OGH 3Ob136/20a

OGH3Ob136/20a10.12.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*, 2. Da*, 3. Do* und 4. A*, alle vertreten durch Kuhn Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei F*, vertreten durch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, wegen Einwilligung in die Einverleibung von Dienstbarkeiten, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 19. Februar 2020, GZ 58 R 93/19b‑24, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 13. September 2019, GZ 18 C 109/18z‑20, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130393

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 585,28 EUR (darin 97,55 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger sind Miteigentümer einer Liegenschaft, auf der sich ein Haus befindet, das an das öffentliche Wegenetz nicht angebunden, sondern nur über einen alten Zufahrtsweg („Hohlweg“) und einen Forstweg erreichbar ist. Ihre Rechtsvorgänger erwarben die Liegenschaft im Jahr 1913. Der Beklagte ist und seine Rechtsvorgänger waren Eigentümer benachbarter Grundstücke. Von einem Grundstück der Kläger verläuft der Hohlweg vorerst teilweise über ein Grundstück des Beklagten, anschließend über ein Grundstück eines Dritten und zuletzt zur Gänze über zwei Grundstücke des Beklagten.

[2] Die Familie des Beklagten hatte bereits ab etwa 1930 bis 2014 von den jeweiligen Eigentümern der Liegenschaft der Kläger diverse landwirtschaftliche Flächen gepachtet. Der Beklagte und seine Familie (Rechtsvorgänger) nutzten als Pächter von landwirtschaftlichen Flächen der Kläger (bzw von deren Rechtsvorgängern) seit zumindest 1930 den Hohlweg vier bis sechs Mal im Jahr für den Viehtrieb, da er die logische Verbindung zwischen den von ihnen gepachteten Wiesen war.

[3] Die Kläger begehrten die Einwilligung des Beklagten in die Einverleibung einer Dienstbarkeit des Gehens, Fahrens und Viehtreibens über die Grundstücke des Klägers auf dem (in einem Plan eingezeichneten) Hohlweg. Ihre Rechtsvorgänger hätten die Dienstbarkeit(en) ersessen, weil der Weg zumindest seit Jahrzehnten als Zufahrt zu ihrer Liegenschaft benutzt worden sei. Die Liegenschaft der Kläger umfasse auch landwirtschaftliche Grundstücke im Ausmaß von mehr als 7 Hektar, die bis 30. September 2014 an den Beklagten, dessen Rechtsvorgänger und Rechtsnachfolger verpachtet gewesen seien. Im Zuge der Bewirtschaftung dieser landwirtschaftlichen Grundstücke sei auch Vieh gehalten worden, das von den Pächtern nur teilweise über den Hohlweg getrieben worden sei, weil die landwirtschaftlichen Flächen der Kläger vom Anwesen des Beklagten ohne Benützung des Hohlwegs erreichbar gewesen seien; allerdings sei der Hohlweg auch vom Beklagten, dessen Rechtsvorgängern und Rechtsnachfolgern verwendet worden, die insoweit als Pächter Besitzhandlungen auch für die Kläger ausgeführt hätten.

[4] Der Beklagte wendete gegen die Dienstbarkeit des Viehtreibens, die allein noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, zusammengefasst ein, weder die Kläger noch deren Rechtsvorgänger hätten jemals Vieh besessen und es sei auch zu keinem Zeitpunkt in einer den Klägern zurechenbaren Weise Vieh über den Hohlweg getrieben worden. Die Ersitzung einer solchen Dienstbarkeit sei daher weder rechtlich noch faktisch möglich.

[5] Das Erstgericht gab der Klage zur Gänze statt.

[6] Zur Dienstbarkeit des Viehtriebs führte es aus, bereits die Rechtsvorgänger der Kläger hätten diese (ebenso wie die des Gehens und Fahrens) ersessen; der notwendige Besitz könne auch durch Mittelspersonen ausgeübt werden, zu denen auch Bestandnehmer und somit auch der Beklagte und seine Rechtsvorgänger als Pächter zählten. Es sei daher nicht notwendig, dass die Kläger oder ihre Rechtsvorgänger selbst Vieh besessen hätten; die Rechtsvorgänger des Beklagten hätten den Hohlweg seit zumindest 1930 als Pächter der Rechtsvorgänger der Kläger als eindeutigen Zubringungsweg zu den landwirtschaftlichen Flächen der Kläger für den Viehtrieb genutzt, sodass die erforderliche Ersitzungszeit 1960 abgelaufen gewesen sei.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten dagegen teilweise dahin Folge, dass es nur das Klagebegehren im Umfang der Einverleibung der Dienstbarkeit des Viehtreibens abwies, das Ersturteil im Übrigen jedoch bestätigte. Den Entscheidungsgegenstand bewertete es mit 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend.

[8] Der zur Ersitzung führende Besitz könne zwar auch durch Stellvertreter ausgeübt werden und es stehe dem auch nicht entgegen, dass dieser selbst Pächter des dienenden Grundstücks war, aber es sei erforderlich, dass der Weg seiner äußeren Erscheinung nach zum Bestandgegenstand gehöre und diesem wirtschaftlich zugeordnet sei. Dies hätten die Kläger aber nicht einmal behauptet, vielmehr seien die Eigentumsverhältnisse seit jeher unstrittig gewesen. Zu Lasten des Beklagten als Eigentümer des dienenden Grundstücks könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass er als Besitzmittler für den Eigentümer des herrschenden Grundstücks habe handeln wollen.

[9] Das Berufungsgericht ließ die Revision gegen seine Entscheidung nachträglich mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein Pächter auch dann Besitzmittler für seinen Verpächter (im Bezug auf einen für die Bewirtschaftung erforderlichen Zufahrtsweg zum Pachtgegenstand) sein könne, wenn er selbst Eigentümer der Wegfläche sei.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

[11] 1.1 Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen trifft den Ersitzungsbesitzer (RIS‑Justiz RS0034237 [T2]). Dieser hat Art und Umfang der Besitzausübung und die Vollendung der Ersitzungszeit zu behaupten und zu beweisen (RS0034251 [T7]).

[12] 1.2 Zum Erwerb des Besitzes eines Rechts an einer Liegenschaft (als Voraussetzung der Ersitzung) ist nicht nur der Wille des Besitzers, ein Recht auszuüben, sondern außerdem erforderlich, dass die Leistung oder Duldung durch den Grundeigentümer erkennbar wie die Erfüllung einer Schuldigkeit geschieht, als hätte derjenige, dem geleistet wird oder dessen Handlungen geduldet werden, ein Recht darauf (RS0009762 [T1]).

[13] 1.3 Für die Ersitzung eines Rechts an einer fremden Sache ist zwar grundsätzlich die Ausübung des Rechtsinhalts im eigenen Namen erforderlich, doch ist Besitzausübung auch durch Stellvertreter, Gehilfen und Besitzmittler möglich, wozu auch Bestandnehmer (Pächter) zählen können (RS0011655; RS0034597). Dass ein Besitzmittler die Absicht hat, ein Recht für eine bestimmte andere Person auszuüben, ist nicht erforderlich (1 Ob 10/15z), sofern nur der Besitzwille beim Ersitzenden vorhanden ist. Für den Eigentümer des angeblich dienenden Grundstücks muss aber erkennbar sein, dass der Besitzmittler für den Eigentümer des angeblich herrschenden Grundstücks handelt und den Rechtsbesitz so ausübt, als hätte dieser ein Recht. Von der Rechtsprechung wird für den Erwerb von neuen Besitzrechten des Bestandgebers durch seinen Bestandnehmer als Besitzmittler auch als erforderlich angesehen, dass sie ihrer äußeren Erscheinung nach zum Bestandgegenstand gehören und diesem wirtschaftlich zugeordnet sind (RS0011655 [T2]). Damit wird auf die Erkennbarkeit eines ausreichenden Bezugs des – (faktisch) nicht vom Eigentümer, sondern von einem Dritten – in Anspruch genommenen Rechts zum angeblich herrschenden Gut abgestellt, was seine Rechtfertigung darin hat, dass die Servitutsersitzung voraussetzt, dass das Recht im Interesse der vorteilhafteren Benützung eines Grundstücks in Anspruch genommen wird (RS0034213; 3 Ob 36/13k mwN).

[14] 1.4 Ein Pächter ist für Ersitzungszwecke auch dann ein tauglicher Besitzmittler, wenn er zugleich Pächter des dienenden Grundstücks ist, weil zwischen dessen (unmittelbarer) Nutzung und der Nutzung im Interesse des herrschenden Grundstücks zu unterscheiden ist (2 Ob 159/04b = RS0034597 [T3]). Auch in diesem Fall muss aber der Eigentümer der belasteten Liegenschaft aus der Art der Benützungshandlungen erkennen können, dass damit ein Recht (des Verpächters) ausgeübt werden soll (1 Ob 129/20g mwN).

[15] 2.1 Die Revision hebt selbst hervor, dass der gegenständliche Hohlweg „nicht zum Bestandgegenstand“ gehörte, sondern die dafür teilweise dienenden Grundstücke „selbstverständlich“ im Eigentum des Beklagten standen; sie seien aber „zur Bewirtschaftung der herrschenden Grundstücke der Kläger“ auch für den Viehtrieb erforderlich, und insoweit seien sie der Landwirtschaft der Kläger „zugeordnet“. Dass die Kläger oder deren Rechtsvorgänger allerdings zu irgend einem Zeitpunkt selbst Landwirtschaft betrieben oder auch nur Vieh besessen (und daher den Weg auch zur Viehbringung genutzt) hätten, behaupteten sie nicht. Daher würde – wie dies das Berufungsgericht zutreffend erkannte – eine Interpretation der Nutzung der im Eigentum des Beklagten stehenden Wegflächen für die Viehbringung im Zusammenhang mit der Pacht der landwirtschaftlichen Flächen der Kläger letztlich darauf hinaus laufen, dass der Beklagte sein Eigentumsrecht an diesen Grundstücken durch diesen Gebrauch selbst dahin „einschränkte“, dass er allein durch die Nutzung zu Gunsten der Kläger eine Dienstbarkeit begründet hätte.

[16] 2.2 Gegen das angefochtene Urteil kann auch nicht die Entscheidung 1 Ob 129/20g ins Treffen geführt werden, die davon geprägt war, dass die Pächter von einem Wegerecht der Verpächter ausgegangen sind. Hingegen bestanden in der hier vorliegenden Konstellation keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte als Pächter der Ansicht gewesen wäre, den Verpächtern käme ein (von diesen nie ausgeübtes) Viehtriebsrecht an seinem Eigentum zu und er wäre nicht allein aufgrund seines Eigentums berechtigt, über seinen eigenen Grund Vieh zu treiben. Schon deshalb ist die zitierte Entscheidung, die im Übrigen ein Geh- und Fahrrecht betraf, nicht einschlägig, ohne dass darauf näher eingegangen werden muss, ob ein Pächter als Besitzmittler für einen Weg über eigene Grundstücke in Frage kommt.

[17] 2.3 Das Argument der Revision, dass das Eigentum an den dienenden Grundstücken und die Bewirtschaftung der gepachteten Grundstücke „zwar in der selben Familie waren, zu manchen Zeiten jedoch auseinander fielen“, stellt eine unzulässige Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO) dar: Dass es zu einem solchen Auseinanderfallen und damit zu einer Nutzung des Wegs (auch) zur Viehbringung durch einen vom Grundeigentümer verschiedenen Pächter gekommen wäre, wurde im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht.

[18] 2.4 Die (wiederholte) Behauptung, dass das Verneinen einer Ersitzung durch die Besitzmittlung im Fall des Pächters als Eigentümer der für den Weg genutzten Flächen zur Folge habe, dass eine Änderung der Eigentumsverhältnisse die „weitere Nutzung der bewirtschafteten Flächen unmöglich“ mache, ist nicht relevant. Das bloße Erfordernis des Wegs für die Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Flächen vermag nämlich das bereits erwähnte Fehlen von Ersitzungsvoraussetzungen nicht auszugleichen.

[19] 3. Die von den Klägern gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, weil der in der Revision erstmals geltend gemachte Eigentumserwerb an einigen vom Weg betroffenen Grundstücken durch den Rechtsvorgänger des Beklagten für die Vorinstanzen nicht erkennbar war (vgl den von den Klägern vorgelegten Grundbuchsauszug ./B2).

[20] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Streitgegenstand war nach rechtskräftiger Entscheidung über die beiden anderen Einverleibungsbegehren der Kläger nur noch die Dienstbarkeit des Viehtreibens und damit nur noch ein Drittel des ursprünglich erhobenen Begehrens, weshalb insoweit die Bemessungsgrundlage zu korrigieren war.

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