OGH 10Ob26/23f

OGH10Ob26/23f21.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Dr. Wolfgang Oberhofer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Mag. F*, vertreten durch Dr. Ulrich Gstrein, Rechtsanwalt in Imst, wegen Unterlassung (7.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. Februar 2023, GZ 2 R 245/22a‑21, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Imst von 26. September 2022, GZ 7 C 45/21d‑16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00026.23F.1121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Rechtsmittelbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Klägerin kommt als Eigentümerin eines landwirtschaftlichen genutzten Grundstücks das im Grundbuch eingetragene Recht zu, über das im Eigentum eines Dritten stehende Weggrundstück zu gehen und zu fahren, wobei die Breite des – entlang der östlichen Grenze des dienenden Grundstücks in Nord‑Süd‑Richtung verlaufenden – Servitutsweges fünf Meter beträgt.

[2] Entlang der westlichen Grenze des dienenden Grundstücks befinden sich mehrere Liegenschaften, auf denen Reihenhäuser errichtet sind. Der Beklagte ist Eigentümer einer dieser Liegenschaften. Die Zufahrt zu den Reihenhäusern erfolgt über das dienende Grundstück.

[3] Der Beklagte stellt – so wie andere Eigentümer der Reihenhäuser – wöchentlich seine Restmüll- und alle drei Wochen auch seine Biotonne am südöstlichen Eck des dienenden Grundstücks ab, weil sie andernfalls von der städtischen Müllabfuhr nicht entleert werden. Er stellt die Tonnen möglichst im Bereich des Straßenrandes, im Winter möglichst nahe an einem nach der Schneeräumung allenfalls verbleibenden Schneewulst ab. Die Tonnen verbleiben dort, bis sie vom Beklagten (im entleerten Zustand) wieder abgeholt werden, mitunter auch während des Tages der Müllabholung.

[4] Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten, das Abstellen von Mülltonnen in dem Bereich der dienenden Liegenschaft, an der ihr die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrweges zustehe, zu unterlassen.

[5] Der Beklagte hielt dem unter anderem entgegen, dass die Mülltonnen nur eine kleine Fläche des dienenden Grundstücks beanspruchen würden und es der Klägerin daher ohne Probleme möglich sei, an ihnen vorbeizufahren. Da er die Mülltonnen mit Zustimmung des Eigentümers abstelle und die dienende Liegenschaft dort viel breiter sei als fünf Meter, werde die Dienstbarkeit in Wahrheit gar nicht beeinträchtigt, sondern lediglich die Wegtrasse fallweise geringfügig verlegt.

[6] Das Erstgericht wies die Klage mangels einer feststellbaren konkreten Behinderung der Klägerin bei Ausübung der Dienstbarkeit ab.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Zwar sei das Abstellen der Mülltonnen als Beeinträchtigung der gemessenen Dienstbarkeit anzusehen. Allerdings sei der erkennbar erhobene Schikaneeinwand des Beklagten berechtigt, weil das Bestreben der Klägerin, auch die durch die Mülltonne(n) in Anspruch genommene geringe Fläche des Servitutsweges nutzen zu können, nicht nachvollziehbar sei. Demgegenüber stelle der Beklagte die Mülltonnen nur deshalb im Bereich des Servitutsweges ab, weil sie ansonsten nicht abgeholt (entleert) würden. Ob das in der Müllabfuhrordnung der Gemeinde Imst tatsächlich so vorgesehen sei, sei für die Abwägung der wechselseitigen Interessen nicht entscheidend.

[8] Die Revision erklärte das Berufungsgericht nachträglich für zulässig, weil es bei der Interessenabwägung zwar die Vorgaben der Gemeinde als gewichtiges Argument berücksichtigt, sich jedoch nicht mit der Frage beschäftigt habe, ob diese auch berechtigt sei, den konkreten Abholort zu bestimmen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision der Klägerin ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[10] 1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt Rechtsmissbrauch nicht erst dann vor, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern schon dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht, wenn also das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt (RIS‑Justiz RS0026265 [T33]; RS0025230 [T7]; RS0026271 [T20, T24]). Die Beweislast trifft dabei den, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben. Demjenigen, der an sich ein Recht hat, soll nämlich grundsätzlich zugestanden werden, innerhalb der Schranken dieses Rechts zu handeln (RS0025230 [T8]; RS0026271 [T26]; RS0026205 [T4]).

[11] 2. Die Frage, ob ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs vorliegen, kann nur nach den Umständen des jeweiligen Falls beurteilt werden und wirft daher in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0110900; RS0025230 [T9]; RS0026265 [T3, T12]). Auch hier zeigt die Klägerin keine Umstände auf, nach denen das vom Berufungsgericht erzielte Ergebnis der Interessenabwägung im Einzelfall zu korrigieren wäre.

[12] 2.1. Die Klägerin wendet sich vor allem dagegen, dass das Berufungsgericht ein die Dienstbarkeit nicht beeinträchtigendes „Alternativverhalten“ nicht geprüft habe. In Wahrheit bestehe das Interesse des Beklagten nämlich bloß darin, der Gemeinde Imst (der städtischen Müllabfuhr) die Müllentsorgung faktisch zu erleichtern. Weder das noch bloße Bequemlichkeit könnten jedoch einen Eingriff in Rechte Dritter rechtfertigen. Es sei vielmehr Sache des Beklagten, die Mülltonnen auf dem eigenen Grundstück abzustellen und dafür zu sorgen, dass die Gemeinde, die immerhin Müllgebühren einhebe, die Mülltonnen dort abhole bzw entleere.

[13] Dieses Argument ist prinzipiell nicht unplausibel. Im konkreten Fall ist es aber nicht tragfähig, weil nach § 4 Abs 9 lit c der von der Gemeinde Imst erlassenen Müllabfuhrordnung (abrufbar unter www.imst.gv.at ; vgl auch § 15 Abs 1 und Abs 2 lit c Tiroler Abfallwirtschaftsgesetz) die Müllbehälter am Tag der Abholung spätestens bis 6:00 Uhr an einer öffentlichen Verkehrsfläche bereitzustellen sind. Nach § 2 Abs 3 iVm Abs 5 Tiroler Straßengesetz sind das nur solche Straßen und Wege, die dem Gemeingebrauch gewidmet sind, die also (im Rahmen der Widmung) von jedermann unter den gleichen Bedingungen und ohne besondere Ermächtigung zu Verkehrszwecken benutzt werden dürfen. Dass das dienende Grundstück, das die einzige Zufahrtsmöglichkeit zur Liegenschaft des Beklagten darstellt, eine öffentliche Verkehrsfläche (vgl § 6 Tiroler Straßengesetz) ist, behauptet die Klägerin nicht und ist im Übrigen auch nicht anzunehmen, weil sie ansonsten keine Dienstbarkeit für seine Nutzung benötigen würde. Ein Anspruch darauf, dass die Mülltonnen auch dann entleert werden, wenn der Beklagte sie auf seiner Liegenschaft abstellt (bereithält), besteht daher nicht. Kommt das in den Raum gestellte „Alternativverhalten“ aber nicht in Betracht, ist es vertretbar, wenn das Berufungsgericht ein Interesse des Beklagten, die Mülltonnen einmal wöchentlich auf dem dienenden Grundstück abzustellen, bejaht.

[14] 2.2. Auch die weitere Beurteilung, ein dem entgegenstehendes nachvollziehbares Interesse der Klägerin bestehe nicht, ist vertretbar.

[15] Das Abstellen einer Mülltonne einmal pro Woche und einer zweiten alle drei Wochen am Rand der fünf Meter breiten Wegtrasse bedeutet nur einen geringfügigen Eingriff in die Rechte der Klägerin, der mit keinen nennenswerten Einschränkungen verbunden ist. Das Berufungsgericht ist in tatsächlicher Hinsicht – von der Klägerin unbeanstandet – zudem davon ausgegangen, dass das Abstellen der Mülltonnen mit Zustimmung des Eigentümers der dienenden Liegenschaft erfolgte. Da diesem die daraus resultierende Konsequenz, den Mülltonnen ausweichen zu müssen, nicht verborgen geblieben sein kann, ist davon auszugehen, dass er es in Kauf nimmt, wenn die Klägerin die Wegtrasse dabei erforderlichenfalls überschreitet, was nach den festgestellten örtlichen Gegebenheiten auch leicht möglich ist. Anderes hat die Klägerin zu alldem auch nicht behauptet, sondern nur erklärt, die Zustimmung des Belasteten könne den Beklagten nicht „exculpieren“. Dieser verweist aber zu Recht darauf, dass der Berechtigte die Verlegung eines Servitutsweges durch den Belasteten hinzunehmen hat, wenn der neue Weg dem Zweck der Dienstbarkeit vollkommen entspricht und die Ausübung der Dienstbarkeit nicht ernstlich erschwert wird (RS0011695; RS0011753; allg RS0011740). Selbst wenn man diese Rechtsprechung im Verhältnis zwischen den Streitteilen als nicht anwendbar erachten sollte, weil die Störung nicht (auch nicht indirekt) vom Servitutsbelasteten ausgehe (vgl aber RS0012131 [T24] ua), können die ihr zugrunde liegenden Überlegungen bei Beurteilung des Rechtsmissbrauchs berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund legt die Klägerin auch in dritter Instanz nicht dar, welches Interesse sie hat, gerade die von den Mülltonnen beanspruchte Fläche nutzen zu können. Ihr einziger Einwand, sie bewege sich innerhalb der ihr zustehenden Dienstbarkeit, wohingegen sich der Beklagte auf keine valide (Rechts‑)Grundlage für sein Handeln stützen könne, vermag keine aufzugreifenden Bedenken an der angefochtenen Entscheidung zu wecken.

[16] 3. Insgesamt zeigt die Revision daher nicht auf, dass das Berufungsgericht bei seiner Interessenabwägung das ihm eingeräumte Ermessen überschritten und im Einzelfall ein unvertretbares Ergebnis erzielt hätte. Da auch der geltend gemachte Mangel des Berufungsverfahrens nicht vorliegt (§ 510 Abs 3 ZPO), ist die Revision zurückzuweisen.

[17] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40,  50 ZPO. Der Beklagte hat zwar die Zurückweisung der Revision beantragt, den wahren Zurückweisungsgrund aber nicht geltend gemacht. Für seine Rechtsmittelbeantwortung steht daher kein Kostenersatz zu (RS0035962 [T6, T19]; RS0035979 [T23, T25]).

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