OGH 10ObS114/23x

OGH10ObS114/23x4.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Arno Sauberer und Mag. Anja Pokorny (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84–86, vertreten durch Dr. Eva-Maria Bachmann-Lang, Dr. Christian Bachmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen Wochengeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. Juli 2023, GZ 10 Rs 56/23 p‑36, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 18. November 2022, GZ 37 Cgs 115/21d-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00114.23X.0604.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf Wochengeld gemäß § 102 Abs 5 GSVG für ihren am 1. Jänner 2021 geborenen Sohn E* im Zeitraum 6. November 2020 bis 26. Februar 2021.

[2] Die Klägerin, die über keine Gewerbeberechtigung verfügt, nahm im Jahr 2020 Kontakt zu zwei Personen auf, damit diese ihr Personen vermitteln, bei denen sie gegen Entgelt Haare flechten bzw stylen könne. Über eine solche Vermittlung flocht bzw frisierte die Klägerin einigen Personen die Haare, wobei diese je nach Zufriedenheit einen von ihnen selbst bestimmten Betrag zwischen 40 EUR und 70 EUR pro Dienstleistung als „Spende“ an den Vermittler zahlten, der die empfangenen Beträge an die Klägerin weitergab. Außerdem stylte die Klägerin zumindest bei einer anderen Person die Haare, wofür sie (über den Vermittler) pro Dienstleistung zwischen 15 EUR und 20 EUR erhielt. Bei wie vielen Personen, in welcher Regelmäßigkeit und in welchem zeitlichen Ausmaß die Klägerin diese Tätigkeit ausübte und welche Geldbeträge sie dafür erhielt, war nicht feststellbar. Die erhaltenen Beträge überstiegen jedenfalls nicht 220 EUR monatlich.

[3] Am 28. August 2020 erstattete die Klägerin eine Versicherungserklärung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG. Als Tätigkeit bzw Geschäftsmodell gab sie „Hairstyling“ an. Sie gab bekannt, dass sie die Versicherungsgrenze von 5.527,92 EUR im Jahr 2020 voraussichtlich nicht überschreiten werde und beantragte die GSVG‑Krankenversicherung („Opting in“).

[4] Am 13. Jänner 2021 beantragte die Klägerin die Zuerkennung von Wochengeld für ihren Sohn. Die beklagte Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen erließ innerhalb von drei Monaten (§ 67 Abs 1 Z 2 ASGG) keinen Bescheid.

[5] Am 9. März 2021 gab die Klägerin die endgültige Einstellung ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit per 1. März 2021 bekannt.

[6] Mit der am 5. Oktober 2021 eingebrachten Säumnisklage begehrt die Klägerin die Zuerkennung von Wochengeld für E* im gesetzlichen Ausmaß. Sie sei aufgrund ihrer Tätigkeit als Stylistin im Rahmen des „Opting in“ seit August 2020 pflichtversichert.

[7] Die Beklagte gestand die Säumnis zu, bestritt aber den geltend gemachten Anspruch. Die Klägerin sei zwar aufgrund ihrer Versicherungserklärung vom (richtig:) 28. August 2020 ab 31. August 2020 nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG iVm § 3 Abs 1 Z 2 GSVG in der Krankenversicherung nach dem GSVG pflichtversichert gewesen. Dem „Opting in“ nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG liege keine Erwerbstätigkeit in einem dem § 2 Abs 1 Z 4 GSVG unterliegenden Ausmaß zu Grunde. Die dadurch bewirkte Versicherung bestehe daher nicht (wie von § 102 Abs 5 GSVG gefordert) aufgrund einer Erwerbstätigkeit, sondern nur aufgrund ihres Antrags nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG.

[8] Die Vorinstanzen schlossen sich der Ansicht der Beklagten an. Der Anspruch auf Betriebshilfe bzw Wochengeld stehe nur weiblichen Personen zu, die aufgrund einer Erwerbstätigkeit nach dem GSVG pflichtversichert seien. Diese Voraussetzung erfülle die Klägerin nicht, weil sie nicht aufgrund einer Erwerbstätigkeit, sondern (auch) aufgrund eines Antrags im Sinn des § 3 Abs 1 Z 2 GSVG pflichtversichert sei.

[9] Die Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.

[10] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, der Klage stattzugeben.

[11] In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig. Sie ist im Sinn des im Antrag auf Abänderung enthaltenen Aufhebungsantrags (RS0041774) auch berechtigt.

[13] 1. Die Beklagte bestreitet das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit der Klägerin unter der Versicherungsgrenze und das Bestehen der Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG nicht. Eine Vorfrage im Sinn des § 74 Abs 1 ASGG ist somit nicht strittig.

[14] 2. Nach § 102 Abs 5 Satz 1 GSVG gebührt Betriebshilfe bzw Wochengeld weiblichen Personen, die aufgrund einer Erwerbstätigkeit nach dem GSVG in der Krankenversicherung pflichtversichert sind.

[15] Wie schon die Vorinstanzen zu Recht ausgeführt haben, setzt der Anspruch der Klägerin auf Wochengeld daher zunächst (dh vor Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 102a Abs 2 und 3 GSVG) voraus, dass die (unstrittig) bestehende Pflichtversicherung im maßgeblichen Zeitraum „auf Grund einer Erwerbstätigkeit“ bestand.

[16] 3. Pflichtversichert in der Kranken- und in der Pensionsversicherung nach dem GSVG sind gemäß § 2 Abs 1 Z 4 GSVG selbständig erwerbstätige Personen, die aufgrund einer betrieblichen Tätigkeit Einkünfte im Sinn der §§ 22 Z 1 bis 3 und 5 und (oder) 23 EStG 1988 erzielen, wenn aufgrund dieser betrieblichen Tätigkeit nicht bereits Pflichtversicherung nach dem GSVG oder einem anderen Bundesgesetz in dem (den) entsprechenden Versicherungszweig(en) eingetreten ist (Satz 1). Solange ein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid oder ein sonstiger maßgeblicher Einkommensnachweis nicht vorliegt, ist die Pflichtversicherung nur dann festzustellen, wenn der Versicherte erklärt, dass seine Einkünfte aus sämtlichen der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegenden Tätigkeiten im Kalenderjahr die Versicherungsgrenze übersteigen werden (Satz 2). In allen anderen Fällen ist der Eintritt der Pflichtversicherung erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheids oder eines sonstigen maßgeblichen Einkommensnachweises im Nachhinein festzustellen (Satz 3).

[17] Dem entsprechend normiert § 4 Abs 1 Z 5 GSVG, dass von der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung Personen hinsichtlich ihrer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG ausgenommen sind, deren Einkünfte (§ 25) aus sämtlichen der Pflichtversicherung nach dem GSVG unterliegenden Tätigkeiten im Kalenderjahr das Zwölffache des Betrags nach § 25 Abs 4 GSVG nicht übersteigen; dies gilt nicht für Personen, die eine Erklärung nach § 2 Abs 1 Z 4 zweiter Satz GSVG abgegeben haben.

[18] 3.1. Das Gesetz eröffnet „neuen Selbständigen“ somit zwei Möglichkeiten (vgl ErläutRV zur 23. Novelle zum GSVG 1235 BlgNR 20. GP 19):

[19] Die erste besteht darin, die Erklärung abzugeben, dass die Summe der Einkünfte aus allen selbständigen Erwerbstätigkeiten im Kalenderjahr die in Betracht kommende Versicherungsgrenze übersteigen wird, womit die Pflichtversicherung begründet wird (§ 2 Abs 1 Z 4 Satz 2; § 4 Abs 1 Z 5 GSVG). Wird die Versicherungsgrenze tatsächlich unterschritten, wird dadurch weder die Pflichtversicherung rückwirkend beendet, noch können bereits geleistete Beiträge rückerstattet werden (Brameshuber in Neumann, GSVG für Steuerberater3 § 2 Rz 203, 233 und 234). Die Erklärung hat insoweit daher die Rechtswirkung eines „Opting in“ (VwGH, Ra 2020/08/0082; Ra 2019/08/0143; Neumann in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 2 GSVG Rz 63 ua).

[20] Die zweite Möglichkeit besteht darin, eine solche Erklärung (zunächst) nicht abzugeben und auf das Ergebnis des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheids zu warten. In diesem Fall ist gemäß § 2 Abs 1 Z 4 Satz 3 GSVG der Eintritt der Pflichtversicherung erst nach Vorliegen des rechtskräftigen Einkommensteuerbescheids, aus dem die Versicherungsgrenzen übersteigende Einkünfte im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 Satz 1 GSVG hervorgehen, im Nachhinein festzustellen (10 ObS 82/17g [ErwGr 4.3.] ua). Abgesehen davon, dass in diesem Fall ein Beitragszuschlag gemäß § 35 Abs 6 GSVG anfällt, besteht bis dahin kein Versicherungsschutz (10 ObS 109/04h). Der Betroffene hat jedoch die Möglichkeit, zumindest einen Krankenversicherungsschutz ex nunc durch eine Erklärung im Sinn des § 3 Abs 1 Z 2 GSVG zu erlangen („Opting in“; VwGH, 2003/08/0126 ua). In diesem Fall gilt die Ausnahme von der Pflichtversicherung nach § 4 Abs 1 Z 5 letzter Halbsatz GSVG ausdrücklich (doch) nicht.

[21] 3.2. Im vorliegenden Fall war die Klägerin nach den getroffenen Feststellungen – wenn auch in zeitlich geringem Ausmaß – selbständig erwerbstätig und bezog – von der Beklagten nicht bestritten – aufgrund ihrer Tätigkeit als „Stylistin“ auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb (im Sinn des § 23 [Z 1] EStG; zur Erfüllung der Voraussetzung einer nachhaltigen Tätigkeit, wenn – wie hier – zumindest auf die Wiederholung oder Fortsetzung der Tätigkeit geschlossen werden kann: Doralt/Kauba in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG21 § 23 Rz 45 vgl VwGH 2010/13/0095; 2000/13/0109 ua). Die Klägerin gestand in der Berufung auch zu, dass sich ihre Einkünfte unter der Versicherungsgrenze bewegten. Sie gab auch keine Erklärung im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 Satz 2 GSVG ab, sodass sie nach § 4 Abs 1 Z 5 GSVG an sich von der Pflichtversicherung in der Kranken- und Pensionsversicherung ausgenommen (gewesen) wäre. Aufgrund ihrer Erklärung nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG war sie allerdings in der Krankenversicherung (teil-)pflichtversichert.

[22] 3.3. Aus dem bisher Gesagten folgt, dass primäre Voraussetzung und Grund dieser Pflichtversicherung das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 Satz 1 GSVG war. Ob die von der Klägerin dabei erzielten Einkünfte (nach der dahingehenden Erklärung voraussichtlich) über der Versicherungsgrenze lagen oder nicht, hatte darauf keinen unmittelbaren Einfluss. Dieser Umstand war nur insofern relevant, als im Fall des Unterschreitens der Grenze die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung nur über einen zusätzlichen Antrag nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG erreicht werden konnte.

[23] 4. Wenn die Beklagte und ihr folgend die Vorinstanzen dennoch davon ausgehen, dass es sich bei dieser Pflichtversicherung nicht um eine solche „auf Grund einer Erwerbstätigkeit“ handelt, weil sie erst durch den Antrag respektive das „Opting in“ nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG begründet wurde, ist ihnen nicht zu folgen.

[24] 4.1. Diese Ansicht ist mit dem Wortlaut des § 102 Abs 5 Satz 1 GSVG, nach dem es nur darauf ankommt, ob die Pflichtversicherung (in der Krankenversicherung) Folge einer Erwerbstätigkeit (im Sinn des GSVG) ist, nicht vereinbar. Zwar ist richtig, dass der Eintritt dieser Pflichtversicherung im Fall der Klägerin zusätzlich noch eines ausdrücklichen Antrags bedurfte. Das ändert aber nichts daran, dass „Grund“ der Pflichtversicherung die Erwerbstätigkeit im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG war und nicht etwa die Eigenschaft als Angehöriger oder ein Pensionsbezug (vgl Schober in Sonntag, GSVG13 § 102a Rz 7). Eine Einschränkung des § 102 Abs 5 Satz 1 GSVG dahin, dass die Pflichtversicherung „nur“ oder „ausschließlich“ durch eine Erwerbstätigkeit begründet wird, lässt sich dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht entnehmen.

[25] 4.2. Der Beklagten ist zwar zuzustimmen, dass die Bezeichnung dieser Form der Teilversicherung als „Pflichtversicherung“ in einem gewissen Widerspruch zum Umstand steht, dass ihr Eintritt nicht „verpflichtend“ ist bzw nicht ipso iure eintritt (vgl § 10 Abs 1 ASVG), sondern vom Willen des Betroffenen abhängt (vgl Brameshuber in Neumann,§ 3 Rz 5; Risak, Das „Opting in“ in der Sozialversicherung, ecolex 1998, 336 [337]). Ob die Terminologie „glücklich“ gewählt ist oder dem ansonsten gängigen Begriffsverständnis entspricht, ändert aber nichts daran, dass das Gesetz die antragsabhängige Teilversicherung in der Krankenversicherung ausdrücklich der „Pflichtversicherung“ (und nicht der freiwilligen Versicherung etwa nach §§ 8 ff GSVG) zuordnet (§ 3 Abs 1 GSVG). Dieser systematischen Zuordnung entsprechend knüpfen daran auch die entsprechenden Folgen. Die Krankenversicherung infolge des „Opting in“ ist daher eine Pflichtversicherung mit allen beitrags- und leistungsrechtlichen Konsequenzen, auch wenn sie – wie eine freiwillige Versicherung – nur auf Antrag begründet wird und durch Erklärung beendet werden kann (Pacic, GSVG § 3 Anm 3a).

[26] 5. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Einschränkung des Kreises der nach § 102 Abs 5 GSVG Anspruchsberechtigten auf „nur“ bzw „ausschließlich“ aufgrund einer Erwerbstätigkeit in der Krankenversicherung Pflichtversicherte ließe sich daher nur durch eine teleologische Reduktion erzielen. Eine solche setzt aber voraus, dass eine nach dem klaren Gesetzeszweck erforderliche Ausnahme fehlt (RS0008979; RS0106113 [insb T3] ua).

[27] Das ist hier nicht der Fall. Es bestehen weder Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber „bloß“ nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG Pflichtversicherte vom Anwendungsbereich des § 102 Abs 5 GSVG ausnehmen wollte, noch sprechen teleologische Erwägungen dafür.

[28] 5.1. Die Einbeziehung geringfügig Beschäftigter und der „neuen Selbständigen“ in die Sozialversicherung geht im Kern auf das ASRÄG 1997 (BGBl I 1997/139) und die weiterführenden Novellen zum ASVG (55. Novelle; BGBl I 1998/138) und GSVG (23. Novelle; BGBl I 1998/139) zurück. Deren erklärtes Ziel war es, alle Erwerbseinkommen bzw alle selbständig Erwerbstätigen in die Sozialversicherung einzubeziehen (ErläutRV zum ASRÄG 1997: 886 BlgNR 20. GP  74, insb 76, 82 und 108 ff), was im hier relevanten Bereich mit den durch die 23. GSVG-Novelle „verdeutlichten“ § 2 Abs 1 Z 4 und § 3 Abs 1 Z 2 GSVG erfolgte (vgl ErläutRV zur 23. GSVG-Novelle: 1235 BlgNR 20. GP  19). Gleichzeitig wurden mit dem ASRÄG 1997 die Regelungen des (vormaligen) Betriebshilfegesetzes in das GSVG übernommen und in § 102 Abs 5 GSVG die Anspruchsberechtigung für Betriebshilfe bzw Wochengeld in der noch heute geltenden Form gestaltet (damals Abs 5 Z 1). Die Materialien führen dazu aus, dass damit „im GSVG auch den 'neuen Selbständigen' (§ 2 Abs 1 Z 4 GSVG in der Fassung des Entwurfs) die Inanspruchnahme der Betriebshilfeleistungen ermöglicht werden“ sollte (ErläutRV 886 BlgNR 20. GP  119). Betriebshilfe bzw Wochengeld sollte daher allen „neuen Selbständigen“ im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG offen stehen. Hinweise darauf, dass dahin differenziert werden sollte, ob ihre Einkünfte die Versicherungsgrenze (voraussichtlich) übersteigen, ergeben sich daraus nicht. Im Gegenteil spricht der Umstand, dass der Gesetzgeber des ASRÄG 1997 und der 55. ASVG-Novelle geringfügig beschäftigten Dienstnehmern, die von der Möglichkeit der Selbstversicherung nach § 19a ASVG Gebrauch gemacht haben, einen Anspruch auf Wochengeld einräumte (§ 19a Abs 6, § 162 Abs 3a ASVG in der damals geltenden Fassung), dafür, dass das auch für „neue Selbständige“ mit geringfügigen Einkünften gelten sollte. Dass sich das GSVG dabei einer anderen Systematik als das ASVG (das eine Selbstversicherung vorsieht) bedient und daher keine dem § 19a Abs 6 ASVG vergleichbare Bestimmung benötigt, tut der grundsätzlichen Intention des Gesetzgebers, allen Sozialversicherten mit einem geringen Einkommen einen Anspruch auf Wochengeld einzuräumen, keinen Abbruch.

[29] 5.2. Dagegen lässt sich (aus teleologischer Sicht) auch nicht einwenden, dass das Wochengeld nach § 102a Abs 5 GSVG wesentlich höher ist als jenes nach § 162 Abs 3a ASVG.

[30] Abgesehen davon, dass nach dem dem Sozialversicherungsrecht prinzipiell innewohnenden Versicherungsprinzip den vom Sozialversicherungsträger zu erbringenden Leistungen nicht automatisch Beitragsleistungen in gleicher Höhe gegenüber stehen müssen (vgl jüngst VfGH G 197/2023 Rz 206; auch RS0116064), dient das Wochengeld im GSVG nicht dem Ersatz des beim Versicherten eingetretenen Ausfalls des Entgelts, sondern der Bezahlung einer die Versicherte entlastenden betriebsfremden Kraft (10 ObS 49/13y [ErwGr 5.1.]; 10 ObS 33/11t [ErwGr 4.]; Drs in SV-Komm § 162 ASVG Rz 83 ua). Eine Verknüpfung des Wochengeldes mit den zuvor erzielten Einkünften ist dieser Regelung somit fremd.

[31] Vor allem ist nicht zu erkennen, warum der Inhalt der Erklärung nach § 2 Abs 1 Z 4 Satz 2 GSVG eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen sollte, obwohl daran nach dem System des GSVG keine andere Beitragsleistung knüpft: Wird erklärt, (voraussichtlich) Einkünfte über der Versicherungsgrenze zu beziehen, richtet sich die Beitragshöhe nach der vorläufigen Beitragsgrundlage des § 25a Abs 1 Z 1 GSVG (vgl 10 ObS 135/21g Rz 14) und damit nach der Mindestbeitragsgrundlage des § 25 Abs 4 GSVG. Beiträge auf dieser Grundlage hat – zumindest zunächst (vgl § 27f GSVG) – auch die „bloß“ über Antrag nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG Pflichtversicherte zu leisten (Pflug in Sonntag, GSVG13 § 25 Rz 34). Stellt sich im ersten Fall nachträglich heraus, dass die Einkünfte die Versicherungsgrenze doch nicht überschritten haben, ändert sich dadurch am zuvor bestandenen Versicherungsschutz nichts (vgl oben 3.1. erste Variante). Bei völlig gleichen Einkünften und Versicherungsbeiträgen hätte die aufgrund der Erklärung nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG Pflichtversicherte daher zumindest bis zum Vorliegen des (rechtskräftigen) Einkommensteuerbescheids Anspruch auf eine Leistung nach § 102 Abs 5 GSVG, die „bloß“ über Antrag nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG Versicherte dagegen nicht. Ein plausibler Grund für diese Verschiedenbehandlung ist weder ersichtlich, noch zeigt die Beklagte einen solchen auf. Dass aufgrund eines „Opting in“ Versicherungsschutz nach § 2 Abs 1 Z 4 GSVG begründet werden kann, liegt im Wesen der Regelung (vgl oben 3.1. erste Variante). Es besteht daher kein Anlass, das „Opting in“ nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG bloß deshalb anders zu behandeln, weil es nur einen Zweig der Pflichtversicherung betrifft.

[32] 5.3. Der von der Beklagten erkannten Möglichkeit eines missbräuchlichen „Opting in“ nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG (vgl Kräftner in Brameshuber/Aubauer/Rosenmayer-Khoshideh, SVS-ON § 102a GSVG Rz 96 und 98) wirkt § 102a Abs 3 lit a GSVG entgegen.

[33] 6. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob die Klägerin für die Ausübung ihrer Tätigkeit einer Gewerbeberechtigung bedurft hätte. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass auch eine selbständige Tätigkeit, die ohne eine entsprechende Gewerbeberechtigung ausgeübt wird, den Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 4 GSVG erfüllt (RS0127648; VwGH, 2010/08/0145; Brameshuber in Neumann,§ 2 GSVG Rz 151 ua; vgl auch ErläutRV 886 BlgNR 20. GP  111). Ist aber die (hier nicht strittige) Frage der Versicherungspflicht von der gewerberechtlichen Beurteilung unabhängig, ist auch kein Grund ersichtlich, die Anspruchsberechtigung der Klägerin nach § 102 Abs 5 GSVG davon abhängig zu machen.

[34] 7. Das Ergebnis dieser Überlegungen lässt sich daher wie folgt zusammenfassen:

[35] Auch die nach § 3 Abs 1 Z 2 GSVG nur Teilversicherten sind „auf Grund einer Erwerbstätigkeit“ in der Krankenversicherung pflichtversichert und zählen daher zu den nach § 102 Abs 5 GSVG Anspruchsberechtigten.

[36] 8. Darauf aufbauend ist die Sache noch nicht entscheidungsreif, weil die Vorinstanzen aufgrund ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 102a Abs 2 und 3 GSVG nicht geprüft und mit den Parteien auch nicht erörtert haben. Dazu zählt auch die in der Revision aufgestellte Behauptung, auf die Voraussetzung des § 102a Abs 3 GSVG komme es nicht an, weil die Klägerin eine künstlerisch gestaltende Tätigkeit ausübe (Hair‑Design), die nicht von einer fremden Kraft ersetzt werden könne (§ 102a Abs 4 Z 2 GSVG). Der Prüfung dieser Behauptung steht das Neuerungsverbot nicht entgegen (vgl RS0042014; RS0042458).

[37] Der Revision ist daher Folge zu geben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung im dargestellten Sinn und neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[38] 9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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