European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00046.23I.0726.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die nach den §§ 914, 915 ABGB im Einzelfall vorzunehmende Auslegung einer im Arbeitsvertrag vereinbarten Verfallsklausel kommt nach der Rechtsprechung nur dann erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde, das vom Obersten Gerichtshof im Sinne der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (9 ObA 139/07t; vgl RS0042936). Darin, dass eine andere Auslegung vertretbar wäre, liegt dagegen keine im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigierende Fehlbeurteilung (RS0042776 [T2]; RS0112106 [T1] ua) vor. Ein unvertretbares Auslegungsergebnis des Berufungsgerichts wird von der Revisionswerberin aber nicht aufgezeigt.
[2] 2. Bei Auslegung einer Willenserklärung nach § 914 ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen. Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind (RS0017915). Für die Beurteilung der „Absicht“ der Parteien im Sinne des § 914 ABGB kommt es maßgebend auf den Zweck der Regelung an, den beide Teile redlicherweise unterstellen mussten (RS0017915 [T23]; RS0014160 [T36]; vgl 9 ObA 126/09h).
[3] 3. Die Auslegung der hier in Rede stehenden Verfallsklausel „Ansprüche aus diesem Vertrag verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten uns gegenüber schriftlich erhoben werden“ durch die Vorinstanzen, wonach der Beginn des dreimonatigen Fristenlaufs gleich wie jener der Verjährungsfrist – mangels abweichender Parteienvereinbarung – mit der Fälligkeit des geltend gemachten Anspruchs beginnt (vgl RS0029716 [T1; T15]), steht mit diesen Grundsätzen in Einklang. Der Zweck derartiger Verfallsklauseln liegt darin, dem Beweisnotstand bei späterer Geltendmachung zu begegnen. Sie zwingen den Arbeitnehmer, allfällige Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis möglichst bald und damit zu einer Zeit geltend zu machen, in der nicht nur ihm selbst, sondern auch dem Arbeitgeber die zur Klarstellung des rechtserheblichen Sachverhalts notwendigen Beweismittel in aller Regel noch zur Verfügung stehen (RS0034408 [T4]; RS0034417 [T1] ua).
[4] 4.1. Dem Argument der Revisionswerberin, schon aufgrund der Kürze der Verfallsfrist müsste diese so ausgelegt werden, dass die Frist erst nach „angemessener Frist ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ beginne, weil ansonsten die Anspruchsverfolgung (hier: Schadenersatz) mit unüberwindbaren Hindernissen verbunden wäre, steht die ständige Rechtsprechung entgegen, die auch bei Verfallsklauseln mit einer Dreimonatsfrist hinsichtlich des (darin normierten) Beginns des Fristenlaufs das Abstellen auf die Fälligkeit des Anspruchs für zulässig ansieht (vgl 9 ObA 63/05p; 8 ObS 14/06a; 9 ObA 126/09h ua; RS0029775 zum Kollektivvertrag). Dass es für den Schadenersatzberechtigten im Einzelfall schwierig sein kann, den Kausalzusammenhang zwischen schädigender Handlung und Schaden zu beurteilen, mag durchaus sein, ist aber kein entscheidender Grund, die konkrete Verfallsklausel anders auszulegen.
[5] 4.2. Dass in anderen Einzelverträgen und Kollektivverträgen der Beginn der Verfallsfrist mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses festgesetzt wird, ist kein Kriterium für die nach § 914 ABGB vorzunehmende Auslegung der hier zu beurteilenden Verfallsklausel.
[6] 4.3. Richtig ist, dassdiese Auslegung der Verfallsklausel zur Folge hat, dass der Arbeitnehmer (fällige) Schadenersatzforderungen gegen den Arbeitgeber allenfalls während des aufrechten Arbeitsverhältnisses geltend machen muss. Dieses Ergebnis mag für den Arbeitnehmer zwar im Einzelfall unbefriedigend sein, macht die übereinstimmende Auslegung der Vorinstanzen aber noch nicht unvertretbar.
[7] 4.4. Soweit sich die Revisionswerberin auf § 915 ABGB stützt, weil in der vereinbarten Verfallsklausel nicht ausdrücklich festgehalten sei, wann die Präklusivfrist zu laufen beginne, verkennt sie, dass die Zweifelsregel des § 915 ABGB nur dann greift, wenn sich zweifelhafte und unklare Äußerungen weder aus der Parteiabsicht noch aus der Verkehrsübung erklären lassen (RS0017752). Dies ist hier aber nicht der Fall.
[8] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)