OGH 4Ob169/23s

OGH4Ob169/23s26.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacherals Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Dr. Martin Dellasega und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen zuletzt 4.999,99 EUR sA, Entfernung und Herstellung, Unterlassung und Feststellung (Gesamtstreitwert: 14.999,99 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 13. April 2023, GZ 4 R 213/22k‑49, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 2. August 2022, GZ 11 C 315/19v‑42, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 13. Jänner 2023, GZ 11 C 315/19v‑47, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00169.23S.0426.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.221,90 EUR (darin 203,65 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Parteien sind die Eigentümer benachbarter Hanggrundstücke. Der Beklagte erwarb sein Grundstück 2002, die Klägerin ihr Grundstück 2005.

[2] Im Grenzbereich der beiden Grundstücke befindet sich zumindest seit 1955 eine Steinschlichtungsmauer, die weitgehend überwachsen ist und eine hangsichernde Funktion haben soll. Sie beginnt auf dem Grundstück der Klägerin, ehe sie die Grenze schneidet und auf dem Grundstück des Beklagten weiter verläuft. Es steht weder fest, wer die Mauer errichtet hat, noch dass es eine Vereinbarung über das Alleineigentum an der Mauer gäbe.

[3] Im April 2009 stürzten Teile der Mauer auf dem Grundstück des Beklagten ein. Die Haftpflichtversicherung der Klägerin – wer sie kontaktiert hatte, steht nicht fest – versagte die Deckung der Kosten für eine umfangreiche Sanierung mit dem Argument, der Schaden habe sich auf dem Grundstück der Klägerin ereignet. Daraufhin schlichtete der Beklagte die Mauer wieder auf, als die Klägerin einige Tage ortsabwesend war. Er hatte zuvor weder die Zustimmung der Klägerin eingeholt noch bei der Baubehörde ein Bauansuchen oder eine Bauanzeige eingebracht.

[4] Die Klägerin nahm die Arbeiten nachträglich zur Kenntnis und sprach sich nicht dagegen aus, weder sogleich noch in den Folgejahren.

[5] Im Mai 2009 schrieb der Beklagte eine E-Mail an die Klägerin. Er schilderte den im April 2009 eingetretenen Schaden an der Mauer sowie seine Arbeiten zur Behebung des Schadens und schlug vor, „den jetzigen Zustand des Hanges zu versichern“, weil man nicht wissen könne, „ob der Hang ja nicht noch einmal herabrutschen wird“. Die Klägerin antwortete, sie habe die E‑Mail des Beklagten „zur Klärung“ an ihren Versicherer weitergeleitet. Es steht nicht fest, dass es in der Folge zur Versicherung des „jetzigen“ Zustands des Hangs gekommen wäre.

[6] Der Grenzverlauf zwischen den Grundstücken der Parteien (und damit auch die genaue Lage der Mauer) wurde erst im Juni 2014 geklärt.

[7] Mit rechtskräftigem Bescheid vom 6. 12. 2017 trug die Baubehörde beiden Parteien als gemeinsamen Eigentümern die Beseitigung der im Jahr 2009 konsenslos „neu errichteten“ Mauer und die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands auf. Mit rechtskräftigem Bescheid vom 26. 11. 2020 ordnete die Baubehörde aufgrund der Untätigkeit der Parteien die Ersatzvornahme an und trug den Parteien dafür eine Vorauszahlung von 17.597,08 EUR auf. Für die anwaltliche Vertretung im Bauverfahren wandte die Klägerin 8.177,21 EUR auf.

[8] Die Klägerin begehrte vom Beklagten zuletzt – soweit Gegenstand des Revisionsverfahrens – die Beseitigung der Mauer und die Wiederherstellung des vorigen Zustands, die Unterlassung künftiger baulicher Maßnahmen an der Mauer ohne ihre Zustimmung, den Ersatz eines Teils der anwaltlichen Vertretungskosten im Bauverfahren in der Höhe von 4.999,99 EUR sA und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden aus der rechtswidrigen „Errichtung“ der Mauer im April 2009, weil ihr weitere Vertretungskosten im Bauverfahren und die Inanspruchnahme für die Abbruchkosten drohten. Sie brachte im Wesentlichen vor, der Beklagte habe die Arbeiten an der Mauer ohne ihre Zustimmung durchgeführt und rechtswidrig und schuldhaft keine Baubewilligung eingeholt.

[9] Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete im Wesentlichen, die Klägerin habe seinen Arbeiten an der Mauer nachträglich (schlüssig) zugestimmt. Der Schutzzweck der Bestimmungen der Tiroler Bauordnung über die Baubewilligung erfasse die geltend gemachten Schäden nicht.

[10] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren – soweit Gegenstand des Revisionsverfahrens – statt. Die Mauer stehe wegen ihres Verlaufs im Grenzbereich der Liegenschaften der Parteien im Miteigentum der Parteien. Der Beklagte habe eigenmächtig an der Mauer gearbeitet. Er habe daher den dadurch geschaffenen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen und künftige Störungen zu unterlassen (§ 523 ABGB). Aufgrund seines eigenmächtigen Handelns bestehe auch der geltend gemachte Schadenersatzanspruch zu Recht.

[11] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil und wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe den Arbeiten des Beklagten an der Mauer nachträglich konkludent (§ 863 ABGB) zugestimmt. Sie habe ihnen nicht nur jahrelang nicht widersprochen, sondern auch die E‑Mail des Beklagten vom Mai 2009, in der er ihr den Schaden sowie seine Arbeiten an der Mauer geschildert und die Versicherung des „jetzigen“ Zustands des Hangs vorgeschlagen hatte, „zur Klärung“ an ihren Versicherer weitergeleitet und den Beklagten darüber informiert. Der Beklagte habe von diesem Verhalten den Eindruck gewinnen müssen, dass die Klägerin den Zustand der Mauer nach den Arbeiten des Beklagten gegenüber einem Dritten – dem Versicherer – mittrage und diesen Arbeiten daher nachträglich zustimme. Die von der Klägerin geltend gemachten Schäden seien nicht vom Schutzzweck der Bestimmungen der Tiroler Bauordnung über die Pflicht zur Einholung einer Baubewilligung erfasst. In Stattgebung eines Abänderungsantrags der Klägerin nach § 508 Abs 1 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

[12] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Ersturteil wiederherzustellen. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[13] Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

[14] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

1. Zu den auf das Miteigentum an der Mauer gestützten Ansprüchen nach § 523 ABGB:

Rechtliche Beurteilung

[15] 1.1. Vorauszuschicken ist, dass die Klägerin die Ansicht der Vorinstanzen, die Mauer stehe wegen ihres Verlaufs im Grenzbereich der Liegenschaften im Miteigentum der Parteien, nicht bezweifelt.

[16] 1.2. Nach der gefestigten Rechtsprechung dient die Eigentumsfreiheitsklage (§ 523 ABGB) auch der Abwehr von Eingriffen einzelner Miteigentümer in das gemeinsame Eigentum (RS0012112; RS0012137).

[17] 1.3. Nach der ebenso gefestigten Rechtsprechung setzt die Eigentumsfreiheitsklage die Eigenmacht des Störers voraus (4 Ob 25/16d; 5 Ob 60/20i; 5 Ob 97/20f; 8 Ob 70/22k; vgl RS0012112[T11]; RS0083156 [T24]). Die Ansprüche aus der Eigentumsfreiheitsklage bestehen, solange die Eigenmacht andauert (5 Ob 179/00k; 5 Ob 97/20f). Mit der nachträglichen Genehmigung des Eingriffs durch den Eigentümer (oder die übrigen Miteigentümer), die auch konkludent (§ 863 ABGB) erfolgen kann, fällt die Eigenmacht weg (vgl 5 Ob 119/18p; 5 Ob 97/20f; 5 Ob 182/20f). Das deckt sich mit dem zu § 828 Abs 1 ABGB ergangenen Rechtssatz, wonach die wegen des nach dieser Bestimmung geltenden Einstimmigkeitsprinzips erforderliche Willensbildung in der formlosen Zustimmung aller zur betreffenden Verfügung besteht, und dass diese eine Willenserklärung ist und daher auch nachträglich konkludent erfolgen kann (3 Ob 151/11v, mit Verweisen auf die Literatur, 2 Ob 206/55 und 5 Ob 314/65). Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Voraussetzungen für die Berechtigung der Eigentumsfreiheitsklage ist der Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz (vgl 5 Ob 241/09s; 5 Ob 97/20f; 1 Ob 110/20p). Das gilt also insbesondere für die Beurteilung der Eigenmacht.

[18] 1.4. Das Berufungsgericht hat daraus vertretbar geschlossen, dass die Klägerin gegen den Beklagten keine Ansprüche aus der Eigentumsfreiheitsklage geltend machen kann – weder auf Unterlassung noch auf Beseitigung noch auf Wiederherstellung des vorigen Zustands –, wenn sie bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz ein Verhalten gesetzt hatte, das als konkludente (§ 863 ABGB) nachträgliche Zustimmung zu den Arbeiten des Beklagten an der Mauer zu werten ist. Die in der Revision vertretene – im Übrigen nicht näher begründete – Ansicht, die Abweisung des Unterlassungsbegehrens stehe „nicht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung“, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.

2. Zur Beurteilung des Verhaltens der Klägerin nach § 863 ABGB:

[19] 2.1. Es trifft zu, dass nach der Rechtsprechung bei der Annahme einer schlüssigen Willenserklärung größte Vorsicht geboten ist (RS0014157; RS0013947). Sie setzt ein Verhalten voraus, das nach den üblichen Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer bestimmten Richtung zu verstehen ist; es darf kein vernünftiger Grund übrig sein, daran zu zweifeln, dass der Wille, eine Rechtsfolge in einer bestimmten Richtung herbeizuführen, vorliegt (RS0013947[T1]; RS0014150). In Anwendung dieser Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof zB wiederholt ausgesprochen, dass eine jahrelange unwidersprochene Übung aller Miteigentümer als schlüssige Benützungsvereinbarung gewertet werden kann (RS0013638 [T3, T5]) oder dass, wenn ein Miteigentümer die gemeinsame Sache ohne Widerspruch des anderen über das ihm zustehende Maß in Gebrauch nimmt, die schlüssige Zustimmung des anderen zu diesem Gebrauch anzunehmen sein kann (RS0013636).

[20] 2.2. Ob eine schlüssige Willenserklärung vorliegt und welchen Inhalt sie gegebenenfalls hat, ist regelmäßig einzelfallbezogen und begründet daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (RS0081754[T5, T6]; RS0109021 [T5, T6]; 4 Ob 217/23z). Diese Frage ist nur bei einer groben Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts revisibel (RS0043253 [T7]; RS0081754 [T11]).

[21] 2.3. Eine solche grobe Fehlbeurteilung zeigt die Klägerin nicht auf: Sie hatte den Arbeiten des Beklagten an der Mauer nicht nur jahrelang nicht widersprochen, sondern auch seine E‑Mail vom Mai 2009, in der er ihr den Schaden sowie seine Arbeiten an der Mauer geschildert und die Versicherung des „jetzigen“ Zustands des Hangs angedacht hatte, „zur Klärung“ an ihren Versicherer weitergeleitet und den Beklagten darüber informiert. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte musste von diesem Verhalten den Eindruck gewinnen, dass die Klägerin den Zustand der Mauer nach den Arbeiten des Beklagten gegenüber einem Dritten – dem Versicherer – mittrage und diesen Arbeiten daher nachträglich zustimme, ist nach den wiedergegeben Rechtsprechungsgrundsätzen zur Konkludenz vertretbar. Das Vorbringen der Klägerin, das ihr zuzurechnende Verhalten habe sich auf ein bloßes Dulden beschränkt, widerspricht den Feststellungen. Ob die Klägerin Kenntnis von den „wahren“ Eigentumsverhältnissen hatte oder nicht, ist unerheblich, weil es allein auf den objektiven Erklärungswert ihres Verhaltens ankam. Dass der Beklagte erkennen hätte können, dass sie geglaubt habe, die Mauer befinde sich auf seinem Grundstück, hat die Klägerin nicht vorgebracht. Eine Abweichung des Berufungsgerichts von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist nicht erkennbar.

3. Zu den auf den Verstoß gegen die Tiroler BauO gestützten Schadenersatzansprüchen:

[22] 3.1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Bauvorschriften in Bauordnungen (der Länder) wie auch baubehördliche Auflagen, technische Richtlinien oder technische Bauvorschriften Schutzgesetze im Sinn des § 1311 ABGB sein können, wenn sie konkrete Schäden verhindern sollen (3 Ob 173/23x; vgl RS0119032; 6 Ob 216/21i). Eine Schadenshaftung bei einem Verstoß gegen ein Schutzgesetz setzt voraus, dass der konkret eingetretene Schaden vom Schutzzweck der Norm umfasst ist. Es müssen sowohl der Geschädigte als auch die Art des Schadens und die Form seiner Entstehung vom Schutzzweck erfasst sein (RS0027553 [T18]; 3 Ob 173/23x; 1 Ob 135/23v).

[23] 3.2. Zu den Bauordnungen (der Länder) hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass sie primär den Schutz der Allgemeinheit vor durch die nicht fachgerechte Ausführung von Bauarbeiten ausgelösten Schäden bezwecken (RS0119032; 3 Ob 173/23x). Sie sollen die Allgemeinheit etwa vor umstürzenden Gebäuden, herabfallenden Mauerteilen oder Feuer schützen (3 Ob 173/23x). Dagegen hat der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt, dass das reine Vermögen grundsätzlich nicht Schutzobjekt solcher Bauvorschriften ist, sondern dass insoweit allenfalls eine bloße Reflexwirkung baupolizeilicher Normen vorliegt (3 Ob 173/23x; vgl 1 Ob 313/01p; 1 Ob 232/05g).

[24] 3.3. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die hier maßgeblichen Bestimmungen der Tiroler Bauordnung über die Pflicht zum Ansuchen um eine Baubewilligung (§§ 21 Abs 1, 22, 24 ff Tiroler BauO 2011) würden nicht den Schutz des reinen Vermögens der Klägerin bezwecken, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung.

[25] 3.4. Andere Rechtsgrundlagen, gegebenenfalls auch nur für einen Teil des eingeklagten Schaden, macht die Revision nicht geltend.

[26] 4. Die Revision ist daher zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen des § 502 ZPO nicht vorliegen.

[27] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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