OGH 9ObA120/16m

OGH9ObA120/16m28.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunstky und Mag. Matthias Schachner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** G*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler & Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei R***** GesmbH, *****, vertreten durch Bartl & Partner Rechtsanwälte KG in Graz, wegen 344,28 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juni 2016, GZ 6 Ra 16/16v‑13, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 20. Jänner 2016, GZ 21 Cga 124/15k‑9, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00120.16M.1028.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 210,84 EUR (darin 35,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von 27. 4. bis 21. 7. 2015 als Leiharbeiter bei der Beklagten vollzeitbeschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch unberechtigten vorzeitigen Austritt. Auf das Arbeitsverhältnis war der Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) anzuwenden. Mit der Lohnabrechnung Juni 2015 erhielt der Kläger den Urlaubszuschuss für den Zeitraum 27. 4. bis 31. 12. 2015. Mit der Endabrechnung rechnete die Beklagte diesen Urlaubszuschuss mit offenen Entgeltforderungen des Klägers auf. In der Folge bezahlte die Beklagte dem Kläger einen Urlaubszuschuss für zwei konsumierte Urlaubstage.

Zwischen den Parteien ist nicht strittig, dass die Beklagte den für den Zeitraum 22. 7. bis 31. 12. 2015– also nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – aliquot berechneten Urlaubszuschuss zu Recht vom Kläger zurückgefordert hat. Die Streitteile sind sich nur nicht einig darüber, ob der Kläger auch den restlichen für den Zeitraum des aufrechten Arbeitsverhältnisses von 27. 4. bis 21. 7. 2015 gewährten Urlaubszuschuss in Höhe des Klagsbetrags zurückzubezahlen hat.

Der Kläger stützt seine Ansicht, die Beklagte sei trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch unberechtigten vorzeitigen Austritt nicht berechtigt, von ihm auch den für den Zeitraum des aufrechten Arbeitsverhältnisses von 27. 4. bis 21. 7. 2015 gewährten Urlaubszuschuss zurückzufordern, im Wesentlichen auf eine wörtliche Auslegung des Abschnitts XVI Punkt 5 und 6 KVAÜ. Die Beklagte kommt aufgrund systematischer und historischer Interpretation dieser Kollektivvertragsbestimmungen zum gegenteiligen Ergebnis.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Bestimmungen des Abschnitts XVI Punkt 5 und 6 KVAÜ seien so zu verstehen, dass der Anspruch auf Urlaubszuschuss immer nur dann bestehe, wenn das Arbeitsverhältnis nicht durch eine in Art XV Z 6 KVAÜ genannte verpönte Beendigungsart geendet habe. Nur der Urlaubszuschuss, der den bereits verbrauchten Urlaubstagen entspreche, könne vom Arbeitnehmer nicht zurückgefordert werden. Die gegenteilige Auslegung, die im Falle einer verpönten Beendigungsart bei Verbrauch bereits eines einzigen Urlaubstages den Anspruch auf den ausbezahlten Urlaubszuschuss für die Zeit des aufrechten Arbeitsverhältnisses bestehen lasse, würde eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung jener Arbeitnehmer bedeuten, die keinen Urlaub verbraucht hätten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und dem Klagebegehren statt. Nur Abschnitt XVI Punkt 6 KVAÜ sehe im Fall einer der angeführten verpönten Beendigungsarten eine Rückverrechnung des für die Zeit des aufrechten Arbeitsverhältnisses ausbezahlten Urlaubszuschuss vor. Diese Bestimmung sei aber hier nicht anwendbar, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht vor, sondern erst nach Urlaubsverbrauch und Erhalt des Urlaubszuschusses (Abschnitt XVI Punkt 5 KVAÜ) beendet worden sei. Die Kollektivvertragsparteien hätten bewusst zwischen dem Verlust eines Nachzahlungsanspruchs des Arbeitnehmers und dem Entstehen eines Rückforderungsanspruchs des Arbeitgebers differenziert. Aus den Bestimmungen zur Weihnachtsremuneration sei abzuleiten, dass nach der Absicht der Kollektivvertragsparteien die Sonderzahlungen während des aufrechten Dienstverhältnisses als Entgelt „verdient“ würden und eine Rückverrechnung nur, soweit die Sonderzahlungen das aliquote Ausmaß übersteigen, möglich sein sollte. Die Bestimmungen über die Sonderzahlungen sollten darüber hinaus (wegen § 10 Abs 3 AÜG) einem Günstigkeitsvergleich zu sämtlichen Beschäftiger-Kollektivverträgen standhalten.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine gesicherte Rechtsprechung zur Auslegung der Bestimmungen über die Rückverrechnung des Urlaubszuschusses nach dem KVAÜ bestehe und diese für eine Vielzahl von Arbeitnehmern von Bedeutung sei.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, in eventu der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig (RIS‑Justiz RS0042819; RS0109942). Sie ist jedoch nicht berechtigt.

Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen (RIS‑Justiz RS0010088). Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung in erster Linie der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0010089). Eine über die Wortinterpretation nach den §§ 6, 7 ABGB (RIS‑Justiz RS0008896) hinausgehende Auslegung ist (nur) dann erforderlich, wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist, wobei der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung bildet (RIS‑Justiz RS0031382). Entscheidend ist bei der Kollektivvertragsauslegung, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann. Denn die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrags zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, die die Kollektivvertragsparteien beim Abschluss vom Inhalt der Norm besessen haben, weder kennen noch feststellen. Eine von den Parteien mit einer Regelung verfolgte Absicht kann somit nur dann berücksichtigt werden, wenn sie im Text in hinreichender Weise ihren Niederschlag gefunden hat (9 ObA 124/15y; 9 ObA 37/16f; RIS‑Justiz RS0010089 [T17]; RS0010088 [T18] ua).

Bei der Auslegung von kollektivvertraglichen Bestimmungen ist zudem davon auszugehen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, verbunden mit einem gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen (RIS‑Justiz RS0008828; RS0008897).

Der KVAÜ sieht einen einheitlichen Anspruch auf Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration vor, dessen Höhe in Abschnitt XVI Punkt 2 KVAÜ so festgelegt wurde, dass sie dem Günstigkeitsvergleich zu allen Beschäftiger-Kollektivverträgen bzw ausnahmsweise beachtlichen betrieblichen Regelungen möglichst standhält (Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs‑KV 2013² XVI/XVII Erl 2, 331). Entsprechend dem Zweck des Urlaubszuschusses, dem Arbeitnehmer die Finanzierung der Mehrkosten zu erleichtern, die anlässlich des Erholungsurlaubs typischerweise auftreten (Schindler aaO Erl 4, 332), ist der Urlaubszuschuss grundsätzlich bei Urlaubsantritt fällig, spätestens jedoch mit der Juniabrechnung (Abschnitt XVI Punkt 3 KVAÜ). Im Eintrittsjahr erhält der Arbeitnehmer den aliquoten Teil des Urlaubszuschusses vom Eintrittsdatum bis zum Ende des Kalenderjahres (je 1/52) (Abschnitt XVI Punkt 4 Satz 1 KVAÜ).

Die für die Entscheidung maßgeblichen Bestimmungen des Abschnitt XVI KVAÜ lauten wie folgt:

5.  Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach Verbrauch eines Urlaubes und Erhalt des Urlaubszuschusses, jedoch vor Ablauf des Kalenderjahres endet, haben den auf den restlichen Teil des Kalenderjahres entfallenden Anteil des Urlaubszuschusses zurückzuzahlen. Diese Rückzahlungs-verpflichtung des bereits erhaltenen Urlaubszuschusses ist eingeschränkt auf den Teil des Urlaubszuschusses, der dem noch nicht verbrauchten Teil des Urlaubs entspricht.

6.  Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor Verbrauch eines Urlaubes endet, haben Anspruch auf den aliquoten Teil des Urlaubszuschusses, entsprechend ihrer jeweils im Kalenderjahr zurückgelegten Dienstzeit (je Woche 1/52). Ein über den aliquoten Anteil hinausgehender, bereits ausbezahlter Urlaubszuschuss ist rückzuverrechnen. Dieser Anspruch entfällt bei:

a)  Entlassung aus Verschulden des Arbeitnehmers (§ 82 GewO),

b)  Austritt ohne wichtigen Grund.

Nach seinem eindeutigen Wortlaut gilt Punkt 5 des Abchnitt XVI KVAÜ nur für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach Verbrauch eines Urlaubs und Erhalt des Urlaubszuschusses endet, während Punkt 6 jene Arbeitnehmer erfasst, deren Arbeitsverhältnis vor Verbrauch eines Urlaubs endet. Dass Punkt 5 auch den nur teilweisen Urlaubsverbrauch regelt, ist zwischen den Parteien nicht weiter strittig (vgl auch Schindler aaO Erl 10, 339 und Erl 11, 340). Punkt 6 gilt für den Fall, dass gar kein Urlaub verbraucht wurde (Schindler aaO Erl 10). Nach dem insofern ebenso eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmungen haben die Kollektivvertragsparteien für unterschiedliche Gruppen von Arbeitnehmern unterschiedliche Rechtsfolgen in Bezug auf die Rückverrechnung bzw Rückzahlung von zu viel erhaltenem Urlaubszuschuss normiert. Ausdrücklich entfällt der Anspruch auf den aliquoten Teil des Urlaubszuschusses, der der im Kalenderjahr zurückgelegten Dienstzeit entspricht, bei Entlassung aus Verschulden des Arbeitnehmers und Austritt ohne wichtigen Grund nur hinsichtlich jener Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor Verbrauch eines Urlaubs endet (Abschnitt XVI Punkt 6 lit a) und b) KVAÜ). Für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach Verbrauch eines Urlaubs und Erhalt des Urlaubszuschusses endet (Abschnitt XVI Punkt 5 KVAÜ), findet sich hingegen keine Regelung, die den grundsätzlichen Anspruch des Arbeitnehmers auf den der zurückgelegten Dienstzeit entsprechenden Urlaubszuschuss bei bestimmten schädlichen Beendigungsarten wieder entfallen lässt.

Der insoweit klare Text des Kollektivvertrags lässt keine Zweifel darüber offen, dass die Kollektivvertragsparteien diese Differenzierung tatsächlich vornahmen. Die von der Revisionswerberin gewünschte Auslegung würde über den äußerst möglichen Wortsinn der Regelungen hinausgehen. Wie bereits oben erwähnt, steht den Normadressaten des Kollektivvertrags nur der Text zur Verfügung. Dieser lässt nicht die Absicht der Kollektivvertragsparteien erkennen, dass diese eine vom klaren Wortlaut abweichende Regelung treffen wollten. Hätten die Kollektivvertragsparteien lediglich aus einem Versehen die Bezugnahme auf die in Abschnitt XVI Punkt 6 lit a) und b) KVAÜ normierten schädlichen Beendigungsarten in der immerhin seit 1. 1. 2009 in Kraft stehenden Bestimmung des Abschnitt XVI Punkt 5 KVAÜ unterlassen, wäre zu erwarten gewesen, dass sie diesen Fehler in der Zwischenzeit behoben hätten. Dies war hier der Fall; von einem Versehen ist daher nicht auszugehen.

Zusammengefasst haben Arbeitnehmer iSd Abschnitt XVI Punkt 5 des Kollektivvertrags für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung, deren Arbeitsverhältnis nach Verbrauch eines Urlaubs und Erhalt des Urlaubszuschusses, jedoch vor Ablauf des Kalenderjahres endet, auch dann Anspruch auf den aliquoten Teil des Urlaubszuschusses entsprechend ihrer jeweils im Kalenderjahr zurückgelegten Dienstzeit (je Woche 1/52), wenn das Arbeitsverhältnis wie im vorliegenden Fall durch Austritt ohne wichtigen Grund beendet wurde.

Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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