Normen
GSVG 1978 §2 Abs1 Z4
GSVG 1978 §7 Abs4 Z3
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020080082.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht ‑ nach Wiederaufnahme des mit seinem Erkenntnis vom 18. März 2019, W209 2195620‑1/5E, abgeschlossenen Verfahrens ‑ aus, dass der Mitbeteiligte vom 16. Jänner bis 28. Februar 2014, nicht jedoch vom 1. Jänner 2014 bis 15. Jänner 2014 sowie vom 1. März 2014 bis 31. Dezember 2014, der Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG unterliege. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG sei nicht zulässig.
2 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte habe am 16. Jänner 2014 gegenüber der revisionswerbenden Partei (im Folgenden: SVS) eine Versicherungserklärung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 zweiter Satz GSVG abgegeben, wonach er im Jahr 2014 die maßgebliche Versicherungsgrenze des § 4 Abs. 1 Z 6 GSVG überschreiten werde. Sein ‑ nach Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahr 2019 neu erlassener ‑ Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 weise Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von € 909,36 aus. Ihm seien im Jahr 2014 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von € 1.240,44 vorgeschrieben worden. Er habe im gesamten Jahr 2014 eine betriebliche Tätigkeit ausgeübt. Die Versicherungserklärung habe er am 7. Februar 2018 widerrufen.
3 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der nachträgliche Widerruf der Versicherungserklärung am 7. Februar 2018 habe auf den Eintritt der Pflichtversicherung keinen Einfluss. Er bewirke lediglich, dass die Pflichtversicherung mit dem Letzten des Kalendermonats, in dem die Erklärung abgegeben werde, ende.
4 In weiterer Folge führte das Bundesverwaltungsgericht Folgendes aus:
„Entscheidend für das Bestehen der Pflichtversicherung im (nicht von der Erklärung erfassten) Zeitraum von 01.01.2014 bis zum Tag des Einlangens der Erklärung bei der Behörde (am 16.01.2014) sowie im Zeitraum nach dem Wirksamwerden des Widerrufs der Erklärung (am 28.02.2017) ist somit, ob die maßgebende Versicherungsgrenze des § 4 Abs. 1 Z. 6 ASVG [gemeint: GSVG] im Jahr 2014 überschritten wurde.
...
Den Feststellungen zufolge erzielte der Beschwerdeführer [Mitbeteiligte] im Jahr 2014 Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von € 909,36 und es wurden ihm Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von € 1.240,44 vorgeschrieben. Folglich beträgt die Beitragsgrundlage € 2.149,80, womit die Versicherungsgrenze des Jahres 2014 (€ 4.743,72) unterschritten wird.
Dementsprechend war die Pflichtversicherung in den von der Versicherungserklärung nicht umfassten Zeiträumen zu verneinen.
Damit ist im Ergebnis festzuhalten, dass die Pflichtversicherung im vorliegenden Fall mit dem Einlangen der Versicherungserklärung am 16.01.2014 zu laufen begann, mit dem Wirksamwerden des Widerrufs am 28.02.2014 [sic] endete und in den übrigen Zeiträumen mangels Überschreitung der maßgeblichen Versicherungsgrenze keine Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z. 4 GSVG besteht.“
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung eines Vorverfahrens ‑ in dem vom Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde ‑ in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
6 Die SVS bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes komme zum Ergebnis, dass die Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG mit dem Einlangen der Versicherungserklärung am 16. Jänner 2014 begonnen und mit dem Wirksamwerden des Widerrufs am 28. Februar 2014 geendet habe. Festgestellt habe das Bundesverwaltungsgericht indes, dass der Widerruf am 7. Februar 2018 erfolgt sei. Ausgehend davon habe es das Ende der Pflichtversicherung im Jahr 2014 unrichtig beurteilt.
7 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
8 Das System der Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG besteht darin, dass der Versicherte entweder „ex ante“ eine Erklärung abgibt, dass die maßgebliche Versicherungsgrenze im Beitragsjahr überschritten wird (dies mit der Konsequenz des unwiderruflichen Eintretens der Versicherung mit Aufnahme der betrieblichen Tätigkeit bis zu deren Beendigung, dem Wegfall der berufsrechtlichen Berechtigung oder einem ausdrücklichen Widerruf der Versicherungserklärung ‑ § 7 Abs. 4 GSVG), oder dass er ‑ bei Fehlen einer solchen Erklärung ‑ erst im Nachhinein und nach Maßgabe des jeweiligen steuerlichen Ergebnisses der Erwerbstätigkeit in die Pflichtversicherung einbezogen wird. Die Abgabe einer Versicherungserklärung bewirkt daher, dass das Versicherungsverhältnis auch dann für den Zeitraum der Ausübung der betreffenden selbständigen Erwerbstätigkeit bestehen bleibt, wenn sich nach Einlangen des maßgeblichen Einkommensteuerbescheides herausstellt, dass die Versicherungsgrenze entgegen der abgegebenen Erklärung unterschritten wurde (vgl. VwGH 9.6.2020, Ra 2019/08/0143, mwN).
9 Insoweit kommt der Versicherungserklärung die Rechtswirkung eines „opting in“ zu: Es ist von der Sozialversicherungsanstalt bei Entgegennahme der Erklärung nämlich nicht zu prüfen, ob tatsächlich Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erklärung, es werde die Versicherungsgrenze überschritten werden, realistischen Annahmen entspricht. Maßgeblich ist ausschließlich, ob die betreffende Person eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG tatsächlich ausübt, ob durch diese Tätigkeit nicht nach anderen bundesgesetzlichen Bestimmungen eine Pflichtversicherung eingetreten ist und ob sie die erwähnte Erklärung betreffend das voraussichtliche Überschreiten der Versicherungsgrenze abgegeben hat. Es hängt daher der Sache nach nur von einer Willenserklärung des Versicherten ab, ob er unabhängig von der tatsächlichen Höhe der erzielten Einkünfte versichert sein möchte oder ob er nur im Nachhinein unter der Voraussetzung versichert sein möchte, dass nach dem jeweiligen Einkommensteuerbescheid die Einkünfte im betreffenden Kalenderjahr die Versicherungsgrenze überstiegen haben (vgl. VwGH 5.11.2003, 2000/08/0085).
10 Will daher der Versicherte vor dem Vorliegen des endgültigen Einkommensnachweises die durch eine Erklärung begründete Versicherung nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG wieder beenden, so genügt gemäß § 7 Abs. 4 Z 3 GSVG die Erklärung, dass die maßgebliche(n) Versicherungsgrenze(n) auf Grund der voraussichtlichen Einnahmen (doch) nicht überschritten werde(n). Eine derartige Erklärung beendet sodann die Pflichtversicherung mit dem Letzten des Kalendermonats, in dem die Erklärung abgegeben wird. Sie hindert nach dem Gesagten zwar nicht eine (rückwirkende) Feststellung der Pflichtversicherung für denselben Zeitraum bei Vorliegen eines entsprechenden ‑ die Versicherungsgrenze(n) (doch) überschreitenden ‑ Einkommensteuerbescheides, wohl aber schiebt sie die Durchführung dieser Versicherung bis zu jenem Zeitpunkt auf, zu dem der entsprechende Einkommensteuerbescheid vorliegt, sofern dieser ergibt, dass die Versicherungsgrenze tatsächlich überschritten wurde.
11 Die Versicherungserklärung hat sich ausdrücklich auf die jeweiligen Einkünfte „im Kalenderjahr“ zu beziehen, die die jeweilige Versicherungsgrenze dieses Kalenderjahres nach der Erklärung „übersteigen werden“. Wenn und solange weder eine Versicherungserklärung im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG noch ein Einkommensteuerbescheid für das betreffende Jahr vorliegt, kann über die Pflichtversicherung in diesem Jahr nicht abgesprochen werden. Demnach ist eine Versicherungserklärung im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 4 zweiter Satz GSVG keine Wissenserklärung. Sie ist als Willenserklärung des Versicherten darauf gerichtet, in die Pflichtversicherungen in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung einbezogen werden zu wollen (opting in; vgl. erneut VwGH 9.6.2020, Ra 2019/08/0143, mwN).
12 Den - im bisherigen Verfahren unbestrittenen - Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zufolge hat der im gesamten Jahr 2014 betrieblich tätige Mitbeteiligte am 16. Jänner 2014 eine Versicherungserklärung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 zweiter Satz GSVG abgegeben und diese am 7. Februar 2018 widerrufen. Indem das Bundesverwaltungsgericht die Wirksamkeit dieses Widerrufs ‑ im Widerspruch zu den eigenen Feststellungen ‑ mit 28. Februar 2014 statt mit 28. Februar 2018 angenommen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 7. Dezember 2021
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