OGH 9ObA101/23b

OGH9ObA101/23b24.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner, sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Maria Buhr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V*, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.) 26.508,05 EUR brutto sA und 2.) Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2023, GZ 8 Ra 22/23y‑37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 10. Oktober 2022, GZ 1 Cga 110/21h‑30, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 12. Jänner 2023, GZ 1 Cga 110/21h‑31, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00101.23B.0424.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.883,40 EUR (darin 313,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zur beklagten Universität ist der Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen der Universitäten (KV) anzuwenden. Strittig ist im Revisionsverfahren noch die Auslegung des § 20 KV. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:

„§ 20. Endigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses, Elternkarenz

(1) Ein befristetes Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf der Zeit, für die es eingegangen wurde. Eine vertraglich vereinbarte Kündigungsmöglichkeit ist bei Befristungen von bis zu zwei Jahren rechtsunwirksam. Bei längeren Befristungen kann eine Kündigung erst nach zwei Jahren ausgesprochen werden. Eine Kündigung durch die Universität setzt voraus, dass einer der in § 22 Abs 2 lit a bis d genannten Kündigungsgründe vorliegt und die Schriftform eingehalten wird.

(2) Abweichend von Abs. 1 können Arbeitsverhältnisse, welche aufgrund einer Projektfinanzierung durch Dritte begründet wurden, bereits nach einer Dauer von zumindestens 18 Monaten gekündigt werden, wenn der Wegfall oder die Reduzierung der Projektfinanzierung durch Dritte einer Beschäftigung nicht nur vorübergehend entgegensteht […]“

[2] Der Kläger war aufgrund eines auf drei Jahre befristeten Arbeitsvertrags bei der Beklagten für den Zeitraum 11. 11. 2019 bis 10. 11. 2022 als Projektmitarbeiter gemäß § 28 KV mit einer Prae‑Doc‑Stelle für das Projekt „*“ (idF: Projekt) mit einem Beschäftigungsausmaß von 40 Stunden und einem Monatsgehalt von 2.971,50 EUR brutto zuzüglich einer Verwendungszulage von 600 EUR brutto beschäftigt. Der Arbeitsvertrag des Klägers wurde ausschließlich zur wissenschaftlichen Mitarbeit und Durchführung eines Drittmittelprojekts abgeschlossen und zur Gänze aus den Förderungsmitteln der Europäischen Kommission finanziert. In Pkt 15.3 des Arbeitsvertrags wurde vereinbart: „Abweichend von § 20 Abs. 1 KV kann das Arbeitsverhältnis bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 20 Abs. 2 KV nach einer Dauer von 18 Monaten gekündigt werden.“

[3] Die Untersuchung eines allfälligen wissenschaftlichen Fehlverhaltens hat nach dem Fördervertrag („Grant Agreement“) durch drei dem Supervisory Board benannte Personen, die ein sogenanntes Ad‑hoc‑Komitee bilden, zu erfolgen. Dieses ist dazu berufen, Entscheidungen über den Ausschluss des Klägers aus dem Projekt zu treffen. Das Komitee gelangte zu dem Schluss, dass der Kläger entgegen der ihm bekannten Pflichten zur Führung des Laborbuchs eine eigenständige Dokumentation durchführte, die eine unabhängige Reproduktion oder Verifizierung seiner Arbeit verunmöglichte. Der Kläger wurde mit 29. 10. 2020 aus dem Konsortium ausgeschlossen. Ab diesem Tag wurde das Gehalt des Klägers aus Mitteln der Beklagten und nicht mehr aus dem EU‑Projekt finanziert. Die Beklagte hätte ab 29. 10. 2020 das Gehalt des Klägers nicht mehr durch Fördermittel der EU bezahlen und abrechnen dürfen. Das Projekt selbst ist unverändert aufrecht geblieben.

[4] Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 11. 8. 2021 zum 30. 9. 2021. (Das Kündigungsschreiben vom 7. 6. 2021 konnte an den Kläger nicht zugestellt werden.)

[5] Der Kläger begehrt nach Ausdehnung die Zahlung von 26.508,08 EUR brutto an laufendem Entgelt samt Sonderzahlungen von 1. 8. 2021 bis 1. 10. 2021 sowie an Kündigungsentschädigung bis zum Ende der vereinbarten Befristung und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der ab 1. 11. 2022 fällig werdenden Differenzen an Kündigungsentschädigung sowie Urlaubsersatzleistung bis 10. 11. 2022. Er brachte, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, vor, dass die Kündigung mangels der Erfüllung der Voraussetzungen des § 20 KV unwirksam sei.

[6] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Kündigung des Klägers rechtswirksam ausgesprochen worden sei, weil die EU‑Fördermittel zur Finanzierung des Arbeitsverhältnisses des Klägers infolge des Ausschlusses des Klägers vom Projekt durch das Supervisory Board nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten, sodass die Beklagte sämtliche Personalkosten zu tragen hätte.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 7.225,28 EUR sA statt und wies das Leistungsmehrbegehren von 19.282,77 EUR sA sowie das Feststellungsbegehren ab. Rechtlich sah es die Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung nach § 20 Abs 2 KV als verwirklicht an. Es komme nicht darauf an, ob das Projekt als solches weiter finanziert werde, sondern dass die Finanzierung der Beschäftigung des Klägers durch Dritte auf Dauer nicht mehr möglich sei. Dem Kläger stehe daher Entgelt samt anteiligen Sonderzahlungen für die Monate August und September 2021 zu, nicht hingegen die darüber hinaus bis zum Ende der vereinbarten Befristung begehrte Kündigungsentschädigung.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers in der Hauptsache teilweise Folge. Es gab dem Klagebegehren mit 7.971,48 EUR brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von 18.536 EUR sA sowie das Feststellungsbegehren ab. Das Berufungsgericht teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Der Ausnahmetatbestand des § 20 Abs 2 KV sei erfüllt, wenn die durch Dritte finanzierte Beschäftigung eines bei einem Projekt beschäftigten Arbeitnehmers nicht mehr durch die Projektmittel finanziert werden kann. In diesem Fall solle die Universität berechtigt sein, das befristete Dienstverhältnis vorzeitig aufzulösen. Ratio des § 20 Abs 2 KV sei, dass die Universität diesfalls nicht gezwungen werden soll, das Arbeitsverhältnis selbst weiter zu finanzieren und fortzuführen. Hingegen komme es nicht darauf an, ob das Projekt als solches nicht weiter finanziert wird. Die Berufung sei jedoch teilweise berechtigt, weil das Erstgericht bei der Berechnung der Ansprüche des Klägers die Verwendungszulage nicht berücksichtigt habe. Die Revision sei zulässig, weil § 20 Abs 2 KV nicht klar und eindeutig formuliert sei und Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung dieser Bestimmung fehle.

[9] Gegen dieses Urteil richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers, mit der dieser die Stattgebung der Klage anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

[11] Der Kläger macht in der Revision allein geltend, dass die Voraussetzungen des § 20 Abs 2 KV für eine Kündigung des befristeten Arbeitsverhältnisses des Klägers nicht vorlägen, weil weder die Finanzierung des Projekts durch den Dritten im vorliegenden Fall weggefallen noch reduziert worden sei. Dem kommt keine Berechtigung zu:

[12] 1. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist nach ständiger Rechtsprechung gemäß §§ 6 und 7 ABGB auszulegen (vgl RS0008807; RS0010088). In erster Linie ist bei seiner Auslegung deshalb der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Dabei darf den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten (RS0008828; RS0008897).

[13] 2.1 § 20 KV regelt Fragen im Zusammenhang mit befristeten Arbeitsverhältnissen (vgl dazu § 19 Abs 1 AngG; § 109 UG). § 20 Abs 1 und Abs 2 KV enthalten Regelungen zur Vereinbarung einer Möglichkeit der Kündigung. Befristete Arbeitsverhältnisse enden mit Ablauf der vereinbarten Vertragszeit. Nach ständiger Rechtsprechung zu § 1159 ABGB, § 19 AngG können die Parteien des Arbeitsvertrags auch für ein auf bestimmte Zeit eingegangenes Dienstverhältnis unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer Kündigung vereinbaren (vgl 9 ObA 47/22k; RS0028428). § 20 KV bemüht sich vor diesem Hintergrund um eine Präzisierung und schränkt die Option der Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit ausdrücklich ein (vgl zu all dem Pfeil in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht der Universitäten2, § 20 KollV Rz 5 ff). Eine vertraglich vereinbarte Kündigungsmöglichkeit ist bei Befristungen von bis zu zwei Jahren rechtsunwirksam. Bei längeren Befristungen kann eine Kündigung erst nach zwei Jahren ausgesprochen werden (§ 20 Abs 1 Satz 2 und 3 KV). Diese Frist schränkt § 20 Abs 2 KV bei Arbeitsverhältnissen von Projektmitarbeitern (§§ 28, 50 Abs 2 KV) auf 18 Monate ein, wenn die Projektfinanzierung durch Dritte nicht mehr gesichert ist (Pfeil in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht der Universitäten2 § 20 KollV Rz 9).

[14] 2.2 Projektmitarbeiter sind nach den gesetzlichen Vorgaben Arbeitnehmer der Universität. Sie werden entweder aus deren Personal rekrutiert (vgl §§ 26 Abs 3, 27 Abs 3 UG) oder neu aufgenommen (vgl Grimm in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht der Universitäten2 §§ 26, 27 UG Rz 37 f). Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an einem drittmittelfinanzierten Projekt (§ 26 Abs 1 UG) sind gemäß § 26 Abs 6 UG auf Vorschlag der oder des Universitätsangehörigen, die oder der dieses Vorhaben durchführt, gegen Ersatz der Personalkosten in ein zeitlich befristetes Arbeitsverhältnis zur Universität aufzunehmen.

[15] 2.3 ProjektmitarbeiterInnen sind gemäß § 28 Satz 1 KV ArbeitnehmerInnen nach § 5 Abs 2 Z 1 KV (das sind Angehörige des wissenschaftlichen/künstlerischen Universitätspersonals [§ 94 Abs 2 UG]), die befristet für die Dauer von wissenschaftlichen/künstlerischen Projekten aufgenommen werden, welche von Dritten finanziell gefördert werden. Projektmitarbeiterinnen und ‑mitarbeiter sind im Begriffsverständnis des Kollektivvertrags all jene, die im Rahmen von Drittmittelprojekten gemäß § 26 Abs 1, § 27 Abs 1 Z 2 oder 3 oder § 10 Abs 2 UG finanziert werden. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die Personalkostenrefundierung aus Mitteln von definierten, an der jeweiligen Universität über Drittmittelkonten (Innenaufträge) abgewickelten Projekten gemäß §§ 26, 27 oder 10 Abs 2 UG erfolgt (Grimm in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht der Universitäten2 § 28 KollV Rz 4).

[16] 3.1 Vor diesem Hintergrund hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 20 Abs 2 KV schon nach dessen Wortlaut dann vorliegen, wenn der Wegfall oder die Reduzierung der Projektfinanzierung durch Dritte einer Beschäftigung eines Arbeitnehmers im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, das durch Projektfinanzierung durch Dritte begründet wurde, nicht nur vorübergehend entgegensteht.

[17] 3.2 Wie dargestellt sind in jedem Fall die Personalkosten einschließlich sämtlicher Nebenkosten und der mit der Personaladministration verbundenen Kosten der Beschäftigung von Projektmitarbeitern aus dem Drittmittelprojekt zu finanzieren (Grimm in Pfeil/Grimm/Schöberl, Personalrecht der Universitäten2 §§ 26, 27 UG Rz 39). Fehlt es an dieser Finanzierung der Beschäftigung eines Projektmitarbeiters, so eröffnet § 20 Abs 2 KV – bei Vorhandensein einer entsprechenden schriftlichen Vereinbarung – die begünstigte Kündigungsmöglichkeit, um finanzielle Nachteile von der Universität abzuwenden. Der Kollektivvertrag stellt also entgegen der Ansicht des Klägers nicht allein darauf ab, dass die Finanzierung eines Projekts wegfällt oder reduziert wird, sondern schon nach seinem Wortlaut darauf, dass ein Wegfall oder eine Reduktion der Finanzierung der Beschäftigung eines Projektmitarbeiters nicht nur vorübergehend entgegensteht.

[18] 3.3 Mit der Regelung des § 20 Abs 2 KV wollen die Parteien des Kollektivvertrags auch einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen: Die Intention dieser Bestimmung ist nach ihrem Wortsinn und im Zusammenhang mit der dargestellten Rechtslage, dass die Kündigungsmöglichkeit (nur) dann bestehen soll, wenn die Beschäftigung eines Projektmitarbeiters (auf Dauer) nicht mehr durch Drittmittel finanziert werden kann. Die Interessen der Universität sind dadurch gesichert, dass sie bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs 2 KV nicht in Gefahr läuft, das Arbeitsverhältnis eines Projektmitarbeiters selbst weiter fortführen und finanzieren zu müssen. Die Interessen des Arbeitnehmers sind dadurch gewahrt, dass die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nach § 20 Abs 2 KV auch dann erst nach einer Beschäftigungsdauer von 18 Monaten möglich ist, wenn bereits zuvor Drittmittel fehlen oder reduziert werden, mit denen die Beschäftigung des Projektmitarbeiters finanziert werden.

[19] Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

[20] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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