OGH 3Ob5/24t

OGH3Ob5/24t28.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H* W*, vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Mag. C* H*, vertreten durch Mag. David Stockhammer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 8. März 2023, GZ 4 R 223/22a‑16, womit aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 13. Juli 2021, GZ 244 C 1/21d‑7, als nichtig aufgehoben, das Verfahren für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00005.24T.0228.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Exekutionsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird ersatzlos behoben und dem Berufungsgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Berufung aufgetragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.000,75 EUR (darin enthalten 166,79 EUR USt) bestimmten Kosten desRekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Im Vorprozess wurde eine vom Kläger gegen die Beklagte am Handelsgericht Wien erhobene, auf Zahlung von 75.000 EUR sA lautende Schadenersatzklage wegen Unschlüssigkeit rechtskräftig abgewiesen.

[2] Der Kläger begehrt mit seiner Oppositionsklage, die gegen ihn exekutiv betriebenen (in der Klage näher genannten) Zahlungsansprüche der Beklagten für erloschen zu erklären. Er stützt sich hierfür (erneut) auf eine von ihm angenommene Schadenersatzpflicht der Beklagten ihm gegenüber.

[3] Die Beklagte bestritt das klägerische Vorbringen, wandte (erneut) Unschlüssigkeit ein und beantragte die Abweisung der Oppositionsklage.

[4] Das Erstgericht wies die Oppositionsklage mit der wesentlichen Begründung ab, der Schadenersatzanspruch des Klägers sei unschlüssig geblieben.

[5] Das Berufungsgericht hob aus Anlass der vom Kläger erhobenen Berufung im Berufungsvorverfahren das Ersturteil als nichtig auf, erklärte das durchgeführte Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. Es begründete dies damit, dass es um denselben Schadenersatzanspruch gehe wie im Verfahren vor dem Handelsgericht Wien. Das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Sache sei nur dann nicht gegeben, wenn die Klage des Vorprozesses mangels Schlüssigkeit abgewiesen worden sei, die neue Klage aber schlüssig sei. Weil der Schadenersatzanspruch des Klägers auch hier unschlüssig geblieben sei, sei die Oppositionsklage wegen der Rechtskraft des im Vorprozess ergangenen Unschlüssigkeitsurteils unzulässig.

[6] Der Kläger begehrt mit seinem Rekurs, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem (gemeint) Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

[7] Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung die Abweisung des Rechtsmittels.

[8] Der Rekurs ist nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO – ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts (A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 519 Rz 1, 6, 8 und 13) – zulässig („Vollrekurs“); er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Kläger begründet seinen Rekursantrag primär damit, dass der Streitgegenstand im Schadenersatzprozess und jener im Oppositionsprozess nicht identisch seien und folglich der Oppositionsklage der Einwand der entschiedenen Rechtssache nicht entgegengehalten werden könne. Er befindet sich damit im Recht.

[10] 1. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass zwischen der Einmaligkeitswirkung der materiellen Rechtskraft, die eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung über die bereits entschiedene Hauptfrage verhindert, und der Bindungswirkung, die den Folgeprozess zwar nicht unzulässig macht, es dem Gericht im Folgeprozess aber verbietet, die im Vorprozess – als Hauptfrage – rechtskräftig entschiedene Vorfrage selbständig zu beurteilen, zu unterscheiden ist (8 Ob 126/12f [Pkt 1.] = EvBl 2013/82 [Schneider]; 1 Ob 113/13v [Pkt 1.]; 10 Ob 27/18w [Pkt 1.]; vgl auch RS0041126). Zur Überprüfung der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung kommt es demnach auf die Einmaligkeitswirkung an.

[11] 2. Die Zurückweisung einer Klage wegen der Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft setzt Identität der Parteien und der Ansprüche im Folgeprozess und im rechtskräftig entschiedenen Vorprozess voraus (8 ObA 62/11t [Pkt 1.1.]; 9 Ob 65/17z [Pkt 3.] vgl auch RS0041340). Ob idente Ansprüche vorliegen, ist nach den Streitgegenständen der beiden Verfahren zu beurteilen. Die Einmaligkeitswirkung greift demnach dann ein, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses übereinstimmt (3 Ob 181/18s [Pkt 2.]; 6 Ob 227/21g [Rz 22], je mwN). Streitanhängigkeit besteht bei identem Sachverhalt auch dann, wenn die Begehren zwar nicht gleich sind, aber ein Begehren das begriffliche Gegenteil des anderen ist (RS0039347 [T8]).

[12] 2.1. Streitgegenstand des Vorprozess war das Zurechtbestehen des vom Kläger begehrten Schadenersatzes auf Grundlage des damals von ihm erstatteten Vorbringens.

[13] 2.2. Jede Oppositionsklage verfolgt als Ziel sowohl die Feststellung des Erlöschens bzw der Hemmung des Anspruchs als auch die Unzulässigerklärung jeglicher Zwangsvollstreckung aus dem Titel (3 Ob 100/20g [Rz 16]; 3 Ob 166/20p [Rz 18] ua). Bei einer Klage gemäß § 35 EO ist mit anderen Worten der bekämpfte (= von der Oppositionsbeklagten betriebene) Anspruch Gegenstand der Entscheidung (3 Ob 277/75 [verst Senat]; 3 Ob 167/13z [Pkt 2.3.] RS0001674 [T6, T8]), also der Streitgegenstand.

[14] 2.3. Das Begehren, die von der Beklagten exekutiv betriebenen Ansprüche für erloschen zu erklären, ist weder mit dem Schadenersatzbegehren des Vorprozesses identisch noch – entgegen der von der Beklagten in der Rekursbeantwortung vertretenen Ansicht – dessen begriffliches Gegenteil. Bereits der Vergleich der Begehren in dem einen und dem anderen Prozess führt zum Ergebnis, dass nicht derselbe Streitgegenstand vorliegt (vgl RS0039347 [T15, T26, T32, T33]; vgl auch 3 Ob 512/95).

[15] Damit entfaltet das im Vorprozess ergangene Urteil für den Oppositionsprozess keine Einmaligkeitswirkung. Ob das im Vorprozess ergangene Urteil für den Oppositionsprozess Bindungswirkung entfaltet, ist hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht zu klären (vgl Pkt 1).

[16] Dem Rekurs war daher Folge zu geben und dem Berufungsgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Berufung aufzutragen.

[17] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 Satz 3 iVm §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die angefochtene Entscheidung erging nicht über Antrag der Beklagten, sondern wurde vom Berufungsgericht von Amts wegen getroffen, sodass an sich kein Zwischenstreit vorläge. Die Beklagte ist in der Rekursbeantwortung aber dem (Voll-)Rekurs des Klägers entgegengetreten. Weil sie in dem hierdurch entstandenen Zwischenstreit unterlag, hat sie dessen Kosten dem Kläger zu ersetzen (10 Ob 63/16m [Pkt 5.]; 8 ObA 17/20p [Pkt III.]; Obermaier, Kostenhandbuch3 [2018] Rz 1.334).

[18] Weil keine Leistung nach TP 3C Abschnitt II vorlag, gebührt der Einheitssatz nur einfach. Für – als solche nicht § 519 Abs 1 Z 2 ZPO unterliegende – Vollrekurse ist e contrario Anm 1 zu TP 3 GGG keine Gerichtsgebühr zu entrichten (Dokalik/Schuster, Die Gerichtsgbühren14 [2022] Kommentar-Anm 4 zu TP 3 GGG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte