OGH 7Ob20/23a

OGH7Ob20/23a24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen unddie Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N* GmbH, *, vertreten durch Mag. Christof Brunner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei A* S.L., *, vertreten durch die Viehböck Breiter Schenk Nau & Linder Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Mödling, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 23. November 2022, GZ 2 R 156/22g‑32, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. August 2022, GZ 10 Cg 122/21f‑27, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00020.23A.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts mit folgender Maßgabe wiederhergestellt wird:

„1. Es wird mit Wirkung zwischen der klagenden und der beklagten Partei festgestellt, dass der am 4. November 2016 abgeschlossene Vertriebsvertrag bis zum 31. März 2022 bestanden hat.“

 

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.631,52 EUR (darin enthalten 271,92 EUR an USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit  2.701,22 EUR (darin enthalten 1.526 EUR an Barauslagen und 195,87 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Beklagte stellt Gleitschirme, Motorschirme, Rettungsschirme, Gurtzeuge, Zubehör, Bekleidung und Merchandiseartikel her. Sie schloss mit der Klägerin einen Vertriebsvertrag ab, der auszugsweise lautet:

1. Gegenstand des Vertrages

(1) Der Hersteller überträgt das alleinige Vertriebsrecht für die gesamte Produktpalette von N* Gleitschirmen und Zubehör für die Länder Österreich und Deutschland, wobei diese Exklusivität auf Gegenseitigkeit beruht. Der Vertriebshändler vertreibt ausschließlich N* Gleitschirme und Zubehör.

[…]

2. Dauer des Vertrages/Kündigung des Vertrages

(1) Der Vertrag beginnt am 01. 01. 2017 und dauert mindestens 3 Jahre. Dieser Vertrag verlängert sich automatisch nach drei Jahren ab dem Datum dieses Vertrages jedes Jahr, wenn er nicht von einer der Parteien schriftlich gekündigt wird.

(2) Dieser Vertrag kann von jeder Partei zum letzten Tag eines jeden Monats mittels eingeschriebenen Briefes unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten gekündigt werden.

(3) Dieser Vertrag kann aus wichtigen Gründen mittels eingeschriebenen Briefes vorzeitig gekündigt werden:

[…]

• Wenn die in diesem Vertrag genannten Verpflichtungen der Parteien nicht erfüllt werden.

[...]

8. Allgemeine Bestimmungen

(1) Für diesen Vertrag gilt österreichisches Recht. [...]“

[2] Mit Schreiben vom 13. September 2021 kündigte die Beklagte den Vertriebsvertrag zum 1. Jänner 2022 auf. Die Klägerin wies in ihrem Antwortschreiben darauf hin, dass eine Aufkündigung erst zum 31. März 2022 möglich wäre und nahm die Aufkündigung zu diesem Datum zur Kenntnis. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2021 kündigte die Beklagte den Vertrag sodann fristlos unter Berufung auf Vertragsverstöße auf.

[3] Die Ehegattin des Geschäftsführers der Klägerin ist bei dieser angestellt und trat als Vertriebsmitarbeiterin gegenüber der Beklagten auf. Sie ist darüber hinaus Gesellschafterin einer Offenen Gesellschaft, die als Händlerin unter anderem Gleitschirme eines Konkurrenzunternehmens der Beklagten an Endabnehmer veräußert und als Händlerin für Österreich und Deutschland auf der Website eines weiteren Konkurrenten der Beklagten genannt ist. Sie ist weiters Geschäftsführerin einer GmbH, die in ihrem Shop Gleitschirme, Rettungsschirme und Gurtzeuge von Konkurrenten der Beklagten anbietet. Es kann nicht festgestellt werden, dass sie Einsicht in Kundendaten hatte.

[4] Die Beklagte richtete noch vor dem 31. März 2022 einen eigenen Vertrieb ihrer Produkte ein, von dem aus auch der Markt in Österreich und Deutschland bedient wurde. Ende September 2021 verbreitete die Beklagte medial, dass ihre Produkte nun nicht mehr über die Klägerin, sondern im Direktvertrieb über eine neue Außenstelle in Deutschland vertrieben würden.

[5] Die Klägerin begehrt mit Klage vom 23. Dezember 2021 die Feststellung, dass der Vertriebsvertrag aufrecht bestehe und die von der Beklagten vorgenommene Kündigung eine Beendigung dieses Vertragsverhältnisses zum 31. März 2022 bewirke.

[6] Es liege kein Grund vor, der eine fristlose Kündigung des Vertriebsvertrags rechtfertige. Sie habe bis 31. März 2022 ausschließlich Gleitschirme und Zubehör der Beklagten vertrieben. Die Ehegattin ihres Geschäftsführers sei lediglich als geringfügig Beschäftigte mit Übersetzungstätigkeiten beschäftigt und nicht der maßgebliche Ansprechpartner von Kunden. Sie habe keinen Zugang zu Kundendaten gehabt. Sie sei weder Gesellschafterin noch Geschäftsführerin oder Prokuristin. Die von ihr geführten Unternehmen seien zusätzliche Abnehmer von Gleitschirmen der Beklagten gewesen und hätten daher zu einer Umsatzerhöhung beigetragen. Es habe auch kein Konkurrenzverhältnis bestanden, weil deren Unternehmen an Endkunden geliefert hätten, während die Klägerin als Importeur Zwischenhändler beliefert habe.

[7] Die Beklagtebeantragt Klageabweisung. Die Klägerin und maßgebende, ihr zuzurechnende Verantwortliche, hätten in mehrfacher Weise gegen das Konkurrenzverbot verstoßen, weshalb die fristlose Vertragskündigung gerechtfertigt sei. Die Ehegattin des Geschäftsführers der Klägerin sei im klägerischen Unternehmen die maßgebende Ansprechpartnerin gewesen, die Bestellungen übermittelt und sich um die Auslieferung an Kunden gekümmert habe. Sie sei während aufrechtem Vertriebsvertrag aber nicht nur für die Klägerin, sondern auch für direkte Konkurrenzunternehmen der Beklagten tätig gewesen. Darüber hinaus habe die Klägerin Zugang zu Kundendaten gehabt. Die Offenlegung von Kundendaten, die die Ehegattin des Geschäftsführers unmittelbar in ihren anderweitigen Konkurrenztätigkeiten habe einsetzen können, sei eine weitere Vertragswidrigkeit, die die Beklagte zur fristlosen Vertragskündigung berechtige.

[8] Das Erstgericht gab der Klage statt. Ein für alle Mitarbeiter geltendes Wettbewerbsverbot sei nicht vereinbart worden. Aus den Feststellungen lasse sich nur ableiten, dass die Klägerin eine Mitarbeiterin beschäftige, die über zwei Händlerunternehmen (auch) Konkurrenzprodukte an Endabnehmer veräußere. Damit fehlten Gründe, die die Beklagte zu einer sofortigen Vertragsauflösung berechtigten.

[9] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten Folge. Dem Geschäftsführer der Klägerin sei ein originärer Vorwurf zu machen, weil er eine Angestellte, die eine Konkurrenztätigkeit ausübe, bei der durch die Konkurrenzklausel gebundenen Klägerin beschäftige. Nach § 7 Abs 1 AngG dürften die im § 1 AngG bezeichneten Angestellten ohne Bewilligung des Dienstgebers weder ein selbständiges kaufmännisches Unternehmen betreiben noch in dem Geschäftszweig des Dienstgebers für eigene oder fremde Rechnung Handelsgeschäfte machen. Damit habe es die Klägerin, vertreten durch ihren Geschäftsführer in der Hand gehabt, ihre Verpflichtung aus der Konkurrenzklausel mit der Beklagten einzuhalten, indem sie Angestellten zumindest keine Bewilligung zur Konkurrenztätigkeit erteile. Das Klagebegehren sei daher abzuweisen.

[10] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass ihrem Klagebegehrenstattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch berechtigt.

[13] 1. Aufgrund der Rechtswahl der Parteien im Vertriebsvertrag (Punkt 8.) ist gemäß Art 3 Abs 1 Rom I‑VO österreichisches Recht anzuwenden.

[14] 2.1. Für die Auslegung einer zwischen den Parteien schriftlich getroffenen Vereinbarung ist der Wortlaut maßgeblich, solange nicht behauptet und bewiesen ist, dass aufgrund außerhalb der Urkunde liegender Umstände sich ein übereinstimmender Parteiwille oder ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender objektiver Sinn der Erklärung ergibt (RS0043422 [T6, T13]). Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen (RS0017915).

[15] 2.2. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass Punkt 1. Abs 1 des Vertriebsvertrags ein Konkurrenzverbot beinhaltet, weil dort ausdrücklich festgehalten ist, dass die „Exklusivität auf Gegenseitigkeit beruht“ und die Klägerin ausschließlich Gleitschirme und Zubehör der Beklagten vertreibt.

[16] 3.1. Die Verletzung des Konkurrenzverbots berechtigt die Beklagte, den Vertriebsvertrag aus wichtigem Grund vorzeitig aufzulösen (Punkt 2. Abs 3 des Vertrags; vgl auch RS0063577 [T2]). Bei der Frage, ob ein konkurrenzverbotswidriges Verhalten einen wichtigen Auflösungsgrund bildet, kommt es nicht auf den Eintritt eines Schadens, sondern darauf an, ob dadurch das Vertrauensverhältnis zerstört wurde (vgl 6 Ob 531/85 = RS0016613). Dies setzt voraus, dass es für den Vertragspartner unzumutbar ist, das Vertragsverhältnis bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin oder – bei befristetem Vertragsverhältnis – bis zum Ablauf der Befristung fortzusetzen (vgl Nocker, HVertrG² § 5 Rz 43).

[17] 3.2. Konkurrenzklauseln sind mangels besonderer Interpretationsregeln nach den Bestimmungen der §§ 914 f ABGB auszulegen (vgl RS0111387 [T1]; siehe Punkt 2.1. der Entscheidung). Ob die Rechtsansicht, Konkurrenzklauseln seien wegen des Prinzips der Vertragsfreiheit im Zweifel einschränkend auszulegen (RS0016612), in dieser Allgemeinheit zutrifft (kritisch Vonkilch in Klang³ § 914 ABGB Rz 339 f mwN; vgl auch 2 Ob 336/01b), kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls kommt die Auslegung eines Konkurrenzverbots durch ergänzende Vertragsauslegung nur dann in Betracht, wenn dies der Zweck der Vereinbarung oder die Verkehrssitte erfordert (RS0016612 [T1]). Die ergänzende Vertragsauslegung wegen planwidriger Lückenhaftigkeit (vgl RS0017829) eines zwischen Unternehmern vereinbarten Konkurrenzverbots kann auch nur bei Vorliegen gewichtiger Umstände vorgenommen werden (vgl Kolmasch in Schwimann/Kodek 5 § 914 ABGB Rz 209).

[18] 3.3. Das vorliegende Konkurrenzverbot bindet nach seinem klaren und eindeutigen Wortlaut nur die Klägerin. Ein Verstoß gegen das Konkurrenzverbot käme aber in Betracht, wenn die Vertragsauslegung zum Ergebnis führen würde, dass das Verbot entgegen seinem Wortlaut auch alle Mitarbeiter der Klägerin umfassten soll. Eine vom Wortlaut des Vertrags abweichende übereinstimmende Parteiabsicht hat die Beklagte nicht behauptet, sodass im Wege der einfachen Vertragsauslegung keine Bindung auch der (einfachen) Mitarbeiter der Klägerin an das Verbot begründet werden kann. Aber auch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung lässt sich das von der Beklagten gewünschte Ergebnis nicht erzielen. Dagegen spricht zunächst, dass es sich bei beiden Parteien um Profis ihres Geschäftszweigs handelt, denen mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zu unterstellen ist, dass sie sich bei der Abfassung der Klausel dieses Problems bewusst waren. Überdies wäre es ihnen ein Leichtes gewesen, eine Formulierung zu wählen, die auch sämtliche Mitarbeiter der Klägerin von der Konkurrenzklausel umfasst. Und schließlich verlangen auch weder der Zweck der Vereinbarung oder die Verkehrssitte eine Erstreckung des Konkurrenzverbots auf sämtliche Mitarbeiter der Klägerin jenseits von Geschäftsführern, Prokuristen oder sonstigen leitenden Angestellten.

[19] 3.4. Das Berufungsgericht und die Beklagte führen für ihren gegenteiligen Standpunkt folgenden Rechtssatz an: Verletzen Gesellschafter, Geschäftsführer und Prokuristen einer GmbH ein mit dieser Gesellschaft vereinbartes Konkurrenzverbot, so muss sich aufgrund ergänzender Vertragsauslegung die GmbH diese Verstöße gegen das vereinbarte Konkurrenzverbot zurechnen lassen, zumal es die GmbH in der Hand hatte, das vertragswidrige Verhalten zu verhindern (RS0009169).

[20] Dieser Rechtssatz beruht auf der Entscheidung 5 Ob 714/81 (JBl 1983, 592). Nach dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt waren jene Personen (Eheleute P.), die gegen das vereinbarte Konkurrenzverbot verstoßen haben, Gesellschafter und Geschäftsführer bzw Gesellschafterin und einzelvertretungsbefugte Prokuristin der durch das Verbot verpflichteten GmbH. Nach dem Sachverhalt der zweiten Entscheidung (4 Ob 2050/96w) umfasste die Vertragsverpflichtung (das Konkurrenzverbot) gemäß ihrem Wortlaut auch die Mitarbeiter und Angestellten der GmbH & Co KG, somit auch die Geschäftsführerin der dortigen Beklagten, welche Komplementärin der KG war, sodass sich die KG (und damit die dortige Beklagte) Verstöße der Geschäftsführerin wie einen eigenen Verstoß gegen das vereinbarte Konkurrenzverbot zurechnen lassen musste. Die diesen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalte sind daher mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar und lassen sich aus den zu Punkt 3.3. dargestellten Erwägungen auch nicht verallgemeinern.

[21] 3.5. Für die unsubstanziierte Behauptung der Beklagten, der Geschäftsführer der Klägerin habe seine Ehegattin als „Strohmann“ bzw Mittel zur Umgehung des Konkurrenzverbots eingesetzt, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

[22] 3.6. Zusammengefasst beinhaltet daher hier das zwischen den Parteien vereinbarte Konkurrenzverbot nicht auch Tätigkeiten der angestellten Ehegattin des Geschäftsführers der Klägerin. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren Argumente der Revisionswerberin.

[23] 4. Dass die Ehegattin des Geschäftsführers der Klägerin Zugang zu Kundendaten gehabt hätte und sich daraus ein zur vorzeitigen Auflösung des Vertrags berechtigender wichtiger Grund für die Beklagte ergeben würde, scheitert schon an der dazu vom Erstgericht getroffenen Negativfeststellung. Der von der Beklagten ins Treffen geführte Anscheinsbeweis ist nur in der Frage des Kausalzusammenhangs zulässig (RS0023778), nicht aber bezüglich des Nachweises der Pflichtverletzung. Die nunmehr behaupteten Gründe für eine Beweislastverschiebung hat die Beklagte in erster Instanz nicht vorgebracht.

[24] 5. Der Revision der Klägerin war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts mit der aus dem Spruch ersichtlichen Maßgabe wiederherzustellen, weil die Beendigung des Vertriebsvertrags durch die ordentliche Kündigung der Beklagten in der Vergangenheit liegt.

[25] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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