OGH 10Ob25/23h

OGH10Ob25/23h21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Martin Wuelz, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde *, vertreten durch Dr. Joachim Tschütscher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung und Zustimmung zur Einverleibung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 23. März 2023, GZ 5 R 67/22z‑40, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 28. September 2022, GZ 11 Cg 48/21p‑33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00025.23H.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Konsumentenschutz und Produkthaftung, Wohnungseigentumsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.505,40 EUR (darin 250,90 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin erwarb von einem Bauträger eine Eigentumswohnung in Innsbruck. Im Kauf‑ und Bauträgervertrag räumte sie der beklagten Stadtgemeinde ein – in der Folge im Grundbuch eingetragenes – Vorkaufsrecht ein, das binnen 60 Tagen ausgeübt werden kann und unbefristet für alle Arten der Veräußerung gilt. Ausgenommen davon ist nur die Veräußerung zwischen Ehegatten sowie Eltern und Kindern. In diesem Fall erlischt das Vorkaufsrecht aber nicht, sondern ist vom neuen Eigentümer zu übernehmen. Als Vorkaufspreis ist der Kaufpreis gemäß der (zu diesem Zeitpunkt) geltenden Wohnbauförderungsrichtlinie vorgesehen. Zudem kommt der Beklagten das Recht zu, anstatt der eigenen Einlösung einen anderen Vorkaufsberechtigten namhaft zu machen, auf den dann die für sie geltende Regelung des Vorkaufsrechts analog anzuwenden ist.

[2] Hintergrund der Einräumung des Vorkaufsrechts war, dass die Beklagte dem Bauträger zur Umsetzung des Wohnbauprojekts Grundstücke zu einem erheblich unter dem Marktwert liegenden Kaufpreis verkauft und sich überdies verpflichtet hatte, zusätzliche Leistungen (zB Verlegung und Erhaltung des Kanals etc) zu erbringen. Im Gegenzug hatte sich der Bauträger verpflichtet, einen Teil des Projekts als geförderten Wohnbau nach den Richtlinien der Tiroler Wohnbauförderung auszuführen und die (deshalb billigeren) geförderten Wohnungen nur mit Zustimmung der Beklagten zu verkaufen. Diese Zustimmung machte die Beklagte (unter anderem) von der Einräumung des Vorkaufsrechts abhängig.

[3] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin, festzustellen, dass das verbücherte Vorkaufsrecht nichtig ist, und die Beklagte zur Zustimmung zur Einverleibung seiner Löschung zu verpflichten.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die Beklagte habe zwar ein nachvollziehbares Interesse daran, Spekulationen mit Wohnungen zu verhindern, deren Errichtung öffentlich gefördert worden sei. Dennoch verstoße das Vorkaufsrecht gegen § 38 Abs 1 Z 3 WEG, weil zur Erreichung dieses Ziels die Rechte der Wohnungseigentümer nicht derart massiv eingeschränkt werden müssten, wie das im Fall der Klägerin erfolgt sei. Das Vorkaufsrecht unterliege nämlich keinerlei Befristung und sei sogar im Fall der Veräußerung an vom Vorkaufsfall nicht erfasste Angehörige von diesen zu übernehmen. Eine derart lange Knebelung sei weder mit dem Wesen des Eigentums noch mit dem Verbraucherschutzgedanken in Einklang zu bringen. Dass das durchaus legitime Anliegen der Beklagten auch mit weitaus gelinderen Mitteln erreicht werden könne, zeige vor allem § 15g WGG. Wäge man das Interesse der Beklagten gegen jenes der Klägerin, unbeschränkt über ihre Anteile verfügen zu können, ab, stelle das Vorkaufsrecht eine unbillige Einschränkung dar und sei daher rechtsunwirksam. Es komme daher nicht mehr darauf an, ob die Vereinbarung des Vorkaufsrechts überdies nichtig im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB sei oder gegen § 6 Abs 3 KSchG verstoße.

[6] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil die Frage, ob die hier zu beurteilende Vereinbarung wirksam sei oder nicht, für eine Vielzahl von Vertragsverhältnissen Bedeutung habe.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision der Beklagten ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[8] 1. Gemäß § 38 Abs 1 Z 3 WEG sind Vereinbarungen oder Vorbehalte, die geeignet sind, die dem Wohnungseigentumsbewerber oder ‑eigentümer zustehenden Nutzungs‑ oder Verfügungsrechte aufzuheben oder unbillig zu beschränken, rechtsunwirksam, insbesondere Vereinbarungen über Vorkaufs‑ und Wiederkaufsrechte.

[9] 1.1. Unzulässig sind daher nicht alle, sondern nur solche Vereinbarungen, durch die Rechte unbillig beschränkt werden (4 Ob 235/22w Rz 21; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch, Wohnrecht4, § 38 WEG Rz 7 und 12). Das ist der Fall, wenn eine Aufhebung oder Beschränkung von Nutzungs‑ und Verfügungsrechten bewirkt wird, die einer vernünftigen Interessenabwägung widerspricht (RIS‑Justiz RS0075734; RS0083359 [T2]). Beschränkungen, die ein Wohnungseigentumsbewerber auch bei Gleichgewicht der Vertragslage auf sich genommen hätte, die also einer vernünftigen Interessenabwägung entsprechen, fallen dagegen nicht unter § 38 Abs 1 WEG (RS0083371; 5 Ob 160/22y Rz 32; Ofner in GeKo Wohnrecht II § 38 WEG Rz 5 und 9).

[10] 1.2. Von § 38 WEG sind nicht nur vertragliche Abreden erfasst, die der Wohnungseigentumsorganisator selbst schließt, sondern auch Vereinbarungen zwischen Wohnungseigentumsbewerber, Wohnungseigentümer oder der Eigentümergemeinschaft mit Dritten, deren Abschluss von ihm (noch) unter Ausnutzung seiner Vertragsübermacht veranlasst wurden (5 Ob 220/22x Rz 12; Vonkilch, Wohnrecht4, § 38 WEG Rz 1 mwN).

[11] 2. Ob eine Vereinbarung nach der Generalklausel des § 38 Abs 1 WEG oder einer der Fallgruppen des § 38 Abs 1 WEG rechtsunwirksam ist, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen werden und wirft daher in der Regel keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf (5 Ob 220/22x Rz 15; 5 Ob 50/18s ua). Anderes gilt nur dann, wenn der Entscheidung des Berufungsgerichts eine Fehlbeurteilung zugrunde liegt, die aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifen ist. Das ist hier aber nicht der Fall.

[12] 3. Das Berufungsgericht hat zu Recht betont, dass zu den von § 38 Abs 1 WEG erfassten Rechten auch das Recht des Wohnungseigentümers zählt, durch Veräußerung über seine Anteile (Wohnung) zu verfügen (vgl RS0083493). Das vorliegende Vorkaufsrecht schränkt dieses Recht schon dadurch massiv ein, dass es keine zeitliche Befristung enthält. Obwohl das Fehlen einer zeitlichen Grenze, wie es das Lebensende einer natürlichen Person mit sich bringt, bei einem Vorkaufsrecht zugunsten einer juristischen Person in der Natur der Sache liegt (vgl 5 Ob 215/21k [Rz 15]), weil es erst mit deren Untergang erlischt (vgl RS0020289), bedeutet dies bei politischen Gemeinden de facto eine „immerwährende“, jedenfalls aber unabsehbar lange Einschränkung. Diese wird noch verstärkt, indem das Vorkaufsrecht als erweitertes (§ 1078 ABGB) ausgestaltet ist und nur einzelne Fälle keinen Vorkaufsfall bilden (Erwerb durch Ehegatten oder Kinder), das Vorkaufsrecht in diesem Fall aber ausdrücklich weiter bestehen soll (vgl RS0014294). Dazu kommt, dass die Beklagte – entgegen der zwingenden Anordnung des § 1074 ABGB (RS0020438 [T2]; 1 Ob 259/01x) – einen anderen Vorkaufsberechtigten benennen können soll, der das Recht an ihrer Stelle ausübt.

[13] 3.1. Wenn die Revision dem entgegenhält, dass damit eine Veräußerung der Wohnung nicht unmöglich gemacht, sondern nur das Erzielen eines Spekulationsgewinns verhindert werde, indem sie die Wohnung zu jenem Preis erwerben könne, den auch ein (wohnbauförderungswürdiger) Dritter bezahlen würde, überzeugt das nicht.

[14] Das Berufungsgericht hat zu Recht betont, dass das Interesse der Beklagten nachvollziehbar und legitim sowie prinzipiell geeignet ist, die Nutzungs‑ und Verfügungsrechte von Wohnungseigentümern zu beschränken. Der (unstrittig) unter dem Marktpreis liegende Kaufpreis rechtfertigt es aber nicht, die Rechte der Klägerin auf Dauer einzuschränken. Wenn das Berufungsgericht ausführt, schon ein Blick auf § 15g WGG zeige, dass dafür ein befristetes Vorkaufsrecht ausreiche, begegnet das keinen Bedenken. Denn § 15g WGG ist als Ausnahme vom Verbot nach § 38 Abs 1 Z 3 WEG konzipiert und soll gerade Spekulationen mit Wohnungen und Geschäftsräumlichkeiten verhindern, deren Errichtung mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde (5 Ob 27/17g [ErwG 3.3. und 4.1.]). Stichhaltige Argumente, warum es unvertretbar sein soll, in ihrem Fall ein zeitlich unbegrenztes Vorkaufsrecht als unbillig zu beurteilen, obwohl der Gesetzgeber zur Verhinderung von Spekulation ein befristetes Vorkaufsrecht grundsätzlich als ausreichend ansieht, vermag die Beklagte nicht darzutun. Ihrer Auffassung steht vor allem entgegen, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgeht, dass eine Veräußerung nicht unbegrenzt, sondern nur eine gewisse Zeit lang als „Spekulation“ angesehen werden kann. Welche konkreten Beschränkungen nach dem WGG im Fall der nachträglichen Übertragung gemäß §§ 15b ff WGG weiter gelten (vgl dagegen § 20 Abs 1 Z 2a WGG; Rieder, Rechtliche Stolperfallen beim Kauf von WGG-Wohnungen, Zak 2019, 184 [insb 186]) und in diesem Kontext daher bloß ein zeitlich befristetes Vorkaufsrecht erforderlichen machen, legt die Beklagte nicht dar. Wie sie selbst anführt, geht es ihr im Grunde darum, „gebundenes“ Eigentum zu schaffen, das in Verbindung mit der fehlenden zeitlichen Begrenzung letztlich aber ein „dauerhaft gebundenes“ Eigentum ist. Ein „Eigentum zweiter Klasse“ (vgl 5 Ob 27/17g [ErwGr 3.2]; ErläutRV 895 BlgNR 25. GP 12) ist mit § 38 Abs 1 Z 3 WEG jedoch nicht vereinbar.

[15] 3. Wenn die Beklagte vorsichtshalber noch den Einwand der Passivlegitimation aufrecht hält, ist sie nur auf § 38 Abs 2 WEG und den Umstand zu verweisen, dass sie den Kauf- und Bauträgervertrag mitunterfertigt hat.

[16] 4. Insgesamt zeigt die Revision daher nicht auf, dass dem Berufungsgericht eine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre. Da auch die vom Berufungsgericht formulierte Zulassungsfrage das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht bewirken kann (RS0042816 [insb T1]), ist die Revision zurückzuweisen.

[17] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41,  50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296; RS0035979 [T16, T20]).

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