European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00063.23I.0927.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Der Kläger war seit 3. September 2007 Vertragslehrer des Landes * (im Folgenden nur „die Beklagte“) gemäß § 36 VBG in Verbindung mit § 2 Landesvertragslehrergesetz (LVG).
[2] Mit Schreiben vom 19. Juli 2022 kündigte die Beklagte das gegenständliche Dienstverhältnis gemäß § 2 Abs 4 LVG iVm § 32 Abs 2 Z 1 und Z 6 VBG zum 31. Dezember 2022.
[3] Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 31. Dezember 2022 hinaus. Er brachte im Wesentlichen vor, dass sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht wahr seien.
[4] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf Feststellungen zu Dienstpflichtverletzungen des Klägers unter Heranziehung von Gesprächsprotokollen, in denen betroffene Volksschüler ein entsprechendes Verhalten des Klägers beschrieben; eine unmittelbare Einvernahme der Kinder vor dem Erstgericht erfolgte nicht. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, dass der Kläger seine Dienstpflichten iSd § 32 Abs 2 Z 1 VBG gröblich verletzt habe, sodass die Kündigung zu Recht erfolgt sei.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die Revision nicht zu. Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung verneinte es den vom Kläger als Mangel des Verfahrens erster Instanz geltend gemachten Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz. Das Erstgericht habe seine Entscheidung zwar auf Urkunden (Gesprächsprotokolle und nicht aufgrund unmittelbarer Beweisaufnahme) gestützt. Der Kläger habe die unmittelbare Einvernahme der betreffenden Personen nicht beantragt. Im konkreten Fall habe das Erstgericht seine Feststellungen nicht auf „schriftliche Zeugenaussagen“ gestützt, sondern im Rahmen der freien Beweiswürdigung (unter anderem) auf die ihm unbedenklich erscheinenden Urkunden. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz sei dadurch nicht verletzt worden. Die Vorgehensweise des Erstgerichts sei vom Kläger auch nicht iSd § 196 ZPO gerügt worden, obwohl bereits die Nichteinvernahme der betroffenen Personen durch das Prozessprogramm festgelegt worden sei und er eine mögliche Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes erkennen habe müssen.
[6] In seiner außerordentlichen Revision beantragt der Kläger, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Stattgabe des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[7] Die Revision des Klägers ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblicher Bedeutung nicht zulässig.
[8] 1. Nicht revisible Verfahrensmängel wie behauptete Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht als solche verneint worden sind, können in der Revision nicht geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371).
[9] 1.1. Dieser Grundsatz ist nach der Rechtsprechung unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge einer unrichtigen Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen hat, weil hier bereits ein Mangel des Berufungsverfahrens selbst vorliegt, der gemäß § 503 Z 2 ZPO bekämpfbar ist (RS0043086).
[10] 1.1.1. Darunter wird auch der – vom Kläger in der Revision geltend gemachte – Fall verstanden, dass das Berufungsgericht eine Erledigung der Mängelrüge mit der Begründung unterlässt, der Verfahrensmangel sei nicht gerügt worden, obwohl dieser nicht der Rügepflicht nach § 196 ZPO unterliegt.
[11] 1.1.2. Nach ständiger Rechtsprechung lässt sich aber ein Rechtssatz, dass jeder Verstoß gegen die Unmittelbarkeit von Amts wegen wahrzunehmen sei und daher einer Rüge nicht bedürfe in dieser Allgemeinheit aus dem Gesetz nicht ableiten. Die Verlesung von Aussagen, die nicht vom erkennenden Richter aufgenommen wurden, bildet vielmehr einen Verfahrensmangel, der nur dann im Rechtsmittel mit Erfolg geltend gemacht werden kann, wenn er bereits in der mündlichen Verhandlung gemäß § 196 ZPO gerügt (und ein entsprechender Antrag auf Beweisaufnahme vor dem erkennenden Richter gestellt) worden ist (RS0037410; vgl auch 6 Ob 206/04v; 9 ObA 275/98a; ebenso Höllwerth in Fasching/Konecny 3 II/3 § 196 ZPO Rz 14; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack, ZPO Praxiskommentar [2019] § 196 ZPO Rz 3; aA Rechberger in Fasching/Konecny 3 III/1 Vor § 266 ZPO Rz 90).
[12] 1.1.3. Dem Kläger ist zwar darin zuzustimmen, dass § 196 Abs 1 ZPO nicht zur Anwendung kommt, wenn eine Vorschrift verletzt wurde, auf deren Befolgung eine Partei nicht wirksam verzichten kann (§ 196 Abs 2 ZPO). Entgegen der von ihm in der Revision vertretenen Rechtsansicht ist der im Zivilprozess herrschende Unmittelbarkeitsgrundsatz nach der Rechtsprechung aber grundsätzlich verzichtbar (RS0041499). Ob ein Zeuge einvernommen wird, steht grundsätzlich in der Disposition der Parteien und ist daher iSd § 196 ZPO verzichtbar: In erster Linie obliegt es nach dem Gesetz jeder Partei selbst, die Aufnahme der für ihren Standpunkt nötigen Beweismittel zu beantragen (§§ 76 Abs 1, 78 Abs 1 Z 2, 226 Abs 1 ZPO). Dementsprechend hat das Gericht die Parteien zur Bezeichnung der für die wahrheitsmäßige Feststellung des Sachverhalts notwendigen Beweismittel (zunächst „nur“) anzuleiten (§ 182 Abs 1 ZPO) und kommt eine – ansonsten an sich mögliche – amtswegige Ladung von Zeugen (§ 183 Abs 1 Z 4 ZPO) gegen die Erklärungen beider Parteien nicht in Betracht (§ 183 Abs 2 ZPO).
[13] 1.1.4. Soweit sich der Kläger auf die Entscheidung 1 Ob 39/15i beruft, enthält diese keine Aussage zur Frage der Rügepflicht, sodass daraus für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen ist.
[14] 1.1.5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der in der Berufung geltend gemachte Verfahrensmangel – die nach Verlesung von Gesprächsprotokollen nicht erfolgte Einvernahme von Zeugen, deren Einvernahme nicht beantragt war – rügepflichtig war, entspricht somit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
[15] 2. Der Grundsatz, das vom Berufungsgericht verneinte Verfahrensmängel nicht mit Revision geltend gemacht werden können (oben ErwGr 1.), wäre auch dann unanwendbar, wenn das Berufungsgericht die Mängelrüge mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RS0042963 [T52]; RS0043061 [T20]). Darauf zielen (erkennbar) die Revisionsausführungen ab, wonach die zu den Gesprächsprotokollen abgegebene Urkundenerklärung, diese könnten die unmittelbare Einvernahme der betroffenen Schüler nicht ersetzen, als Rüge iSd § 196 Abs 1 ZPO zu werten gewesen wäre.
[16] 2.1. Selbst wenn dieser – im Rahmen der Erklärung zur Richtigkeit der Urkunden erstattete Vortrag – inhaltlich (zweifelsfrei) als Beanstandung der Verletzung von Verfahrensvorschriften angesehen werden könnte, wäre daraus aber keine relevante Aktenwidrigkeit ableitbar.
[17] Eine Rüge iSd § 196 Abs 1 ZPO ist verspätet, wenn sich die zur Beschwerdeführung berechtigte Partei, ohne die Rüge auszusprechen, in die weitere Verhandlung eingelassen hat, obwohl ihr die Verletzung bekannt war oder bekannt sein musste (Höllwerth in Fasching/Konecny 3 II/3 § 196 ZPO Rz 17; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack, ZPO Praxiskommentar [2019] § 196 ZPO Rz 6). In die weitere Verhandlung eingelassen hat sich die Partei jedenfalls dann, wenn sie nach Feststellung (oder Erkennbarkeit) der Verletzung der Verfahrensvorschrift in anderer Weise als durch Rüge tätig wird (RS0037160 [T2]). Ob eine Partei die Verletzung einer Verfahrensvorschrift (rechtzeitig) gerügt hat, ist eine Frage des Einzelfalls, die – von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen – die Zulässigkeit der Revision regelmäßig nicht rechtfertigt (9 Ob 154/03t).
[18] 2.2. Im vorliegenden Fall wurde diese Rüge erst in der Tagsatzung vom 12. Jänner 2023 (ON 13 Seite 2) erhoben. Das Berufungsgericht stützte seine Beurteilung allerdings darauf, dass der (qualifiziert vertretene) Kläger bereits bei der Festlegung des Prozessprogramms (in der Tagsatzung vom 11. Oktober 2022 [ON 7 Seite 2]) erkennen hätte müssen, dass eine unmittelbare Beweisaufnahme nicht durchgeführt werden würde. Darauf geht der Kläger in der Revision überhaupt nicht ein. Nach dem Inhalt des Protokolls gab der Klagevertreter nach der Verkündung des Prozessprogramms auch noch – ohne gleichzeitig eine Verletzung von Verfahrensvorschriften zu beanstanden – Prozesserklärungen ab.
[19] Mit der bloßen Behauptung, er habe in der Tagsatzung vom 12. Jänner 2023 klar zum Ausdruck gebracht, dass eine unmittelbare Einvernahme notwendig wäre, zeigt der Kläger somit nicht auf, warum es sich dabei – entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts – um eine rechtzeitige Rüge handeln hätte können.
[20] 2.3. Mangels rechtzeitiger Rüge iSd § 196 ZPO war es dem Berufungsgericht somit verwehrt, auf den in der Berufung geltend gemachten rügepflichtigen Verfahrensmangel erster Instanz einzugehen. Die in der Revision geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt folglich nicht vor.
[21] Soweit die Revision überdies Ausführungen zur (angeblichen) Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im erstinstanzlichen Verfahren enthält, kann dies – wie ausgeführt (oben ErwGr 1.) – in der Revision nicht geltend gemacht werden.
[22] 3. Andere Revisionsgründe werden im Rechtsmittel nicht geltend gemacht, sodass die außerordentliche Revision mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen ist.
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