OGH 5Ob57/23b

OGH5Ob57/23b4.7.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Gernot Klocker, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei F* GmbH, *, vertreten durch Battlogg Rechtsanwalts GmbH in Schruns, wegen Aufhebung von Verträgen, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Februar 2023, GZ 1 R 2/23p-106, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 30. September 2022, GZ 57 Cg 71/20h‑99, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0050OB00057.23B.0704.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Bestandrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.295,54 EUR (darin 382,59 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Gegenstand des Rechtsstreits ist das Begehren der Klägerin gegen die Beklagte auf Aufhebung und Rückabwicklung zweier Kaufverträge vom Oktober 2018 über Liegenschaftsanteile, mit denen jeweils Wohnungseigentum an zwei Objekten (eine Wohnung und ein Abstellplatz) verbunden ist, und auf Aufhebung eines Mietvertrags sowie einer Räumungsvereinbarung.

[2] Die Klägerin war im Zeitpunkt des Abschlusses der beiden Kaufverträge geschäftsfähig, sie hatte allerdings seit mehreren Jahren (beginnend mit dem Tod ihrer Eltern 2011/2012, von denen sie mehrere Wohnungen erbte) psychische und physische Gesundheitsprobleme. Ab 2016 begann sie, vermehrt Alkohol zu trinken, nahm Schmerz- und Beruhigungstabletten und kümmerte sich nicht mehr um ihre finanziellen Angelegenheiten. Sie öffnete ihre Post nicht mehr, lieferte ihrem Steuerberater auf dessen Nachfrage keine Unterlagen und ließ Mahnungen verschwinden. Es kam zu mehreren Exekutionsverfahren gegen sie. Für die Zeit zwischen 2016 und 2021 hatte sie (und hat sie heute noch) keinen Überblick über ihre Vermögenssituation und ihre finanzielle Gebarung. Bereits im Jahr 2016 kam sie mit dem Sohn des Geschäftsführers der Beklagten anlässlich eines – von der Klägerin wegen ihrer finanziellen Schwierigkeiten gewünschten – Immobilienverkaufs in Kontakt. Im Jahr 2017 nahm sie wieder Verbindung mit ihm auf und schloss in der Folge im Jahr 2018 insgesamt 13 Kaufverträge über ihr gehörende Objekte. Sie vertraute darauf, dass der ihr von den Käufern, die alle in einem familiären Naheverhältnis zum Sohn des Geschäftsführers der Beklagten stehen, jeweils vorgeschlagene Kaufpreis annähernd dem Verkehrswert entsprach, kannte aber – entgegen den schriftlichen Erklärungen in den Kaufverträgen – den wahren Verkehrswert der Objekte nicht. Während des gesamten Zeitraums, in dem die Klägerin Wohnungen verkaufte, war sie regelmäßig betrunken und hatte Schmerz- und Beruhigungsmittel genommen. Es gelang ihr aber, dies weitgehend zu verbergen; ihre Vertragspartner bemerkten keine Auffälligkeiten. In der hier gegenständlichen, an die Beklagte verkauften Wohnung, die mit einer weiteren zusammengelegt ist, wohnte und lebte die Klägerin bereits damals mit ihrem Lebensgefährten, sie wohnen immer noch dort. Über diese Wohnung schlossen die Parteien im Mai 2019 zusätzlich zum Kaufvertrag einen mit sechs Jahren befristeten Mietvertrag und im September 2019 über beide Objekte sowie eine weitere Wohnung eine (entgeltliche) Räumungsvereinbarung.

[3] Das Berufungsgericht gab den Begehren zur Aufhebung der Verträge statt, hob die Entscheidung über das weitere Klagebegehren auf Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechts betreffend die beiden Wohnungseigentumsobjekte auf und verwies die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück.

[4] Die Revision gegen das Teilurteil sei zu den Fragen der Wertermittlung von Leistung und Gegenleistung bei laesio enormis oder Wucher zulässig.

[5] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das die Klage abweisende Ersturteil wieder herzustellen.

[6] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.

[8] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Das Berufungsgericht darf ergänzende Feststellungen nur nach Beweiswiederholung treffen (RIS‑Justiz RS0042151 [T3]). Auch eine solche Mangelhaftigkeit wäre nur dann aufzugreifen, wenn sie abstrakt geeignet war, eine unrichtige Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz herbeizuführen (RS0043027). Entgegen der Meinung der Revisionswerberin hat das Berufungsgericht aber keine abweichenden Feststellungen getroffen, sondern in seiner Beurteilung die erst mit der Vereinbarung vom 4. September 2019 zusammenhängenden Leistungen (Räumungsvereinbarung über insgesamt drei Objekte) für das Wertverhältnis von Leistung und Gegenleistung beim Kaufvertrag über die beiden Objekte außer Betracht gelassen. Die Frage, ob dies berechtigt ist, gehört daher in den Bereich der rechtlichen Beurteilung. Gleiches gilt für den festgestellten Vertragstext und die Frage der Berücksichtigung des zeitlichen Abstands zwischen den Vereinbarungen für die Wertrelation. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird im Rechtsmittel insgesamt nicht aufgezeigt.

[9] 2.1 Gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist gegen berufungsgerichtliche Beschlüsse, soweit dadurch das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und dem Gericht erster Instanz eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen wird, der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nur dann zulässig, wenn das Berufungsgericht dies ausgesprochen hat. Die Zulässigkeit des Rekurses ist daher an einen ausdrücklichen Zulassungsausspruch des Gerichts zweiter Instanz gebunden. Fehlt ein Ausspruch gemäß § 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2 erster Satz ZPO, dann ist auch ein außerordentlicher Rekurs jedenfalls unzulässig (vgl RS0043880 [T4]). Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung einen Teil des erstgerichtlichen Urteils bestätigt, einen anderen Teil dieser Entscheidung aber aufhebt und die Rechtssache im letzteren Umfang an das Erstgericht zurückverweist (RS0043898 [T7]).

[10] 2.2 Soweit die Beklagte sich gegen die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils im Umfang des Begehrens auf Einwilligung in die Einverleibung des Eigentumsrechts an den Liegenschaftsanteilen wendet, ist das Rechtsmittel daher jedenfalls unzulässig.

[11] 3.1 Die Ermittlung des Verkehrswerts durch den Sachverständigen gehört zum irrevisiblen Tatsachenbereich und unterliegt nur dann einer Überprüfung durch die dritte Instanz, wenn dem Sachverständigen ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze und zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen ist (RS0043122 [T5]). Besteht für die Wertermittlung durch einen Sachverständigen keine gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens – und damit auch die Wahl der Methode durch den Sachverständigen (RS0109006) – keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof (RS0118604).

[12] 3.2 Verstöße des Gutachtens gegen Gesetze der Logik vermag die Rechtsmittelwerberin – entgegen ihrer Behauptung – nicht aufzuzeigen. Sie wendet sich gegen den vom Sachverständigen bei der Ertragswertermittlung zugrunde gelegten Mietzins und die dabei berücksichtigten Zu- und Abschläge, wobei sie nicht nachvollziehbar erklärt, weshalb diese unzulässig sein sollten. Außerdem entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wenn sie dem Berufungsgericht vorhält, es habe außer acht gelassen, dass der Klägerin ein Mietvertrag angeboten worden sei, der ihr den dauernden Verbleib in der Wohnung ermöglicht hätte. Tatsächlich war das Mietverhältnis für die Dauer von (nur) sechs Jahren abgeschlossen. Das Rechtsmittel ist daher insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043312; RS0043603).

[13] 3.3 Die Kosten einer Trennung der Wohnung von einer zweiten, gesondert verkauften (die die Klägerin mit dem hier gegenständlichen Objekt für eigene Wohnzwecke zusammengelegt hatte) sind – entgegen der Behauptung der Revisionswerberin – im Gutachten ausgewiesen (ON 26, Seite 16) und vom Erstgericht festgestellt (Ersturteil Seite 28). Die Frage der Berücksichtigung dieser Kosten ist wiederum eine der rechtlichen Beurteilung der geltend gemachten Anfechtungsgründe der laesio enormis und des Wuchers.

[14] 4.1 Wucher im Sinn des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB liegt vor, wenn ein leicht erkennbares, auffallendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, der Bewucherte dieses wegen Leichtsinns, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung nicht wahrnehmen kann und der Wucherer diese Lage des Bewucherten ausnützt (RS0016861). Die Aufzählung der auf Seite des Benachteiligten erforderlichen Voraussetzungen für den Wucherbegriff ist nicht taxativ. Es kommen auch noch andere Umstände auf Seiten des Benachteiligten in Betracht, wie Unkenntnis des Wertes seiner eigenen Leistung, zu große Vertrauensseligkeit und dergleichen mehr (RS0016869). Zwangslage ist dann anzunehmen, wenn der Vertragsgegner vor die Wahl gestellt ist, in den Vertrag einzutreten oder einen Nachteil zu erleiden, der nach vernünftigem Ermessen schwerer wiegt, als der wirtschaftliche Verlust, den der Vertrag zur Folge hat (RS0104125). Die Zwangslage, die eine Anfechtung wegen Wuchers rechtfertigt, kann auch nur vorübergehend, psychisch oder vermeintlich sein und in Befürchtungen bestehen (RS0016878 [T1]). Das Tatbestandsmerkmal der Ausbeutung setzt voraus, dass der Wucherer zu seiner Bereicherung eine Lage benützt, die er nicht geschaffen haben muss, die ihm aber ebenso wie das Missverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen bewusst ist oder hätte bewusst sein müssen (RS0016894). „Ausbeuten“ kann somit auch fahrlässig erfolgen (RS0104129). Zusammengefasst bedeutet dies, der Wucherer muss die Lage des Bewucherten und das grobe Missverhältnis der Leistungen gekannt haben oder zumindest erkennen können müssen (7 Ob 89/17i mwN). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls (RS0016861 [T1] = RS0016864 [T6]). Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO sind mit der Prüfung dieser Frage in der Regel nicht verbunden (5 Ob 104/22p).

[15] 4.2 Zum Ausmaß der für § 879 Abs 2 Z 4 ABGB erforderlichen groben, leicht erkennbaren Äquivalenzstörung gibt es keine konkreten Grenzwerte; ein auffallendes Missverhältnis liegt vor, wenn die Gegenleistung den Wert der Leistung bedeutend übersteigt (vgl RS0104128; näher dazu etwa Laimer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 879 Rz 238 f mwN).

[16] 4.3 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, nach der hier eine Anfechtung des Kaufvertrags über die von der Klägerin selbst bewohnte Wohnung nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB gerechtfertigt sei, begegnet insgesamt keinen Bedenken. Unabhängig davon, ob die beiden Objekte getrennt oder als Einheit beurteilt werden, erreichen die dafür von der Verkäuferin erhaltenen Gegenleistungen weniger als rund 60 % des Verkehrswerts. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten ist es auch sehr wohl vertretbar, eine Zwangslage der Klägerin beim Abschluss des Kaufvertrags darin zu erkennen, dass (auch) für dieses Objekt bereits eine Zwangsversteigerung eingeleitet war, weil ihr damit der Verlust der von ihr genutzten Wohnung drohte.

[17] 4.4 Für die Annahme einer groben Äquivalenzstörung bzw eines auffallenden Missverhältnisses lässt sich keine allgemein gültige Grenze festlegen. Auch hier gelingt es der Revisionswerberin nicht, eine aufzugreifende Fehlbeurteilung aufzuzeigen, weil sie ihre – von der Berufungsentscheidung abweichende – Wertrelation (nur) dadurch erhält, dass sie auch die beim Abschluss der Räumungsvereinbarung zugesagte Gegenleistung anteilig berücksichtigen will. Wenn das Berufungsgericht der Ansicht war, diese erst nahezu ein Jahr nach dem Kaufvertrag geschlossene Vereinbarung könne für die Wertdifferenz nicht mehr relevant sein, so ist auch dies nicht zu beanstanden. Unstrittig war der Anlass für den Kaufvertragsabschluss mit der Beklagten der, dass diese Immobiliengesellschaft als „Geschäftsmodell“ ihren Verkäufern die Möglichkeit anbietet, weiterhin im verkauften Objekt zu wohnen; dass die Klägerin in der Wohnung bleiben wollte, hatte sie gegenüber dem Sohn des Geschäftsführers hervorgehoben. Eine Verknüpfung mit der erst rund ein Jahr nach dem Kaufvertrag geschlossenen Räumungsvereinbarung, die deren Berücksichtigung bei der Ermittlung der Wertrelation von Leistung und Gegenleistung des Kaufvertrags zwingend erfordern würde, ist damit nicht erkennbar.

[18] 4.5 Auf die vom Berufungsgericht angesichts der Wertdifferenz zwischen Kaufpreis und Verkehrswert des Abstellplatzes als erfüllt angesehenen Voraussetzungen der laesio enormis geht die Revision nicht gesondert ein. Weitere Fragen werden im Rechtsmittel nicht aufgeworfen.

[19] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16]).

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