichberechtigten Kinderbetreuung gerechtfertigt (oben Pkt 2.3.). Das Erfordernis einer 91 Tage durchgehenden Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft in allen anderen Fällen ist deswegen aber nicht unsachlich.
[15] 5. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)