OGH 1Ob101/24w

OGH1Ob101/24w24.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin E* A*, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner DI (FH) R* A*, vertreten durch Mag. Gerold A. Rauscher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse (hier wegen Wiedereinsetzung), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24. April 2024, GZ 43 R 192/24i‑322, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00101.24W.0724.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzung des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Auch wenn die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 21 AußStrG iVm § 148 Abs 2 Satz 2 ZPO grundsätzlich mit dem Tag beginnt, an dem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist, entspricht es doch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Frist bei einer irrtumsbedingten Säumnis bereits mit dessen möglicher Aufklärung beginnt, sofern diese durch auffallende Sorglosigkeit unterblieben ist (RS0036608; RS0036742). Grobes Verschulden des Parteienvertreters ist der Partei zuzurechnen (RS0036729; RS0111777). Die Beurteilung, ob leichte Fahrlässigkeit oder eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, bildet regelmäßig keine im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage, weil sie – so auch im vorliegenden Fall – von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt (RS0036742 [T2]).

[2] 2. Der erstinstanzliche Aufteilungsbeschluss wurde der Rechtsvertreterin der Antragstellerin (richtig:) am 8. 8. 2023 zugestellt. Die primär für die Fristeintragung zuständige Mitarbeiterin der Rechtsvertreterin trug das Ende der Rekursfrist für den 31. 8. 2023 ein, weil sie übersah, dass § 222 ZPO im Außerstreitverfahren keine Anwendung findet. Aufgrund der urlaubsbedingten Abwesenheit der Rechtsvertreterin erfolgte keine Kontrolle dieser Fristeintragung. Die Rechtsvertreterin der Antragstellerin verfasste am Wochenende vom 25. 8. bis 27. 8. 2023 den Rekurs und kontrollierte nicht dessen Rechtzeitigkeit. Die Antragstellerin erhob den Rekurs am 28. 8. 2023. Ihre Rechtsvertreterin behauptete im Wiedereinsetzungsantrag der Antragstellerin vom 15. 1. 2024, den sie erst nach Zurückweisung des gemäß § 46 Abs 1 AußStrG verspäteten Rekurses durch das Rekursgericht einbrachte, dass sie sich aufgrund der langjährigen Zuverlässigkeit ihrer Mitarbeiterin „vollständig“ auf die Ausführung des Rekurses und „nicht auf die Korrektheit der Fristenberechnung“ konzentriert habe.

[3] Bei der Bearbeitung eines Rechtsmittels muss eine Rechtsanwältin aber selbst prüfen, ob die Rechtsmittelfrist möglicherweise bereits verstrichen ist oder wann diese endet (1 Ob 26/12y; 1 Ob 213/17f; vgl auch 3 Ob 34/05d; 1 Ob 77/05p; 7 Ob 62/07d [Punkt 1.]; 10 ObS 37/23y [Rz 13]). Wenn nun die Rechtsvertreterin der Antragstellerin die Rechtzeitigkeit des Rekurses überhaupt keiner eigenen Überprüfung unterzogen hat, liegt in der Beurteilung der Vorinstanzen, ein solches Verhalten sei auffallend sorglos, keinesfalls eine zu korrigierende Fehlbeurteilung (vgl RS0036590 [T1, T2, T4]). Dem Argument der Antragstellerin im Revisionsrekurs, ihrer Rechtsvertreterin wäre nicht zumutbar gewesen, „erneut“ die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels zu prüfen, ist entgegenzuhalten, dass diese die Rechtzeitigkeit überhaupt nicht geprüft hat, sondern die Fristberechnung allein ihrer Kanzleiangestellten überlassen hat. Hat die Rechtsvertreterin eine derart einfache Kontrollmaßnahme unterlassen, ist aber ihr (der Antragstellerin zuzurechnendes) Verhalten – entsprechend der Beurteilung der Vorinstanzen – als über ein leichtes Versehen hinausgehende Fahrlässigkeit zu qualifizieren.

[4] 3. Darauf, ob die Antragstellerin nachfolgend nicht die Kenntnis von der Verspätung des Rekurses durch dessen Zurückweisung abwarten hätte dürfen, sondern bereits zuvor nach der Zustellung der Rekursbeantwortung des Antragsgegners, in der dieser auf die Verspätung desRekurses hingewiesen hatte, den Wiedereinsetzungsantrag stellen hätte müssen, braucht daher nicht mehr eingegangen werden.

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