OGH 8ObA17/24v

OGH8ObA17/24v22.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Susanne Haslinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Republik Österreich (Bundesministerium für Inneres), 1010 Wien, Herrengasse 7, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. DDr. B*, vertreten durch Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 36.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Jänner 2024, GZ 7 Ra 27/23d‑58, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00017.24V.0522.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Vorinstanzen wiesen übereinstimmend das gegen den Beklagten als damaligen Bezirkswahlleiter gerichtete Klagebegehren nach § 1 OrgHG ab. Die Klage war mit von ihm angeblich rechtswidrig und grob fahrlässig – durch entgegen den §§ 14 ff BPräsWG erfolgte Auswertung der mittels Briefwahl abgegebenen Stimmen – verursachten Mehrkosten der Republik aufgrund der Aufhebung des Verfahrens des zweiten Wahlgangs zur Wahl des Bundespräsidenten vom 22. 5. 2016 begründet worden; diese Aufhebung war vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. 7. 2016, GZ W I 6/2016‑125, VfSlg 20.071/2016, ausgesprochen worden.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die gegen die Klagsabweisung erhobene außerordentliche Revision der Klägerin, die eine unrichtige Auslegung des § 10 Abs 3 NRWO über die Zulässigkeit einer Delegation von Aufgaben des Bezirkswahlleiters wegen „vorübergehender Verhinderung“ durch die Vorinstanzen kritisiert, zeigt keine erheblichen Rechtsfragen auf:

[3] 1.1. Der Oberste Gerichtshof hat zur Haftung von Bezirkswahlleitern (bzw deren Stellvertretern) für die Wiederholung des zweiten Wahlgangs der Bundespräsidentenwahl 2016 bereits in mehreren Entscheidungen Stellung genommen und dabei die einschlägige Rechtslage ausführlich dargelegt:

[4] Zur Leitung und Durchführung der Wahl des Bundespräsidenten sind unter anderem die Bezirkswahlbehörden berufen, die aus dem Bezirkshauptmann und neun Beisitzern bestehen (§ 10 Abs 2 NRWO). Auf diese Wahlbehörden sind die einschlägigen Bestimmungen der NRWO sinngemäß anzuwenden (§ 2 Abs 1 und 2 BPräsWG). Die Leitung der Bezirkswahlbehörde obliegt dem Wahlleiter; er hat die Geschäfte zu besorgen, die ihm nach der NRWO zukommen und für die Beachtung der Bestimmungen der NRWO Sorge zu tragen (§ 62 Abs 2 NRWO). Die Wahlleiter haben auch die Sitzungen der Wahlbehörden vorzubereiten sowie die Beschlüsse der Wahlbehörden durchzuführen (§ 7 Abs 1 NRWO). Für den Fall seiner vorübergehenden Verhinderung hat der Bezirkswahlleiter mehrere Stellvertreter zu bestellen und die Reihenfolge zu bestimmen, in der diese zu seiner Vertretung berufen sind (§ 10 Abs 3 NRWO). Die notwendigen Hilfskräfte und Hilfsmittel werden den Wahlbehörden aus dem Stand des Amts zugewiesen, dem der Wahlleiter vorsteht oder von dessen Vorstand er bestellt wird (§ 7 Abs 2 NRWO; 9 ObA 108/20b; vgl auch 8 ObA 99/20x; 9 ObA 105/20m; 8 ObA 102/20p).

[5] 1.2. Nach § 14a Abs 1 BPräsWG prüft die Bezirkswahlbehörde, allenfalls unter Heranziehung von Hilfskräften, am Tag nach der Wahl, 9:00 Uhr, zusammengefasst die Wahlkarten zunächst auf ihre Vollzähligkeit und auf Nichtigkeitsgründe, öffnet danach die miteinzubeziehenden Wahlkarten, entnimmt ihnen die Wahlkuverts, öffnet und zählt sie.

[6] 2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat der Beklagte die ihm als Bezirkswahlleiter zukommenden Aufgaben beim zweiten Wahlgang einschließlich aller im Zusammenhang mit der Auszählung der Wahlkarten stehenden Tätigkeiten an seinen Bezirkswahlleiter-Stellvertreter – einen der verlässlichsten nichtakademischen Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft – delegiert. Der Beklagte war jedenfalls von Freitag, 20. 5. 2016, bis Samstag, 21. 5. 2016, im Ausland und kam am Wahltag, dem 22. 5. 2016 selbst gegen 14:00 Uhr in die Bezirkshauptmannschaft. Die im Wege der Briefwahl bei der Bezirkswahlbehörde eingelangten Wahlkarten waren – mit Kenntnis des Bezirkswahlleiter-Stellvertreters – von einem weiteren Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft zu einem wesentlichen Teil bereits am Freitag, 20. 5. 2016, sowie am Wahltag selbst maschinell geöffnet worden, ohne dass Mitglieder der Bezirkswahlbehörde oder sonstige Personen bei diesem Vorgang anwesend gewesen wären; nicht festgestellt werden konnte, ob das vorzeitige Öffnen der Wahlkarten auf entsprechende Anweisung des Bezirkswahlleiter-Stellvertreters erfolgte oder ob der hierfür zuständige Mitarbeiter eigenmächtig handelte. Der Beklagte erfuhr von diesem Öffnen der Wahlkarten nach den Feststellungen erst Wochen nach der Wahl.

[7] 3. Zur Rechtmäßigkeit des Auswertungsvorgangs durch die Bezirkswahlbehörde, deren Leiter der Beklagte war, hat der Verfassungsgerichtshof erwogen (VfSlg 20.071/2016):

„Das Öffnen (durch maschinelles Aufschneiden) der Wahlkarten ohne Beisein der Beisitzer verstößt gegen § 14a BPräsWG und gegen den Grundsatz der geheimen Wahl gemäß Art 60 Abs 1 B‑VG und ist daher rechtswidrig. Da die Beisitzer bzw Ersatzbeisitzer zu diesem Vorgang nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 18 Abs 1 NRWO iVm § 2 BPräsWG einberufen worden waren, war eine selbständige Durchführung dieser Handlungen durch den Bezirkswahlleiter bzw dessen Stellvertreter nicht zulässig. Gemäß § 18 Abs 3 NRWO iVm § 2 BPräsWG ist auch ein Beschluss, den Bezirkswahlleiter zu diesen Handlungen zu ermächtigen, rechtswidrig, wobei ergänzend noch zu betonen ist, dass auch die vorgelegte Ermächtigung des Bezirkswahlleiters aus dem Jahr 2013 nur die Nationalratswahl 2013 betrifft und eine sich nicht auf konkrete Wahlen beziehende Ermächtigung gemäß § 18 Abs 3 NRWO iVm § 2 BPräsWG selbst bei Vorliegen der sonstigen darin genannten Voraussetzungen jedenfalls unzulässig wäre. Der Umstand, dass eine Entnahme der Wahlkuverts aus den geöffneten Wahlkarten, insbesondere wenn dies in großer Anzahl geschehen wäre, am Aussehen der Wahlkarten bemerkt hätte werden können, wie der Bezirkswahlleiter bei der Vernehmung vor dem Verfassungsgerichtshof meinte, ist für diese Beurteilung nicht von Relevanz: Durch das Öffnen der Wahlkarten waren die Wahlkuverts in einer Weise zugänglich, die es ermöglicht hätte, festzustellen, von wem die Stimme abgegeben wurde, weil dessen Daten auf der Wahlkarte aufscheinen. Durch diesen Vorgang wurde daher der Grundsatz der geheimen Wahl gemäß Art 60 Abs 1 B‑VG verletzt.“

[8] 4.1. Daraus erhellt, dass der wesentliche im Bereich der hier relevanten Bezirkshauptmannschaft zur Aufhebung der Wahl beitragende Umstand – die entgegen § 14a Abs 1 BPräsWG von der Bezirkswahlbehörde unbeaufsichtigte Eröffnung von Wahlkarten vor 9:00 Uhr des Tages nach der Wahl – zu einem Zeitpunkt stattfand, zu dem der Beklagte tatsächlich nicht im Lande war und die Wahlleitung seinem Stellvertreter oblag, nämlich bereits ab Freitag, 20. 5. 2016, sowie am Wahltag selbst, an dem er erst gegen 14:00 Uhr in der Bezirkshauptmannschaft erschien, ohne dass er davon Kenntnis hatte, dass das Öffnen von Wahlkarten bereits begonnen worden war.

[9] 4.2. Durch eine in der Revision als wesentliches Versäumnis des Beklagten kritisiertes Unterlassen der dem Gesetz (§ 14a Abs 1 BPräsWG) entsprechenden Einberufung der Bezirkswahlbehörde für 9:00 Uhr am Tag nach der Wahl wäre somit der Schaden nicht zu verhindern gewesen, weil das nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs den Schaden mitauslösende Verhalten von Anderen schon gesetzt worden war.

[10] Soweit die Klägerin behauptet, der Beklagte habe mangels vorübergehender Abwesenheit nicht das Recht gehabt, seine Aufgaben an den Bezirkswahlleiter-Stellvertreter zu delegieren, entfernt sie sich jedenfalls in Bezug auf die „zu einem wesentlichen Teil“ bereits am Freitag, 20. 5. 2016, sowie am Wahltag selbst erfolgte maschinelle Öffnung der Wahlkarten vom festgestellten Sachverhalt. Auf weitere Fragen der Auslegung von § 10 Abs 3 NRWO kommt es hier damit nicht an.

[11] 4.3. Entgegen der Auffassung der Revision kommt es auch nicht auf die Umstände der Auszählung der Wahlkarten an, welche am Tag nach der Wahl stattfand und bei welcher der Beklagte nicht verhindert gewesen sei, sondern wie dargelegt auf die – in seiner Abwesenheit sowie ohne sein Wissen, seinen Auftrag oder gar seine Beteiligung – in den Tagen zuvor erfolgte und bereits einen Aufhebungsgrund bildende Öffnung der Wahlkarten: Eine solche reale Schadenskausalität geht jedenfalls in der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation einer – von der Klägerin im Ergebnis geltend gemachten – hypothetischen (Reserve‑)Ursache vor, welche demnach nicht haftbar macht (vgl RS0022653 [insb T4]).

[12] 5. Die Ansicht der Vorinstanzen, der Beklagte habe den aus der Wiederholung des zweiten Wahlgangs zur Wahl des Bundespräsidenten vom 22. 5. 2016 resultierenden Schaden nicht zurechenbar zu verantworten, ist daher im Einzelfall zumindest vertretbar.

[13] Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

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