European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00074.24I.0523.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Exekutionsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antragsteller ist schuldig, dem Antragsgegner binnen 14 Tagen die mit 502,70 EUR (darin enthalten 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der 2004 geborene Antragsgegner absolvierte nach seiner Matura vom 1. 9. 2022 bis zum 1. 7. 2023 beim Österreichischen Roten Kreuz ein „Freiwilliges Sozialjahr“ (FSJ). Er tat dies unter anderem zur Vorbereitung des damals von ihm beabsichtigten Medizinstudiums und weil das FSJ den – alternativ zum Wehrdienst von Wehrpflichtigen zu leistenden – Zivildienst substituiert. Eine Zivildienststelle beim Roten Kreuz oder einer anderen Rettungsorganisation wäre ihm erst nach einer mehrjährigen Wartezeit zur Verfügung gestanden. Nach Absolvierung des FSJ entschied er sich für ein nichtmedizinisches Studium.
[2] Der Antragsteller ist der Vater des Antragsgegners und ihm kraft einer Unterhaltsvereinbarung aus dem Jahr 2019 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 410 Euro verpflichtet, zu deren Hereinbringung mit exekutionsgerichtlichem Beschluss vom 29. 3. 2023 dem Antragsgegner die Forderungs- und Fahrnisexekution bewilligt wurde.
[3] Das Erstgericht erklärte den Unterhaltsanspruch für den Monat September 2022 – wegen unstrittig erfolgter Zahlung – für erloschen und wies den darüber hinausgehenden (Oppositions-)Antrag, den Unterhaltsanspruch ab dem 1. 10. 2022 für erloschen zu erklären, ab. Der Antragsgegner habe während des FSJ keine zu seiner Selbsterhaltungsfähigkeit führende staatliche Versorgung genossen. Er sei entgegen dem Standpunkt des Antragstellers auch nicht auf die Erzielung der höheren Einkünfte aus der Absolvierung eines Zivildienstes anzuspannen.
[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers gegen den abweisenden Teil des erstgerichtlichen Beschlusses nicht Folge. Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich zur Frage zu, „ob der Unterhaltsberechtigte als fiktiv selbsterhaltungsfähig anzusehen ist, wenn er statt eines zur (temporären) Selbsterhaltungsfähigkeit führenden Zivildienstes ein nicht zur Selbsterhaltungsfähigkeit führendes FSJ wählt, zumal wenn dieses für den in der Folge eingeschlagenen Ausbildungsweg keine unmittelbaren Vorteile bietet“.
[5] Gegen die rekursgerichtliche Entscheidung richtet sich der aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Antragstellers mit einem auf gänzliche Stattgebung des Oppositionsantrags abzielenden Abänderungsantrag.
[6] Der Antragsgegner beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise ihm den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Revisionsrekurs des Antragstellers ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, aber nicht berechtigt.
[8] 1. Dass die vom ihm während seines Freiwilligen Sozialjahres (§§ 5 ff FreiwilligenG; in der Folge: FSJ) erhaltenen Sach- und Geldleistungen samt Taschengeld (§ 12 Abs 1 Z 6 FreiwilligenG) den Antragsgegner nicht selbsterhaltungsfähig machten und deshalb im Fall, dass er nicht anzuspannen sein sollte, sein Unterhaltsanspruch für die Zeit des FSJ nicht erloschen ist, ist vor dem Obersten Gerichtshof unstrittig.
[9] 2. Präsenz- und Zivildiener sind als solche bei – im vorliegenden Fall anzunehmenden – durchschnittlichen Lebensverhältnissen aufgrund der mit ihrem Dienst einhergehenden Geld- und Sachleistungen als selbsterhaltungsfähig anzusehen (9 Ob 24/20z [Pkt II.1.]; RS0047475). Der vorliegende Oppositionsantrag kann nur Erfolg haben, sollte der Antragsgegner auf die Absolvierung des Zivildienstes (oder Präsenzdienstes) anzuspannen sein.
[10] 3. Es besteht grundsätzlich keine Anspannungsobliegenheit des an sich nicht selbsterhaltungsfähigen Kindes, sich um Erträgnisse oder Einkünfte zu bemühen. Davon macht die Rechtsprechung eine Ausnahme, wenn es sich um „leicht erzielbare“ Erträgnisse und Sozialleistungen handelt und die Erzielung dem Kind auch nicht aus einem anderen Grund unzumutbar ist. Verletzt das Kind diese Obliegenheit, so wird es so behandelt, als hätte es ihr entsprochen. Tatsächlich lukrierten Einkünften gleichgestellt sind unterlassene Einkünfte aber nur, wenn ihre Erzielung dem Kind (objektiv) leicht möglich und (subjektiv) zumutbar war (3 Ob 187/20a [Rz 45 und 54] mwN = EF‑Z 2021/56 [Gitschthaler]; Stefula in KBB7 § 231 ABGB Rz 7).
[11] Die Anwendung des Anspannungsgrundsatzes richtet sich jeweils nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls (RS0113751 [T4]).
[12] 3.1. Nach Abs 2 Satz 1 der Verfassungsbestimmung des § 12c ZDG sind Zivildienstpflichtige, die bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres anhand des vom Träger ausgestellten Zertifikats nachweisen, dass sie eine Tätigkeit von der in § 12c Abs 1 genannten Art und Mindestdauer ausgeübt haben, zur Leistung des ordentlichen Zivildienstes nicht mehr heranzuziehen. Von § 12c Abs 1 ZDG erfasst ist unter anderem die „Teilnahme an einem durchgehend mindestens zehn Monate dauernden Freiwilligen Sozialjahr“. Dies bedeutet, dass ein FSJ unter den genannten zeitlichen Bedingungen den (ordentlichen) Zivildienst ersetzt; die Verpflichtung zu dessen Ableistung entfällt (siehe zB Attlmayr, Kommentar zum Zivildienstgesetz – Ergänzungsband [2019] § 12c Rz 2 f; Wessely in Kneihs/Lienbacher, Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht [31. Lfg 2023] § 12c ZDG Anm 5).
[13] 3.2. Das Interesse des Antragsgegners, in Hinblick auf das von ihm damals noch angestrebte Medizinstudium beim Roten Kreuz oder einer anderen Rettungsorganisation (was ihm damals nicht möglich war) den Zivildienst oder (was ihm nur möglich war) das FSJ zu absolvieren, liegt auf der Hand. Seine Entscheidung für das FSJ war – wie bereits vom Erstgericht erkannt – sachlich gerechtfertigt. Hieran ändert sich – entgegen dem Revisionsrekurs und der rekursgerichtlichen Entscheidung auf dessen nachträgliche Zulassung – nichts dadurch, dass sich der Antragsgegner nach Absolvierung des FSJ doch für ein anderes als das Medizinstudium entschied. Für die Frage der Zumutbarkeit eines alternativen Verhaltens kommt es stets auf die Lage ex ante – somit hier auf die damalige Absicht, Medizin zu studieren – an.
[14] 3.3. Der Rechtsansicht der Vorinstanzen, einem unterhaltsberechtigten Wehrpflichtigen, der zwar wegen einer langen Wartedauer nicht die Möglichkeit hat, noch vor Beginn des von ihm angestrebten Medizinstudiums seinem Interesse entsprechend bei einer Rettungsorganisation den Zivildienst zu absolvieren, aber die Möglichkeit hat, bei einer solchen das FSJ zu absolvieren und damit unter einem seine Verpflichtung zur Absolvierung des Wehr‑ oder des Zivildienstes zu erfüllen, sei es nicht zumutbar, anstelle dessen entgegen seinem Gewissen (§ 1 Abs 1 Z 1 ZDG iVm Art 9a Abs 4 B‑VG) den Wehrdienst oder entgegen seinem Ausbildungsinteresse bei einer beliebigen anderen Einrichtung einen nicht auf das Medizinstudium vorbereitenden Zivildienst zu absolvieren, ist beizutreten. Dies schließt aber die Annahme einer Obliegenheitsverletzung aus.
[15] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 AußStrG.
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