European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00125.24I.0911.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei und der zweitbeklagten Partei jeweils die mit 1.333,25 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der in Österreich wohnhafte Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 3. Februar 2021 von einem in Deutschland ansässigen (vormals drittbeklagten) Verkäufer ein Wohnmobil um einen Gesamtkaufpreis von 46.800 EUR. Die in Italien ansässige Erstbeklagte ist Herstellerin des Basisfahrgestells der Marke Fiat, die ebenfalls in Italien ansässige Zweitbeklagte hat den Motor hergestellt. Das Wohnmobil wurde dem Kläger am Sitz des Verkäufers in Deutschland übergeben.
[2] Der Kläger begehrt von den Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes zur ungeteilten Hand den Betrag von 14.040 EUR sA sowie die Feststellung ihrer Haftung für sämtliche Schäden „aus der Manipulation“ des Fahrzeugs, in dem eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Zur internationalen Zuständigkeit beruft er sich, soweit in dritter Instanz noch von Interesse, auf Art 7 Nr 2 und auf Art 17 EuGVVO 2012. Beim Typenschein bzw dem COC-Papier handle es sich um eine Garantie iSd § 9b KSchG, die zwischen den Parteien eine Sonderbeziehung begründe.
[3] Die Beklagten erhoben die Einrede der internationalen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts. Zwischen den Streitteilen bestehe kein Vertragsverhältnis, weshalb der Verbrauchergerichtsstand nach Art 17 EuGVVO 2012 ausscheide. Der Erfolgsort nach Art 7 Abs 2 EuGVVO 2012 knüpfe nicht an den Ort der Kaufpreisleistung, sondern an jenen der Übergabe des Fahrzeugs an.
[4] Das Erstgericht wies die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück.
[5] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Eine Anknüpfung der internationalen Zuständigkeit an Art 17 EuGVVO 2012 scheide mangels Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und den Beklagten aus. Der EuGH habe jüngst in seiner Entscheidung vom 22. Februar 2024, C‑81/23 , ausgesprochen, dass der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs iSd Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 jener der Übergabe des Fahrzeugs sei, während der Ort des Kaufvertragsabschlusses nicht ausschlaggebend sei. Das schädigende Ereignis sei somit in Deutschland eingetreten. Dass der Kläger den Kaufpreis zuvor von seinem bei einer österreichischen Bank geführten Konto an den Verkäufer überwiesen habe, sei ohne Bedeutung.
[6] Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil bisher Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur – durch den EuGH zu C‑81/23 geklärten – Frage des Orts der Verwirklichung des Schadenserfolgs fehle.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Revisionsrekurs des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
1. Zu Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012
[8] 1.1. Das Fehlen von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer Frage des Unionsrechts begründet für sich allein noch keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung. Bei unbestimmten Gesetzesbegriffen reicht es aus, wenn sich aus der Rechtsprechung des EuGH Leitlinien zu deren Auslegung ergeben. Die Anwendung dieser Leitlinien auf den Einzelfall kann in weiterer Folge – wie auch in rein nationalen Fällen, in denen die Leitfunktion dem Obersten Gerichtshof zukommt – nur dann eine erhebliche Rechtsfrage begründen, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat, also eine gravierende Fehlbeurteilung vorliegt (vgl RS0117100; 9 Ob 75/22b).
[9] 1.2. Solche Leitlinien sind im vorliegenden Fall der vom Rekursgericht zitierten Vorabentscheidung des EuGH vom 22. Februar 2024, C‑81/23 , FCA Italy und FPT Industrial, zu entnehmen, in der in Beantwortung des zu 3 Ob 206/22y gestellten Vorabentscheidungsersuchens Folgendes ausgeführt wurde:
„Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 ist dahin auszulegen, dass sich in einem Fall, in dem ein Fahrzeug, das von seinem Hersteller in einem ersten Mitgliedstaat mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden sein soll, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, Gegenstand eines in einem zweiten Mitgliedstaat abgeschlossenen Kaufvertrags war und dem Erwerber in einem dritten Mitgliedstaat übergeben wurde, der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinn dieser Bestimmung im letztgenannten Mitgliedstaat befindet.“
[10] 1.3. Abgesehen davon, dass das Rekursgericht von den Leitlinien dieser Vorabentscheidung nicht abgewichen ist, hat der Oberste Gerichtshof ohnehin bereits zu 3 Ob 46/24x und zu 3 Ob 47/24v festgehalten, dass es in einer Konstellation wie der hier zu beurteilenden für die internationale Zuständigkeit nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 (nur) auf den – hier in Deutschland liegenden – Ort ankommt, an dem das Fahrzeug an den Endabnehmer übergeben wurde.
[11] 1.4. Dass der Kläger den Kaufpreis zuvor von seinem bei einer österreichischen Bank geführten Konto an den Verkäufer überwiesen hat, ist in der vorliegenden Konstellation ebenfalls ohne Bedeutung, weil es hier – anders als etwa in dem der Vorabentscheidung des EuGH vom 12. September 2018, C‑304/17 , Löber, zugrunde liegenden Fall einer auf Prospekthaftung gestützten Klage gegen den Emittenten – nicht um einen bereits unmittelbar mit der Tätigung einer Überweisung vom Bankkonto des Anlegers verwirklichten Schaden geht, sondern um den Erwerb einer mangelhaften körperlichen Sache (3 Ob 24/21g).
[12] 1.5. Auf die vom Kläger vermisste Feststellung, wonach der Kaufpreis für das Fahrzeug von seinem österreichischen Konto überwiesen worden sei und hier auch die österreichische USt und die NOVA bezahlt worden seien, kommt es daher nicht an.
2. Zu Art 17 EuGVVO 2012
[13] 2.1. Deliktische Ansprüche fallen nicht unter Art 17 EuGVVO 2012. Voraussetzung für die Anwendung des Verbrauchergerichtsstands ist vielmehr eine vertragliche Beziehung zwischen den Streitteilen. Dafür ist eine direkte Beziehung erforderlich (6 Ob 18/17s = RS0131536).
[14] 2.2. Der Kläger setzt sich in seinem Revisionsrekurs mit der Argumentation des Rekursgerichts, wonach keine Vertragsbeziehung zwischen den Parteien bestehe und die Ausstellung eines Typenscheins oder COC‑Papiers keinen Garantievertrag begründe, weil in diesen Papieren lediglich technische Daten festgehalten würden und durch ihre Ausstellung keine Verpflichtung entstehe, die mit dem zwischen dem Kläger und dem Fahrzeugverkäufer (der vormaligen Drittbeklagten) geschlossenen Vertrag in Zusammenhang stünde, inhaltlich überhaupt nicht auseinander und vermag schon deshalb auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.
[15] 3. Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.
[16] Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen. Zuzusprechen war allerdings nur der Nettobetrag, weil Leistungen eines österreichischen Rechtsanwaltes für einen ausländischen Unternehmer nicht der österreichischen Umsatzsteuer unterliegen und die Höhe des (nicht gerichtsbekannten, mit 22 % verzeichneten) italienischen Umsatzsteuersatzes nicht bescheinigt wurde (vgl RS0114955).
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