OGH 2Ob96/24t

OGH2Ob96/24t25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am * 2017 verstorbenen S*, über die Revisionsrekurse 1. des Hon.‑Prof. Dr. Gernot Murko, Rechtsanwalt, Klagenfurt am Wörthersee, Herrengasse 6, als Masseverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Verlassenschaft nach dem am * 2017 verstorbenen S*, AZ *, und 2. des Sohnes I*, vertreten durch Dr. Georg Birkner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 15. Februar 2024, GZ 1 R 365/23f, 1 R 366/23b‑278, womit ein Rekurs des Masseverwalters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 14. Dezember 2021, GZ 1 A 202/17w‑215, zurückgewiesen wurde und der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 27. September 2023, GZ 1 A 202/17w‑269, über Rekurs des Masseverwalters abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00096.24T.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren, Insolvenzrecht, Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung aus anderen Gründen

 

Spruch:

I. Der Revisionsrekurs des Sohnes wird zurückgewiesen.

Die Revisionsrekursbeantwortung des Masseverwalters zum Revisionsrekurs des Sohnes (ON 283) wird zurückgewiesen.

II. Der Revisionsrekurs des Masseverwalters wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der 2017 verstorbene Erblasser hatte vier leibliche Kinder und eine Adoptivtochter. Mit letztwilliger Verfügung vom 29. März 2005 setzte er seine Adoptivtochter zur Alleinerbin ein und enterbte den nunmehr als Revisionsrekurswerber auftretenden älteren Sohn (in der Folge nur: Sohn). Die Adoptivtochter (in der Folge nur: Erbin) gab eine bedingte Erbantrittserklärung zum gesamten Nachlass ab. Der Sohn meldete im Insolvenzverfahren eine (als anerkannt geltende) Forderung gegen die Verlassenschaft an.

[2] Nach dem berichtigten Inventar vom 29. November 2021 ist die Verlassenschaft mit rund 2,5 Mio EUR überschuldet. Nach Inventarerrichtung gestellte Anträge der Erbin auf „Berichtigung bzw Ergänzung des Inventars“ blieben unbehandelt.

[3] Mit gesondert ausgefertigten Beschlüssen vom 14. Dezember 2021 bestimmte das Erstgericht (a) die Entschädigung des Verlassenschaftskurators sowie (b) jene des Kollisionskurators. Am selben Tag antwortete das Erstgericht der Erbin den Nachlass zur Gänze ein (erster angefochtener Beschluss). Die Zustellung dieser Entscheidungen erfolgte ab dem 16. Dezember 2021.

[4] Am 29. Dezember 2021 erhob die Erbin Rekurse gegen sämtliche am 14. Dezember 2021 erlassenen Beschlüsse.

[5] Mit am selben Tag in der Ediktsdatei kundgemachtem Beschluss vom 29. Dezember 2021 eröffnete das Landesgericht Klagenfurt das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Verlassenschaft.

[6] Einen gesonderten Beschluss über die Unterbrechung des Verlassenschaftsverfahrens in Folge Eröffnung des Insolvenzverfahrens fasste das Erstgericht nicht, es wies in der Begründung eines am 14. Februar 2022 gefassten Beschlusses aber darauf hin, dass das Verlassenschaftsverfahren ex lege unterbrochen sei.

[7] Das Rekursgericht stellte die ihm zur Entscheidung über die Rekurse der Erbin vorgelegten Akten dem Erstgericht zurück.

[8] Im Sommer 2023 stellten der Sohn und der Kurator Anträge auf Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens. Der Sohn erhob außerdem Rekurse gegen die Beschlüsse auf Festsetzung der Entschädigung des Kollisions- und Verlassenschaftskurators.

[9] Der Masseverwalter und die Erbin erstatteten Äußerungen zum Fortsetzungsantrag des Sohnes, in denen sie eine Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens nur im Hinblick auf die Bestimmung der Entschädigung des Kurators, nicht aber in einem darüber hinaus gehenden Umfang befürworteten.

[10] Mit Beschluss vom 27. September 2023 setzte das Erstgericht das Verlassenschaftsverfahren (zur Gänze) fort (zweiter angefochtener Beschluss). Dieser Beschluss wurde dem Sohn, der Erbin und dem Masseverwalter am 2. Oktober 2023 zugestellt.

[11] Der Masseverwalter erhob am 12. Oktober 2023 Rekurs gegen den Einantwortungsbeschluss und den Beschluss über die Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens, wobei er die Fortsetzung im Hinblick auf die Festsetzung der Entschädigung des Kurators ausdrücklich unangefochten ließ.

[12] Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Rekursgericht den Rekurs des Masseverwalters gegen den Einantwortungsbeschluss zurück und gab dessen Rekurs gegen den Fortsetzungsbeschluss dahin Folge, dass es – unter Aufrechterhaltung der in Rechtskraft erwachsenen Fortsetzung des Verfahrens über die Entschädigung des Kurators – den Antrag des Sohnes auf Fortsetzung des gesamten Verlassenschaftsverfahrens im verbliebenen Umfang zurückwies. Die vom Sohn erstattete Rekursbeantwortung wies es ebenfalls zurück.

[13] Dem Masseverwalter fehle es an der Rechtsmittellegitimation zur Bekämpfung des Einantwortungsbeschlusses. Zwar sei der Masseverwalter im Verlassenschaftsinsolvenzverfahren grundsätzlich berechtigt, gegen Beschlüsse des Abhandlungsgerichts Rekurs zu erheben. Allerdings werde im vorliegenden Fall in die rechtliche Position der Insolvenzmasse durch die vor Insolvenzeröffnung erfolgte Einantwortung nicht eingegriffen, sondern erst durch den Fortsetzungsbeschluss des Erstgerichts. Dem Masseverwalter fehle damit ein rechtlich geschütztes Interesse an der Frage, ob die Verlassenschaft vor Insolvenzeröffnung der Erbin zutreffend eingeantwortet worden sei oder nicht.

[14] Den Fortsetzungsbeschluss könne der Masseverwalter in einem einseitigen Rekursverfahren ausnahmsweise abgesondert anfechten, weil nach der Einantwortung keine weitere anfechtbare Entscheidung in der Hauptsache mehr ergehen könne. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe nach § 8a IO ex lege zur Unterbrechung des Verlassenschaftsverfahrens geführt. Berücksichtige man den Zweck des Insolvenzverfahrens, könne über einen insolvenzverfangenen Nachlass keine Verlassenschaftsabhandlung stattfinden und damit auch keine Einantwortung erfolgen. Da mit Rechtskraft der Einantwortung die Existenz der Verlassenschaft als juristische Person ein Ende finden würde, würde es als Folge der Einantwortung im Verlassenschaftsinsolvenzverfahren an einem Rechtssubjekt mangeln. Der Fortsetzungsantrag des Sohnes, dem nur eine eingeschränkte Parteistellung als Pflichtteilsberechtigter bzw Gläubiger zukomme, sei daher zurückzuweisen.

[15] Der ordentliche Revisionsrekurs sei zur Frage der Rekurslegitimation des Masseverwalters zur Bekämpfung eines Einantwortungsbeschlusses und der Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens bei anhängigem Insolvenzverfahren zulässig.

[16] Gegen die Zurückweisung seines Rekurses gegen den Einantwortungsbeschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Masseverwalters, der eine inhaltliche Entscheidung über seinen Rekurs, hilfsweise eine Aufhebung des angefochtenen Zurückweisungsbeschlusses anstrebt.

[17] Gegen die teilweise Zurückweisung des von ihm gestellten Fortsetzungsantrags sowie die Zurückweisung seiner Rekursbeantwortung richtet sich der Revisionsrekurs des Sohnes mit dem erkennbaren Antrag auf Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses. Hilfsweise beantragt der Sohn die Zurückweisung des Rekurses des Masseverwalters gegen den Fortsetzungsbeschluss, die Zulassung der von ihm erstatteten Rekursbeantwortung und die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen.

[18] Der Masseverwalter beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs entweder mangels Rechtsmittellegitimation des Sohnes oder wegen dessen fehlender Beschwer, hilfsweise auch mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage, zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[19] I. Der Revisionsrekurs des Sohnes ist wegen fehlender Rechtsmittellegitimation zurückzuweisen.

[20] 1. Der Senat hat bereits in der in diesem Verfahren ergangenen Vorentscheidung 2 Ob 20/18g zur nur eingeschränkten Parteistellung des Sohnes Stellung genommen.

[21] 2. In seiner – ungeachtet der vom Erblasser angeordneten Enterbung im Verlassenschaftsverfahren ohne nähere Prüfung der materiellen Pflichtteilsberechtigung zu bejahenden (2 Ob 183/15y Punkt I.1.4. mwN; RS0013007 [T1]) – Parteistellung als Pflichtteilsberechtigter ist der Sohn nach ständiger Rechtsprechung auf die Rechte nach den §§ 778 (= § 784 aF), 804 und 812 ABGB beschränkt (RS0006519, RS0012909). In diesen – insbesondere auf die Errichtung eines Inventars und die Möglichkeit zur Stellung eines Absonderungsantrags abzielenden – Rechten wurde der Sohn durch die vom Rekursgericht überwiegend verweigerte Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens nicht verletzt.

[22] 3. Einem Verlassenschaftsgläubiger kommt nur hinsichtlich der ihm zustehenden Rechte nach §§ 811 bis 813 ABGB bzw § 174 AußStrG oder im Fall eines unmittelbaren Eingriffs in seine Gläubigerrechte Parteistellung zu (RS0006611 [insb T17, T18, T21]). Auch in diesen Rechten wurde der Sohn durch die vom Rekursgericht überwiegend verweigerte Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens nicht verletzt.

[23] 4. Der Umstand, dass der Sohn formell den Fortsetzungsantrag stellte, führt im konkreten Fall nicht zur Bejahung seiner Parteistellung, weil dem Antrag nicht zu entnehmen ist, dass er ein eigenes subjektives Recht geltend machen wollte (vgl RS0123813).

[24] 5. Der Revisionsrekurs des Sohnes ist damit mangels Rechtsmittellegitimation zurückzuweisen.

[25] 6. Das Rechtsmittelverfahren im Zusammenhang mit Fragen der Unterbrechung eines außerstreitigen Verfahrens (§§ 25 f AußStrG) ist einseitig, handelt es sich bei dieser Entscheidung doch nicht um eine Entscheidung über die Sache iSd § 48 Abs 1 AußStrG, sondern bloß um einen verfahrensleitenden Beschluss (6 Ob 72/18h Punkt 1. mwN).

[26] Da der Masseverwalter seinen Standpunkt zu dieser Frage bereits im erst- und im zweitinstanzlichen Verfahren ausreichend darlegen konnte, bedurfte es im konkreten Einzelfall auch nicht der Einholung einer Äußerung (erneut 6 Ob 72/18h), sodass die Revisionsrekursbeantwortung des Masseverwalters zurückzuweisen war.

II. Der Revisionsrekurs des Masseverwalters ist aus folgenden Erwägungen ebenfalls zurückzuweisen:

[27] 1. § 62 AußStrG erfasst als „Revisionsrekurs“ alle Rekurse gegen „im Rahmen des Rekursverfahrens ergangene“ Beschlüsse des Rekursgerichts und damit auch die Zurückweisung des Rekurses mangels Parteistellung (2 Ob 168/23d Rz 12 mwN; vgl RS0120565).

[28] 2. Insolvenz- und Verlassenschaftsverfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke. Während das Insolvenzverfahren der bestmöglichen Befriedigung der Gläubigeransprüche dient, steht im Verlassenschaftsverfahren die Ermittlung der richtigen Erben und der Erbschaftserwerb im Vordergrund (M. Winkler, Zum Verhältnis von Insolvenzverfahren und Verlassenschaftsverfahren, ZIK 2014/301, 214 mwN). Vor dem Hintergrund des Vorrangs des Insolvenzverfahrens in jenen Belangen, die die Verwaltung der Insolvenzmasse betreffen, erachtet die Rechtsprechung die Erledigung des Verlassenschaftsverfahrens durch Einantwortung vor Beendigung des Insolvenzverfahrens als nicht zulässig (M. Winkler, ZIK 2014/301, 214 [215]; vgl 5 Ob 87/63 SZ 36/85).

[29] 2.1. Gemäß § 8a IO idF der GIN 2006, BGBl I 2006/8, gelten die Bestimmungen betreffend Rechtsstreitigkeiten im Sinn der IO sinngemäß auch für Außerstreitverfahren.

[30] Die Unterbrechung durch Insolvenzeröffnung tritt nach dem sinngemäß anzuwendenden § 7 IO (iVm § 8a IO) ex lege ein, sodass ein Beschluss des Gerichts über den Eintritt der Unterbrechung nur deklarative Wirkung hat (RS0064046 [insb auch T2]; 8 Ob 14/07b [Pflegschaftsverfahren]).

[31] 2.2. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Verlassenschaft führte daher ex lege zu einer Unterbrechung des Verlassenschaftsverfahrens jedenfalls im hier interessierenden Umfang, nämlich in Bezug auf den bereits vor Insolvenzeröffnung erlassenen, aber nicht in Rechtskraft erwachsenen Einantwortungsbeschluss (vgl 2 Ob 200/16z).

[32] 3. Die Fortsetzung eines unterbrochenen Verfahrens bedarf nach § 26 Abs 3 AußStrG eines ausdrücklichen Beschlusses (vgl 6 Ob 62/12d Punkt 2.), der in von Amts wegen einzuleitenden Verfahren – wie dem Verlassenschaftsverfahren (§ 143 Abs 1 AußStrG) – unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen auch von Amts wegen (und nicht nur auf Antrag einer Partei) gefasst werden kann.

[33] 4. Wird ein Fortsetzungsbeschluss gefasst, dann beginnen unterbrochene Fristen mit dessen Zustellung nach § 26 Abs 3 letzter Satz AußStrG neu zu laufen.

[34] 4.1. Der Fortsetzungsbeschluss ist – wie bereits dargestellt (vgl oben Punkt I.6.) – als verfahrensleitender Beschluss zu qualifizieren und unterliegt damit – mangels Anwendbarkeit der Sonderregelung des § 26 Abs 4 AußStrG – den Anfechtungsbeschränkungen des § 45 Abs 2 AußStrG (vgl RS0120969). Im vorliegenden Fall ist jedoch von einer selbständigen Anfechtbarkeit des Fortsetzungsbeschlusses auszugehen, weil wegen bereits (nicht rechtskräftig) erfolgter Einantwortung keine weitere anfechtbare Entscheidung in der Sache mehr ergehen kann (vgl 6 Ob 87/07y [6 Ob 88/07w] Punkt 9.). Diese im vorliegenden Einzelfall bestehende selbständige Anfechtbarkeit führt nach § 40 letzter Satz AußStrG zur Bindung des Gerichts an diesen verfahrensleitenden Beschluss (vgl Deixler‑Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 40 Rz 6).

[35] 4.2. Der Fortsetzungsbeschluss wurde hier mangels einer mündlichen Verkündung gemäß § 43 Abs 5 AußStrG mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung „für die Partei verbindlich“ und damit wirksam. Das gilt auch dann, wenn ein solcher Beschluss selbständig anfechtbar ist (3 Ob 85/06f).

[36] 4.3. Die in Punkt 4.2. dargestellten Grundsätze gelten im vorliegenden Fall auch für die abändernde Entscheidung des Rekursgerichts, das den Fortsetzungsantrag überwiegend zurückwies und damit einen mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung „für die Partei verbindlichen“ und wirksamen verfahrensleitenden Beschluss fasste.

[37] 5. Auf dieser Grundlage ist im Hinblick auf den Einantwortungsbeschluss bereits im Zeitpunkt der Erhebung des Revisionsrekurses durch den Masseverwalter von einem insoweit unterbrochenen Verfahren auszugehen. Der Revisionsrekurs des Masseverwalters ist daher als während Unterbrechung des Verfahrens eingebrachtes Rechtsmittel zurückzuweisen (RS0037023; 5 Ob 249/07i Punkt 3.2. mwN). Da der Masseverwalter in seinem Revisionsrekurs keine Klärung der Frage anstrebt, ob das Verfahren unterbrochen ist, liegt der von der Rechtsprechung geprägte Ausnahmefall für eine meritorische Entscheidung nicht vor (RS0037023 [insb T9]).

[38] 6. Der Revisionsrekurs des Masseverwalters war damit zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte