European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0100OB00063.16M.0425.000
Spruch:
1. Die Anträge der klagenden Partei auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof und eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zurückgewiesen.
2. Die Schriftsätze der klagenden Partei vom 18. Oktober 2016 (Urkundenvorlage) und 23. Oktober 2016 (Bekanntgabe samt Urkundenvorlage und Antrag auf amtswegige Veranlassung) werden zurückgewiesen.
3. Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
4. Dem außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen, mit denen das Begehren der klagenden Partei, die erstbeklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei den Besitz über und die Verwaltung des grundbücherlichen (Hälfte‑)Anteils B‑LNr 8 an der Liegenschaft EZ 254 KG ***** zu übertragen (Klagebegehren Punkt 1a) sowie die beiden Eventualfeststellungsbegehren hiezu zurückgewiesen wurden, werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zurückverwiesen, dem die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen wird.
Die Kosten des diesbezüglichen Rekursverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.
Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen deren mit 521,28 EUR (darin 86,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Den Prozessparteien steht im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof kein Antragsrecht in Bezug auf die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof und eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu (RIS‑Justiz RS0058452). Das Gericht hat vielmehr von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs oder des Gerichtshofs der Europäischen Union vorliegen. Die Anträge der Klägerin geben keinen Anlass für ein amtswegiges Vorgehen, zumal sie weder verfassungs‑ noch unionsrechtliche Bedenken hinsichtlich einer für diesen Rechtsstreit maßgeblichen Gesetzesbestimmung aufzeigen.
2. Im Hinblick auf die Einmaligkeit des Rechtsmittels ist die Einbringung weiterer Schriftsätze durch die Revisionswerberin im Revisions- und Revisionsrekursverfahren ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0041666). Für eine neuerliche Überprüfung der Prozessfähigkeit der Zweitbeklagten und der Wirksamkeit der Vollmachtserteilung besteht kein Anlass.
3. Die Zurückweisung der außerordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
4. Das Erstgericht wies das im Spruch genannte Hauptbegehren 1a sowie die beiden hiezu gestellten Eventualbegehren auf Feststellung, dass die – im Einzelnen näher detailliert bezeichnete – Vereinbarung zwischen den Streitteilen betreffend die Veräußerung der Liegenschaftshälfte des Erstbeklagten an die Klägerin aufgrund des Eintritts der aufschiebenden Bedingung der Fremdfinanzierung durch eine Finanzierungszusage der Bank rechtswirksam zustande gekommen bzw dass die Klägerin berechtigt sei, die zu 41 Cg 4/14y des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz streitverfangene Liegenschaft hinsichtlich des grundbücherlichen Hälfteanteils des Erstbeklagten aufgrund der Vereinbarung vom 16. 4. 2014 und des Eintritts der aufschiebenden Bedingung der Finanzierungszusage durch eine Bank und aufgrund eines Teilungsverbots vom 27. 11. 2008 in Anspruch zu nehmen, wegen Streitanhängigkeit von Amts wegen zurück. Zwischen den Streitteilen sei zu 11 Cg 33/13s des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz (in der Folge: Vorprozess) ein Verfahren anhängig. Die Klägerin habe dort am 13. 1. 2015 ihr Klagebegehren dahin geändert, dass der auch dort Erstbeklagte den Vertrag unterfertige, der nunmehr Gegenstand des ersten Eventualfeststellungsbegehrens sei. Da Parteienidentität vorliege und der in der neuen Klage nunmehr geltend gemachte prozessuale Anspruch im Begehren und im rechtserzeugenden Sachverhalt mit dem des Vorprozesses übereinstimme, sei vom Prozesshindernis der Streitanhängigkeit auszugehen.
Das Rekursgericht bestätigte über die insoweit als Rekurs aufzufassende Berufung der Klägerin diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte den Revisionsrekurs für nicht zulässig. Mit Zustellung des Schriftsatzes über die Klagsänderung im Vorprozess an den dortigen Beklagtenvertreter am 13. 1. 2015 sei Streitanhängigkeit eingetreten. Identität der Ansprüche liege vor, weil sich aus den rechtserzeugenden Tatsachen und den Begehren ergebe, dass die Sachanträge in beiden Prozessen dasselbe Rechtsschutzziel anstrebten. Der materielle Anspruch sei wesensgleich. Da die Frage des Prozesshindernisses der Streitanhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls abhänge, sei der Revisionsrekurs unzulässig.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung dahingehend, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Erstbeklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den außerordentlichen Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil den Vorinstanzen eine auch im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Er ist auch berechtigt.
4.1. Im Revisionsrekurs bestreitet die Klägerin, dass es sich beim – geänderten – Hauptbegehren im Vorprozess und dem nunmehrigen Hauptbegehren um idente Ansprüche handle. Die Begehren seien auch in formeller Hinsicht unterschiedlich, sodass nicht vom identen Rechtsschutzziel gesprochen werden könne.
Diese Ausführungen sind im Wesentlichen berechtigt.
4.2. Das Berufungsgericht hat die Grundsätze der Rechtsprechung zum Prozesshindernis der Streitanhängigkeit grundsätzlich zutreffend wiedergegeben; darauf kann verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). Demnach liegt der gleiche Streitgegenstand nur dann vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts, also des Klagsgrundes, ident ist mit jenem des Vorprozesses (RIS‑Justiz RS0039347). Identität des Anspruchs liegt nur dann vor, wenn der Streitgegenstand der neuen Klage und der Urteilsgegenstand des schon vorliegenden Urteils (bzw hier der bereits vorliegenden Klage) gleich sind, also sowohl das Begehren inhaltlich dasselbe fordert, was bereits rechtskräftig zuerkannt oder aberkannt bzw begehrt wurde, als auch die zur Begründung vorgebrachten Tatsachen den im Prozess festgestellten entsprechen (RIS‑Justiz RS0039347 [T25]). Aus den vorgebrachten rechtserzeugenden Tatsachen und dem daraus abgeleiteten Begehren muss dasselbe Rechtsschutzziel angestrebt werden (RIS‑Justiz RS0039196 [T1, T2]). Der später gemachte Klagsanspruch ist dann mit dem Anspruch der „Vorklage“ ident, wenn er durch eine rechtskräftige Entscheidung des „Vorprozesses“ ebenfalls abschließend rechtskräftig erledigt werden wird (RIS‑Justiz RS0039196 [T10]). Streitanhängigkeit ist dann ausgeschlossen, wenn die Identität der rechtserzeugenden Tatsachen nur eine teilweise ist, wo also beim weiteren Anspruch zu den in der ersten Klage vorgebrachten Tatsachen weitere rechtserzeugende Tatsachen hinzutreten (RIS‑Justiz RS0039196 [T7]).
4.3. Den Vorinstanzen ist insoweit Recht zu geben, als die Klägerin sich sowohl im Vorprozess als auch hier nun (in den jeweils geänderten Hauptbegehren) zur Begründung ihrer Ansprüche auf den angeblich am 16. 5. 2014 zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Vertrag über die Übertragung der Liegenschaftsanteile des Erstbeklagten an die Klägerin als rechtserzeugende Tatsache stützt. Dies ändert aber nichts daran, dass sich die Klagebegehren unterscheiden. Das – geänderte und mit in der Tagsatzung vom 21. 1. 2016 mündlich verkündetem Beschluss zugelassene – Hauptbegehren im Vorprozess lautete dahingehend, „der (Erst‑)Beklagte habe den dort näher ausgeführten Vertrag unterfertigt“. Unabhängig davon, ob man dieses Begehren – wie nach seinem Wortlaut naheliegt – als Feststellungs‑ oder aber – wie das Rekursgericht (im Revisionsrekursverfahren unbeanstandet) – als Leistungsbegehren, nämlich auf Unterfertigung dieses Vertrags durch den Erstbeklagten, versteht, hat es jedenfalls ein anderes Rechtsschutzziel als das geänderte Hauptbegehren hier, das auf Einräumung von Besitz und Verwaltung in Ansehung des Liegenschaftsanteils des Erstbeklagten abzielt. Selbst mit einem klagsstattgebenden Urteil im Vorprozess wäre das Begehren hier daher nicht miterledigt. Würde sich der Erstbeklagte weiterhin weigern, den Besitz an der Liegenschaftshälfte zu übertragen, müsste die Klägerin selbst bei einem Erfolg im Vorprozess neuerlich klagen. Das Rechtsschutzziel ist im Gegensatz zur Meinung der Vorinstanzen daher tatsächlich nicht völlig ident.
4.4. Auch hinsichtlich der beiden Eventualbegehren kann nicht von völliger Identität der Ansprüche gesprochen werden. Das erste Eventual-feststellungsbegehren zielt auf das Zustandekommen einer Vereinbarung entsprechend dem dort näher zitierten Vertrag zwischen den Streitteilen aufgrund des Eintritts der dort näher genannten aufschiebenden Bedingung der Fremdfinanzierung ab, die das Klagebegehren im Vorprozess gar nicht nennt, hier aber offenbar auch zum Gegenstand des Feststellungsurteils gemacht werden soll. Schon aus diesem Grund ist die Identität der Begehren zu verneinen. Die Frage des rechtlichen Interesses an dieser Feststellung ist in diesem Verfahrensstadium nicht zu prüfen, weil dieses nach völlig einheitlicher Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0039201) und überwiegender Lehre (Fasching in Fasching/Konecny² § 228 ZPO Rz 122) nicht Prozessvoraussetzung, sondern – von Amts wegen wahrzunehmende – Voraussetzung für die Begründetheit des Anspruchs ist. Vergleichbares gilt für das zweite Eventualbegehren, das im Übrigen nicht nur auf die Vereinbarung vom 16. 5. 2014 und den Eintritt der aufschiebenden Bedingung der Finanzierungszusage, sondern auch auf ein angeblich zwischen den Streitteilen vereinbartes Teilungsverbot Bezug nimmt, das ebenfalls nicht Gegenstand des Begehrens im Vorprozess war.
4.5. Die von den Vorinstanzen angenommene Streitanhängigkeit liegt somit nicht vor. Über das Klagebegehren Punkt 1a bzw (bei dessen Abweisung) über die beiden Eventualbegehren wird meritorisch zu entscheiden sein. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit einer Unterbrechung bis zur rechtskräftigen Beendigung des Vorprozesses obliegt den Vorinstanzen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50 und 41 bzw 52 ZPO.
Im Verfahren erster Instanz lag – mangels Einrede des Beklagten – noch kein echter Zwischenstreit vor; die Klagszurückweisung erfolgte von Amts wegen ohne diesbezügliche Beteiligung der Gegenpartei. Im Übrigen sind allein auf die Behandlung des Prozesshindernisses entfallende Kosten erster Instanz nicht ersichtlich.
Ähnliches gilt für die Rechtsmittelkosten zweiter Instanz. Formell führte die Klägerin gar keinen Rekurs gegen die Zurückweisungsentscheidung aus, in der Berufungsbeantwortung verteidigte der Erstbeklagte die Zurückweisung der Klage wegen Streitanhängigkeit nicht. Allenfalls auf das Rekursverfahren entfallende Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind daher Kosten des weiteren Verfahrens (RIS‑Justiz RS0035955).
Anders ist die Rechtslage in Bezug auf das Revisionsrekursverfahren, in dem der Oberste Gerichtshof dem Erstbeklagten die Revisionsrekursbeantwortung freistellte. Da der Erstbeklagte dort dem Revisionsrekurs ausdrücklich entgegnete und die Klagszurückweisung wegen Streitanhängigkeit verteidigte, löste er im Rechtsmittelverfahren vor dem Obersten Gerichtshof einen Zwischenstreit aus, in dem der Klägerin die Kosten des Revisionsrekursverfahrens vor dem Obersten Gerichtshof, in dem sie obsiegt hat, zuzusprechen sind (Obermaier, Kostenhandbuch2 Rz 297). Auf das Hauptbegehren Punkt 1a entfällt nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen ein Streitwertanteil von 20.000 EUR, somit ein Fünftel des Gesamtaufwands für den Rechtsmittelschriftsatz der Klägerin, in dem sie Revisionsrekurs und Revision verbunden hat. Der Revisionsrekurs war daher mit einem Fünftel der tarifgemäß verzeichneten Anwaltskosten für den einheitlichen Rechtsmittelschriftsatz der Klägerin zu entlohnen. Eine Pauschalgebühr ist im Revisionsrekursverfahren nach TP3 GGG allerdings nicht zu entrichten.
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