OGH 8ObA85/22s

OGH8ObA85/22s25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H* K*, vertreten durch die Schmidberger‑Kassmannhuber‑Schwager Rechtsanwalts‑Partnerschaft in Steyr, gegen die beklagte Partei I* GmbH, *, vertreten durch die Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen 1.531,46 EUR sA, über die ordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. September 2022, GZ 11 Ra 41/22m‑13, womit das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 22. April 2022, GZ 24 Cga 1/22f‑9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00085.22S.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 1.531,46 EUR samt 4 % Zinsen ab 1. August 2021 zu bezahlen.

Das auf Zahlung weiterer Zinsen in Höhe von 4,58 % ab 1. August 2021 gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 850,49 EUR (darin 141,75 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 548,86 EUR (darin 91,48 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war bei der Beklagten von 1. 11. 2019 bis 31. 7. 2021 beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) anzuwenden. Dessen Abschnitt XVI lautet auszugsweise:

„3. Der Urlaubszuschuss ist bei Antritt des Urlaubes fällig. Bei Teilung des Urlaubes gebührt nur der entsprechende Teil des Urlaubszuschusses. [...]

In allen Fällen ist der Urlaubszuschuss jedoch spätestens mit der Abrechnung des Monats Juni eines jeden Jahres fällig. Bei Eintritt nach dem 30. Juni eines Jahres gilt hinsichtlich der Fälligkeit Pkt 4.

4. Arbeitnehmer erhalten im Eintrittsjahr den aliquoten Teil des Urlaubszuschusses vom Eintrittsdatum bis zum Ende des Kalenderjahres (je Woche 1/52). Wird bei Eintritten nach dem 30. Juni eines Jahres ein Urlaub bis zum Ende des Kalenderjahres nicht angetreten, wird dieser aliquote Urlaubszuschuss mit der Abrechnung für Dezember ausbezahlt.

5. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach Verbrauch eines Urlaubes und Erhalt des Urlaubszuschusses, jedoch vor Ablauf des Kalenderjahres endet, haben den auf den restlichen Teil des Kalenderjahres entfallenden Anteil des Urlaubszuschusses zurückzuzahlen. Diese Rückzahlungsverpflichtung des bereits erhaltenen Urlaubszuschusses ist eingeschränkt auf den Teil des Urlaubszuschusses, der dem noch nicht verbrauchten Teil des Urlaubs entspricht.“

[2] Das Dienstverhältnis endete infolge Pensionsantritt der Klägerin. Anlässlich der Lohnabrechnung Mai 2021 erhielt sie den gesamten Urlaubszuschuss für das Jahr 2021 von 3.653,49 EUR brutto ausbezahlt. Bis zu ihrem Pensionsantritt hat die Klägerin im Zeitraum Mai bis Juli 2021 nach entsprechender Vereinbarung insgesamt 41 Urlaubstage verbraucht, davon entfielen 27,18 Arbeitstage auf den Urlaubssaldo von Ende 2020 und 13,82 Arbeitstage auf den Urlaub für das Kalenderjahr 2021; der noch offene Urlaub für 2021 bei Pensionsantritt hätte 11,18 Arbeitstage betragen.

[3] Bei Beendigung des Dienstverhältnisses nahm die Beklagte aufgrund ihrer Auslegung von Pkt XVI.5 KVAÜ und davon ausgehend, dass die Klägerin bei Ende des Dienstverhältnisses am 31. 7. 2021 von 25 Urlaubstagen des Jahres 2021 14,52 Urlaubstage verbraucht habe, den Standpunkt ein, die Klägerin hätte ihr für 10,48 Urlaubstage (= 25 ‑ 14,52) den Urlaubszuschuss zurückzuzahlen, somit einen Betrag von 1.531,54 EUR (3.653,49 EUR : 25 Urlaubstage = 146,14 EUR Urlaubszuschuss pro Tag; 10,48 Urlaubstage x 146,14 EUR = 1.531,54 EUR). Die Beklagte rechnete diesen Betrag gegen die noch offenen Entgeltforderungen der Klägerin auf.

[4] Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage 1.531,54 EUR samt 8,58 % Zinsen ab 1. 8. 2021. Sie vertritt im Wesentlichen – unter Berufung auf die Ausführungen von Schindler zur Auslegung der genannten Vorschriften des KVAÜ – den Standpunkt, sie unterliege keiner Rückzahlungsverpflichtung, weil sie in den Monaten Mai bis Juli 2021 mehr als einen Jahresurlaub verbraucht habe.

[5] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Sie vertritt im Wesentlichen – unter Berufung auf die Ausführungen von Rothe zur Auslegung der genannten Vorschriften des KVAÜ – den Standpunkt, der Verbrauch von Alturlaub sei außer Betracht zu lassen, weshalb die Klägerin zur Rückzahlung eines Teils des Urlaubszuschusses verpflichtet gewesen sei.

[6] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Einschränkung der Rückzahlungsverpflichtung nach Pkt XVI.5 2. Satz KVAÜ beziehe sich lediglich auf jene 25 Urlaubstage, die dem Kalenderjahr des Austritts zuzuordnen sind. Der Zweck der Sonderzahlungen bestehe darin, dem Arbeitnehmer die Finanzierung der anlässlich des Erholungsurlaubs bzw des Weihnachtsfestes typischerweise auftretenden Mehrkosten zu erleichtern. Die von der Klägerin vorgenommene Interpretation würde zu einer sachlich nicht begründbaren Schlechterstellung jener Arbeitnehmer führen, die den „alten“ Urlaub zur Gänze verbraucht haben, im Austrittsjahr aber nur maximal jenen Urlaubsanteil, der der restlichen Dauer des Dienstverhältnisses entspricht. Die Beklagte habe zu Recht mit den auf den restlichen Teil des Kalenderjahres 2021 entfallenden Anteil des Urlaubszuschusses in Höhe von 1.531,46 EUR gegen die offenen Entgeltforderungen der Klägerin aufgerechnet.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es vermöge sich nicht der Ansicht Schindlers anzuschließen, dass es zur Beurteilung der Rückzahlungspflicht nicht darauf ankomme, in welchem Urlaubsjahr der Anspruch auf Erholungsurlaub entstand, sondern nur ob im fraglichen Kalenderjahr 25 bzw 30 Arbeitstage Erholungsurlaub verbraucht wurden oder weniger. Beim Urlaubszuschuss handle es sich um eine Sonderzahlung. Sonderzahlungen seien eine Form aperiodischen Entgelts, sie gehörten aber zum „laufenden Entgelt“. Sie seien keine freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers, sondern aufgrund des Kollektivvertrags geschuldetes echtes Entgelt. Sie sollten Tag für Tag geleistete Arbeit abgelten. Sie würden daher als Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeit geleistet. Die Rückzahlungspflicht entspreche daher auch den aus der auszulegenden Kollektivvertragsnorm zu ersehenden Äquivalenzvorstellungen der Kollektivvertragsparteien. Pkt XVI.5 KVAÜ bestimme ausdrücklich eine Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers bei unterjähriger Vertragsbeendigung für jenen Teil des erhaltenen Urlaubszuschusses, der dem noch nicht verbrauchten Teil des Urlaubs entspricht. Die Bestimmung strebe klar die Herstellung der Äquivalenz von Leistungen und Gegenleistung (Arbeitsleistung und Entgelt) an, zumal sie dem Arbeitnehmer nach ihrem Zweck nur insoweit einen Anspruch auf Urlaubszuschuss zugestehe, als er diese bereits „verdient“ habe. Würden im Laufe eines Jahres Sonderzahlungen geleistet, die grundsätzlich für das ganze Jahr gebührten, jedoch zu einem früheren Zeitpunkt fällig würden, so müsse sich der Arbeitnehmer darüber im klaren sein, dass ihm dieser Betrag unter der entsprechenden Zweckwidmung nur zustehe, wenn das Arbeitsverhältnis das ganze Jahr dauere, dass jedoch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Jahresende im Sinn einer Aliquotierung ein Teil dieses Betrags gegen später fällig werdende Ansprüche aufgerechnet werde.

[8] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision unter Hinweis auf die abweichende Meinung Schindlers zu.

[9] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit einem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungsantrag.

[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurück‑, in eventu die Abweisung des Rechtsmittels.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Pkt XVI.5 KVAÜ zulässig. Der Auslegung von Kollektivverträgen kommt regelmäßig wegen des größeren Personenkreises der hievon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RIS‑Justiz RS0042819; RS0109942).

[12] Die Revision ist – abgesehen vom Zinsenpunkt – auch berechtigt.

[13] Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089). Eine über die Wortinterpretation hinausgehende Auslegung ist (nur) dann erforderlich, wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist, wobei der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung bildet (RS0010089 [T38]). Da den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden darf, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, ist bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RS0008828).

[14] Der KVAÜ sieht in den Regelungen der Abschnitte XVI und XVII für jedes Kalenderjahr einen einheitlichen Anspruch auf Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration im Ausmaß eines Monatsentgelts auf einer näher definierten Basis vor. Entsprechend dem Zweck dieser Sonderzahlungen, dem Arbeitnehmer die Finanzierung der Mehrkosten zu erleichtern, die anlässlich des Erholungsurlaubs bzw des Weihnachtsfestes typischerweise auftreten, ist der Urlaubszuschuss grundsätzlich bei Urlaubsantritt fällig, spätestens jedoch mit der Juniabrechnung, und die Weihnachtsremuneration spätestens am Ende jener Arbeitswoche, in die der 1. 12. fällt (9 ObA 120/16m; 9 ObA 22/21g [Rz 19]; 9 ObA 25/21y [Rz 19] = DRdA 2022/9 [Melzer]).

[15] Hieraus ist jedoch nicht abzuleiten, dass der Urlaubszuschuss nur dann behalten werden dürfe, wenn der Urlaub, dessen Finanzierung er von seiner Grundidee her dient, tatsächlich angetreten (und damit der Urlaub verbraucht) wird. Sieht doch Pkt XVI.5 nach Ende des Kalenderjahres generell keine Rückzahlungsverpflichtung vor und bestimmt Pkt XVI.4 Satz 2 KVAÜ, dass einem Arbeitnehmer, der nach dem 30. 6. eingetreten ist und einen Urlaub bis zum Ende des Kalenderjahres nicht angetreten hat, der aliquote Urlaubszuschuss mit der Abrechnung für Dezember ausbezahlt wird. Die Vorschrift lässt über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich – den Beginn des Arbeitsverhältnisses erst in der zweiten Jahreshälfte des laufenden Jahres – hinausgehend erkennen, dass der Urlaubszuschuss unabhängig vom Urlaubsverbrauch behalten werden darf. Der Senat hat dies auch bereits zu einer inhaltsgleichen Vorschrift in einem anderen Kollektivvertrag ausgesprochen (8 ObS 3/17z [Pkt 2.]). Damit steht im Einklang, dass auch Sonderzahlungen die geleistete Arbeit abgelten (8 ObA 11/08p mwN; RS0102516). Der möglicherweise früher motivierende Zusammenhang zwischen Urlaub und Weihnachten und den Sonderzahlungen ist mit anderen Worten und wie aus den Fälligkeitsbestimmungen (auch) des vorliegenden Kollektivvertrags ersichtlich weitestgehend weggefallen (9 ObA 151/09k).

[16] In 8 ObS 6/17s sprach der Senat zu einer Pkt XVI.4 KVAÜ teilweise ähnlichen Bestimmung aus, es verkenne das Wesen des Urlaubszuschusses, wenn argumentiert werde, die Bezahlung des Urlaubszuschusses in den Vorjahren rechtfertigte es, dass trotz tatsächlichen Urlaubskonsums im Folgekalenderjahr der laufende Urlaubszuschuss erst mit der nächsten Dezemberabrechnung fällig werde, wenn es sich um Resturlaub aus Vorjahren handle. Die Herstellung einer inhaltlichen Verknüpfung des Urlaubszuschusses als einer pro Kalenderjahr gebührenden Sonderzahlung mit dem in jedem Urlaubsjahr entstehenden Urlaubsanspruch entbehrte nach damaliger Beurteilung des Senats einer Grundlage.

[17] Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung vertritt Schindler zur Fälligkeit des Urlaubszuschusses nach Pkt XVI.4 KVAÜ die Ansicht, es sei gleichgültig, ob der angetretene Urlaub auf einem Urlaubsanspruch aus einem Vorjahr, dem laufenden Jahr oder auf einem Urlaubsvorgriff beruhe. Der pro Kalenderjahr zustehende Urlaubszuschuss habe keinen Bezug zum Urlaubsjahr. Dieselbe Ansicht vertritt Schindler auch in Hinsicht auf den die Rückzahlung regelnden Pkt XVI.5 KVAÜ. Es komme „wieder nicht darauf an, in welchem Urlaubsjahr der Anspruch auf den Erholungsurlaub entstand […], sondern nur, ob im fraglichen Kalenderjahr 25 bzw 30 Arbeitstage Erholungsurlaub […] verbraucht wurden oder weniger“ (Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs‑KV5 [2022] 384 und 388]).

[18] Bereits vor der Entscheidung 8 ObS 6/17s und der auf sie Bezug nehmenden Äußerung Schindlers hatte Kurzböck die Ansicht vertreten, für die Verpflichtung zur Rückzahlung des Urlaubszuschusses nach dem KVAÜ komme es „auf die in diesem Kalenderjahr im Arbeitsverhältnis verbrauchten Urlaubstage (egal, aus welchem Urlaubsjahr sie stammen)“ an (Kurzböck, Der NEUE Arbeiter‑Kollektivvertrag in der Arbeitskräfteüberlassung [LV aktuell Sonderheft 2012], 75).

[19] Nach Ansicht von Rothe ist dem Kollektivvertrag „weder eine Einschränkung zu entnehmen, dass die Fälligkeit des Urlaubszuschusses bei Urlaubsantritt nur jene Urlaube erfasst, die im laufenden Kalenderjahr entstanden oder diesem zuzurechnen sind, noch ist ein absolutes Verbot zu erkennen, die Verknüpfung zwischen Urlaubskonsum und Urlaubszuschuss zu lösen“. Seines Erachtens „lässt sich [daher] der Standpunkt vertreten, dass jene Urlaubsteile, die fiktiv auf ein altes Kalenderjahr entfallen und die im neuen Kalenderjahr verbraucht werden, eine Zuschuss-Zahlung nicht auslösen, da der Urlaubszuschuss für diesen Urlaubsteil schon im alten Kalenderjahr bezahlt wurde“. Die Verknüpfung von Urlaubskonsum und Urlaubszuschuss werde nämlich durch den Kollektivvertrag selbst gelöst, indem ein späterer Fälligkeitstermin (Juni-Abrechnung) festgelegt werde. Damit seien die später im Kalenderjahr angetretenen Urlaube sozusagen zuschussmäßig bevorschusst (Rothe, Arbeiter‑ und Angestellten‑KV Arbeitskräfteüberlassung4 [2020] Pkt XVI Rz 27).

Der Senat hat erwogen:

[20] Der Urlaubszuschuss ist Entgelt (vgl 8 ObA 11/08p mwN; RS0102516). Er steht dem Arbeitnehmer auch dann zu, wenn er den Urlaub nicht verbraucht (8 ObS 3/17z [Pkt 2.]). Der im Vorjahr ausbezahlte Urlaubszuschuss hat nicht die Funktion, einen im heurigen Jahr konsumierten Urlaub zu finanzieren. Vielmehr ist bei lebensnaher Betrachtung davon auszugehen, dass bei Nichtantritt eines Urlaubs im Vorjahr der ausbezahlte Urlaubszuschuss vom Arbeitnehmer bereits für anderweitige Ausgaben herangezogen wurde.

[21] Tritt im heurigen Jahr der Arbeitnehmer einen Urlaub an, so wird bereits durch diesen Urlaubsantritt der Urlaubszuschuss fällig. Pkt XVI.3 Satz 1 KVAÜ differenziert nicht zwischen Urlaubsansprüchen aus vergangenen Urlaubsjahren und jenem des aktuellen Urlaubsjahres. Der Senat sieht keine Veranlassung, von seiner Entscheidung 8 ObS 6/17s abzugehen. Der Urlaubszuschuss wird daher für das laufende Kalenderjahr nicht erst fällig, wenn der Arbeitnehmer mit dem Verbrauch des ihm für dieses Jahr gebührenden Urlaubs beginnt. Vielmehr hat ein Arbeitnehmer, der zB im Jänner einen mehrwöchigen Urlaub antritt, ein anzuerkennendes Interesse auf Auszahlung des Urlaubszuschusses, gleichgültig ob noch Alt‑ oder bereits Neuurlaub verbraucht wird. Ein im vergangenen Jahr ausbezahlter Urlaubszuschuss wird wohl regelmäßig bereits anderweitig verbraucht sein.

[22] Auch Pkt XVI.5 Satz 1 KVAÜ spricht vom Verbrauch „eines“ Urlaubs, differenziert also nicht zwischen Urlaubsansprüchen aus vergangenen Urlaubsjahren und jenem des aktuellen Urlaubsjahres. Der gesamte Abschnitt XVI enthält keinen Hinweis darauf, dass der Anspruch auf Urlaubszuschuss einem (aliquoten) Urlaubsanspruch aus einem bestimmten (allenfalls schon vergangenen) Urlaubsjahr zuzuordnen ist, sondern bindet den Sonderzahlungsanspruch nur an das jeweilige Kalenderjahr, was seinen bloßen Entgeltcharakter verstärkt.

[23] Nach Pkt XVI.5 Satz 2 KVAÜ ist die Verpflichtung zur Rückzahlung des bereits erhaltenen, aber wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf des Kalenderjahres überproportionalen Urlaubszuschusses „eingeschränkt auf den Teil des Urlaubszuschusses, der dem noch nicht verbrauchten Teil des Urlaubs entspricht“. Die Regelung beruht auf dem Gedanken, dass bei gänzlichem Verbrauch des Urlaubs wohl auch der gesamte Urlaubszuschuss verbraucht wurde und es deshalb dem Arbeitnehmer unzumutbar ist, diesen aliquot zurückzuzahlen, wenn sein Dienstverhältnis vorzeitig endet, sodass ihm an sich aliquot weniger Urlaubszuschuss zugestanden wäre. Zumal der Urlaubszuschuss der Finanzierung des aktuellen Urlaubs dient (vgl 8 ObS 6/17s), muss Pkt XVI.5 Satz 2 KVAÜ dahin ausgelegt werden, dass keine Rückzahlungsverpflichtung besteht, wenn im laufenden Jahr zumindest Urlaub im Ausmaß des jährlichen Urlaubsanspruchs (25 bzw 30 Tage) konsumiert wurde, ist doch davon auszugehen, dass der aktuelle Urlaubszuschuss für diesen Urlaub verbraucht wurde.

[24] Die von der Beklagten – im Einklang mit Rothe – befürwortete Auslegung setzte eine entsprechende Differenzierung nach dem Entstehungsjahr des im Austrittsjahr in Anspruch genommenen Urlaubs im Normtext voraus. Eine solche ist aber nicht vorhanden. Dass Pkt XVI.5 Satz 1 KVAÜ von der Verpflichtung zur Rückzahlung des auf den restlichen Teil des Kalenderjahres entfallenden Anteils des Urlaubszuschusses spricht, tut dieser Beurteilung keinen Abbruch, weil zwischen dem sich nach dem Kalenderjahr richtenden Urlaubszuschuss‑Anspruch (Satz 1) und dem die Fälligkeit des Urlaubszuschusses auslösenden Verbrauch von Erholungsurlaub unabhängig von dessen Entstehungsjahr (Satz 2 iVm Pkt XVI.3 Satz 1) zu unterscheiden ist. Insoweit dem Urlaubszuschuss‑Anspruch auch der Verbrauch „eines“ Urlaubs in der Dauer von zumindest 25 (bzw 30) Tagen gegenübersteht, entfällt die Rückzahlungsverpflichtung.

[25] Der Senat schließt sich damit der Ansicht von Kurzböck und Schindler an.

[26] Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren folglich im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Als zutreffend erweist sich aber der bereits in erster Instanz erhobene Einwand der Beklagten, dass ihre Rechtsansicht iSd § 49a Satz 2 ASGG vertretbar war. Es waren daher der Klägerin nur Zinsen nach bürgerlichem Recht zuzusprechen; ihr Zinsenmehrbegehren war abzuweisen.

[27] Die Entscheidungen über die Kosten gründen sich auf § 41 ZPO, hinsichtlich der Verfahren zweiter und dritter Instanz iVm § 50 ZPO.

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