OGH 10Ob30/24w

OGH10Ob30/24w9.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner‑Friedl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch die Laback Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei F*, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 57.912,54 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. März 2024, GZ 12 R 144/23v‑22, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 7. August 2023, GZ 19 Cg 15/23z‑16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00030.24W.0709.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.697,72 EUR (darin 449,62 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte verfügt weder über eine Konzession im Sinn des § 14 GSpG noch im Sinn des § 21 GSpG und ist auch nicht zu Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten im Sinn des § 5 GSpG befugt.

[2] Die Klägerin spielte auf der von der Beklagten betriebenen Webseite * von 2012 bis 2022 Online-Spiele und tätigte Einzahlungen von insgesamt 58.165,48 EUR. Die bei diesen Spielen gewonnenen „*“ können nicht in Geld oder Sachwerten eingetauscht, sondern nur für weitere Spiele eingesetzt werden. Es gibt keine Möglichkeit und keinen (Transfer-)Markt zum Verkauf der „*“.

[3] Das Erstgericht wies das auf (Rück‑)Zahlung von (zuletzt) 57.912,54 EUR sA gerichtete Klagebegehren ab.

[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die bloße Möglichkeit, Freispiele bzw eine unentgeltliche Weiterspieloption zu erhalten, stelle keinen Gewinn im Sinn des § 2 Abs 1 Z 3 GSpG dar, sodass keine Ausspielung vorliege. Aus den Feststellungen folge, dass die Spiele zum Zeitvertreib und zur Unterhaltung gespielt würden. Aus diesem Grund sei auch die strafrechtliche Glücksspieldefinition nicht erfüllt. Dass es sich bei den Spielen der Beklagten um (solche zur Zusammenrechnung der jeweiligen Einsätze der Einzelspiele führenden) Serienspiele handle, sei von der Klägerin in erster Instanz nicht behauptet worden, sodass das diesbezügliche Berufungsvorbringen gegen das Neuerungsverbot verstoße.

[5] Die Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, ob es sich bei einem „Freispiel“ um einen Gewinn im Sinn des § 2 Abs 1 GSpG handle.

[6] Dagegen richtet sich die Revisionder Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Stattgabe des Klagebegehrens, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortungdie Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die Revision der Klägerin ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508 Abs 1 ZPO) Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[9] 1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt betont, dass er bei der Auslegung von Rechtsmaterien, die nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallen, keine Leitfunktion hat (RS0116438; RS0113455 [T3]). Das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Bestimmungen des Verwaltungsrechts begründet für sich allein keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (vgl RS0123321). Löst das Berufungsgericht eine verwaltungsrechtliche Vorfrage im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs oder – bei Fehlen einer solchen – der in der Literatur herrschenden Ansicht, liegt daher keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO vor (Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 502 ZPO Rz 67; vgl auch G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO‑ON § 502 ZPO Rz 32 [Stand 9. 10. 2023, rdb.at]).

[10] 1.1. Der Verwaltungsgerichtshof verneinte in seiner (älteren) Rechtsprechung das Vorliegen einer Ausspielung mit der Begründung, dass die bloße Möglichkeit des (unentgeltlichen) „Weiterspielens“ in Form von gewährten Freispielen keine Gegenleistung im Sinn des § 2 Abs 1 GSpG darstelle (VwGH 10. 11. 1980, 571/80; 3. 4. 1979, 1945/78). Die GSpG‑Novelle 2008 änderte § 2 Abs 1 GSpG – soweit hier von Relevanz – dahin, dass seither anstatt auf eine vermögensrechtlichen Gegenleistung auf eine vermögenswerte Leistung (Gewinn) abgestellt wird. Damit sollte der Begriff der Ausspielung (lediglich) übersichtlicher und klarergefasst werden (ErläutRV 658 BlgNR 24. GP  5), sodass keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, warum für die geltende Rechtslage von dem in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erzielten Auslegungsergebnis abzugehen wäre. Auch die herrschende Literatur sieht in der bloßen Möglichkeit, (nicht ablösbare) Freispiele bzw eine unentgeltliche Weiterspieloption zu erhalten, keinen Gewinn im Sinn des § 2 Abs 1 Z 3 GSpG (Rapani/Kotanko in Zillner, Kommentar zum Glücksspielgesetz und ausgewählte Fragen des Wettenrechts [2021] § 2 GSpG Rz 32; Strejcek/Bresich, Glücksspielgesetz – GSpG 1989 [2011] § 2 GSpG Rz 15; zur alten Rechtslage bereits Schwartz/Wohlfahrt, Glücksspielgesetz und die wichtigsten Spielbedingungen2 [2006] § 2 Rz 12; Erlacher, Glücksspielgesetz2 [1997] 13).

[11] 1.2. Die Klägerin geht auf die entsprechend begründete Argumentation des Berufungsgerichts, wonach im vorliegenden Fall kein Gewinn im Sinn des § 2 Abs 1 Z 3 GSpG vorliege, auch überhaupt nicht ein. Sie erschöpft sich vielmehr in einem Verweis auf eine (ausdrücklich nicht § 2 Abs 1 GSpG, sondern nur) § 168 StGB betreffende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Strafsachen (12 Os 49/02), sodass sie im Zusammenhang mit der Beurteilung des Begriffs der Ausspielung im Sinn des § 2 Abs 1 GSpG keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.

[12] 2. Das Berufungsgericht legte die getroffenen Feststellungen dahin aus, dass es sich bei den Spielen der Beklagten um solche zum Zeitvertreib und zur Unterhaltung handle. Das überschreitet den ihm dabei zukommenden Beurteilungsspielraum (RS0118891) schon deswegen nicht, weil die Nutzung eines möglichen Spielergebnisses auf (nur vom jeweiligen Spieler nutzbare) Freispiele beschränkt ist. Soweit die Klägerin den Revisionsausführungen andere tatsächliche Umstände (etwa ein Gewinnstreben der Klägerin) zugrunde legt, geht sie somit nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, sodass die Rechtsrüge insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (RS0043312).

[13] 3. Die Klägerin macht in der Revision außerdem geltend, dass die Ausnahme aus dem Glücksspielmonopol nach § 4 Abs 1 GSpG nicht erfüllt sei, weil sie nicht nur um geringe Beträge gespielt habe.

[14] 3.1. Dabei wendet sich nicht gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die jeweiligen Einsätze (pro Spiel) im vorliegenden Fall (von im Schnitt knapp über einem Cent) als geringe Beträge anzusehen seien, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

[15] 3.2. Die Klägerin steht vielmehr auf dem Standpunkt, dass die Beträge pro Einzelspiel zusammenzurechnen seien, weil von der Beklagten Rahmenbedingungen geschaffen worden seien, die ein Serienspiel sowohl auf Veranstalterseite als auch auf Spielerseite objektiv sicher und auch so gewollt erscheinen hätten lassen. Sie stützt sich insofern auf die – zu § 168 StGB ergangene – Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 12 Os 49/02, wonach im Allgemeinen zwar die Höhe des jeweiligen Einsatzes am Einzelspiel maßgeblich sei, dies aber dann nicht gelte, wenn vom Spielveranstalter Rahmenbedingungen geschaffen worden seien, die insgesamt ein Serienspiel sowohl auf Veranstalter- als auch auf Spielerseite als objektiv sicher und auch so gewollt erscheinen lasse, etwa dadurch, dass am Spielautomaten für die Höhe des Einzeleinsatzes zugunsten von Beträgen außerhalb der Geringfügigkeitsgrenze nicht einmal eine Einwurfsmöglichkeit vorgesehen sei (vgl auch RS0094788; RS0094719; kritisch zu dieser Rechtsprechung Kirchbacher/Ifsits in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 168 Rz 13).

[16] Die Wiedergabe mehrerer Feststellungen in der Revision zeigt aber nicht nachvollziehbar auf, warum diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall – entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts – erfüllt sein sollen. Die aus diesen Feststellungen ableitbare Möglichkeit wiederholten Spielens (und Anwachsens des Verlusts) genügt nach der Rechtsprechung zu § 168 StGB für eine Zusammenrechnung der Einzeleinsätze noch nicht (10 Os 25/83). Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang Feststellungen vermisst, legt sie nicht offen, zu welchem – bereits in erster Instanz erstattetem (RS0053317) – Vorbringen sie welche konkreten Feststellungen vermisst.

[17] Eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zeigt die Revision somit auch insofern nicht auf, sodass sich die Frage, ob und inwiefern die in der Revision zitierte Rechtsprechung zur Auslegung des § 168 StGB überhaupt auf § 4 Abs 1 GSpG übertragbar ist, ebenso wenig stellt.

[18] 4. Soweit die Klägerin eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens darin sieht, dass das Berufungsgericht den das Serienspiel betreffenden Berufungsausführungen das Neuerungsverbot entgegen hielt, liegt eine solche nicht vor.

[19] 4.1. Bei den diesbezüglichen Berufungsausführungen handelte es sich – entgegen dem Standpunkt der Klägerin – nicht nur um eine bloße Änderung der rechtlichen Argumentation in der Berufung, die nach der Rechtsprechung unter Umständen zulässig sein kann (RS0016473). Bei den in der Berufung für eine Zusammenrechnung der (jeweils geringen) Einsätze der Einzelspiele ins Treffen geführten Rahmenbedingungen handelte es sich um tatsächliche Umstände, die dem Vorbringen der Klägerin in erster Instanz nicht zu entnehmen sind. Insoweit ist der vom Berufungsgericht angenommene Verstoß gegen das Neuerungsverbot somit nicht zu beanstanden (RS0016473 [T10, T13]).

[20] 4.2. Die Beachtung des Neuerungsverbots durch das Berufungsgericht kann für sich genommen auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung darstellen. Ein Verfahrensmangel könnte höchstens in der Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts liegen. Die Beklagte hat sich aber bereits im Verfahren erster Instanz ausdrücklich auf die Maßgeblichkeit der geringen Beiträge pro Spiel gestützt und das Erstgericht legte seiner abweisenden Entscheidung gleichermaßen die jeweiligen geringen Beträge der Einzelspiele zugrunde. Eine allfällige Verletzung der materiellen Prozessleitungspflicht durch das Erstgericht (weil es der Klägerin keine Gelegenheit zur Erstattung eines ausreichenden, die Zusammenrechnung der Einzelbeträge rechtfertigenden Vorbringens bot) kann vom Obersten Gerichtshof nicht wahrgenommen werden, wenn ein solcher Verfahrensmangel – wie hier – in der Berufung nicht gerügt wurde (RS0037325 [T1]; RS0043111). Die Nichtberücksichtigung eines ungerügt gebliebenen (vermeintlichen) erstinstanzlichen Verfahrensfehlers durch das Gericht zweiter Instanz bildet auch keinen Mangel des Berufungsverfahrens, weil das Berufungsgericht Verfahrensmängel nicht von Amts wegen aufgreifen darf (RS0037325 [T3]).

[21] 5. Soweit die Klägerin dem Berufungsgericht schließlich vorwirft, nicht geprüft zu haben, ob ein Glücksspiel im Sinn des § 168 StGB vorliege, trifft dies nicht zu. Tatsächlich gelangte das Berufungsgericht zum Ergebnis, dass die Spiele der Beklagten von der Klägerin bloß zum Zeitvertreib und um geringe Beträge gespielt wurden, und verneinte schon aus diesem Grund ein mit Strafe bedrohtes Glücksspiel im Sinn des § 168 StGB. Angesichts des klaren Wortlauts dieses Straftatbestands, der bloß zum Zeitvertreib und um geringe Beträge gespielte Glücksspiele seinem Anwendungsbereich generell entzieht, kommt es auf die in der Revision thematisierten weiteren Voraussetzungen dieses Straftatbestands nicht entscheidend an.

[22] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, das Revisionsinteresse betrug jedoch nur 57.912,54 EUR.

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