OGH 15Os66/23d

OGH15Os66/23d4.10.2023

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Oktober 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz, Dr. Mann und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maringer als Schriftführerin in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. Jänner 2023, GZ 43 Hv 38/22d‑147, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0150OS00066.23D.1004.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Suchtgiftdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (A/) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (B/ und C/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er (zusammengefasst wiedergegeben) in W* und an einem nicht mehr festzustellenden Ort in Serbien (A/I/11/ bis 13/) vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge als Mitglied einer kriminellen Vereinigung anderen

A/ angeboten, und zwar

I/ von 31. August 2020 bis 29. Mai 2021 insgesamt 488,2 Kilogramm Cannabiskraut (beinhaltend zumindest 11,18 % THCA und 0,85 % Delta‑9‑THC) im Urteil jeweils konkret angeführten Personen, überwiegend in jeweils ein Kilogramm übersteigenden Mengen;

II/ von 12. September 2020 bis 4. Juni 2021 insgesamt 3,55 Kilogramm Kokain (beinhaltend zumindest 64,01 % Cocain) im Urteil jeweils konkret angeführten Personen, überwiegend in jeweils 500 Gramm übersteigenden Mengen;

III/ am 17. Oktober 2020 1.000 Stück Ecstasy-Tabletten (beinhaltend zumindest 34,88 % MDMA) einem unbekannten Täter;

IV/ am 15. Dezember 2020 ein Kilogramm Cannabisharz (beinhaltend zumindest 17,06 % THCA und 1,36 % Delta-9‑THC) an unbekannte Täter;

B/ überlassen, und zwar von 14. November 2020 bis 4. Juni 2021 insgesamt 21,008 Kilogramm Cannabiskraut (beinhaltend zumindest 11,18 % THCA und 0,85 % Delta‑9‑THC) an im Urteil konkret angeführte Personen, vielfach in jeweils ein Kilogramm übersteigenden Mengen;

C/ verschafft, und zwar am 15. Dezember 2020 drei Kilogramm Cannabiskraut (beinhaltend zumindest 11,18 % THCA und 0,85 % Delta‑9‑THC) unbekannten Abnehmern, indem er die Übergabe zwischen zwei unbekannten Tätern sowie deren unbekannten Abnehmern einerseits und dem unbekannten Täter „Bobi“ koordinierte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5,   7 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 26. Jänner 2023 gestellten Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Gebiet der digitalen Forensik (ON 146 S 25 f; US 16 f) Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.

[5] Das Gutachten wurde zum Beweis dafür begehrt, „dass die ausgewerteten bzw der Anklageschrift zugrundeliegenden Rohdaten der französischen Behörden technisch verändert sind und dadurch keine Gewähr für die Richtigkeit der Chat-Datenbestände vorliegt“, weiters zum Beweis dafür, „dass die angeführten Datensätze dem Angeklagten nicht zugeordnet werden können bzw zum Beweis seiner Unschuld“. Es sei aus Sicht des Angeklagten nicht nachvollziehbar, inwieweit durch verschiedene Einrichtungen die Daten überarbeitet oder verändert und wie welche Verarbeitungsschritte gesetzt worden seien. Die Verarbeitung der Datensätze durch die französischen Behörden beinhalte auch „Punkte für eine fehlerhafte Wiedergabe bzw Übermittlung“.

[6] Über mehrfache Nachfrage der Vorsitzenden, welche Daten konkret wie verändert worden sein sollen, konnte die Verteidigung weder solche Daten noch Anhaltspunkte für Manipulationen oder Fehler bei der Datenverarbeitung nennen. Sie brachte ergänzend bloß vor, sie müsse „davon ausgehen, dass alles verändert wurde“, weil es „von Anfang an eine geheime Aktion“ gewesen sei und eine Möglichkeit der Akteneinsicht bei den französischen Behörden nicht bestanden habe. Der Sachverständige solle „das überprüfen“, damit „wir überhaupt einschätzen können, was da tatsächlich dahinter steckt“ (ON 146 S 25 f).

[7] Im Zuge der Antragstellung wurde somit ohne substanziierte Begründung bloß vermutet, dass die Beweiskraft in Bezug auf entscheidende Tatsachen in Frage stellende Veränderungen an den von den französischen Behörden übermittelten Daten (betreffend SKY-Chats; vgl US 10 f) vorgenommen worden waren. Da der Beschwerdeführer in der Folge nicht darzulegen vermochte, welche Umstände im vorliegenden Fall konkret auf eine solche Datenmanipulation hinweisen sollen, durfte sein Begehren zu Recht als im Stadium der Hauptverhandlung unzulässiger Erkundungsbeweis abgewiesen werden. Selbst nach dem Vorbringen im Rechtsmittel (ON 152 S 4) zielte der Beweisantrag nämlich darauf ab, erst herauszufinden, ob die ausgewerteten Rohdaten der französischen Behörden technisch verändert worden waren, mit anderen Worten ob von dem Beweis eine weitere Aufklärung (über die Beweiskraft der Daten) zu erwarten sei (RIS-Justiz RS0118123).

[8] Die erst in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Fundierung des Antrags nachgetragenen Argumente sind zufolge des sich aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots unbeachtlich; der Oberste Gerichtshof prüft die Frage, ob durch die Abweisung eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt wurden, nur auf Grundlage des Antragsvorbringens (RIS‑Justiz RS0099117, RS0099618).

[9] Zur Behauptung der Mängelrüge (Z 5 dritter Fall), die Aussprüche nach § 260 Abs 1 Z 1 und Z 3 StPO stünden „im Widerspruch“ zueinander (vgl aber RIS‑Justiz RS0119089), weil ersterer eine andere Person und (bloß) letzterer den Angeklagten betreffe, ist der Beschwerdeführer auf die (jeweils rechtskräftig) erfolgte Urteilsangleichung und Protokollberichtigung sowie auf die darauf gestützte, in der Urschrift der Entscheidung ersichtlich gemachte Namenskorrektur zu verweisen (ON 147, 151, 155), nach welcher er auf eine neue Ausführung der Rechtsmittel verzichtet hat (ON 1 S 113).

[10] Soweit die Beschwerde den (vermeintlichen) Widerspruch („in eventu“) auch unter dem Aspekt einer Nichterledigung der Anklage (Z 7) aufzugreifen versucht, ist zudem festzuhalten, dass dieser Nichtigkeitsgrund vom Angeklagten nicht geltend gemacht werden kann (RIS‑Justiz RS0099656, RS0099646).

[11] Die einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zur Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG monierende Rechtsrüge (Z 9 lit a; dSn Z 10) vernachlässigt prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810) die Gesamtheit des Urteilssachverhalts betreffend das Vereinigungsziel und den (auch) darauf bezogenen Vorsatz des Angeklagten. Danach war die in Rede stehende, auf längere Zeit ausgerichtete Vereinigung auf die wiederholte Begehung von professionellem Handel mit Suchtgiften und von Verbrechen des Suchtgifthandels (iSd § 28a SMG) mit die Grenzmenge des § 28b SMG überschreitenden Mengen ausgerichtet und beging der Angeklagte die inkriminierten Taten wissentlich und willentlich als Mitglied dieses Zusammenschlusses im Rahmen dieser Ausrichtung (US 9, 11, 16, 29, 32).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte