OGH 10ObS25/24k

OGH10ObS25/24k8.10.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Anton Starecek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Mag. Martin Reihs, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rehabilitationsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Februar 2024, GZ 9 Rs 11/24 i-14, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 8. November 2023, GZ 32 Cgs 63/23y-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00025.24K.1008.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Parteien haben die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, anhand welcher Bemessungsgrundlage das dem Kläger ab 1. September 2022gebührende Rehabilitationsgeld zu berechnen ist.

[2] Der Kläger war in der Zeit von 7. Juli 2012 bis 30. September 2021 in einem Möbelhaus beschäftigt. Im Zeitraum von 1. August 2021 bis 17. September 2021 hatte er Anspruch auf volles Entgelt; zwischen 18. September 2021 und 30. September 2021 bezog er halbes Krankengeld. Für den 1. Oktober 2021 hatte der Kläger Anspruch auf volles Entgelt (Urlaubsersatzleistung für einen Tag); an diesem Tag endete auch sein Entgeltanspruch gegenüber dem Dienstgeber. Im Anschluss daran bezog er bis 31. August 2022 zunächst Krankengeld, dann Übergangsgeld und erneut Krankengeld.

[3] Der Entgeltanspruch des Klägers betrug (jeweils brutto) im August 2021 5.190,64 EUR und in der Zeit von 1. September 2021 bis 17. September 2021 2.343,21 EUR.

[4] Mit Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 25. April 2023 wurde festgestellt, dass beim Kläger ab 1. September 2022 vorübergehende Berufsunfähigkeit vorliegt und er für deren Dauer Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat.

[5] Mit Bescheid vom 18. Juli 2023 wies die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Antrag des Klägers, ihm ein höheres Rehabilitationsgeld als (jeweils brutto täglich) 96,76 EUR für den Zeitraum von 1. September 2022 bis 31. Dezember 2022 und 102,37 EUR ab 1. Jänner 2023 zu gewähren, ab.

[6] Mit seiner Klage begehrt der Kläger, die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Zeit von 1. September 2022 bis 31. Dezember 2022 ein Rehabilitationsgeld von 121,46 EUR und ab 1. Jänner 2023 von 128,50 EUR brutto täglich zu zahlen. Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Rehabilitationsgeldes sei der Verdienst jenes Kalendermonats, der vor dem Zeitpunkt gelegen sei, zu dem der Anspruch auf volle Entgelt‑(fort‑)zahlung gegen den Dienstgeber geendet habe. Bei ihm sei das der 17. September 2021, sodass das Rehabilitationsgeld auf Grundlage des im Monat August 2021 gebührenden Entgelts von 5.190,64 EUR zu berechnen sei.

[7] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass der Kläger für den 1. Oktober 2021 eine Urlaubsersatzleistung erhalten habe. Erst damit habe der Anspruch auf volles Entgelt geendet, sodass der Verdienst des vorangegangenen Monats September 2021 die Bemessungsgrundlage bilde. Dass der Kläger nicht für den ganzen September 2021, sondern nur für 17 Tage Entgelt bezogen habe, ändere daran nichts, weil nach § 125 Abs 1 ASVG (iVm § 143a Abs 2, 141 Abs 1 und 2 ASVG) der Verdienst pro Kalendertag zu ermitteln sei. Der „nicht volle“ Entgeltanspruch wirke sich daher nur insoweit aus, als das bezogene Entgelt (von 2.343,21 EUR) durch die tatsächlichen (17) Tage des Bezugs zu dividieren sei.

[8] Das Erstgericht schloss sich der Ansicht der Beklagten an und wies die Klage ab.

[9] Das Berufungsgerichtverpflichtete die Beklagte hingegen, dem Kläger unter Einrechnung der bereits bezahlten Beträge Rehabilitationsgeld in der begehrten Höhe zu leisten. Nach § 125 Abs 1 iVm § 44 Abs 2 ASVG sei bei Bestimmung der Bemessungsgrundlage auf den Kalendermonat abzustellen, der dem Ende des vollen, also nicht durch Krankengeld geschmälerten Entgeltanspruchs vorangegangen sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des Erstgerichts sei das der Monat August 2021, weil der Beitragszeitraum September 2021 durch den Krankengeldbezug (ab 18. des Monats) geschmälert worden sei. Auf Grundlage des im August 2021 bezogenen Bruttoentgelts von 5.190,64 EUR errechne sich ein Rehabilitationsgeld von täglich 121,46 EUR ab 1. September 2021 und 128,50 EUR ab 1. Jänner 2023 (§ 108i ASVG).

[10] Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

[11] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt. Hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.

[12] In der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, welche Bemessungsgrundlage für das Rehabilitationsgeld heranzuziehen ist, wenn dem Ende des vollen Entgeltanspruchs kein Beitragszeitraum (von 30 Tagen; vgl § 44 Abs 2 ASVG) vorangeht, in dem durchgehend ein voller Entgeltanspruch bestand, noch nicht befasst hat. Sie ist auch berechtigt.

[14] 1. Gemäß § 143a Abs 2 Satz 1 ASVG gebührt Rehabilitationsgeld im Ausmaß jenes Krankengeldes nach § 141 Abs 1 und Abs 2 ASVG, das aus der letzten Erwerbstätigkeit gebührt hätte. Nach dem verwiesenen § 141 ASVG wird als gesetzliche Mindestleistung das Krankengeld im Ausmaß von 50 vH der Bemessungsgrundlage für den Kalendertag gewährt (Abs 1); ab dem 43. Tag einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung erhöht es sich auf 60 vH der Bemessungsgrundlage (Abs 2).

[15] 1.1. Bemessungsgrundlage für das Krankengeld ist gemäß § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG der für die Beitragsermittlung heranzuziehende und auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst (Bruttoentgelt), der dem/der Versicherten in jenem Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2 ASVG) gebührte, der dem Ende des vollen Entgeltanspruchs voranging.

[16] 1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung stellt § 125 Abs 1 ASVG daher für die Bemessungsgrundlage für das Krankengeld und damit auch für das Rehabilitationsgeld auf die letzte volle, also nicht durch Krankengeldbezug geschmälerte Beitragsgrundlage ab (10 ObS 134/23p Rz 5; 10 ObS 98/16h ErwGr 2.4.; Pöltner/Pacic, ASVG § 125 Anm 1 [747] ua).

[17] 2. Auch der Kläger geht (mittlerweile) davon aus, dass eine Urlaubsersatzleistung – als Abgeltung eines während des Dienstverhältnisses nicht verbrauchten Urlaubs in Geld – ein relevanter Arbeitsverdienst iSd § 125 Abs 1 ASVG ist. Seit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 (BGBl 1996/201) ist sie beitragspflichtiges Entgelt im sozialversicherungsrechtlichen Sinn (§ 49 Abs 1 ASVG), das aufgrund unselbständiger Erwerbstätigkeit gebührt und dessen Bezug gemäß § 11 Abs 2 ASVG zu einer Verlängerung der Pflichtversicherung über das Dienstverhältnis hinaus führt. Eine Urlaubsersatzleistung gilt demgemäß auch als Erwerbseinkommen iSd § 91 Abs 1 Z 1 ASVG und als Arbeitsverdienst iSd § 44 Abs 1 Z 1 ASVG, auch wenn die aus diesem Anspruchsgrund gebührenden Entgelte nicht während der unselbständigen Erwerbstätigkeit geleistet wurden (RS0107809; RS0110088; 10 ObS 159/21m Rz 16 ua).

[18] 3. Darauf aufbauend ist im Revisionsverfahren nicht strittig, dass die für den 1. Oktober 2021 bezogene Urlaubsersatzleistung der letzte volle Entgeltanspruch des Klägers iSd § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG war und dieser Zeitpunkt daher der Ausgangspunkt für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage ist.

[19] Unterschiedliche Standpunkte werden nur zur Frage vertreten, auf welchen vorangehenden Beitragszeitraum abzustellen ist: Während der Kläger und das Berufungsgericht davon ausgehen, dass es sich um einen „vollen“, also einen Beitragszeitraum handeln muss, in dem immer Anspruch auf volles Entgelt bzw 100%-ige Entgeltfortzahlung bestand, sind die Beklagte und das Erstgericht der Auffassung, dass der vorangegangene Kalendermonat (§ 44 Abs 2 ASVG) auch dann der maßgebliche Beitragzeitraum sei, wenn der Versicherte in diesem keinen durchgehenden (vollen) Entgeltanspruch hatte.

[20] 3.1. Der Oberste Gerichtshof hatte diese Frage bislang noch nicht zu beantworten, weil in vergleichbaren Konstellationen die Urlaubsersatzleistung, die den letzten vollen Entgeltanspruch bildete, stets mehr als einen ganzen Kalendermonat umfasste:

[21] Der Entscheidung zu 10 ObS 98/16h lag eine Urlaubsabfindung (§ 10 BUAG) für den Zeitraum von 23. Juli 2014 bis 5. September 2014 (für 45 Urlaubstage) zugrunde. Die dort zu entscheidende Frage war, ob die Urlaubsabfindung ein Arbeitsverdienst ist. Die Frage, welcher Beitragszeitraum konkret als Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist, wurde darin hingegen nicht thematisiert.

[22] Die Urlaubsersatzleistung zu 10 ObS 159/21m gebührte für die Zeit von 20. Jänner 2018 bis 4. März 2018 (44 Urlaubstage); die Bemessungsgrundlage bildete daher der „volle“ Beitragszeitraum Februar 2018.

[23] Nach dem Sachverhalt zu 10 ObS 134/23p erhielt der dortige Kläger für einen offenen Urlaub von 204 Stunden (also mehr als 5 Wochen) eine Urlaubsentschädigung über den (ganzen) Monat Oktober 2017 hinaus. Bemessungsgrundlage war das Entgelt des „vollen“ Beitragszeitraums Oktober 2017.

[24] 3.2. Stellungnahmen der Lehre, von welchem Beitragszeitraum bei Berechnung des Rehabilitationsgeldes in der vorliegenden Konstellation auszugehen ist, liegen ebenso wenig vor, wie zur (insofern vergleichbaren) Frage, wie das Krankengeld nach Erhalt einer Urlaubsersatzleistung und der damit einhergehenden Verlängerung der Pflichtversicherung bzw im Fall des (Rückersatzes infolge) Ruhens des Krankengeldanspruchs (§ 143 Abs 1 Z 3 ASVG) zu berechnen ist.

Vor diesem Hintergrund ist zu erwägen:

4. Die historische Entwicklung des § 125 Abs 1 ASVG stellt sich wie folgt dar:

[25] 4.1. Der hier interessierende erste Halbsatz des § 125 Abs 1 ASVG geht im Kern auf die 50. ASVG-Novelle, BGBl 1991/676, zurück, mit der die Wortfolge „in dem dem Versicherungsfall zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum“ durch die Wortfolge „in dem dem Ende des vollen Entgeltanspruchs zuletzt vorangegangenen Beitragszeitraum“ ersetzt wurde.

[26] Die Gesetzesmaterialien führen dazu aus, dass sich durch das Abstellen auf das im Beitragszeitraum vor der Erkrankung bezogene Entgelt eine während der Zeit der Entgeltfortzahlung eingetretene Lohn‑ oder Gehaltserhöhung nicht auf die Höhe des Krankengeldes auswirke, obwohl vom höheren Entgelt Sozialversicherungsbeiträge geleistet wurden. Um diese als ungerecht empfundene Rechtslage zu beseitigen, sollte § 125 Abs 1 ASVG dahingehend geändert werden, dass „die Bemessungsgrundlage auf das Ende jenes Beitragszeitraumes abstellt, in dem das letzte 'volle' (also nicht durch die Krankheit geschmälerte) Entgelt gezahlt wird“ (ErläutRV 284 BlgNR 18. GP  29). Erklärtermaßen sollte damit also der für die Ermittlung der Höhe des Krankengeldes maßgebliche Beitragszeitraum (iSd § 44 Abs 2 ASVG) möglichst nahe an den Bezugsbeginn herangerückt werden, um so das Krankengeld an das zuletzt erzielte Einkommen anzugleichen.

[27] 4.2. Mit dem SV-WUBG, BGBl I 2001/67, wurde im novellierten § 125 Abs 1 ASVG für die Bemessungsgrundlage auf den „Arbeitsverdienst, der dem (der) Versicherten im letzten vollen Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2) vor dem Erlöschen dieses Anspruchs gebührte“, abgestellt.

[28] 4.3. Mit der 59. ASVG-Novelle (BGBl I 2002/1) wurde § 125 Abs 1 ASVG insofern abgeändert, als wieder auf den „Arbeitsverdienst, der […] in jenem Beitragszeitraum (§ 44 Abs 2) gebührte, der dem Ende des vollen Entgeltanspruches voranging“ abgestellt wurde. Damit sollte „klargestellt werden, welcher Beitragszeitraum für die Bemessung des Krankengeldes maßgeblich ist (nämlich derjenige, der dem Beitragszeitraum vorangeht, in dem der volle Entgeltanspruch endet)“ (ErläutRV 834 BlgNR 21. GP  4). Warum nicht mehr auf den „vollen“ Beitragszeitraum abgestellt wurde, erläuterte der Gesetzgeber nicht.

[29] Schließlich wurde mit der 60. ASVG-Novelle (BGBl I 2002/140) der Ausdruck „Arbeitsverdienst“ durch den Ausdruck „für die Beitragsermittlung heranzuziehende und auf einen Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst“ rückwirkend ersetzt, um zusätzlich klarzustellen, dass „der Arbeitsverdienst nur so weit für die Bemessung des Krankengeldes heranzuziehen ist, als er beitragsrelevant ist (Begrenzung mit der Höchstbeitragsgrundlage), und diese Bemessung mit einem sich aus der Aliquotierung des monatlichen Arbeitsverdienstes ergebenden Tageswert zu erfolgen hat“ (ErläutRV 1183 BlgNR 21. GP  24).

[30] Mit Inkrafttreten dieser beiden ASVG-Novellen (mit 1. Jänner 2002) erhielt § 125 Abs 1 erster Halbsatz ASVG seine im Wesentlichen bis heute geltende Fassung.

[31] 5. Nach dem Wortlaut des § 125 Abs 1 ASVG kommt es auf den „vollen Entgeltanspruch“ nur insoweit an, als dessen Ende in zeitlicher Hinsicht den Ausgangspunkt für die Ermittlung des für die Bemessungsgrundlage maßgeblichen Beitragszeitraums bildet. Eine Unterscheidung zwischen „vollen“ und „nicht vollen“ Beitragszeiträumen ist dem Gesetz dagegen nicht (mehr) zu entnehmen. Anderes ergibt sich auch aus dem Verweis auf § 44 Abs 2 ASVG nicht, weil damit nur die Dauer des relevanten Beitragszeitraums legal definiert wird, wohingegen nach § 125 Abs 1 ASVG der auf einen Kalendertag fallende Arbeitsverdienst maßgeblich ist. Der Wortlaut des § 125 Abs 1 ASVG stellt damit bloß darauf ab, dass im relevanten Beitragszeitraum ein Arbeitsverdienst erzielt wurde, fordert aber nicht, dass dieser für den ganzen Kalendermonat zustand. Wie § 125 Abs 1 vorletzter Satz und Abs 1b ASVG zeigen, ist dem Gesetz eine „untermonatige“ Berechnung auch nicht fremd.

[32] 6. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Einschränkung des § 125 Abs 1 ASVG auf den letzten „vollen“ Beitragszeitraum ließe sich daher nur durch eine teleologische Reduktion erzielen (vgl RS0008979). Die dafür notwendige Voraussetzung eines klar in eine bestimmte Richtung weisenden Gesetzeszwecks, an dem sich die letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende Auslegung orientieren soll (RS0106113 [T3] ua), ist hier aber nicht zu erkennen.

[33] 6.1. Primäre Funktion des Rehabilitationsgeldes ist es, den durch die Arbeitsunfähigkeit erlittenen Entgeltverlust wenigstens teilweise zu ersetzen und eine finanzielle Absicherung während der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten (10 ObS 129/21z Rz 17; 10 ObS 147/20w Rz 19 ua). Dieses Ziel wird zwar am ehesten erreicht, wenn der Berechnung des Rehabilitationsgeldes ein „voller“ Beitragszeitraum zugrunde liegt und dieser überdies dem Ende des vollen Entgeltanspruchs unmittelbar vorangeht. Dieser Idealfall ist aber nicht die Regel. Im Gegenteil liegt der „volle“ Beitragszeitraum – was der vorliegende Fall plakativ zeigt – in vielen Fällen (viel) weiter zurück. In dieser Situation bildet das zuletzt, wenn auch nicht während des gesamten (dem Ende des vollen Entgeltanspruchs) vorangehenden Beitragszeitraums erzielte Einkommen den tatsächlichen Einkommensausfall besser ab als ein allenfalls sogar Jahre zurückliegender Verdienst. Die Berechnung des Rehabilitationsgeldes auf einer zeitlich aktuellen Basis führt auch eher zu einer Bedarfsdeckung, die sich am zuletzt zur Verfügung stehenden Einkommen orientiert. Der Zweck des Rehabilitationsgeldes gebietet es daher nicht unbedingt, auf einen „vollen“ Beitragszeitraum abzustellen.

[34] 6.2. Das Rehabilitationsgeld anhand eines lange zurückliegenden Beitragszeitraums zu berechnen, widerspricht auch der klar formulierten Intention des Gesetzgebers, dafür ein möglichst zeitnah bezogenes Entgelt heranzuziehen, von dem auch Sozialversicherungsbeiträge geleistet wurden. Dazu kommt, dass dem Gesetzgeber die Praxis der Beklagten (bzw der Gebietskrankenkasse), das Rehabilitationsgeld „untermonatig“ zu berechnen, schon seit geraumer Zeit bekannt ist (vgl Bericht des Rechnungshofes Invaliditätspension Neu, 2017/33 [28 f] und die Follow-up Überprüfung, 2020/31 [18 f]), ohne dass er dies zum Anlass für eine Gesetzesänderung genommen hat.

[35] 6.3. Letztlich ist vor dem Hintergrund der Genese des § 125 Abs 1 ASVG auch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der 59. ASVG-Novelle bewusst nicht (mehr) auf „volle“ Beitragszeiträume abgestellt hat.

7. Als Ergebnis lässt sich daher folgender Rechtssatz formulieren:

[36] Der nach § 125 Abs 1 Satz 1 ASVG heranzuziehende Beitragszeitraum (der gemäß § 44 Abs 2 ASVG mit 30 Tagen anzunehmende Kalendermonat) ist auch dann der unmittelbar dem Ende des vollen Entgeltanspruchs vorangegangene Kalendermonat, wenn in diesem Monat zwar mindestens an einem, aber nicht an allen Tagen Anspruch auf volle Entgelt‑(fort‑)zahlung bestand.

[37] 8. Darauf aufbauend hat das Erstgericht das Rehabilitationsgeld zu Recht auf Basis des auf einen (der 17) Kalendertag(e) entfallenden Arbeitsverdiensts des Klägers im September 2021 berechnet. Dass ihm auf dieser Grundlage kein höheres als das schon gewährte Rehabilitationsgeld zusteht, bestreitet der Kläger nicht.

[38] Ob und wie ein „untermonatiger“ Verdienst – wie das die Beklagte in der Revision andeutet – iSd § 44 Abs 2 ASVG auf 30 Tage „aufzurechnen“ ist, muss hier nicht entschieden werden, weil der maßgebliche Bezugszeitraum September 2021 nur 30 Tage hat.

[39] Das Ersturteil ist daher in Stattgabe der Revision wiederherzustellen.

[40] 9. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens – im bisherigen Verfahren wurden keine Kosten verzeichnet – beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Zwar entspricht es der Billigkeit, dem unterlegenen Versicherten die Hälfte der Kosten seiner Rechtsvertretung zuzuerkennen, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt (RS0085871). Ein Kostenzuspruch kommt hier aber nicht in Betracht, weil aus der Aktenlage keine Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Klägers ersichtlich sind, die einen Kostenzuspruch rechtfertigen könnten.

[41] Die Beklagte hat ihre Kosten jedenfalls selbst zu tragen (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG).

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