OGH 4Ob75/24v

OGH4Ob75/24v26.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch Dr. Franz Hafner und Dr. Karl Bergthaler, Rechtsanwälte in Altmünster, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Schneider Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Bludenz, wegen Feststellung (Streitwert 5.100 EUR) und Unterlassung (Streitwert 5.100 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 7. Februar 2024, GZ 22 R 307/23p‑19, womit das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 17. Juli 2023, GZ 2 C 227/23w‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00075.24V.0426.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.032,90 EUR (darin 172,15 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Das Grundstück *2 des Klägers grenzt östlich an das schmale Weggrundstück *3 der Beklagten an. Im Bereich der Grundstücksgrenze verläuft ein Zaun, allerdings nicht exakt an der Grundgrenze. Der Zaun ist vielmehr seit ca 50 Jahren etwa einen Meter Richtung Westen in das Grundstück des Klägers hineinversetzt, sodass östlich des Zauns ein schmaler (zum Grundstück *2 gehöriger) Streifen vorliegt.

[2] Über das Grundstück *3 und die durch den Zaun abgeschnittene Teilfläche des Grundstücks *2 verläuft ein Weg. Dabei handelt es sich um eine (seit 2012) mit Grobschotter befestigte Zufahrt. Über das Grundstück *3 gelangt man zu den (im folgenden so genannten) weiteren Grundstücken der Beklagten (Wiese), die allerdings auch von der öffentlichen Straße über eine andere Zufahrt aus erreichbar sind (um sie landwirtschaftlich zu bewirtschaften). Seit ca 50 Jahren wird zu den weiteren Grundstücken nur über diese öffentliche Straße zugefahren, weil ca im Jahr 1975 ein Eigentümer eines anderen Nachbargrundstücks eine Garage auf seinem Grundstück in der Nähe zum Weggrundstück *3 errichtete. Dadurch wurde die Breite der Durchfahrt eingeschränkt. Etwa zur selben Zeit wurde von den Rechtsvorgängern des Klägers auf Drängen der Rechtsvorgänger der Beklagten der Grenzzaun – wie oben beschrieben – Richtung Westen versetzt.

[3] Seit 1993 parkten die Beklagte bzw ihr Ehegatte mit ihren Kleinwägen etwa fünf bis 20 Mal im Jahr östlich des Grenzzauns auf den Grundstücken *3 und *2.

[4] Eine (ausdrückliche) Vereinbarung über ein Fahr- oder Gehrecht über das Grundstück *2 für die Beklagte oder deren Rechtsvorgänger wurde nicht getroffen.

[5] Gestützt auf sein Eigentumsrecht begehrt der Kläger die urteilsmäßige Feststellung, dass der Beklagten und ihren Rechtsnachfolgern die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens über das Grundstück *2 im Zusammenhang mit der Nutzung und Bewirtschaftung der weiteren Grundstücke der Beklagten nicht zustehe. Weiters möge der Beklagten verboten werden, das Grundstück *2 zu befahren und zu begehen.

[6] Die Beklagte wandte ein, ihre Rechtsvorgänger hätten mit den Rechtsvorgängern des Klägers vereinbart, dass der streitgegenständliche Teil des Grundstücks *2 von den Eigentümern des Grundstücks *3 genutzt werden dürfe. Weiters berief sich die Beklagte auch auf die Ersitzung der Dienstbarkeit. Das Grundstück des Klägers sei mehr als 30 Jahre für die Durchfahrt (vor allem mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen) zu den weiteren Grundstücken verwendet worden.

[7] Das Erstgericht gab der Klage statt. Eine Ersitzung komme mangels guten Glaubens nicht in Frage. Eine ausdrückliche Vereinbarung einer Servitut liege nicht vor. Eine Dienstbarkeit sei auch nicht konkludent durch die stillschweigende Nutzung des Grundstücks eingeräumt worden.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung. Die Anforderungen an eine konkludente Einräumung eines Geh- und Fahrrechts seien bereits mangels Duldung einer entsprechenden Benützung während eines längeren Zeitraums nicht erfüllt. Für eine Ersitzung eines Geh- und Fahrrechts würde die Redlichkeit und eine ausreichende Ersitzungszeit fehlen.

[9] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des zweitinstanzlichen Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige. Es ließ die ordentliche Revision zur Frage zu, ob ein schlüssiger Dienstbarkeitsvertrag allenfalls auch dann zustande komme, wenn der Eigentümer des dienenden Grundstücks ein Verhalten setze, aus dem sich der rechtsgeschäftliche Wille auf Einräumung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht allenfalls ableiten ließe (hier: Versetzen des Grenzzauns), es in weiterer Folge jedoch nicht zur Duldung der Nutzung des dienenden Grundstücks über einen längeren Zeitraum komme.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), nicht zulässig.

[11] 1.1 Der Erwerbstitel einer Dienstbarkeit ist – neben den anderen in § 480 ABGB genannten Fällen – zumeist ein Vertrag, der nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent (§ 863 ABGB) geschlossen werden kann (RS0114010; RS0111562).

[12] 1.2 An die Annahme der schlüssigen Einräumung einer Dienstbarkeit sind, weil dies einem Teilrechtsverzicht gleichkommt, nach der Rechtsprechung „strenge Anforderungen“ zu stellen (RS0111562 [T5]), zumal schon allgemein bei der Beurteilung einer Handlung auf ihre konkludente Aussage „größte Vorsicht“ geboten ist (RS0013947, für Dienstbarkeit: dort insb T13).

[13] 1.3 Die Beurteilung des Vorliegens einer konkludenten Willenserklärung hat regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung, es sei denn, es läge eine Fehlbeurteilung durch die Vorinstanz vor, die im Interesse der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit wahrgenommen werden müsste (RS0043253 [T1, T2, T8, T18, T21]; vgl RS0044358 [T14, T23]), weil den Vorinstanzen eine geradezu unvertretbare Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (RS0043253 [T8]; RS0109021 [T6] ua).

[14] 2. Die von der Beklagten zur schlüssigen Einräumung einer Dienstbarkeit vorgebrachten Argumente können aus folgenden Gründen die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen:

[15] 2.1 Zum einen ist die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, die früheren Eigentümer des Grundstücks *2 hätten allein durch das Versetzen des Zauns auf Drängen der Eigentümer des benachbarten Grundstücks *3 eine Servitut nicht schlüssig eingeräumt, im Ergebnis – auch mit Blick auf die unter Punkt 1.2 referierte Rechtsprechung – schon deshalb jedenfalls vertretbar, weil dem bloßen Versetzen des Zauns nicht zwingend ein rechtsgeschäftlicher Wille zur Einräumung einer Dienstbarkeit zugrunde liegen muss. Denkbar wäre auch, dass damit nur die Bewirtschaftung des Grundstücks *3 erleichtert werden, ein Grenzstreit bereinigt oder eine bloße Gefälligkeitshandlung gesetzt werden sollte. Jedenfalls liegt in der Beurteilung der Vorinstanzen keine grobe Fehlbeurteilung iSd Punkt 1.3, sodass die Rechtsansicht der Vorinstanzen keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung bedarf.

[16] 2.2 Zum anderen muss eine inhaltliche Auseinandersetzung zu Fragen einer schlüssigen Einräumung einer Dienstbarkeit im Anlassfall aber auch deshalb unterbleiben, weil bereits das Vorbringen der Beklagten einen konkludent zustande gekommenen Dienstbarkeitsvertrag nicht trägt.

[17] 2.2.1 Das Vorliegen einer konkludenten Vereinbarung zur Begründung einer Dienstbarkeit muss vom (vermeintlich) Berechtigten behauptet und bewiesen werden (zB 10 Ob 10/13p, Punkt 2.2). Erstmals in der Berufung erstattete Ausführungen zu einer konkludenten Einräumung einer Dienstbarkeit verstoßen gegen das Neuerungsverbot (§ 482 Abs 1 ZPO; vgl etwa 1 Ob 38/16v, Punkt 2).

[18] 2.2.2 Die Beklagte hat in erster Instanz kein Vorbringen erstattet, aus dem ableitbar gewesen wäre, ihr (bzw ihren Rechtsvorgängern) sei eine Dienstbarkeit konkludent eingeräumt worden. Sie stützte sich lediglich auf eine (letztendlich vom Erstgericht nicht festgestellte) Vereinbarung, wegen der der Begrenzungszaun nach Westen verschoben worden sei. Damit wurde (anders als später in der Berufung und jetzt in der Revision) im Versetzen des Zauns gerade keine schlüssige Willenserklärung gesehen, sondern das Versetzen (nur) als Maßnahme qualifiziert, die die (ausdrücklich) getroffene Vereinbarung umsetzte.

[19] 3. Auch im Zusammenhang mit der (alternativ) behaupteten Ersitzung eines Wegerechts wirft die Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[20] 3.1 Der Ersitzungsbesitzer hat außer einer Besitzungsübung, die nach Inhalt und Umfang dem zu erwerbenden Recht entspricht, noch die Vollendung der Ersitzungszeit zu beweisen, wobei es genügt, wenn der Bestand des Rechtsbesitzes am Beginn und Ende der Ersitzungszeit feststeht, während der Gegner einen in deren Verlauf eingetretenen Verlust des Besitzes oder eine Unterbrechung der Ersitzung zu beweisen hat, ferner auch, dass der Besitz nicht redlich und (oder) echt gewesen sei (RS0034251).

[21] 3.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger der Beweis der Unterbrechung der Ersitzung gelungen sei, weil hinsichtlich seines Grundstücks in der Zeit von 1975 bis 1993 kein Besitz im Sinn eines behaupteten Wegerechts ausgeübt worden sei, begegnet keinen Bedenken. Die in der Revision vertretene Ansicht, dass der Ersitzungsbesitz auch nach 1975 ausgeübt worden sei, entfernt sich von den getroffenen Feststellungen und kann schon deshalb keine erhebliche Rechtsfrage aufwerfen.

[22] 3.3 Die Beurteilung der Frage, ob in einem bestimmten Fall die konkret zu berücksichtigenden Umstände die Qualifikation des Verhaltens des Besitzers als redlich oder unredlich fordern, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und stellt daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0010185 [T7]; RS0010184 [T13]). Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Ersitzung in der Zeit von 1993 bis 2023 an der Unredlichkeit der Beklagten scheitere, weil dieser vom Kläger im Jahr 2012 mitgeteilt wurde, dass er „das mit dem Wegerecht nicht will“ und „nicht will, dass über [sein] Grundstück zugefahren wird“, ist jedenfalls vertretbar. Dies auch deshalb, weil die Beklagte 2012/2013 den Kläger ausdrücklich um Erlaubnis fragte, dessen Grundstücksstreifen zu betreten, um (temporäre) Verlegungsarbeiten am Grundstück *3 durchzuführen.

[23] 3.4 Auch die Ausführungen zur behaupteten Ersitzung des Gehrechts können die Zulässigkeit der Revision nicht stützen. Das Vorbringen der Revisionswerberin, es lägen keine Feststellungen vor, dass das Gehrecht nicht ausgeübt worden sei, weshalb es zu keiner Unterbrechung gekommen sei, blendet aus, dass der Ersitzungsbesitzer die Besitzungsübung zu beweisen (vgl Punkt 3.1) und (vgl zB 3 Ob 136/20a Rz 11; RS0034237) zu behaupten hat. Das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten zur Besitzausübung beschränkte sich aber ausschließlich auf das Fahrrecht. Damit mussten die Vorinstanzen Fragen zur Ersitzung eines Gehrechts (einschließlich zur Unterbrechung der Ersitzungszeit) gar nicht prüfen.

[24] 3.5 Insoweit die Beklagte in der Revision auch ausdrücklich die zur Unterbrechung und Unredlichkeit getroffenen Feststellungen bekämpft und dazu Ersatzfeststellungen begehrt, ist sie daran zu erinnern, dass der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz ist und in der Revision daher keine Beweisrüge erhoben werden kann.

[25] 4. Die Revision ist somit ungeachtet der Zulassung durch das Berufungsgericht zurückzuweisen.

[26] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0123222 [T8, T14]).

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