European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00034.23G.0928.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wirdzurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin macht einen Schadenersatzanspruch aus dem Erwerb von W*-Aktien geltend und begehrt den Ersatz des aus dem Wertverlust des Investments resultierenden Schadens. Sie wirft dabei dem Erstbeklagten als Mitglied des Aufsichtsrats und der Zweitbeklagten als Abschlussprüferin der W* AG vor, ihre Prüf‑ und Kontrollpflichten vernachlässigt zu haben.
[2] Gegen die Zweitbeklagte ist vor dem Landgericht München I zu AZ 3 OH 2767/22 (vormals 3 O 5875/20) ein Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) anhängig, in dem es um die auch hier relevanten Fragen der Richtigkeit der Jahres- und Konzernabschlüsse der W* AG (2017 und 2018) sowie darum geht, ob die Zweitbeklagte ihre Pflichten als Abschlussprüferin vorsätzlich verletzt hat.
[3] Das Erstgericht setzte das Verfahren gegen die Zweitbeklagte gemäß Art 30 Abs 1 EuGVVO 2012 bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens zu 3 OH 2767/22 des Landgerichts München I aus.
[4] Das von der Klägerin angerufene Rekursgericht behob diesen Beschluss ersatzlos. Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs nach dem auf die Aussetzung nach Art 30 EuGVVO 2012 anzuwendenden § 192 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Zweitbeklagten ist jedenfalls unzulässig.
[6] 1. Nach § 192 Abs 2 ZPO können die nach den §§ 187 bis 191 ZPO erlassenen Anordnungen, soweit sie nicht eine Unterbrechung des Verfahrens verfügen, durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden. Die Abweisung eines Unterbrechungsantrags ist damit grundsätzlich unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0037071), was nach ständiger Rechtsprechung auch für die hier vorliegende Ablehnung der in erster Instanz bewilligten Unterbrechung durch das Rekursgericht gilt (RS0037074; RS0037003 [T2]). Der Rechtsmittelausschluss ist nur dann unanwendbar, wenn eine Unterbrechung zwingend vorgeschrieben ist (RS0037034; RS0037020; RS0037066).
[7] 2. Der Zweitbeklagten ist zwar zuzustimmen, dass die EuGVVO 2012 das Aussetzungsverfahren als solches nicht regelt, sondern es dem nationalen Prozessrecht überlässt, die Modalitäten der Aussetzung nach Art 29 oder 30 EuGVVO 2012 festzulegen (Leible in Rauscher, EuZPR5 [2020] Art 29 Brüssel Ia‑VO Rz 40 und Art 30 Brüssel Ia‑VO Rz 13; Wallner‑Friedl in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands‑ und Vollstreckungsrecht4 [2015] Art 29 EuGVVO Rz 35; McGuire/Burgstaller in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht [2009] Art 27 EuGVO Rz 104 ua). Richtig ist auch, dass die ZPO keine Aussetzung des Verfahrens kennt. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist jedoch geklärt, dass die Bestimmungen über die Unterbrechung des Verfahrens nach §§ 190 ff ZPO (analog) heranzuziehen sind (3 Ob 176/18f). Das entspricht auch der völlig einhelligen Lehre (Mayr in Fasching/Konecny 3 Art 29 EuGVVO 2012 Rz 42 und Art 30 EuGVVO 2012 Rz 12; Wallner‑Friedl in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands‑ und Vollstreckungsrecht4 Art 30 EuGVVO Rz 8; McGuire/Burgstaller in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht Art 28 EuGVVO Rz 15 ua). Das dagegen angeführte Argument, die von Art 30 EuGVVO 2012 angestrebte Ermöglichung einer besseren Koordinierung der Rechtsprechungstätigkeit innerhalb der Europäischen Union (vgl Mayr in Fasching/Konecny 3 Art 30 EuGVVO 2012 Rz 1) könne sinnvollerweise nur vom nationalen Höchstgericht abschließend vorgenommen werden, was durch eine analoge Anwendung der §§ 190 ff ZPO verhindert werde, gibt keinen Anlass, davon abzugehen. Die Zweitbeklagte führt auch keine Belegstelle aus Rechtspruch und Lehre an, die für ihren Standpunkt sprechen könnte.
[8] 3. Die Frage, ob ein inländisches Verfahren aufgrund eines Sachzusammenhangs mit einem Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat auszusetzen ist, stellt eine Ermessensentscheidung dar (RS0128721; 4 Ob 118/06s; BGH VI ZR 45/12 [je zur Vorgängerbestimmung des Art 28 EuGVVO 2002]). Sie istnicht zwingend vorgesehen, sodass die Rechtsmittelbeschränkung des § 192 Abs 2 ZPO greift und eine die Aussetzung (Unterbrechung) ablehnende Entscheidung unanfechtbar ist (Mayr in Fasching/Konecny 3 Art 30 EuGVVO 2012 Rz 12; McGuire/Burgstaller in Burgstaller/Neumayr, Internationales Zivilverfahrensrecht, Art 28 EuGVVO Rz 15).
[9] Dem stehen die von der Zweitbeklagten angeführten Entscheidungen zu 7 Ob 117/01h und 3 Ob 176/18f, in denen der Oberste Gerichtshof die dort erhobenen Rechtsmittel jeweils inhaltlich behandelte, nicht entgegen:
[10] Zu 7 Ob 117/01h behob das Rekursgericht eine in erster Instanz abgelehnte Aussetzung nach – den Art 29 und 30 EuGVVO 2012 entsprechenden – „Art 21 EuGVÜ oder Art 22 EuGVÜ“, wobei es erklärtermaßen nur auf den die Aussetzung zwingend vorsehenden Art 21 EuGVÜ, nicht jedoch auf Art 22 EuGVÜ einging. Diese Konstellation ist mit der vorliegenden nicht vergleichbar.
[11] Zu 3 Ob 187/18f hatten die Vorinstanzen jeweils die Aussetzung (Unterbrechung) des Verfahrens angeordnet, sodass kein Fall des § 192 Abs 2 ZPO vorlag.
[12] 4. Das jedenfalls unzulässige Rechtsmittel der Zweitbeklagten ist daher ohne inhaltliche Prüfung zurückzuweisen (§ 526 Abs 2 Satz 1 ZPO). Der Einholung einer Rechtsmittelbeantwortung bedurfte es nicht.
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