OGH 4Ob90/24z

OGH4Ob90/24z23.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag.Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Alexander Amann LL.M., Rechtsanwalt in Gamprin‑Bendern, Fürstentum Liechtenstein, gegen die beklagte Partei * AG, *, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 3.250 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Berufungsgericht vom 14. März 2024, GZ 1 R 22/24i‑23, womit das Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom 21. Dezember 2023, GZ 13 C 240/23x‑16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00090.24Z.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Konsumentenschutz und Produkthaftung, Zivilverfahrensrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 597,52 EUR (darin 95,40 EUR an 19 % USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 10. 2. 2020 bei einer Fahrzeughändlerin einen von der Beklagten hergestellten Personenkraftwagen der Marke VW Touran BMT TDI DSG um 13.000 EUR als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 100.000 km. Das Fahrzeug ist mit einem 1,6 l Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet; dieser ist vom „VW-Dieselskandal“ betroffen. Das Software‑Update war am 22. 3. 2017 installiert worden. Der Kläger hätte das Fahrzeug bei Kenntnis von der Abschalteinrichtung nicht bzw nicht zu diesen Bedingungen gekauft.

[2] DerKläger begehrt Schadenersatz aus deliktischer Schädigung durch Erwerb eines abgasmanipulierten Fahrzeugs in Höhe von 3.250 EUR als 25%‑ige Preisminderung sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für Folgeschäden. Beim Fahrzeug liege eine unzulässige Abschalteinrichtung vor.

[3] Dem hielt die Beklagte ua entgegen, dass nach wie vor eine aufrechte Typengenehmigung vorliege. Das gegenständliche „Thermofenster“ sei zulässig und diene dem Schutz des Motors vor plötzlichen und unvorhersehbaren Schäden infolge Versottung und Verlackung. Selbst das KBA sehe keine Veranlassung, aufgrund des gegenständlichen „Thermofensters“ die EG-Typengenehmigung zurückzunehmen oder etwa einen Rückruf anzuordnen. Vielmehr sei bereits dessen Zulässigkeit nach dem Software‑Update bestätigt worden. Damit liege allenfalls nur ein entschuldbarer Rechtsirrtum vor, da dieses „Thermofenster“ vom KBA nicht beanstandet und darauf vertraut worden sei.

[4] Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren im Umfang von 1.300 EUR statt; das weitere Leistungsmehrbegehren über 1.950 EUR sowie das Feststellungsbegehren wurden hingegen abgewiesen. Es liegen mit der gegenständlichen Umschaltlogik und dem „Thermofenster“ nach der VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtungen vor, für die der klagende Käufer die beklagte Herstellerin direkt belangen könne. Die Bandbreite des Schadensbetrags liege zwischen 5 % bis 15 %. Im Anlassfall sei ein Schadensbetrag nach § 273 ZPO von 10 % des Kaufpreises auszumitteln. Die Beklagte hafte infolge Schutzgesetzverletzung und arglistiger Irreführung. Das Feststellungsbegehren sei nicht berechtigt, weil das Risiko des Entzugs der Zulassung bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließe.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es ließ die Revision zur Klärung eines möglichen Rechtsirrtums der Beklagten zu.

Rechtliche Beurteilung

[6] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508 Abs 1 ZPO), nicht zulässig.

[7] 1.1 Der Kläger, der das Kfz bei Kenntnis des Vorliegens einer nach Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erworben hätte, hat nach der gesicherten Rechtsprechung Anspruch auf Zuspruch des Minderwerts. Dieser primär nach unionsrechtlichen Anforderungen zu bestimmende Ersatz ist nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen (§ 273 Abs 1 ZPO). Dabei kann ein von der Partei angebotener Beweis (Sachverständigengutachten) übergangen werden (RS0134498).

[8] 1.2 Von dieser Judikatur sind die Vorinstanzen mit der auf § 273 ZPO gestützten Bemessung des Schadenersatzanspruchs von 10 % des Kaufpreises nicht abgewichen.

[9] 1.3 Die in der Revision vertretene Rechtsansicht, dass die Gefahr eines Typengenehmigungsentzugs den vom Kläger geltend gemachten Minderwert von 25 % rechtfertige, wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf, zumal sich der Anlassfall hinsichtlich des drohenden Zulassungsentzugs nicht von jenen Konstellationen zum Rechtssatz RS0134498 unterscheidet, in denen der Oberste Gerichtshof von der referierten Bandbreite für die Schadensberechnung ausgegangen ist. Dabei wurde schon mehrfach und ausdrücklich klargestellt, dass das theoretische Risiko eines Zulassungsentzugs bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt (zB 4 Ob 202/23v Rz 47; 4 Ob 204/23p Rz 56; 4 Ob 165/23b Rz 25; 8 Ob 66/23y Rz 19 uva).

[10] 1.4 Auch der Hinweis auf die Entscheidung 8 Ob 70/23m (Rz 26 mwN), wonach eine höhere Wertminderung nicht ausgeschlossen sei, kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen. Der Kläger blendet dabei aus, dass dies die exakte Feststellung der Wertminderung voraussetzt, welche im Anlassfall gerade nicht vorliegt.

[11] 1.5 Insoweit der Revisionswerber knapp darauf hinweist, auf unionsrechtliche Erwägungen bzw Einflüsse komme es gegenständlich wegen des Rückgriffs auf § 874 ABGB und § 1295 Abs 2 ABGB gar nicht an, widerspricht er zum einen seinem Vorbringen im Rechtsmittel, wonach die Höhe des konkreten Zuspruchs Unionsrecht verletzt habe. Zudem würde auch ein auf § 874 ABGB und § 1295 Abs 2 ABGB gestützter Schadenersatz in Höhe von 25 % des Kaufpreises keine Deckung in den Feststellungen finden. Gegenteiliges wird von der Revision nicht ansatzweise dargelegt.

[12] 2. Auch die Ausführungen zum Feststellungsbegehren werfen keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[13] 2.1 Entschließt sich der Käufer dazu, keine Rückabwicklung des Vertrags anzustreben, sondern das Fahrzeug gegen Ersatz des Minderwerts weiter zu behalten, so nimmt er das Risiko allfälliger zukünftiger Schäden bewusst in Kauf, sodass er fortan keine weiteren Schadenersatzansprüche mehr stellen kann (8 Ob 105/23h Rz 13; 9 Ob 10/23w Rz 27; 8 Ob 92/23x Rz 18).

[14] 2.2 Es wurde in der Rechtsprechung bereits klargestellt, dass ein Feststellungsinteresse nicht auf einen (allfälligen zukünftigen) Entzug der Zulassung gestützt werden kann, weil dieses Risiko bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt (10 Ob 27/23b Rz 44; 10 Ob 31/23s Rz 69; 8 Ob 90/22a Rz 28f; 8 Ob 66/23y Rz 19; 8 Ob 70/23m Rz 28 ff; 2 Ob 158/23h Rz 29; 3 Ob 203/23h Rz 23; 4 Ob 204/23p Rz 56:; 4 Ob 202/23v Rz 47; 4 Ob 165/23b Rz 25).

[15] 2.3 Weiters hat der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 17/23g ausgesprochen, dass die von einem Käufer im Rahmen des Feststellungsbegehrens geltend gemachten Spät- und Dauerfolgen (zB Schäden wegen vermehrter Abgasrückführung) nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den (auch dort gegenständlichen) unionsrechtlichen Schutzgesetzen, die nicht die Vermeidung solcher Schäden (auch nur mit-)bezwecken, stehen (Rz 26 ff). Auch zu 3 Ob 203/23h führte der Oberste Gerichtshof aus, die relevanten unionsrechtlichen Abgasnormen bezwecken nicht, dass bestimmte technische Bauteile geschont oder weniger oft gewartet werden müssen (Rz 23).

[16] 2.4 Schließlich hielt der Oberste Gerichtshof zu 10 Ob 17/23g (Rz 34) auch fest, dass sich aus § 874, § 1295 Abs 2 ABGB kein Begehren auf Feststellung der Haftung für Reparatur- oder Wartungskosten ableiten lässt (idS auch 2 Ob 158/23h).

[17] 2.5 Aus dem Umstand, dass der Oberste Gerichtshof in seiner zurückweisenden Entscheidung zu 9 Ob 18/24y wegen der dort behaupteten zukünftigen Schäden im Bereich des Abgasrückführungssystems ein Feststellungsinteresse bejahte, ist für den Kläger nichts abzuleiten. Der 9. Senat begründete seine Rechtsansicht damit, dass der dortige Kläger einen Schadenersatzanspruch gegen den Motorhersteller geltend gemacht habe, der nicht auf eine unionsrechtliche Schutzgesetzverletzung gestützt werden könne. Demgegenüber nahm der Kläger im gegenständlichen Verfahren den beklagten Fahrzeughersteller gerade wegen Verletzung der VO 715/2007/EG als Schutzgesetz in Anspruch.

[18] 2.6 Die Entscheidungen der Vorinstanzen weichen von der referierten Rechtsprechung nicht ab.

[19] 3. Auch zum Zinslauf bedarf die Entscheidung keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

[20] 3.1 Nach der gefestigten Rechtsprechung wird (auch) ein Schadenersatzanspruch wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art 5 VO 715/2007/EG erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch den Zugang einer Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig, sodass Verzugszinsen erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (vgl 10 Ob 2/23a Rz 44; 6 Ob 150/22k Rz 47; 3 Ob 121/23z Rz 31; 6 Ob 133/23m Rz 10; 6 Ob 197/23y Rz 27; 9 Ob 18/24y Rz 22). Die Vorinstanzen haben diese Rechtsprechung beachtet und dem Kläger Verzugszinsen erst ab dem auf die Klagszustellung folgenden Tag zuerkannt.

[21] 3.2 Auch mit dem Hinweis auf die Entscheidung des EuGH, C-295‑298/04, Manfredi, (Rz 97) gelingt es dem Kläger nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Anhaltspunkte dafür, dass der Effektivitätsgrundsatz einen Anspruch des Klägers auf Zinsen aus dem zugesprochenen Schadenersatzbetrag ab dem Vertragsabschluss geböte, sind der zitierten Rechtsprechung des EuGH nicht zu entnehmen.

[22] 4. Mit der vom Berufungsgericht in seiner Zulassungsbegründung aufgeworfenen Rechtsfrage setzt sich das Rechtsmittel nicht auseinander, sodass die Revision trotz der Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen ist (vgl RS0102059 [T21]).

[23] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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