European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00083.23Y.1019.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Insolvenzrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Begründung:
[1] Über das Vermögen des sich heute im 82. Lebensjahr befindlichen Schuldners wurde am 15. 3. 2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach Ablehnung eines Zahlungsplans wurde am 22. 8. 2019 das Abschöpfungsverfahren eingeleitet.
[2] Die Antragstellerin, die geschiedene Ehefrau des Schuldners und aufgrund offener Unterhaltsansprüche Insolvenzgläubigerin desselben, beantragte erstmals am 11. 1. 2021, das Abschöpfungsverfahren gemäß § 211 IO vorzeitig einzustellen und das Insolvenzverfahren gemäß § 212 IO wieder aufzunehmen. Sie brachte hierzu damals unter anderem vor, der Schuldner habe in der Tagsatzung vom 4. 2. 2020 angegeben, während der Rechtswirksamkeit der Abtretungserklärung seinen anwaltlichen Vertreterinnen Honorar schuldig geblieben und nicht in der Lage zu sein, diese Schulden zu bezahlen; dies insbesondere auch in Hinsicht auf die von Rechtsanwältin Dr. P* in seinem Namen im Unterhaltsprozess mit der Antragstellerin am 13. 11. 2019 eingebrachte außerordentliche Revision. Dadurch habe der Schuldner seine Obliegenheit nach § 210 Abs 1 Z 8 IO verletzt.
[3] Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 12. 3. 2021 abgewiesen. Einem hiergegen von der Antragstellerin erhobenen Rekurs gab das Gericht zweiter Instanz am 12. 5. 2021 nicht Folge.
[4] Die Antragstellerin beantragte am 28. 2. 2023 neuerlich die vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens wegen Vorliegens von Obliegenheitsverletzungen nach §§ 210 iVm 211 IO samt Wiederaufnahme des (gemeint) Insolvenzverfahrens nach § 212 IO. Sie brachte in diesem Antrag vor, der Schuldner habe seinen alten Pkw verwertet und den der Abtretungserklärung unterliegenden Erlös verheimlicht. Zudem habe er während des Abschöpfungsverfahrens ein neues Auto um 25.540 EUR gekauft und der Rechtsanwaltskanzlei K*, die nach Einleitung des Abschöpfungsverfahrens für ihn in einem Strafverfahren Verteidigungsleistungen im Wert von 22.203,86 EUR erbracht habe, zumindest 22.448,16 EUR bezahlt. Aufgrund seiner Vermögenslosigkeit müsse er den Ankauf des Neuwagens und die Kosten seiner Strafverteidigung durch nennenswerte, unentgeltliche Zuwendungen während des laufenden Abschöpfungsverfahrens oder durch der Abtretungserklärung unterliegende Erträge finanziert haben. Dadurch, dass er diese Zuwendungen für sich verwendet und nicht den Gläubigern zugewandt habe, habe er deren Befriedigung schuldhaft beeinträchtigt. Außerdem habe er es im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung unterlassen, einen pauschalen Freibetrag für Diätverpflegung geltend zu machen, weshalb an die Gläubiger eine um 375 EUR niedrigere Steuergutschrift ausgeschüttet worden sei. All dies seien Obliegenheitsverletzungen nach § 210 IO.
[5] Im weiteren Verlauf modifizierte die Antragstellerin ihr Vorbringen dahin, dass das Geld, welches der Schuldner zur Bezahlung des neuen Autos und zur Begleichung seiner Verteidigungskosten im Strafverfahren verwendet habe, aus ihm gewährten Darlehen in Höhe von insgesamt 37.000 EUR stammten, welche mit Beendigung des Abschöpfungsverfahrens zur Rückzahlung fällig seien. Fällig würde zu diesem Zeitpunkt zudem seine Schuld gegenüber Rechtsanwältin Dr. P* in Höhe von 3.468,96 EUR werden. Es werde ihm nicht möglich sein, im Fälligkeitszeitpunkt seine Schulden zu begleichen, weshalb er durch das Eingehen der einen und anderen Schuld § 210 Abs 1 Z 8 IO verletzt habe.
[6] Der Schuldner trat dem Antrag entgegen und bestritt, Obliegenheiten nach § 210 IO verletzt zu haben. Er habe weder Vermögen von Todes wegen noch unentgeltliche Zuwendungen erlangt. Mit seinem bisherigen Auto habe er bei einem Verkehrsunfall einen Totalschaden erlitten. Zur notwendigen Anschaffung eines neuen habe ihm Dr. H*, eine langjährige Freundin, ein Darlehen gewährt, wobei die Rückführung desselben vereinbarungsgemäß erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens in kleinen Teilbeträgen zu erfolgen habe. Er habe die Zwischenabrechnungen seiner Verteidiger in dem gegen ihn geführten Strafverfahren aus dem unpfändbaren Freibetrag und zum Teil aus Darlehen Dris. H* beglichen. Zudem habe er – von ihm näher ausgeführt – alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen, um eine möglichst hohe Steuergutschrift zu erlangen; auch insofern könne von einer Obliegenheitsverletzung nicht die Rede sein. Außerdem übergehe die Antragstellerin, dass durch die Abweisung ihres ersten Antrags auf vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens die von ihr behaupteten Obliegenheitsverletzungen zum Teil bereits rechtskräftig und damit bindend verneint worden seien.
[7] Das Erstgericht wies (auch) diesen Einstellungsantrag ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
[8] Der Schuldner ist Pensionist und bezieht Pflegegeld jedenfalls der Stufe 2. Der aktuell pfändbare monatliche Teil seines Einkommens beträgt 1.667,79 EUR. Er ist Inhaber eines 1991 ausgestellten Behindertenpasses, der einen Grad der Behinderung (bzw eine Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 80 % ausweist. Aufgrund seiner (körperlichen) Behinderung ist ihm die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.
[9] Der Schuldner hatte im Juni 2021 einen Verkehrsunfall, bei dem sein Pkw einen Totalschaden erlitt. Für den Restwert erhielt er 1.190 EUR. Nach dem Unfall kaufte er noch im Jahr 2021 einen neuen Pkw um einen Preis von 25.000 EUR. Diesen finanzierte er über ein ihm von Dr. H*, einer langjährigen Freundin (unstrittig), hierfür gewährtes Darlehen. Dr. H* und der Schuldner vereinbarten, dass die Rückzahlung des Darlehens jedenfalls nicht vor der Beendigung des Abschöpfungsverfahren erfolgen werde und dass sie nach dessen Beendigung eine Regelung über die Rückzahlungsmodalitäten, wie etwa die Höhe der Rückzahlungsraten, treffen werden. Aufgrund ihrer guten finanziellen Situation wäre es für Dr. H* kein Problem, wenn die Rückzahlung der Darlehen durch den Schuldner in kleinen Raten erfolgen würde.
[10] Gegen den Schuldner wurde ein Strafverfahren geführt, in welchem er sich durch die Rechtsanwaltskanzlei K* vertreten ließ. Für Verteidigerleistungen ab Einleitung des Abschöpfungsverfahrens wurde ihm ein Betrag von insgesamt 17.965 EUR verrechnet, den er teilweise aus seinem unpfändbaren Einkommen sowie mangels eigener weiterer Mittel in Höhe von ca 12.000 EUR über ein ihm von Dr. H* hierfür gewährtes Darlehen beglich. Hinsichtlich der Rückzahlung dieses Darlehens trafen er und Dr. H* die gleiche Vereinbarung wie beim Darlehen zur Finanzierung des Autokaufs.
[11] Der Schuldner leidet an Diabetes und benötigt daher spezielle und als solche teurere Nahrung. Im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung 2021 beantragte er für außergewöhnliche Belastungen den Freibetrag für Behinderung von 80 % sowie den pauschalen Freibetrag für Diätverpflegung wegen Zuckererkrankung, Gallen-, Leber- und Nervenkrankheiten. Das Finanzamt berücksichtigte im Einkommenssteuerbescheid vom 16. 11. 2021 über die Arbeitnehmerveranlagung 2021 für „Außergewöhnliche Belastungen: Pauschalbeträge nach der Verordnung über außergewöhnliche Belastungen wegen eigener Behinderung“ einen Absetzbetrag von 2.280 EUR, führte aber in der Begründung an, der Freibetrag für Behinderung habe nicht berücksichtigt werden können, weil der Schuldner ganzjährig Pflegegeld bzw andere pflegebedingte Geldleistungen bezogen habe. Die festgesetzte Abgabengutschrift betrug 1.127 EUR.
[12] Mit Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 20. 3. 2019, 3 C 53/05m‑426, wurde der Schuldner zur Begleichung eines näher genannten Unterhaltsrückstands sowie zur Zahlung eines laufenden monatlichen Unterhalts in Höhe von 1.700 EUR ab 1. 3. 2019 an die Antragstellerin verpflichtet. Gegen das dieses Urteil bestätigende Berufungsurteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. 10. 2019 brachte er vertreten durch Rechtsanwältin Dr. P* am 13. 11. 2019 eine außerordentliche Revision ein; die Kosten hierfür betrugen 3.471,48 EUR. Zwischen Dr. P* und dem Schuldner wurde vereinbart, dass er ihre offenen Honorarforderungen erst nach Beendigung des Abschöpfungsverfahrens zu bezahlen habe.
[13] Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Schuldner sei im Rahmen des Abschöpfungsverfahrens nicht verpflichtet gewesen, steuerrechtlich optimiert außer-gewöhnliche Belastungen in der Arbeitnehmerveranlagung geltend zu machen. Eine Verletzung der Obliegenheit nach § 210 Abs 1 Z 8 IO verneinte das Erstgericht mit der Begründung, dass die von Dr. H* dem Schuldner gewährten Darlehen erst nach Beendigung des Abschöpfungsverfahrens zur Rückzahlung fällig seien. Zudem fehle es hinsichtlich der Begründung der Verbindlichkeiten an einem Verschulden des Schuldners, habe er sich doch bloß im einen oder anderen Verfahren durch einen freigewählten Rechtsanwalt vertreten lassen und sei er doch aus gesundheitlichen Gründen auf die Nutzung eines Pkw angewiesen.
[14] Das Rekursgericht änderte über Rekurs der Antragstellerin den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass das Abschöpfungsverfahren nach § 211 IO vorzeitig eingestellt werde. Zur Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufnahme nach § 212 IO erklärte es das Erstgericht für zuständig.
[15] Das Rekursgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen. Rechtlich teilte es zwar die Ansicht des Erstgerichts, dass hinsichtlich der Arbeitnehmerveranlagung dem Schuldner nichts vorzuwerfen sei, sehr wohl aber stellten seine Kreditierungsvereinbarungen mit Dr. H* und Dr. P* eine Verletzung des § 210 Abs 1 Z 8 IO dar. In der Gesamtschau zeige sich eine „ganz besondere Vorgangsweise des Schuldners“ während des anhängigen Abschöpfungsverfahrens. Er vereinbare immer wieder Rückzahlungsmodalitäten für eingegangene Verbindlichkeiten dahin, dass bereits in Empfang genommene Leistungen erst durch eine nach Abschluss des Abschöpfungsverfahrens zu leistende Rückzahlung erledigt würden. Der Schuldner habe sich wenigstens mit einem Gesamtbetrag von 37.000 EUR während des Abschöpfungsverfahrens neuerlich verschuldet, auch wenn Rückzahlungen und damit eine Verminderung des pfändbaren Teils seines Einkommens derzeit nicht absehbar seien. Von einer Geringfügigkeit der neuerlichen Verschuldung im Abschöpfungsverfahren könne nicht ausgegangen werden. Selbst wenn man die Aufnahme eines Darlehens zur Finanzierung der Vertretung im Strafverfahren durch einen frei gewählten Rechtsanwalt billigte, sei das Eingehen einer neuerlichen Verbindlichkeit zum Ankauf eines neuen Pkw – noch dazu in Anbetracht der festgestellten laufenden Unterhaltsverpflichtung und der damit im Zusammenhang stehenden Unterhaltsrückstände samt Zinsen und Kosten – wenigstens leicht fahrlässig.
[16] Das Rekursgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über 30.000 EUR und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil die Frage, ob ein Schuldner iSd § 210 Abs 1 Z 8 IO auch dann in verpönter Weise eine neue Schuld eingehe, wenn er sich mit dem Vertragspartner dahingehend einige, dass über die Rückzahlungsmodalitäten erst nach Beendigung des Abschöpfungsverfahrens verhandelt werde, erheblich iSd § 528 Abs 1 ZPO sei.
[17] Gegen diese Entscheidung richtet sich der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Schuldners mit einem auf Abweisung des Antrags auf vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens abzielenden Abänderungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[18] Der Revisionsrekurs ist aus dem im Zulassungsausspruch genannten Grund zulässig und auch berechtigt.
[19] 1. Das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen ist nach ständiger Rechtsprechung – mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens sowie im Gesetz genannter Sonderfälle – einseitig (§ 260 Abs 4 IO; RS0116129 [T3]). Es besteht hier auch keine Veranlassung, ausnahmsweise aus Gründen der „Waffengleichheit“ die Möglichkeit einer Revisionsrekursbeantwortung einzuräumen (vgl RS0118686), zumal die Antragstellerin ihren rechtlichen Standpunkt bereits in ihrem Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluss ausführlich dargelegt hat (vgl zB 8 Ob 136/12a).
[20] 2. Gemäß § 210 Abs 1 Z 8 IO obliegt es dem Schuldner, während der Rechtswirksamkeit der Abtretungserklärung keine neuen Schulden einzugehen, die er bei Fälligkeit nicht bezahlen kann.
[21] 2.1. Die Fälligkeit richtet sich nach der allgemeinen Regel des § 904 ABGB. Ist keine gewisse Zeit für die Erfüllung des Vertrags bestimmt, so ist die Fälligsetzung durch den Gläubiger nach § 904 Satz 1 ABGB das Prinzip (3 Ob 37/89). Es ist aber auch zulässig, dass der Verpflichtete die Erfüllungszeit seiner Willkür vorbehält (§ 904 Satz 2 ABGB) oder dass er die Erfüllung nur „nach Möglichkeit oder Tunlichkeit“ verspricht (§ 904 Satz 3 ABGB). Im zuletzt genannten Fall steht es dem Gläubiger – so wie in § 904 Satz 2 ABGB vorgesehen (argumento „Letzteres findet auch dann statt“) – frei, die Erfüllungszeit vom Richter nach Billigkeit festsetzen zu lassen. Schuldnerverzug kann hier erst mit der vom Richter bestimmten Erfüllungszeit eintreten (OGH 19. 4. 1882 Nr 3627 = GlU 8960; 13. 10. 1892, Nr 11671 = GlU 14425; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 [2014] § 904 Rz 22).
[22] 2.2. Der Richter hat bei § 904 Satz 3 ABGB den Fälligkeitszeitpunkt nicht allein an den finanziellen Möglichkeiten des Schuldners auszurichten, sondern eine Billigkeitsentscheidung zu treffen, bei der er die Interessen beider Vertragsparteien berücksichtigt; so muss er ins Kalkül ziehen, ob und inwieweit es dem Schuldner zumutbar ist, durch Aufnahme einer Beschäftigung sich die zur Erfüllung notwendigen Mittel zu beschaffen (RS0017626; 8 Ob 505/90 = NZ 1992, 58 [Hofmeister]; Kietaibl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 [2020] § 904 Rz 11).
[23] 2.3. Die Zahlung nach Möglichkeit und Tunlichkeit bedeutet ein sehr weitgehendes Zugeständnis des Gläubigers (RS0017714). Sie muss nach der Rechtsprechung nicht unbedingt ausdrücklich vereinbart werden, es genügt, dass ihre Vereinbarung deutlich erkennbar ist (idS RS0017709). Dies bedeutet, dass die Vereinbarung, der Schuldner müsse nur nach Möglichkeit und Tunlichkeit leisten, sich (auch) erst aus den Begleitumständen ergeben kann (RS0017709 [T1] = 1 Ob 160/07x [Pkt 2]; Koller in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 [2011] § 904 ABGB Rz 19), mit anderen Worten, dass – bei Einhaltung des strengen Maßstabs des § 863 ABGB – eine schlüssige Vereinbarung der Erfüllung nach Möglichkeit und Tunlichkeit statthaft ist (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 [2014] § 904 Rz 16). Der Oberste Gerichtshof sprach etwa zu einer Feststellung, dass eine Geldforderung aus Warenlieferung zum Zweck der Abwendung des Konkurses gestundet wurde, aus, dies bedeute nichts anderes, als dass die Fälligkeit der Forderung bis zu einer Besserung der wirtschaftlichen Lage des Zahlungspflichtigen hinausgeschoben wurde, dessen Gegenleistung demnach iSd § 904 Satz 3 ABGB nach Tunlichkeit und Möglichkeit erfolgen sollte (1 Ob 745/80 = JBl 1982, 37 = RZ 1982/13). Ebenso kam der Oberste Gerichtshof in einem Fall, in dem die Darlehensgewährung durch den Kläger erkennbar zu dem Zweck, einer wegen ihrer finanziellen Probleme verzweifelten „engen Freundin“ – ihr verblieben auf Grund ihrer hohen Fixkosten lediglich ca 100 EUR im Monat für das tägliche Leben – zu helfen, erfolgte, zum Ergebnis, dass die betraglich unbestimmte Ratenvereinbarung nur im Sinne einer Zahlung nach „Tunlichkeit und Möglichkeit“ – entsprechend den bescheidenen Möglichkeiten der Beklagten – verstanden werden könne (1 Ob 160/07x).
[24] 2.4. Hier gewährte eine langjährige Freundin dem Schuldner während und – wie sich aus dem Akt klar ergibt – in Kenntnis des Abschöpfungsverfahrens Kredite, damit dieser sich ein neues Auto kaufen und das Anwaltshonorar seiner Rechtsvertreter in dem gegen ihn gerade geführten Strafverfahren begleichen kann, dies mit der Vereinbarung, dass die Rückzahlungen der Darlehen jedenfalls nicht vor der Beendigung des Abschöpfungsverfahren erfolgen und dass der Schuldner und die Darlehensgeberin nach der Beendigung des Abschöpfungsverfahrens eine Regelung über die Rückzahlungsmodalitäten, wie etwa die Höhe der Rückzahlungsraten, treffen werden. Zumal der Schuldner selbstredend während sowie unmittelbar nach Beendigung des Abschöpfungsverfahrens praktisch vermögenslos ist und – aufgrund seines hohen Alters und seiner körperlichen Beeinträchtigungen – auch nicht mit Einkünften abseits von Pension und Pflegegeld zu rechnen (gewesen) ist, haben der Schuldner und seine Darlehensgeberin schlüssig vereinbart, dass die Rückzahlung der Darlehen nach Möglichkeit und Tunlichkeit iSd § 904 Satz 3 ABGB erfolgt.
[25] 2.5. Der Schuldner ging durch die Aufnahme der Darlehen damit aber keine (Rückzahlungs‑)Schuld ein, „die er bei Fälligkeit nicht bezahlen kann“ (§ 210 Abs 1 Z 8 IO). Durch § 904 Satz 3 ABGB ist nämlich gesichert, dass er nicht zu ihm nicht möglichen Rückzahlungen durch richterliche Fälligstellung verpflichtet werden kann. Eine Verletzung der Obliegenheit nach § 210 Abs 1 Z 8 IO ist zu verneinen.
[26] 3. Dass der Schuldner Rechtsanwältin Dr. P* für die rechtsfreundliche Vertretung im von der Antragstellerin gegen ihn geführten Unterhaltsverfahren noch Geld schuldet, insbesondere auch für die während des Abschöpfungsverfahrens von Dr. P* namens des Schuldners eingebrachte außerordentliche Revision, machte die Antragstellerin bereits in ihrem ersten Antrag auf vorzeitige Beendigung des Abschöpfungsverfahrens geltend, welcher rechtskräftig abgewiesen wurde. Dass das Eingehen von Schulden bei Rechtsanwältin Dr. P* die vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens nicht rechtfertigt, ist damit – wie im Revisionsrekurs zutreffend ausgeführt – res iudicata. Aufgrund der Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft ist es der Antragstellerin verwehrt, sich im nunmehrigen zweiten Antrag neuerlich auf den genannten Sachverhalt zu berufen.
[27] 4. Die von der Antragstellerin dem Schuldner vorgeworfene Obliegenheitsverletzung wegen – angeblich – nicht optimaler Geltendmachung von Freibeträgen im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung 2021 setzt voraus, dass dem Schuldner an ihr ein Verschulden traf (§ 211 Abs 1 Z 2 IO). Selbst wenn objektiv – was die Antragstellerin aber nicht iSd § 211 Abs 1 letzter Satz IO glaubhaft machte – eine höhere Steuergutschrift zu erzielen gewesen wäre, scheidet eine Beendigung des Abschöpfungsverfahrens schon aus, weil kein Verschulden des Schuldners ersichtlich ist, handelt es sich bei ihm doch um keinen insofern Sachkundigen, wie etwa einen Steuerberater. Dass auch unter Ansatz der Maßfigur eines steuerrechtlichen Laiens die Vorgangsweise des Schuldners fahrlässig war, ist zu verneinen.
[28] 5. Auf den vom Schuldner für den alten Pkw an Restwert erzielten Erlös kam die Antragstellerin bereits in ihrem Rekurs nicht mehr zurück.
[29] 6. Auf die von ihr völlig unsubstantiiert behaupteten Schadenersatzansprüche des Schuldners gegen einen (unbestimmten) Unfallgegner ist schon deshalb nicht einzugehen, weil sie insofern gerade keine Obliegenheitsverletzung, wie aber von § 211 Abs 1 letzter Satz IO verlangt, glaubhaft machte.
[30] 7. Die Abweisung des (zweiten) Antrags auf vorzeitige Beendigung des Abschöpfungsverfahrens durch das Erstgericht erweist sich daher im Ergebnis als richtig, weshalb dessen Beschluss wiederherzustellen ist.
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