OGH 4Ob127/23i

OGH4Ob127/23i20.2.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. * GmbH, *, und 2. * AG, *, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 30.693,60 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. Mai 2023, GZ 10 R 18/20b‑43, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00127.23I.0220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Die Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger kaufte am 21. 6. 2012 von der erstbeklagten Händlerin einen Audi Q3 2.0 TDI Quattro um 44.100 EUR. Der darin eingebaute 2.0 l Dieselmotor mit der Typenbezeichnung EA189 unterliegt der Euroabgasnorm 5.

[2] Die Zweitbeklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs.

[3] Bei Übergabe des Fahrzeugs wurde die Abgasrückführung über eine Software gesteuert, die auf dem Prüfstand einen Betriebsmodus mit einer höheren Abgasrückführrate wählte als im realen Straßenverkehr (sog „Umschaltlogik“). So konnte der Ausstoß von Stickoxid (NOx) auf dem Prüfstand optimiert und die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaswerte (nur) dort erfüllt werden. Der Kläger hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn er von der Abschalteinrichtung gewusst hätte.

[4] Der Kläger erfuhr aus einem Schreiben vom 8. 10. 2015, dass sein Fahrzeug vom Abgasmanipulationsskandal betroffen ist und zumindest die Stickoxidwerte (NOx) nicht den Angaben im Typenschein entsprechen.

[5] Das Kraftfahrt‑Bundesamt gab mit Bescheid vom 21. 7. 2016 ein Software‑Uupdate zur Beseitigung der Umschaltlogik frei. Der Kläger ließ es über Veranlassung der Beklagten am 14. 11. 2017 auf Kosten der Zweitbeklagten durchführen. Auch nach dem Update findet eine volle Abgasrückführung aber nur statt, wenn das Fahrzeug im Temperaturbereich von etwa + 15 Grad Celsius bis + 33 Grad Celsius unter einer geodätischen Höhe von 1.000 m gefahren wird (sog „Thermofenster“).

[6] Die EG‑Typengenehmigung und die Zulassung des Fahrzeugs sind nach wie vor aufrecht.

[5] Der Kläger begehrt mit Klage vom 2. 7. 2018 Zahlung von 30.693,60 EUR – also die Rückzahlung des Kaufpreises von 44.100 EUR abzüglich eines Benützungsentgelts von 13.406,40 EUR – Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs. Hilfsweise begehrte er Preisminderung und Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Auch die Abgasrückführung mit Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Er stützte sich gegenüber der erstbeklagten Händlerin auf List, Irrtum, Gewährleistung und vertraglichen Schadenersatz; gegenüber der zweitbeklagten Herstellerin berief er sich auf List und deliktischen Schadenersatz.

[6] Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Sie bestritten insbesondere die Mangel- bzw Schadhaftigkeit des Fahrzeugs. Außerdem sei keine der Beklagten die Fahrzeugherstellerin.

[7] Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Software-Update habe alle Schäden bzw Mängel beseitigt.

[8] Das Berufungsgericht gab der Klage (nur) gegen die Zweitbeklagte teilweise statt und sprach dem Kläger 29.106 EUR gegen Übergabe des Fahrzeugs zu. Die Erstbeklagte habe kein vorwerfbares Verhalten gesetzt, sodass keine Ansprüche wegen List oder Schadenersatz bestünden. Gewährleistung und Irrtumsanfechtung seien erst außerhalb der jeweiligen Frist geltend gemacht worden. Die Zweitbeklagte hafte wegen einer Schutzgesetzverletzung.

[9] Die außerordentliche Revision des Klägers strebt eine Klagsstattgebung auch gegenüber der Erstbeklagten an.

[10] Die außerordentliche Revision der Zweitbeklagten strebt eine Klagsabweisung, hilfsweise eine Aufhebung der Entscheidungen und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht an.

[11] Beide Revisionen zeigen keine erheblichen Rechtsfragen auf und sind daher nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

I. Zur Revision des Klägers

[12] 1. Der Kläger argumentiert in seiner Revision, dass die Zulassung seines Fahrzeugs gefährdet sei, sodass es einen Rechtsmangel aufweise, für den die Gewährleistungsfrist erst ab Kenntnis der Unsicherheit laufe – also sogar noch nach dem Software-Update. Zur Art des Mangels fehle es noch an höchstgerichtlicher Rechtsprechung.

[13] 1.1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112921; RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie inzwischen durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits beantwortet wurde (RS0112921 [T5]).

[14] 1.2. Welche Art von Mangel Fahrzeuge mit verbotenen Abschalteinrichtungen aufweisen, ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nun schon geklärt: Eine im für das Vorliegen eines Rechtsmangels maßgebenden Zeitpunkt der Übergabe bloß befürchtete mangelnde Rechtsbeständigkeit der EG‑Typengenehmigung bzw die bloß befürchtete, also nicht konkret drohende Aufhebung der Zulassung ist kein Rechtsmangel (RS0134605; vgl etwa auch 2 Ob 122/23i Rz 19 ff; 8 Ob 70/23m Rz 14; 4 Ob 178/23i [Pkt 1.2]).

[15] 1.3. Gegen diese nunmehr ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Abschalteinrichtung einen Sachmangel bilde, führt die Revision keine neuen Argumente ins Treffen und zeigt damit keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[5] 2. Der Kläger argumentiert außerdem, dass bei einem behördlich angeordneten Software-Update eine neue Gewährleistungsfrist zu laufen begonnen habe, selbst wenn die ursprüngliche Frist im Zeitpunkt des Updates schon abgelaufen gewesen sei.

[6] 2.1. Nach der vom Kläger zitierten Rechtsprechung, beginnt eine Gewährleistungsfrist (nur dann) erst mit Vollendung der Verbesserung zu laufen, wenn die Verbesserung noch während offener Gewährleistungsfrist zumindest zugesagt wurde (RS0018921).

[16] Dies trifft hier jedoch nicht zu. Selbst das bloße Informationsschreiben zum Dieselskandal (noch ohne Anbot eines Updates) erreichte den Kläger nach den Feststellungen mehr als drei Jahre nach Kauf und Übergabe des Fahrzeugs.

[17] 2.2. Im erstinstanzlichen Verfahren replizierte der Kläger auf den mehrfach erhobenen Einwand der Erstbeklagten nicht, dass insbesondere Gewährleistungs‑ansprüche bereits verjährt seien. Der erstmals in der Revision aufgestellten Behauptung, das von einer Behörde angeordnete Software-Update sei als Verbesserungsversuch der (welcher?) Beklagten zu werten und müsse daher eine neue Gewährleistungsfrist auslösen, steht das Neuerungsverbot der §§ 482, 504 ZPO entgegen.

II. Zur Revision der Zweitbeklagten

[18] 1. Die Zweitbeklagte betont, dass sie nicht Herstellerin des Fahrzeugs und damit auch nicht Ausstellerin der Übereinstimmungsbescheinigung sei. Ihr sei daher auch keine Schutzgesetzverletzung vorzuwerfen.

[19] 1.1. Nach den insoweit unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts war die Zweitbeklagte Herstellerin des Fahrzeugs des Klägers.

[20] Die Rechtsrüge der Zweitbeklagten geht nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und ist daher nicht ordnungsgemäß ausgeführt (RS0043603).

[5] 1.2. Der Hinweis, dass die Beklagten ihre Herstellereigenschaft in erster Instanz bestritten hätten, könnte als Hinweis auf eine Aktenwidrigkeit verstanden werden. In der Übernahme von Feststellungen des Erstgerichts durch das Berufungsgericht kann jedoch keine Aktenwidrigkeit liegen (RS0043240).

[6] Eine (mögliche) Aktenwidrigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung kann im Revisionsverfahren aber nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sie in der Berufung nicht oder nicht gehörig geltend gemacht wurde (RS0041773). Selbst eine in erster Instanz obsiegende Partei könnte die im Berufungsverfahren unterbliebene Rüge der Aktenwidrigkeit im Revisionsverfahren nur dann nachholen, wenn sie nicht nach § 468 Abs 2 ZPO bereits im Berufungsverfahren zur Erhebung dieser Rüge gehalten gewesen wäre (RS0041773 [T8]). Dies gilt nur für sogenannte „verborgene Feststellungen“, auf die sich der Berufungswerber nicht ausdrücklich berief (6 Ob 258/08x [Pkt 1.2]).

[21] Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Der Kläger argumentierte in der Berufung ausdrücklich, dass die Zweitbeklagte wegen Schutzgesetzverletzung hafte, weil sie Fahrzeuge mit Übereinstimmungsbescheinigungen in Verkehr gebracht habe, die sie nicht hätte ausstellen dürfen (ON 34 S 25 Abs 3).

[22] Die Beklagten stellten in ihrer Berufungsbeantwortung die Herstellereigenschaft der Zweitbeklagten dennoch nicht in Frage, sondern gingen vielmehr ebenfalls davon aus, dass die Zweitbeklagte Herstellerin sei (vgl Pkt 1.3.4.3), die Ansprüche des Klägers aber aus anderen Gründen nicht zu Recht bestünden.

[5] 2. Schließlich beruft sich die Zweitbeklagte hinsichtlich einer allfälligen Schutzgesetzverletzung auf fehlendes Verschulden zufolge eines entschuldbaren Rechtsirrtums. Die Ausgestaltung des Emissionskontrollsystems sei nach einer zumindest vertretbaren und vom Kraftfahrt‑Bundesamt geteilten Rechtsauffassung zulässig.

[6] 2.1. Dass dem Schädiger an der Übertretung eines Schutzgesetzes kein Verschulden trifft, hat der Schädiger zu beweisen (RS0112234 [T1]). Dazu muss er auf Tatsachenebene konkrete und stichhaltige Umstände vortragen, die sein Verhalten nicht als fahrlässig erscheinen lassen.

[7] Ein Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum entlasten will, muss sowohl den Rechtsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Rechtsirrtums konkret darlegen und beweisen. Der bewusste Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die dazu dienen soll, die Grenzwerte zur Erlangung der Typengenehmigung einzuhalten, spricht ohne Vorliegen besonders rücksichtswürdiger Umstände gegen die Annahme eines Rechtsirrtums (3 Ob 121/23z Rz 23; 4 Ob 119/23p Rz 23 ff; vgl auch 6 Ob 155/22w Rz 72; 4 Ob 165/23b [Pkt 4.2]). Ein entschuldbarer Rechtsirrtum könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn die Funktions- und Wirkungsweise der Abgasrückführung bei der Erwirkung der Typengenehmigung gegenüber dem deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt vollständig und wahrheitsgemäß offen gelegt worden wäre (vgl 3 Ob 216/23w Rz 11; 10 Ob 27/23b Rz 34 ff).

[8] 2.2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich auch insofern im Rahmen der Rechtsprechung, zumal die Zweitbeklagte weder in erster Instanz noch im Rechtsmittelverfahren konkret darlegt, wie sie ernsthaft annehmen konnte, dass eine Umschaltlogik, deren einziger Zweck darin besteht, die Einhaltung der in der VO 715/2007/EG vorgesehenen Grenzwerte allein während der Zulassungstests sicherzustellen, irgendwie mit der VO 715/2007/EG vereinbar sein könnte (vgl 6 Ob 155/22w Rz 36 mwN; 4 Ob 165/23b [Pkt 4.2]). Insbesondere brachte sie nicht vor, dass die Funktions- und Wirkungsweise der Abgasrückführung bei der Erwirkung der Typengenehmigung gegenüber dem Kraftfahrt‑Bundesamt vollständig und wahrheitsgemäß offen gelegt worden wäre (vgl 3 Ob 216/23w Rz 11; 10 Ob 27/23b Rz 34 ff).

[9] 2.3. Auf die Frage, ob die Zweitbeklagte aufgrund der Offenlegung gegenüber dem Kraftfahrt‑Bundesamt auf die Zulässigkeit des Thermofensters nach dem Software-Update ausgehen durfte, kommt es dagegen gar nicht an. Die Schutzgesetzverletzung erfolgte bereits durch den Einsatz der Umschaltlogik. Sie könnte durch einen entschuldbaren Rechtsirrtum über die Zulässigkeit des erst Jahre später aufgespielten Software-Updates nicht beseitigt werden, wenn das Fahrzeug nach wie vor nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspricht (vgl 8 Ob 81/23d Rz 13, 4 Ob 27/24k [Pkt 2.1]).

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