OGH 7Ob89/17i

OGH7Ob89/17i14.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** E*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. C***** T*****, dieser vertreten durch Dr. Herbert Marschitz und andere Rechtsanwälte in Kufstein, gegen die beklagte Partei R***** H*****, vertreten durch Dr. Clemens Winkler und andere, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wegen Aufhebung eines Notariatsakts, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. März 2017, GZ 3 R 17/17z‑48, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00089.17I.0614.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Wucher im Sinn des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB liegt vor, wenn ein leicht erkennbares, auffallendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, der Bewucherte dieses wegen Leichtsinns, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung nicht wahrnehmen kann und der Wucherer diese Lage des Bewucherten ausnützt (RIS‑Justiz RS0016861). Die Aufzählung der auf Seite des Benachteiligten erforderlichen Voraussetzungen für den Wucherbegriff ist nicht taxativ. Es kommen auch noch andere Umstände auf Seiten des Benachteiligten in Betracht, wie Unkenntnis des Wertes seiner eigenen Leistung, zu große Vertrauensseligkeit und dergleichen mehr (RIS‑Justiz RS0016869). Zwangslage ist dann anzunehmen, wenn der Vertragsgegner vor die Wahl gestellt ist, in den Vertrag einzutreten oder einen Nachteil zu erleiden, der nach vernünftigem Ermessen schwerer wiegt, als der wirtschaftliche Verlust, den der Vertrag zur Folge hat (RIS‑Justiz RS0104125). Die Zwangslage, die eine Anfechtung wegen Wuchers rechtfertigt, kann auch nur vorübergehend, psychisch oder vermeintlich sein und in Befürchtungen bestehen (RIS‑Justiz RS0016878 [T1]). Das Tatbestandsmerkmal der Ausbeutung setzt voraus, dass der Wucherer zu seiner Bereicherung eine Lage benützt, die er nicht geschaffen haben muss, die ihm aber ebenso wie das Missverhältnis von Leistungen und Gegenleistungen bewusst ist oder hätte bewusst sein müssen (RIS‑Justiz RS0016894). „Ausbeuten“ kann somit auch fahrlässig erfolgen (RIS‑Justiz RS0104129). Zusammengefasst bedeutet dies, der Wucherer muss die Lage des Bewucherten und das grobe Missverhältnis der Leistungen gekannt haben htte oder sie zumindest erkennen müssen (6 Ob 24/07h mwN).

2. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0016861 [T1]), die vom Berufungsgericht vertretbar verneint wurde.

Wucher liegt dann nicht vor, wenn beide Vertragspartner von vornherein nicht auf ein bestimmtes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung abstellen, sondern ein diesbezügliches Missverhältnis bewusst in Kauf nehmen, wie dies etwa bei Schenkung, aber auch üblicherweise bei bäuerlichen Übergabeverträgen zutrifft (RIS‑Justiz RS0016898). Ob hier dennoch ein im Sinn des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB relevantes Missverhältnis sowie die weiteren behaupteten Voraussetzungen (Vertrauensseligkeit, Zwangslage) vorliegen, muss nicht geprüft werden.

Der festgestellte Sachverhalt bietet keine Grundlage für die Annahme, dass die Beklagte von einer – allfälligen – derartigen Lage des Klägers Kenntnis hatte oder dass ihr in diesem Zusammenhang schuldhafte Unkenntnis vorwerfbar wäre: Der Kläger, der zwar vertrauensselig war, aber an keiner Verstandesschwäche litt, wollte den Fortbestand seines sanierungsbedürftigen Hofs und seine Zukunft in einer Familie sichern. Zu diesem Zweck traf er in der nach mehreren Gesprächen erfolgten Vereinbarung über die Übergabe des bäuerlichen Hofs an die Beklagte, deren Reich- und Tragweite ihm bewusst war, Regelungen zu einem Wohnungsgebrauchsrecht, seiner weiteren Einbeziehung in die landwirtschaftlichen Belange sowie zu Investitionen der Beklagten in einem näher genannten Umfang.

Weder steht fest, dass die Beklagte eine allfällige besondere Vertrauensseligkeit des Klägers oder dessen vermeintliche Zwangslage kannte, noch sind Umstände, aus denen die Beklagte eine derartige Lage des Klägers hätte erkennen müssen, aus dem festgestellten Sachverhalt ableitbar. Solche wurden auch im erstgerichtlichen Verfahren nicht konkret behauptet. Die Revision selbst beruft sich lediglich auf das Vertrauen des Klägers in die Beklagte und seine Überzeugung, seine Ziele bei der Hofübergabe verwirklichen zu können, nennt aber gleichfalls keine Umstände, aus denen die Beklagte auf die behauptete Lage des Klägers hätte schließen müssen.

3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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