OGH 2Ob20/24s

OGH2Ob20/24s23.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende und die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. P*, 2. A*, und 3. H*, alle *, alle vertreten durch Aigner Fischer Stranzinger, Rechtsanwaltspartnerschaft in Hohenzell, gegen die beklagten Parteien 1. M*, 2. S*, und 3. W*, alle vertreten durch Mag. Alexandra Knapp, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen 1) 22.500 EUR sA, 2) 1.000 EUR sA, 3) 1.000 EUR sA und jeweils Feststellung, über die Revision der erstklagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. Oktober 2023, GZ 1 R 92/23i‑37, womit das Urteil des LandesgerichtsRied im Innkreis vom 9. Mai 2023, GZ 1 Cg 38/22v‑23, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00020.24S.0423.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, dass es lautet:

„1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dererstklagenden Partei binnen 14 Tagen 16.161,26 EUR samt 4 % Zinsen seit 21. 3. 2020 zu bezahlen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, dererstklagenden Partei binnen 14 Tagen 6.338,74 EUR samt 4 % Zinsen seit 21. 3. 2020 zu bezahlen, wird abgewiesen.“

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der erstklagenden Partei deren mit 2.756,82 EUR bestimmte Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 189,24 EUR USt und 1.621,38 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Ehemann der Erstklägerin und Vater der Zweit- und Drittklägerin wurde am 3. September 2019 als Radfahrer bei einem Verkehrsunfall getötet, an dem der vom Erstbeklagten gelenkte PKW beteiligt war. Die Zweitbeklagte ist die Halterin, die Drittbeklagte ist die Haftpflichtversicherung des PKW. Das Alleinverschulden des Erstbeklagten und daran anknüpfend die Schadenersatzpflicht der Beklagten ist dem Grund nach unstrittig. Die Erstklägerin lebt mit der Zweit- und Drittklägerin in einem Haushalt und ist für sie unterhaltspflichtig.

[2] Die Klägerinnen begehren Ersatz für den entgangenen Unterhalt nach § 1327 ABGB für den ZeitraumSeptember 2019 bis Dezember 2020. Während dieses Zeitraums bezog die Erstklägerin Witwenpension, Zweit- und Drittbeklagte bezogen jeweils Waisenpension.

[3] Die Beklagten wenden – soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse – ein, der Fixkostenersatz stehe den drei Klägerinnen anteilsmäßig zu. Eine Gesamtberücksichtigung bei der Erstklägerin käme nicht in Betracht, weil der Fixkostenersatz im Deckungsfonds der Waisenrente enthalten und gemäß § 332 ASVG auf den Sozialversicherer übergegangen sei.

[4] Das Erstgericht berücksichtigte die vom Getöteten getragenen Fixkosten ausschließlich bei dem der Erstklägerin zustehenden Unterhaltsentgang und verpflichtete die Beklagten zur ungeteilten Hand zum Ersatz von 19.142,54 EUR sA an die Erstklägerin. Der Zweit- und Drittklägerin sprach es jeweils 1.000 EUR sA an entgangenem Unterhalt zu. Ein Mehrbegehren der Erstklägerin wies es ab und stellte die Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden aus dem Unfall gegenüber allen Klägerinnen – unbekämpft in Rechtskraft erwachsen – fest.

[5] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung der Beklagten ab. Der Berufung der Erstklägerin gab es nicht Folge. Es berücksichtigte nur ein Drittel der vom Getöteten getragenen Fixkosten als Unterhaltsentgang bei der Erstklägerin und sprach ihr daher mit Teilurteil 2.309,67 EUR sA an Unterhaltsentgang zu. Das Mehrbegehren von 20.190,33 EUR sA wies es ab. Hinsichtlich der Leistungsbegehren der Zweit‑ und Drittklägerin hob es die erstinstanzliche Entscheidung – ohne Rechtskraftvorbehalt – auf.

[6] Die ordentliche Revision gegen das Teilurteil ließ das Berufungsgericht – nachträglich – zu, weil den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs zu 2 Ob 197/17k und 2 Ob 17/19t, denen zwar Naturalleistungen zugrunde lägen, zu entnehmen sein könnte, dass die gesamten Fixkosten bei der Erstklägerin zu berücksichtigen wären.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision der Erstklägerin ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und auch großteils berechtigt.

[8] Im Revisionsverfahren strittig ist ausschließlich die Berücksichtigung der vom Getöteten getragenen Fixkosten im Rahmen der Berechnung des Unterhaltsentgangs der Erstklägerin.

[9] 1. Für die Berechnung des Unterhaltsentgangs des hinterbliebenen unterhaltsberechtigten Ehepartners, der ein eigenes Einkommen erwirtschaftet, hat die Rechtsprechung folgende Formel entwickelt:

[10] 1.1. Das Gesamteinkommen der Ehegatten ist zunächst um die fixen Haushaltskosten zu vermindern; sodann ist zu ermitteln, welche Anteile des verbleibenden Betrags zur Deckung der Bedürfnisse der einzelnen Familienmitglieder aufgewendet wurden (Konsumquote). Zur Konsumquote des überlebenden Ehegatten ist der vom getöteten Ehegatten (entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte der Ehegatten) getragene Fixkostenanteil hinzuzurechnen. Davon ist nicht das gesamte Eigeneinkommen desüberlebenden Ehegatten abzuziehen, sondern nur der dem Eigeneinkommen desüberlebenden Ehegatten entsprechende Betrag vermindert um den Fixkostenanteil dieses Ehegatten (entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte der Ehegatten). Daraus ergibt sich dann der Unterhaltsentgang desüberlebenden Ehegatten, auf den sich (hier) die Ehefrau den Witwenversorgungsgenuss anrechnen lassen muss (RS0031954; 2 Ob 17/19t mwN).

[11] 1.2. In Fällen, in denen beide Ehegatten ihr Einkommen für die Fixkosten, den Unterhalt der Kinder und den Lebensbedarf des Partners anteilsmäßig zur Verfügung stellten, ist diese Berechnung nach ständiger Rechtsprechung wie folgt zu ergänzen: Von dem sich aus der Konsumquote desüberlebenden Ehegatten zuzüglich des vom Getöteten getragenen Fixkostenanteils ergebenden Betrag ist weiters der dem Anteil desÜberlebenden (entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte der Ehegatten) am Unterhalt (der Konsumquote) der Kinder entsprechende Betrag abzuziehen (2 Ob 178/04x; RS0031954 [T4] = 2 Ob 17/19t mwN).

[12] 1.3. Durch diese Berechnung soll der überlebende Ehegatte in die Lage versetzt werden, die Fixkosten für den Haushalt zu tragen und seine bisherige Konsumquote zu wahren (Hinteregger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1327 Rz 16).

[13] 2. Das Berufungsgericht folgt dieser – von den Streitteilen nicht in Zweifel gezogenen – Berechnungsmethode grundsätzlich. Es legt allerdings den vom Getöteten getragenen Fixkostenanteil der Berechnung des Unterhaltsentgangs der Erstklägerin nur zu einem Drittel zugrunde.

[14] 2.1. Die den Hinterbliebenen aufgelaufenen fixen Haushaltskosten sind nach älterer Rechtsprechung unter die einzelnen rentenberechtigten Angehörigen des Getöteten dann verhältnismäßig aufzuteilen, wenn der überlebende Ehegatte bereichert wäre, würde man die gesamten Fixkosten bei ihm berücksichtigen (RS0031723 [T10]). Dabei wird auch betont, dass die Ansprüche den Geschädigten getrennt zustehen und in Bezug auf Höhe und Dauer ihr eigenes Schicksal haben. Die Unterlassung der anteilsmäßigen Aufteilung der Fixkosten darf nicht dazu führen, dass der überlebende Ehegatte bereichert oder der Schädiger doppelt belastet wird. Falls es zu einem Übergang der Ansprüche nach § 1327 ABGB auf den Sozialversicherungsträger gemäß § 332 ASVG kommt, gebietet der Umstand, dass derartige Ansprüche den Deckungsfonds für kongruente Leistungen von Sozialversicherungsträgern bilden, die genaue Trennung der dem überlebenden Ehegatten und den Kindern zustehenden Ansprüche (2 Ob 361/99y; 2 Ob 3/04m; 2 Ob 178/04x; RS0112970).

[15] 2.2. Schon diese Rechtsprechung ist aber davon ausgegangen, dasses keinen Bedenken begegne, fixe Kosten zur Gänze bei der Ermittlung des Unterhaltsentgangs des überlebenden Ehegatten zu berücksichtigen, wenn dieser die Kosten zufolge seiner Unterhalts- und Sorgfaltspflicht allein zu tragen hatte (RS0031723 [T2, T8]).

[16] 3.1. Nach gefestigter Rechtsprechung sind auch Naturalleistungen des Getöteten, die für den überlebenden Ehegatten (und gemeinsame Kinder) von Nutzen sind, bei der Ermittlung des entgangenen Unterhalts gemäß § 1327 ABGB zu berücksichtigen (RS0031763 [T4]).

[17] 3.2. Der Senat hatte sich in den Entscheidungen 2 Ob 197/17k und 2 Ob 17/19t mit Naturalleistungen des Getöteten für Haus und Garten sowie der Verschaffung von Wohnraum im Rahmen von Ansprüchen nach § 1327 ABGB zu beschäftigen. In der Entscheidung 2 Ob 197/17k sprach der Senat aus, dass für den Fall, dass der hinterbliebene Ehegatte aufgrund seiner Unterhaltspflicht Leistungen an seine Kinder erbracht hat, die sonst der Getötete erbracht hätte, diesbezügliche Ansprüche gemäß § 1358 ABGB (analog) auf den überlebenden Ehegatten übergingen. In der Entscheidung 2 Ob 17/19t hat der Senat die in der Vorentscheidung entwickelten Grundsätze zur Aufteilung von Naturalleistungen bestätigt. In diesen Entscheidungen weist der Senatauch darauf hin, dass bei Bestehen eines Anspruchs der Kinder auf Waisenpension kongruente Ansprüche wegen entgangenen Unterhalts ex lege auf den Sozialversicherungsträger übergehen und dieser Übergang bereits mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses erfolgt, weshalb ein Kind im Umfang seines Anspruchs auf Waisenpension über keinen Schadenersatzanspruch mehr verfügt. Es stellt sich somit in diesen Fällen der vom Getöteten erbrachten Naturalleistungen gleich wie bei den vom Getöteten getragenen Fixkosten die Frage der Zuordnung zu den einzelnen Berechtigten.

[18] 4. Ansprüche nach § 1327 ABGB bilden grundsätzlich den Deckungsfonds für kongruente Leistungen von Sozialversicherungsträgern:

[19] 4.1. Der Schadenersatzanspruch des Kindes gegen den Schädiger im Sinn des § 1327 ABGB bildet einen kongruenten Deckungsfonds für die von den Sozialversicherungsträgern erbrachten Waisenpensionen (RS0031564). Zwischen der von der hinterbliebenen Ehegattin bezogenen Witwenpension und ihren Schadenersatzansprüchen auf Ersatz ihres Unterhaltsentgangs nach § 1327 ABGB besteht ebenfalls sachliche Kongruenz (RS0031633; vgl auch Auer‑Mayer in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 332 ASVG Rz 84 mwN). Auf den Sozialversicherer gehen diese Ansprüche insoweit über, als dieser Leistungen zu erbringen hat (§ 332 Abs 1 Satz 1 ASVG; vgl 2 Ob 53/17h). Dass ein Teil der Witwen- oder Waisenpension in einem bestimmten Ausmaß spezifisch den Fixkosten gewidmet und zugeordnet wäre, ergibt sich daraus aber nicht. Kongruenter Anspruch ist daher der gesamte Unterhaltsentgang. Im vorliegenden Fall übersteigt der Anspruch auf Ersatz des gesamten Unterhaltsentgangs der Kinder (von September 2019 bis Dezember 2020) die (bezogene) Waisenpension auch dann, wenn man die Fixkosten nur bei der Erstklägerin berücksichtigt, was die Beklagten auch nicht in Zweifel ziehen. Damit steht aber in diesem Fall die Legalzession nach § 332 ASVG der Berücksichtigung der Fixkosten bei der Erstklägerin vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung gerade nicht entgegen.

[20] 4.2. Die Erstklägerin wird dadurch auch nicht bereichert oder der Schädiger doppelt belastet: Die Leistung eines Unterhaltspflichtigen hat nicht den Zweck, den Schädiger zu entlasten, weshalb sich der Schädiger nicht darauf berufen kann. Es handelt sich vielmehr um eine bloße Schadensüberwälzung (2 Ob 18/18p mwN).

[21] 4.3. Die Ersatzpflicht nach § 1327 ABGB geht einer durch den Tod des Unterhaltspflichtigen ausgelösten subsidiären Unterhaltspflicht (hier der überlebenden Erstklägerin) vor (Danzl/Karner in KBB7 § 1327 Rz 6; Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1327 Rz 15; vgl auch RS0031507; RS0031301). Der Anspruch des Geschädigten geht damit analog § 1358 ABGB aufgrund der Leistung in deren Umfang auf den Unterhaltsschuldner über, wodurch eine bloße Schadensverlagerung bewirkt wird (vgl RS0108085 [Heilungskosten des verletzten Kindes]; vgl auch RS0043287 [Lohnfortzahlung]). Damit kommt es aber für den Schädiger im Ergebnis nicht darauf an, ob der durch den Unfall Geschädigte oder dessen Unterhaltspflichtiger den Anspruch geltend macht (vgl 2 Ob 70/20p Rz 21 mwN).

5. Zusammenfassend ist daher festzuhalten:

[22] Die hier subsidiär unterhaltspflichtige Erstklägerin kann die von ihr im Rahmen dieser Unterhaltspflicht alleine getragenen Fixkosten aufgrund eines Übergangs analog § 1358 ABGB gegen den Schädiger geltend machen. Dieser Geltendmachung steht im vorliegenden Fall die Legalzession gemäß § 332 ASVG nicht entgegen, weil auch bei Berücksichtigung der gesamten Fixkosten bei der Erstklägerin die Ansprüche der beiden anderen Klägerinnen den bereits auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Schadenersatzanspruch übersteigen.

[23] 6.1. Die der Revision zugrundegelegten Berechnungen waren lediglich um einen Rechenfehler zu korrigieren: Die Erstklägerin geht auch im Rahmen der Revision betreffend den Dienstleistungsschaden von einem ihr zustehenden Drittel dieses Schadens aus, legt ihrem Anspruch für das Jahr 2019 (betrifft vier Monate) aber – offenbar irrtümlich – den gesamten Betrag zugrunde (Dienstleistungsschaden für ein Jahr 11.000 EUR: geteilt durch 12 mal 4 Monate : 3.666,67 EUR, davon ein Drittel: 1.222 EUR, nicht 3.666,67 EUR).

[24] 6.2. Die Klägerinnen haben bereits in der Klage vorgebracht, ein Akonto der Beklagten von insgesamt 15.000 EUR erhalten zu haben. Diese Zahlung sei auf die Ansprüche aller drei Klägerinnen gewidmet worden. Von einer solchen Widmung sind auch die Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren ausgegangen. Die Klägerinnen haben das Akonto anteilig aufgeteilt und damit jeweils 5.000 EUR vom Klagsbetrag abgezogen. Dagegen haben sich die Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren nicht gewendet. Für die in der Revisionsbeantwortung nunmehr begehrte gänzliche Anrechnung des Akonto auf den der Erstklägerin zuzusprechenden Betrag besteht damit kein Anlass.

[25] 7. Insgesamt war der Revision damit teilweise Folge zu geben.

[26] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO. Die Erstklägerin hat mit ihrer Revision zu 85 % obsiegt, sodass ihr die Beklagten 70 % der Vertretungskosten und 85 % der Pauschalgebühr für die Revision zu ersetzen haben, wobei lediglich 15 % Streitgenossenzuschlag (für drei Beklagte) zu berücksichtigen sind.

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