OGH 7Ob45/24d

OGH7Ob45/24d19.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Themer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 7.240,86 EUR, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Juli 2023, GZ 60 R 6/23x-39 (in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 1. Oktober 2023), mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 31. Oktober 2022, GZ 5 C 539/20f‑34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00045.24D.0619.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

I. Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Kostenentscheidung richtet, als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.

II. Im Übrigen wird der Revision teilweise Folge gegeben. Die angefochtenen Entscheidungen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 1.452,34 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. Juni 2019 binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 5.788,52 EUR 4 % Zinsen seit 29. Juni 2019 zu bezahlen, wird abgewiesen.

3. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.059,61 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.683,25 EUR bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger hat bei der Beklagten einen aufrechten Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung (ARB 2015) zugrunde liegen.

[2] Sie lauten auszugsweise:

„Gemeinsame Bestimmungen

[…]

Artikel 6

Auf welche Verfahrensarten bezieht sich der Versicherungsschutz? Welche Leistungen erbringt A*?

1. Der Versicherungsschutz erstreckt sich in den jeweils vereinbarten Risiken

[…]

1.2. auf die Vertretung vor staatlichen Gerichten als

- Zivil- und Strafgericht

- Verwaltungsgericht

sowie vor Verwaltungsbehörden.

[…]

3. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt A* im Fall der Leistungspflicht die entstehenden notwendigen Kosten gemäß Punkt 5, 6 und 7.

Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

[…]

6. A* zahlt

6.1. die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwaltes bis zur Höhe des Rechtsanwaltstarifgesetzes (RATG) oder – sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist – bis zur Höhe der allgemeinen Honoror‑Kriterien für Rechtsanwälte. Dies gilt abweichend von § 1 Abs 1 RATG auch für die außergerichtliche Vertretung.

[…]

Diese Bestimmungen sind sinngemäß auch auf die Vertretung vor Verwaltungsbehörden anzuwenden.

[…]

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten (Allgemeine Obliegenheiten)

1. Wird die Wahrnehmung rechtlicher Interessen nach Eintritt eines Versicherungsfalles notwendig, dann ist der Versicherungsnehmer verpflichtet,

[…]

1.5.2. alles zu vermeiden, was die Kosten unnötig erhöht.

[…]

2. Für den Fall, dass der Versicherungsnehmer eine diese Obliegenheiten verletzt, wird Leistungsfreiheit vereinbart.

Besondere Bestimmungen

Artikel 17

[…]

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

[…]

2.2. Straf‑Rechtsschutz für die Verteidigung in Strafverfahren vor Strafgerichten, Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten wegen eines Verkehrsunfalls oder der Übertretung von Verkehrsvorschriften.

[…]“

 

[3] Die maßgeblichen Bestimmungen der Allgemeinen Honorar‑Kriterien (AHK) der Österreichischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Fassung vom 15. 5. 2017 lauten:

I. Teil- Sachlicher Anwendungsbereich

§ 4

Die Honoraransätze setzen Leistungen eines Rechtsanwalts voraus. Bei der Beurteilung der Angemessenheit des Honorars ist zu berücksichtigen, ob diese Leistungen nach Art oder Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigen oder unterschreiten.

[…]

III.

Straf‑ und Disziplinarsachen

§ 9

(1) In offiziosen Strafsachen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen sind als Honoraransätze angemessen:

[…]

4. In geschworenengerichtlichen Verfahren:

a) Hauptverhandlungen 1. Instanz

für die erste halbe Stunde 488  EUR für jede weitere halbe Stunde 244  EUR

b) Für die Ausführung der Berufung und die Gegenausführungen dazu 732  EUR

c) Berufungsverhandlungen

für die erste halbe Stunde 732  EUR für jede weitere halbe Stunde 366  EUR

d) für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und die Gegenausführungen 976  EUR

e) Gerichtstage über Nichtigkeitsbeschwerden für die erste halbe Stunde 9 76 EUR für jede weitere halbe Stunde 488  EUR

[…]

(2) Wird in den Fällen des Abs 1 Z 3 oder Z 4 zugleich mit der Nichtigkeitsbeschwerde auch Berufung erhoben, ist ein Zuschlag in Höhe von 20 % zu den Honoraransätzen gemäß Abs 1 Z 3 lit d und lit e bzw Abs 1 Z 4 lit d und lit e angemessen

[…]

§ 10

(1) Für Leistungen des Rechtsanwalts in offiziosen Strafsachen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen, die nicht in § 9 erwähnt sind, sind die Honoraransätze der TP 1 bis 3 und TP 5 bis 9 RATG unter Zugrundelegung folgender Bemessungsgrundlagen angemessen:

[…]

in Fällen gemäß § 9 Abs 1 Z 4 26.200,-

[…]

§ 13

(1) Die Kriterien der §§ 8 Abs 1 sowie 9 bis 12 sind sinngemäß anzuwenden auf Leistungen des Rechtsanwalts in

[…]

d) Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die mit Geldstrafe über 4.360 EUR bedroht sind sowie alle Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die neben einer Geldstrafe auch mit Haft bedroht sind, gemäß § 9 Abs 1 Z 4

[…]“

[4] Der Klägererhielt am 20. 6. 2016 von einer Bezirkshauptmannschaft die Aufforderung gemäß § 103 Abs 2 KFG, binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Schreibens als Zulassungsbesitzer eines Kraftfahrzeugs dessen Lenker bekanntzugeben. Diese Lenkererhebung wurde laut Rückschein per Post an den Kläger zugestellt und durch einen Arbeitnehmer übernommen.

[5] Mit Straferkenntnis vom 1. 9. 2017 verhängte die Bezirkshauptmannschaft über den Kläger eine Strafe von 600 EUR und einen Kostenbeitrag von 60 EUR wegen Verletzung des § 103 Abs 2 KFG, weil er den Lenker nicht binnen 14 Tagen bekanntgegeben habe.

[6] Der Kläger wandte sich nach Erhalt dieses Straferkenntnisses telefonisch an den auf Verwaltungsstrafsachen spezialisierten Klagevertreter, mit der Information, er habe gar keine Lenkeranfrage erhalten. Er teilte dem Klagevertreter auch mit, dass er bei der Beklagten rechtsschutzversichert sei. Der Klagevertreter übermittelte dem Kläger vorab ein Vollmachtsformular, das der Kläger unterfertigte und retournierte. Vorgesehen war darin – soweit hier relevant – die Abrechnung des Klagevertreters nach den AHK und für den Fall des Bestehens einer Rechtsschutzversicherung keine Verpflichtung des Bevollmächtigten, eine Honorarabrechnung mit der Rechtsschutzversicherung durchzuführen oder auch nur einen Deckungsanspruch zu prüfen. Eine Inanspruchnahme obliege ausschließlich dem Vollmachtgeber, der persönlich für sämtliche auflaufenden (tariflichen) Kosten hafte.

[7] Mit Schreiben vom 19. 9. 2017 übermittelte der Klagevertreter der Beklagten das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft und ersuchte um Deckung für die Erhebung einer Beschwerde und sein Einschreiten in zweiter Instanz. Der Kläger habe ihn informiert, dass er die Lenkeranfrage niemals zugestellt erhalten habe und daher nicht habe beantworten können. Mit Schreiben vom 21. 9. 2017 erteilte die Beklagte Rechtsschutzdeckung im Rahmen der Versicherungsbedingungen.

[8] Am 19. 9. 2017 gab der Klagevertreter der Bezirkshauptmannschaft in der gegenständlichen Verwaltungsstrafsache die erteilte Vollmacht bekannt und beantragte die Übermittlung einer Aktenkopie. Er brachte am 28. 9. 2017 eine Beschwerde an das zuständige Landesverwaltungsgericht ein, in der er das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach anfocht. Er brachte darin vor, der Kläger habe die Lenkeranfrage nie erhalten und kenne auch keinen Arbeitnehmer, zu dem die Unterschrift auf dem Rückschein passen würde. Der Klagevertreter erstattete rechtliche Ausführungen zu Rechtswidrigkeit und Verschulden und der Beweispflicht der Behörde. Er beantragte die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung mit Einvernahme des Klägers und des Zustellers und die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens, in eventu den Kläger mittels Bescheid zu ermahnen, in eventu die Geldstrafe herabzusetzen.

[9] Mit Bekanntgabe vom 23. 11. 2018 gab der Klagevertreter dem Landesverwaltungsgericht bekannt, die Recherchen des Klägers hätten ergeben, dass eine Pflegerin seiner Großmutter einen Namen trage, der dem auf dem Rückschein ähneln würde. Diese sei keine Arbeitnehmerin des Klägers, der im Übrigen unselbständig tätig sei und keinerlei Arbeitnehmer habe.

[10] Das Landesverwaltungsgericht führte am 6. 12. 2018 von 13:55 bis 15:30 Uhr eine mündliche Verhandlung durch, in der der Kläger einvernommen wurde, der Klagevertreter die Protokollierung überwachte und am Ende ein Schlusswort an das Gericht richtete.

[11] Mit Entscheidung vom 17. 12. 2018 gab das Landesverwaltungsgericht der Beschwerde des Klägers Folge, hob das angefochtene Straferkenntnis auf und stellte das Verfahren ein. Es ging davon aus, dass die Lenkeranfrage am 22. 6. 2016 an den Kläger nicht wirksam zugestellt wurde.

[12] Der Klagevertreter legte daraufhin an den Kläger folgende Kostennote vom 28. 6. 2019, basierend auf einem Streitwert von 26.200 EUR unter Hinweis auf § 13 Abs 1 lit d AHK iVm § 10 Abs 1 AHK:

 

Datum

Leistung

TP

Dauer

Honorar (in €)

20.09.17

Vollmachtsbekanntgabe/Aktenübersendung

2

-

323,60

Plus 50% ES

 

 

161,80

28.09.17

Beschwerde

§ 9 Abs 1 Z 4 d AHK

 

976,00

Plus 50% ES

 

 

488,00

Plus 20 Zuschlag

§9 Abs 2 AHG

 

292,80

29.11.18

Beweisantrag/Stellungnahme an LVwG

3A

 

639,20

Plus 50% ES

 

 

319,60

06.12.18

Beschwerdeverhandlung LVwG

§ 9 Abs 1 Z 4e AHK

4/2

2.444,00

Plus 100% ES

 

 

2.440,00

Plus 20% Zuschlag

§9 Abs 2 AHK

 

976,00

Zwischensumme

 

 

9.057,00

Plus 50% Erfolgszuschlag

 

 

4.528,50

Honorar Netto

 

 

13.585,50

Plus 20% USt

 

 

2.717,10

Summe Honorar

 

 

16.302,60

     

 

[13] Die Beklagte überwies dem Klagevertreter in der Folge den Betrag von 9.061,74 EUR.

[14] Am 19. 8. 2021 überwies der Kläger dem Klagevertreter den noch offenen Betrag aus der Kostennote von 7.240,86 EUR.

[15] Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung dieser Kosten.

[16] Die Beklagte wendet ein, sie habe bereits das angemessene Honorar iSd ARB 2015 bezahlt. Der Kläger habe vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig die Kostenschonungsobliegenheit nach Artikel 8.1.5.2. ARB verletzt, weil er zur Vermeidung einer Geldstrafe von 600 EUR Rechtsanwaltskosten von 16.302,60 EUR aufgewendet habe. Nach Artikel 6.1. ARB seien nur gerechtfertigte und angemessene Kosten zu tragen, soweit diese zur Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig seien. Die Formulierung „bis zur Höhe der AHK“ bedeute, dass die Kosten nicht in jedem Fall auszuschöpfen seien und einem Angemessenheitskorrektiv unterlägen. Nach § 4 AHK sei bei der Beurteilung der Angemessenheit des Honorars zu berücksichtigen, ob die Leistungen des Rechtsanwalts im konkreten Einzelfall den Durchschnitt erheblich übersteigen oder unterschreiten würden. Im Fall des Klägers sei der Durchschnitt erheblich unterschritten worden. Es sei eine einfache Verwaltungsstrafsache mit einfacher Sachlage gewesen, bei der im Ergebnis ein einfaches Zustellproblem zu lösen gewesen sei. Dafür seien Kosten von 16.302,60 EUR nicht gerechtfertigt. § 9 Abs 1 Z 4 lit d AHK sei für eine Nichtigkeitsbeschwerde im geschworenengerichtlichen Verfahren an den Obersten Gerichtshof vorgesehen und mit einer Beschwerde zu einem einfachen Zustellproblem nicht zu vergleichen. Auch der 20%ige Zuschlag sei nicht gerechtfertigt. Die Verzeichnung der Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht nach § 9 Abs 1 Z 4 lit e AHK sei unpassend, weil sich eine Verhandlung wegen einer verweigerten Lenkerauskunft zum Thema Zustellung nicht mit der Position des Gerichtstages beim Obersten Gerichtshof vergleichen lasse. Der Streitwert von 26.200 EUR sei für ein Geschworenenverfahren vorgesehen. Das sei mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar.

[17] Das Erstgerichtgab der Klage zur Gänze statt.Betreffend Rechtsmittel und Verhandlungen in Verwaltungsstrafsachen seien für Übertretungen, die – wie hier – mit Geldstrafe über 4.360 EUR bedroht seien, die Ansätze nach § 9 Abs 1 Z 4 AHK für das geschworenengerichtliche Verfahren heranzuziehen (§ 13 Abs 1 Z 4 AHK). Für eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis, in welcher nicht nur die Herabsetzung der Bestrafung, sondern auch die Aufhebung des verurteilenden Erkenntnisses begehrt werde, seien die Ansätze gemäß § 9 Abs 1 Z 4 lit d iVm Abs 2 AHK heranzuziehen, für Verhandlungen vor den Verwaltungsgerichten jene nach § 9 Abs 1 Z 4 lit c AHK. Nach § 11 AHK gebühre der Einheitssatz gemäß § 23 RATG. Da die Bemessungsgrundlage für Leistungen im geschworenengerichtlichen Verfahren und daher auch beim gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 10 Abs 1 AHK 26.200 EUR betrage, sei der einfache Einheitssatz mit 50 % und der doppelte Einheitssatz mit 100 % zu bemessen. Nach § 12 AHK könne ein Erfolgszuschlag von bis zu 50 % des Honorarbetrags verrechnet werden, insbesondere wenn das Verfahren eingestellt werde oder das Urteil auf Freispruch laute. Die im Verfahren strittigen und von der Beklagten nicht bezahlten Kosten für die Beschwerde und die Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht seien daher korrekt verzeichnet worden. Auch der 20%ige Zuschlag nach § 9 Abs 2 AHK gebühre, weil in der Beschwerde das Straferkenntnis dem Grunde und der Höhe nach angefochten worden seien. Der Klagevertreter sei auch zur Verrechnung des Erfolgszuschlags von 50 % berechtigt gewesen, weil er eine Aufhebung des Straferkenntnisses und eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens erwirkt habe. Weder mit der Beschwerde noch mit der Tätigkeit im Rahmen der Verhandlung sei ein weit unterdurchschnittlicher Aufwand verbunden gewesen, der zu einer Minderung nach § 4 AHK geführt hätte. Die klagsgegenständlichen Leistungen seien ex ante betrachtet zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig und zweckmäßig, erfolgsversprechend und keinesfalls mutwillig gewesen. Die Bekämpfung des Straferkenntnisses sei nur mittels des Rechtsbehelfs der Beschwerde möglich, der Ladung zur Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Burgenland Folge zu leisten gewesen. Der Kläger habe daher die Kostenschonungsobliegenheit nach Artikel 8.1.5.2. ARB 2015 nicht verletzt.

[18] Das Berufungsgerichtgab der von der Beklagten erhobenen Berufung – in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses zur Gänze – Folge. Die Komplexität des Einschreitens in einem geschworenengerichtlichen Verfahren sei jedenfalls durchschnittlich um 25 % höher einzuschätzen, als jene im vorliegenden Verwaltungsstrafverfahren, weshalb ein Abschlag in dieser Höhe angemessen sei. Der Erfolgszuschlag stehe in Hinblick auf die großzügige Heranziehung der Bemessungsgrundlage des geschworenengerichtlichen Verfahrens im Ausmaß von 10 % zu, weil das Höchstmaß von 50 % der Erlangung eines Freispruchs in einem komplexen geschworenengerichtlichen Verfahren vorbehalten bleiben müsse. Daher stünden folgende Beträge zu:

 

Datum

Leistung

Betrag

20.09.17

Vollmachtsbekanntgabe/Aktenübersendung, TP2 (§ 10 AHK)

323,60

50% ES

161,80

28.09.17

Beschwerde

732,00

50% ES

366,00

20% Zuschlag

219,60

29.11.18

Beweisantrag/Stellungnahme an LVwG

TP 3A (§ 10 AHK)

639,20

50% ES

319,60

06.12.18

Beschwerdeverhandlung LVwG 4/2

 

§ 9 Z 4 lit c AHK

1.830,00

100% ES

1.830,00

20% Zuschlag

732,00

Zwischensumme

7.153,80

10% Erfolgszuschlag

25% Abschlag

715,38

-1.788,45

Honorar Netto

6.080,73

20%

1.216,15

Honorar Brutto

7.296,88

   

 

 

[19] Unter Berücksichtigung des bereits überwiesenen Betrags verbleibe daher kein Raum mehr für einen weiteren Zuspruch an den Kläger.

[20] Die Revision ließ das Berufungsgericht – nachträglich – zur Frage zu, ob der Erfolgszuschlag nach § 12 AHK nur an das Ergebnis des Verfahrens anknüpfe oder allenfalls – anderen Kriterien folgend – herabzusetzen wäre.

[21] Mit seiner ordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[22] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[23] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage teilweise zulässig; aber nicht berechtigt.

[24] I. Die Revision ist jedenfalls unzulässig, soweit sie sich gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts wendet und ausdrücklich deren Abänderung beantragt (RS0044233 [T27]).

II.

1. Zum anwendbaren Honoraransatz des § 9 Abs 1 Z 4 AHK:

[25] Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung von § 9 Abs 1 Z 4 lit b AHK für die Honorierung seiner Beschwerde und die Anwendung von § 9 Abs 1 Z 4 lit c AHK für die Honorierung der Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht.

[26] 1.1. Die in den AHK enthaltenen Kriterien dienen nach ihrem § 2 (Abs 1) im Interesse der Rechtspflege insbesondere dem Schutz der Auftraggeber zur Beurteilung der Angemessenheit des Honorars eines Rechtsanwalts. Für Leistungen eines Rechtsanwalts in einem Verwaltungsstrafverfahren gilt § 13 AHK. Nach § 13 Abs 4 AHK ist für Leistungen im Rechtsmittelverfahren in Verwaltungsstrafsachen § 9 AHK insofern sinngemäß anzuwenden, als gleich offiziosen Strafsachen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen zu unterscheiden ist, ob das Rechtsmittel sich auf die Bekämpfung der Strafhöhe beschränkt oder darüber hinausgeht (1 Ob 237/21s).

[27] 1.2. In Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die – wie hier – mit Geldstrafe über 4.360 EUR bedroht sind sowie in allen Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die neben einer Geldstrafe auch mit Haft bedroht sind, richtet sich damit die Entlohnung nach § 9 Abs 1 Z 4 AHK (7 Ob 208/22x).

[28] Im geschworenengerichtlichen Verfahren (§ 9 Abs 1 Z 4 AHK) sind niedrigere Honoraransätze für die Ausführung der Berufung und höhere für die Nichtigkeitsbeschwerde als angemessen angeführt. Die Beschwerde in Verwaltungsstrafsachen, mit der Schuldspruch und/oder Strafhöhe bekämpft werden können, kennt keine Unterscheidung zwischen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung. Nach § 13 Abs 4 AHK ist dessen § 9 nur sinngemäß anzuwenden; eine Unterscheidung soll danach erfolgen, ob sich das Rechtsmittel auf die Bekämpfung der Strafhöhe beschränkt oder darüber hinausgeht. In § 9 Abs 1 Z 1 bis 4 AHK werden niedrigere Honoraransätze für die Berufung wegen Strafe und höhere für die volle Berufung bzw die Nichtigkeitsbeschwerde genannt. Diese Differenzierung gelangt auch für die Bescheidbeschwerde in Verwaltungsstrafsachen insoweit zur Anwendung, als der niedrigere oder höhere Honoraransatz zur Anwendung gelangt, je nachdem, ob sich das Rechtsmittel nur gegen die Strafhöhe oder auch gegen die Bestrafung selbst richtet (vgl 1 Ob 237/21s).

[29] 1.3. Da die Beschwerde des Klägers sich hier sowohl gegen den Grund als auch gegen die Höhe gerichtet hat, gelangen damit die Ansätze für die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 9 Abs 1 Z 4 lit d (für die Beschwerde) und lit e (für die Verhandlung) zur Anwendung.

[30] 1.4. Dagegen steht weder für die Beschwerde noch für die Verhandlung darüber die 20%ige Verbindungsgebühr nach § 9 Abs 2 AHK zu. Die oben dargelegte Differenzierung in § 9 Abs 1 Z 1 bis 4 AHK gelangt zwar für die Bescheidbeschwerde in Verwaltungsstrafsachen zur Anwendung, bei dieser Beschwerde kann es sich aber jedenfalls nicht um zwei verbundene Rechtsmittel handeln, weshalb die Verbindungsgebühr im Rahmen der – nur sinngemäßen – Anwendung von § 9 AHK für eine solche Beschwerde nicht zusteht (vgl 1 Ob 237/21s).

[31] 1.5. Dem Kläger steht daher im Ergebnis für seine Bescheidbeschwerde eine Entlohnung von 1.464 EUR statt der vom Berufungsgericht herangezogenen 1.317,60 EUR (Differenz: 146,40 EUR) und für die Verhandlung 4.880 EUR statt der vom Berufungsgericht herangezogenen 4.392 EUR (Differenz: 488 EUR) zu.

2. Abschlag vom tariflichen Honorar nach § 4 (nunmehr § 2 Abs 2) AHK:

[32] Der Kläger wendet sich auch gegen den vom Berufungsgericht vorgenommenen Abschlag nach § 4 (idF: § 2 Abs 2) AHK.

[33] 2.1. Gemäß § 2 Abs 2 AHK ist bei der Beurteilung der Angemessenheit des Honorars zu berücksichtigen, ob diese Leistungen nach Art oder Umfang den Durchschnitt erheblich übersteigen oder unterschreiten. Der Fachsenat hat in der Entscheidung 7 Ob 208/22x in einem vergleichbaren Fall dazu ausgeführt: „Von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit, Abschläge vorzunehmen, ist hier Gebrauch zu machen, wenn offenkundig ist, dass die Anwendung der für ein geschworenengerichtliches Verfahren angemessenen Honoraransätze und die Heranziehung einer Bemessungsgrundlage von 26.200 EUR auf ein Verwaltungsstrafverfahren, in dem eine Geldstrafe von 300 EUR verhängt wurde und in dem lediglich die Übermittlung der Lenkerauskunft an die Behörde strittig war, auch unter Berücksichtigung der konkreten Strafdrohung nicht dem Angemessenheitsgebot entspricht.“

[34] 2.2. Das lässt sich auf die hier zu beurteilende Konstellation übertragen, in der lediglich die Zustellung der Lenkererhebung strittig war und eine Geldstrafe von 600 EUR verhängt wurde, die zur damaligen Bemessungsgrundlage von 26.200 EUR ebenso außer Verhältnis steht. Soweit der Kläger die Frage aufwirft, ob der in Rede stehende Abschlag allenfalls von der Bemessungsgrundlage vorzunehmen wäre, ist klarzustellen, dass es sich dabei um eine Honorarreduktion handelt.

[35] 2.3. Die vom Berufungsgericht dafür angesetzten 25 % halten sich jedenfalls innerhalb des dafür zur Verfügung stehenden Ermessensspielraums. Dass dieser Abschlag hingegen mit 25 % begrenzt sein soll, ist weder den AHK noch den Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs (RL‑BA 2015) zu entnehmen und widerspräche auch dem Zweck des § 2 Abs 2 AHK, nämlich der Festsetzung des für den konkreten Einzelfall angemessenen Honorars (vgl 7 Ob 52/24h mwN). Ein weiteres Eingehen auf einen möglicherweise im konkreten Fall noch höher anzusetzenden Abschlag (zur prozessualen Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise vgl 7 Ob 52/24h Pkt 3.4.4.) erübrigt sich, weil die Beklagte im Rahmen ihrer Revisionsbeantwortung die Höhe des vom Berufungsgericht angesetzten Abschlags ausdrücklich als richtig bezeichnet.

3. Erfolgszuschlag nach § 12 AHK:

[36] 3.1. Für Leistungen eines Rechtsanwalts im Verwaltungsstrafverfahren gilt § 13 AHK, nach dessen Abs 1 die Kriterien der §§ 8 Abs 1 sowie 9 bis 12 AHK sinngemäß anzuwenden sind. Gemäß § 12 AHK kann ein Erfolgszuschlag von bis zu 50 % des Honorarbetrags verrechnet werden, wenn das Verfahren eingestellt wird oder das Urteil auf Freispruch lautet oder ein wegen eines Verbrechens Angeklagter (bloß) wegen eines Vergehens oder eines mit einem niedrigeren Strafsatz bedrohten Verbrechens verurteilt wird. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung kommt es für den Erfolgszuschlag nur auf den im Verfahren erzielten Erfolg an. Andere Kriterien nennt § 12 AHK nicht. Ausgehend davon hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung zu 1 Ob 115/22a festgehalten, dass der in § 12 AHK vorgesehene Erfolgszuschlag an das Ergebnis des (Verwaltungs‑) Strafverfahrens anknüpft und bei einem gänzlichen Erfolg grundsätzlich mit 50 % zusteht.

[37] 3.2. Fraglich ist, ob die vom Gesetz für den Zuschlag vorgegebene Bandbreite von bis zu 50 % des Honorarbetrags, ausschließlich an den Verfahrenserfolg anknüpft und damit lediglich etwa eine geringere Strafe als Teilerfolg zu berücksichtigen ist oder die Höhe des Erfolgszuschlags auch nach dem Umfang der Tätigkeit und der Komplexität des Sachverhalts im Einzelfall unter Berücksichtigung von § 2 Abs 2 AHK bestimmt werden kann (vgl etwa Thiele, Anwaltskosten4 § 12 AHK Rz 7 [für eine Herabsetzung in Verwaltungsstrafsachen im Einzelfall Rz 8]; Oberlaber, Der Erfolgszuschlag des Strafverteidigers gemäß § 12 AHK, AnwBl 2020, 461 [494 ff]; ausschließlich auf den Erfolg abstellend etwa Engelhart in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 §§ 15, 16 Rz 12, unter Verweis auf die Entscheidung 1 Ob 115/22a, die allerdings eine Berücksichtigung der Verdienstlichkeit nach den Kriterien des [nun] § 2 Abs 2 AHK ausdrücklich offengelassen hat).

[38] 3.3. Zwar muss eine gewisse Verdienstlichkeit der Tätigkeit des Rechtsanwalts für den als Erfolg aufgefassten Ausgang eines Verfahrens jedenfalls vorliegen, wäre doch sonst ein Zuschlag von 50 % allein aufgrund des Verfahrensausgangs (Freispruch), der ohne jegliche Mitwirkung des Verteidigers zustande kam (etwa aufgrund Verjährung der Strafbarkeit, die dem Verteidiger nicht bewusst war, sodass er dazu nichts ausgeführt hat), nach Angemessenheitskriteriennicht zu rechtfertigen. Die Komplexität der Rechtssache ist aber kein Aspekt dieser „Verdienstlichkeit“ und damit kein Grund für die Minderung des Erfolgszuschlags. Dieser Umstand kann vielmehr nur zur Minderung jenes Honorars herangezogen werden, zu dem dann der Erfolgszuschlag hinzuzurechnen ist, käme es doch sonst zu einer doppelten Berücksichtigung der Minderkomplexität einer Rechtssache. Die prozentuelle Höhe des Erfolgszuschlags selbst ist vielmehr nur dann zu mindern, wenn der Rechtsanwalt zur Erreichung des Erfolgs nicht oder nur unterdurchschnittlich in dem Sinn verdienstlich geworden ist, dass sich seine Tätigkeit nicht oder nur gering auf den Verfahrenserfolg ausgewirkt hat (vgl auch 7 Ob 52/24h mwN).

[39] 3.4. Hier war der Klagevertreter für die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens voll verdienstlich, sodass ihm ein Erfolgszuschlag von 50 % – auf Basis des gemäß § 2 Abs 2 AHK reduzierten angemessenen Honorarbetrags (arg „Erfolgszuschlag bis zu 50 % des Honorarsbetrags“ in § 12 AHK) – zusteht. Damit errechnet sich im konkreten Fall folgendes Honorar, das als notwendig und angemessen iSd Art 6 ARB 2003 zu qualifizieren und von der Beklagten zu ersetzen ist:

 

Datum

Leistung

Betrag

20.09.17

Vollmachtsbekanntgabe/Aktenübersendung, TP2 (§ 10 AHK)

323,60

50% ES

161,80

28.09.17

Beschwerde

976,00

50% ES

488,00

 

 

29.11.18

Beweisantrag/Stellungnahme an LVwG

TP 3A (§ 10 AHK)

639,20

50% ES

319,60

06.12.18

Beschwerdeverhandlung LVwG 4/2

 

§ 9 Z 4 lit c AHK

2.440,00

100% ES

2.440,00

 

 

Zwischensumme

7.788,20

25% Abschlag

Honorar Netto

50 % Erfolgszuschlag

-1.947,05

5.841,15

2.920,58

Honorar Netto

8.761,73

20%

1.752,35

Honorar Brutto

10.514,08

   

 

[40] Die Beklagte bezahlte bereits 9.061,74 EUR an Vertretungskosten, sodass dem Kläger weitere 1.452,34 EUR samt den unstrittigen Zinsen zustehen.

[41] 4. Der Revision des Klägers war daher im Ergebnis teilweise Folge zu geben und die Entscheidung wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.

[42] 5. Aufgrund der Abänderung war die erstinstanzliche Kostenentscheidung neu zu treffen. Sie beruht auf § 43 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat mit rund 80 % obsiegt und erhält damit 60 % ihrer Vertretungskosten. Der Kläger erhält 20 % seiner Barauslagen, das ergibt den saldierten Kostenbetrag.

[43] 6. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren beruht ebenfalls auf § 43 Abs 1, dies iVm § 50 ZPO.

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