OGH 10Ob23/22p

OGH10Ob23/22p28.3.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber sowie die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch Dr. Christina Buchleitner, LL.M., Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien – Wiener Wohnen, *, vertreten durch die Rudeck – Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei H. * KG, *, vertreten durch Mag. Reinhard Pröbsting, Rechtsanwalt in Wien, wegen 11.165,38 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29. Dezember 2021, GZ 39 R 237/21y‑13, mit dem das Teilzwischenurteil des Bezirksgerichts Döbling vom 28. Juli 2021, GZ 9 C 81/21d‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00023.22P.0328.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Aus Anlass der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren, soweit es das Zahlungsbegehren betrifft, als nichtig aufgehoben. Die Zahlungsklage wird zurückgewiesen.

In diesem Umfang werden die Verfahrenskosten gegenseitig aufgehoben.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung in 1080 Wien; die Beklagte ist die Vermieterin. Nach dem unstrittigen Inhalt des Mietvertrags (vgl Blg ./A I.2) fällt das Mietverhältnis in den Vollanwendungsbereich des MRG.

[2] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin 11.165,38 EUR sA von der Beklagten. Daneben erhebt sie ein Feststellungsbegehren, das aber nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens ist.

[3] In der Klage brachte sie vor, die Beklagte habe ihr die Wohnung in einem nicht gebrauchsfähigen Zustand überlassen, weil sich darin ein von der Vormieterin installiertes, mit gesundheitsgefährenden Substanzen (Asbest) belastetes Nachtspeichergerät (Ofen) befunden habe. Die von ihr darüber informierte Beklagte habe die Nebenintervenientin mit der sofortigen Entfernung und Entsorgung des Ofens beauftragt, die aber derart unprofessionell vorgegangen sei, dass es zum Austritt von Asbest gekommen sei. Dadurch seien nicht nur ihre Fahrnisse, sondern auch die Wohnung selbst so stark kontaminiert worden, dass die Sanierung durch die Beklagte fast ein ganzes Jahr in Anspruch genommen habe. Für die durch den Asbestaustritt verursachten Schäden in Form von nicht mehr verwendbaren Fahrnissen (7.374,59 EUR) und sonstigen Unkosten (zusammen 290,79 EUR) habe die Beklagte als Auftraggeberin der Nebenintervenientin einzustehen. Zudem habe sie aufgrund ihrer Angst vor gesundheitlichen Folgen des möglichen Kontakts mit Asbest im Zuge der Entfernung des Ofens, des anschließenden Wohnungsverlusts und der ablehnenden Haltung der Beklagten nach dem Schadensfall eine depressive Störung erlitten, die ein Schmerzengeld von 3.500 EUR rechtfertige.

[4] Das Erstgericht sprach mit Teilzwischenurteil aus, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu Recht besteht.

[5] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge; die Revision ließ es nachträglich zu.

[6] Mit ihrer dagegen erhobenen Revisionstrebt die Beklagte primär die Abweisung des Zahlungsbegehrens an. Hilfsweise stellt sie auch Aufhebungsanträge.

[7] In ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben. Die Nebenintervenientin beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

[8] Aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels sind die Entscheidungen der Vorinstanzen samt dem darüber abgeführten Verfahren als nichtig aufzuheben. Die Klage ist im Umfang des Zahlungsbegehrens zurückzuweisen.

[9] 1. Die Vorinstanzen haben die (Un-)Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs weder im Spruch noch in den Entscheidungsgründen behandelt. Eine bindende Entscheidung über diese Prozessvoraussetzung liegt daher nicht vor (6 Ob 203/19z; RS0046245).

[10] 2. Die in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden Sachen gehören grundsätzlich auf den streitigen Rechtsweg (RS0012214). Die Rechtsdurchsetzung im außerstreitigen Verfahren findet nur statt, wenn eine Sache durch das Gesetz ausdrücklich oder zumindest schlüssig in diese Verfahrensart verwiesen ist (RS0012214 [T1, T5]; RS0013639 [T7]; RS0005948). Einen solchen Verweis enthält § 37 Abs 1 Z 5 MRG für Verfahren über die Duldungspflicht des Mieters einschließlich seines Entschädigungsanspruchs (§ 8 Abs 2 und 3 MRG). Davon sind nur Ansprüche nicht erfasst, die sich auf die Einhaltung vertraglicher Zusagen zu Erhaltungsarbeiten stützen (RS0117706; RS0069904).

[11] 3. Ob über einen konkreten Rechtsschutzantrag im streitigen oder außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist, richtet sich nicht nach der Bezeichnung durch die Partei, sondern nach dem Inhalt des Begehrens und dem Parteivorbringen (§ 40a JN). Maßgebend für die Bestimmung der Art des Rechtswegs sind also der Wortlaut des Begehrens und die zu seiner Begründung vorgebrachten Behauptungen der das Verfahren einleitenden Partei (RS0005896 [T17]; RS0005861; RS0013639 ua). Von Bedeutung ist die Natur bzw das Wesen des erhobenen Anspruchs (RS0045718; RS0045584), nicht aber die Behauptungen des Gegners oder ob der Anspruch begründet ist (RS0013639 [T20]; RS0005896 [T12] ua). Ohne Einfluss sind auch vom Gericht getroffene Feststellungen (RS0013639 [T8, T9]; RS0005861 [T1] ua).

[12] 4. Nach § 8 Abs 2 MRG hat der Mieter die vorübergehende Benützung und die Veränderung seines Mietgegenstands unter anderem zuzulassen,

a. wenn und soweit ein solcher Eingriff in das Mietrecht zur Erhaltung einer mitvermieteten Heiztherme, eines mitvermieteten Warmwasserboilers oder eines sonstigen mitvermieteten Wärmebereitungsgeräts in seinem oder in einem anderen Mietgegenstand notwendig oder zweckmäßig ist (Z 1);

b. wenn und soweit ein solcher Eingriff in das Mietrecht zur Beseitigung einer von seinem oder einem anderen Mietgegenstand ausgehenden erheblichen Gesundheitsgefährdung notwendig, zweckmäßig und bei billiger Abwägung aller Interessen auch zumutbar ist (Z 2).

[13] 5. Als Ausgleich dazu steht dem Mieter nach § 8 Abs 3 MRG eine angemessene Entschädigung für die ihm dadurch widerfahrenen wesentlichen Beeinträchtigungen zu. Dabei handelt es sich um keine vertragliche Haftung, sondern um eine von Rechtswidrigkeit und Verschulden losgelöste Eingriffshaftung (RS0069533 [T8]; RS0069520 [T3] ua), die allein darauf abstellt, ob sich der Mieter den nachteiligen Eingriff in sein Mietrecht gefallen lassen musste und die Arbeiten nicht hätte verhindern können (RS0069533; RS0069540 [T3] ua). Insoweit besteht daher ein Konnex zwischen der Entschädigungspflicht nach § 8 Abs 3 zweiter Halbsatz MRG und der Verpflichtung des Mieters zur Duldung des Eingriffs in sein Bestandrecht (5 Ob 240/17f; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch 4 § 8 MRG Rz 42 ua).

[14] 6. § 8 Abs 3 MRG gibt dem Mieter einen Anspruch auf volle Genugtuung (RS0069538; 5 Ob 229/04v) sowie – seit dem 3. WÄG – auch auf Ersatz ideeller Schäden. Zudem beschränkt sich die Ersatzpflicht nach mittlerweile neuerer gefestigter Rechtsprechung nicht bloß auf Beeinträchtigungen infolge mangelhafter Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten an sich, also solche, die sich im Rahmen der Duldungspflicht ereignet haben. Sie erstreckt sich vielmehr auch auf Schäden, die aus der unsachgemäßen Ausführung der Arbeiten resultieren (5 Ob 165/18b; 3 Ob 85/15v ua; zust: H. Böhm/Pletzer in GeKo Wohnrecht I [2018] § 8 MRG Rz 129; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht23 MRG § 8 Rz 12; Vonkilch in Hausmann/Vonkilch 4 § 8 MRG Rz 51). Die Ersatzpflicht trifft dabei denjenigen, dem die Arbeiten zuzurechnen sind, das heißt insbesondere den, der sie in Auftrag gegeben hat (5 Ob 169/09b = RS0117384 [T2]; RS0069540 [T1]; 5 Ob 165/18b mwN; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht23 MRG § 8 Rz 12; H. Böhm/Pletzer in GeKo Wohnrecht I § 8 MRG Rz 125; Würth in Rummel ABGB3 § 8 MRG Rz 7 ua).

[15] 7. Hier stützt sich die Klägerin darauf, dass das bei Übergabe der Wohnung vorhandene Nachtspeichergerät asbesthaltig und erheblich gesundheitsgefährdend (vgl H. Böhm/Pletzer in GeKo I § 3 MRG Rz 56) war und daher entfernt werden musste. Nach dem für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtswegs allein maßgeblichen Vorbringen der Klägerin wird damit ein Tatbestand geltend gemacht, der ex lege dem § 8 Abs 2 Z 2 MRG unterliegt (H. Böhm/Pletzer in GeKo I § 8 MRG Rz 102, 108). Über die daraus resultierenden Ersatzansprüche der Klägerin ist gemäß § 37 Abs 1 Z 5 MRG im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren zu entscheiden.

[16] Dem Zahlungsbegehren (zum Begehren auf Feststellung vgl dagegen RS0116134) steht daher die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs entgegen. In diesem Umfang waren die Urteile der Vorinstanzen daher samt dem dazu abgeführten Verfahren als nichtig aufzuheben und – da eine Überweisung der Sache an eine Schlichtungsstelle iSd § 39 MRG nicht in Betracht kommt (RS0108772) – die Klage insoweit zurückzuweisen.

[17] 8. Die Kostenaufhebung gründet sich auf § 51 Abs 2 ZPO. Die Beklagte hat sich auf das Verfahren eingelassen, ohne auf die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs hinzuweisen. Die Voraussetzungen für die Belastung nur der Klägerin mit den gesamten Verfahrenskosten liegen daher nicht vor. In diesem Fall umfasst die Kostenaufhebung auch die von einer Seite allein getragenen Barauslagen (1 Ob 5/23a mwN).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte